Pferde-Alltag in alter Zeit
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Inhaltsübersicht Zirkuspferde


Zum Beispiel: Pferde im Circus Busch
Zirkus en miniature
Tierdressur

Wer denkt schon beim Thema "Arbeitspferde" an Zirkuspferde? Ebenso wenig wie man auf die Idee käme, die menschlichen Artisten als "Arbeiter" zu bezeichnen, obwohl viele doch harte körperliche Arbeit leisten, würde es uns bei den Pferden einfallen. Aber auch die Zirkuspferde sind Dienstleister, arbeiten zum Nutzen des Menschen und sollen hier nicht unterschlagen werden.



Das Pferd stand schon im 17./18. Jh. im Mittelpunkt pompöser Vorführungen und Quadrillen, wie sie am Hof des französischen "Sonnenkönigs" Ludwig XIV. veranstaltet wurden. Als Begründer des Zirkus in seiner heutigen Form gilt der englische Offizier Philip Astley (1742-1814). 1768 gründete er bei London eine Reitschule für militärische Zwecke, in der in kreisförmiger Manege auch Kunstreiter, Seiltänzer und andere Artisten auftraten.

Bis etwa zur Mitte des 19. Jh. standen im Zirkus die Pferdevorführungen im Vordergrund mit Kunstreiterei, Freiheitsdressuren und rasanten, zu Pferde ausgeführten Pantomimen, gern in Form von Schlachten-Darstellungen, sog. Hippodramen. Dann wuchs die Sensationslust des Publikums, und neben Menschen und Pferden wurden fortan auch Wildtiere in die Arena geschickt.


Zirkus
 
Pantomime.
Detail aus einem
amerikanischen Zirkusplakat
um 1890



Zum Beispiel: Pferde im Circus Busch

Zufällig fand ich im Solinger Stadtarchiv eine alte Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Circus Busch (1884-1934). Vielleicht gastierte der Zirkus in den 1930er Jahren in Solingen, oder Solinger haben das Heft von einem Ausflug nach Hamburg, Berlin oder Breslau mitgebracht, wo der Zirkus damals "feste Häuser" unterhielt. Im Heft sind auch einige Pferde-Artisten abgebildet. Über Leben, Ausbildung und Leistung der Zirkuspferde verrät das nett geschriebene Heft so gut wie nichts. Aber in einzelnen Passagen, die hier zitiert sind und für sich sprechen sollen, kommen die Pferde doch vor.


Zirkuspferde
Man reiste per Eisenbahn und Schiff: "Ankunft des Extra-Zuges des Circus Busch auf dem Wiener Nordbahnhof 1890." Abb.: Festschrift Circus Busch


Zirkusgründer Paul Busch aus Berlin (1850-1927), Königlich Preußischer Commissionsrat, begann 1884 mit zehn Pferden, einem Zelt und etwa 3000 Kronen Betriebskapital. Er berichtet:

"Ursprünglich sollte ich Kaufmann werden. Reiter bin ich erst als Soldat geworden. Als Gardekürassier habe ich den Krieg von 1870/71 mitgemacht. Das Reiten lag mir im Blut. [...] Man schickte mich auf die "Hohe Schule für Reiter". Später ging ich als Direktor des Tattersalls nach Reval in Russland. Durch den Tod meiner Mama, einer geborenen von Lossow, gelangte ich in den Besitz einer kleinen Erbschaft. Davon kaufte ich in Petersburg ein paar edle Pferde, die ich in meinem Tattersall dressierte. Als Besitzer dieser edlen Tiere fand ich Engagement, zunächst in Paris, dann in Lissabon, Madrid und Barcelona, zuletzt bei Guillaume, mit dem ich die großen Städte Italiens bereiste." [Busch S. 5]

  Tattersall: Raum für Turf- u. Sportliebhaber; Pferdebörse, auch Reitschule, ben. nach d. 1795 verstorbenen Trainer Tatter. [Beckmann]


Zirkuspferde
"Das Monstre Tableau von 100 Pferden, vorgeführt von Direktor Paul Busch.
(Nach einem Holzschnitt aus einem der ersten Programme)." Abb.: Festschrift Circus Busch


Die Zeichnung stammt demnach ursprünglich aus dem 1880er Jahren. Sollte sie den Tatsachen entsprechen und tatsächlich 100 Pferde diszipliniert gegeneinander galoppiert sein, so wäre dies ein höchst beeindruckendes Kunststück.

