Pferde-Alltag in alter Zeit |
www.ZeitSpurenSuche.de |
Inhaltsübersicht | Altersbestimmung - Pferdezähne |
- Altersbestimmung beim Pferd - Der Pferdezahnarzt (1930er Jahre) |
Altersbestimmung beim Pferd
"Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul", behauptet der Volksmund. Zumindest beim Pferdekauf möchte aber der potenzielle Käufer schon gerne genau wissen, wie alt das Pferd ist, das er zu erwerben gedenkt, und das erkennt er am Kopf und im Maul, wenn er die Zähne richtig zu lesen versteht.
So habe ich es vor mehr als 30 Jahren von erfahrenen Pferde-Fachleuten gelernt und hoffe, dass es auch heute noch stimmt: Kaltblüter sind schon mit vier Jahren voll entwickelt, Warmblüter erst mit fünf bis sieben Jahren. Erste Anhaltspunkte für das Alter eines Pferdes geben oft schon die Konturen des Kopfes. Mit zunehmendem Alter schwindet das Unterhautfettgewebe, und das Profil wird - etwa ab 13 oder 14 Jahre - deutlich härter. Vielfach fallen die Augengruben ein, und in der Augengegend zeigen sich erste graue Haare. Sichere Kriterien sind das aber nicht. Es gibt nicht selten Pferde, denen man auch ein Alter von über 20 Jahren nicht am Gesicht ansieht! Da sind die Zähne schon aussagekräftiger. Kriterien sind Durchbruch, Zahnwechsel und Abnutzung der Kaufflächen. Aber zunächst ein bisschen Gebisskunde: Die Schneidezähne werden bis zum Alter von 15 Jahren als Zangengebiss bezeichnet, danach wegen der zunehmenden Schrägstellung der Zähne als Winkelgebiss. Das vollständige Pferdegebiss besteht aus 40 bzw. 36 Zähnen, und zwar in Ober- und Unterkiefer - je 6 Schneidezähne (je 2 Zangen, 2 Mittelzähne, 2 Eckzähne) - je 2 Hakenzähne (sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal, bei Stuten sehr selten) - je 6 vordere Backenzähne (Prämolaren) - je 6 hintere Backenzähne (Molaren) Zahnaltersbestimmung bei WarmblüternDer Einbiss, eine Einkerbung am Eckzahl, entsteht zwischen dem 8. und 9. Lebensjahr. Besonders ausgeprägt ist er zwischen dem 8. und 9. Lebensjahr und kann vom 16. bis 18. Lebensjahr nochmals auftreten.1. Geburt bis 1. Lebensjahr: Milchgebiss Bei der Geburt sind die Milchzangen und meist auch die Prämolaren vorhanden. 2. 1.-5. Lebensjahr: Durchbruch und Wechsel der Zähne Im Durchbruch erscheinen in der 6.-12. Woche die Milchmittelzähne, im 6.-9. Monat die Milcheckzähne. Im Alter von 12 Monaten ist das Milchgebiss vollständig. 3. 1.-11. Lebensjahr: Verschwinden der sog. Kunden (dunkel gefärbte Vertiefungen in den Schneidezähnen) Die Kunden des Milchgebisses verschwinden im Verlauf von 1 Jahr bei den Milchzangen, 1 1/2 Jahren bei den Milchmittelzähnen, 2 Jahren bei den Milcheckzähnen. Gleichzeitig erscheinen im Durchbruch der 4. und 5. Backenzahn (Molaren). Sind die Kunden im Milchgebiss verschwunden, beginnt der Zahnwechsel. Während des Wechsels verschwinden die Kunden erneut, jedoch unterschiedlich im Unter- und Oberkiefer. Sie sind jetzt im Unterkiefer 7 mm, im Oberkiefer 14 mm tief. 4. ab 12. Lebensjahr: Form der Kau- bzw. Reibeflächen Das vollständige Pferdegebiss besteht aus 40 bzw. 36 Zähnen. Es befinden sich im Ober- und Unterkiefer - je 6 Schneidezähne (je 2 Zangen, 2 Mittelzähne, 2 Eckzähne) - je 2 Hakenzähne (sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal, bei Stuten sehr selten) - je 6 vordere Backenzähne (Prämolaren) - je 6 hintere Backenzähne (Molaren) |
Der Pferdezahnarzt (1930er Jahre)
Bernhard Grzimek (1909-1987), Dr. med. vet., Zoodirektor und Schriftsteller, der nicht mehr ganz so jungen Generation u. a. bekannt durch Buch und Film "Serengeti darf nicht sterben", hat 1943 in seinem kleinen Buch "Unsere Brüder mit den Krallen" einen Artikel aus dem Arbeitsleben des Tier-Zahnarztes Dr. Becker aus Sarstedt veröffentlicht. Unter der Überschrift "Haben Pferde Zahnschmerzen?" in beschreibt er in einfachen Worten, was im Pferdemaul vor sich geht und wie der erfahrene Pferdezahnarzt in den 1930er Jahren den Zahnproblemen mit Erfindungsgeist und Tatkraft zu Leibe rückte.
"Bei uns bleibt ein Backenzahn zeitlebens unversehrt, schön gelbweiß und oben buckelig. So ein Pferdezahn im Unterkiefer aber wird dauernd hartnäckig auf seinem Gegenüber im Oberkiefer hin und her gerieben, bis die Haferkörner dazwischen zerschrotet sind. Wie jeder gute Mahlstein nützt sich so ein Zahn dabei ab, bis vier Millimeter wird er im Jahre kürzer und schiebt sich daher von unten her ebenso lang aus dem Kiefer neu heraus. Auf diese Weise haben unsere braven Pferde so gut wie gar nicht an der Karies, der Zahnfäulnis, zu leiden". |
|
Ein Pferde-Backenzahn, davor ein menschlicher. Nach einer Abb. bei Gzimek |
Die Fäulnis beginnt beim Pferd fast immer auf der Kaufläche der Zähne. Sie kann aber nur selten wirklich Schaden anrichten, denn die kleinen Fäulnislöcher werden beim Kauen einfach mit weggerieben. Daher hat nur jedes hundertste Pferd Zahnfäulnis. "Eine ganz praktische Sache also, wenn einem die Zähne oben abgeschliffen werden und dafür von unten nachwachsen!"
"Unsere Pferde aber brauchen keine Disteln, kein halb vertrocknetes Schilfgras mehr zu Brei zu zerreiben, sie bekommen das Stroh kleingehäckselt in die Krippe und guten Hafer dazu. Deswegen sind sie kaufaul geworden, ihr Unterkiefer rückt viel zu wenig dabei hin und her. So reibt sich bei vielen nicht mehr die ganze Oberfläche der Zähne an ihrem Gegenüber; die äußerste oder die innerste Kante kommt gar nicht mehr damit in Berührung. Also nutzt sie sich auch nicht ab. Da sie aber von unten immer nachwächst, gibt es bald einen Zacken, der immer spitzer und länger wird und schließlich oben ins Zahnfleisch, in die Zunge oder in die Wange dringt. [...]
Grzimek beschreibt die Behandlung als eine für Tier und Arzt unangenehme Angelegenheit: Zwar konnte man die vorstehenden, zu langen Zahnenden abkneifen. Um aber einen Pferdezahn zu zerkneifen seien mehrere Zentner Druck nötig; man brauche Zahnzangen mit sehr langen Hebelarmen und ziemliche Kräfte dazu. Oft werde der Zahn nicht glatt durchtrennt, so dass das im Kiefer verbleibende Zahnende splittert. Zudem werde durch das Ziehen und Drücken der Zahn gelockert.
"Weil die Mundhöhle beim Pferde viel tiefer ist, mußten die Ansatzstücke [beim Abschleifen] viel länger als beim Zahnarzt gebaut werden; weil die Pferdezähne so viel kräftiger und größer sind, wurden die Antriebsmotore, aber auch die Schleifstücke selbst sehr viel kräftiger. Sie haben heute achttausend Umdrehungen in der Minute, das entspricht einer Geschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern, mit der sich die Scheibe auf dem Zahn dreht. [...]
|
1986 Dressurlehrpferd Fürst Igor von Frühlingstrunk (Westf.) u.d. Sibylle im Alter von 6 Jahren |
|
2009 Pensionär Fürst Igor mit grauen Schläfen an seinem 30. Geburtstag |
Quellen:
|