Eine große Gefahr, die einen Zirkus treffen konnte und die mit Tieren und Ausstattung schnell seine Existenz vernichten konnte, waren Brände. Auch das Reisen mit den Tieren war alles andere als unproblematisch:

"Auf einer Reise von Helsingfors in Finnland nach Stockholm habe ich doch mal einen schweren Materialverlust erlitten. Die Pferde waren in einem heißen, dunstigen Raum unter Deck, unmittelbar neben der Dampfmaschine, untergebracht. Als einzige Oeffnung für Zufuhr von frischer Luft befand sich in der Decke des Raumes eine Luke. Ein Wärter, dem ich es zur strengen Pflicht gemacht hatte, während der Nacht dafür zu sorgen, daß die Luke geöffnet blieb, versprach mir hoch und heilig, zu wachen. Kurz nach Mitternacht - ich schlief mit meiner Frau in der Kabine - klopft jemand heftig an unsere Tür und schreit: »Herr Direktor, schnell zu den Pferden, drei sind schon tot.«

Ich springe erschrocken auf, renne halbbekleidet hin und finde die Schreckensnachricht bestätigt. Matrosen hatten die Luke wie immer in der Nacht geschlossen, um bequemer an Deck darüber hinlaufen zu können. Drei kostbare Pferde waren erstickt, und der Wärter lag mit ein paar Matrosen total betrunken im Logis. Am folgenden Morgen wurden die Kadaver über Bord geworfen. Ich sah im Weiterfahren die aufgeschwollenen Leiber noch lange auf dem Wasser treiben. Sie können sich denken, wie mir der Anblick ins Herz schnitt. -" [Busch S. 7]


Zirkus
"Paul Busch mit seinem
ersten Schulpferde 'Traut' .
Abb.: Festschrift Circus Busch
 

In den 1890er Jahren errichtete Busch mehrere feste Bauten, als erstes 1891 in Hamburg, wo 1888 der Zirkus Renz abgebrannt war; 1895 entstand das Stammhaus in Berlin. Das Unternehmen entwickelte sich zur "Nummer eins" in Europa.

Busch war immer auch bestrebt, "...die equestrischen Darbietungen auf der Höhe zu halten, daß auch der verwöhnteste Zirkusbesucher befriedigt sein mußte." Er besaß nach eigener Aussage "früher den größten Marstall Europas" mit 180 Pferden, 20 Kamelen und 25 Elefanten. [Busch S. 8]


"Wir reisten in Skandinavien, in Schweden und Norwegen. Im Winter gastierten wir meist in den sogenannten Reithäusern, im Sommer zogen wir mit dem Tent die ganze norwegische Küste bis Drontheim entlang und gaben überall unsere Vorstellungen. Mir ist erinnerlich, wie damals schwedische Kavallerieoffiziere, deren Leistungen berühmt sind, oft zu mir kamen und sich lobend darüber aussprachen, daß sie so gut sportlich gerittene Pferde, wie die meinen, noch nirgends gesehen hätten." [Busch S. 8]


 
 
Zirkus  
"Georg Burghard Footil, der berühmte Schulreiter seiner Zeit, langjähriger Oberspielleiter des Circus Busch."

Abb.: Festschrift Circus Busch

  Andere Zeiten - andere Reitweisen. Die Herrenreiter saßen damals nicht nur im Zirkus so zu Pferde. Leichter Sitz und "Bascule" [= Aufwölben des Pferderückens über dem Hindernis] waren beim Springreiten bis Ende des 19. Jh. und vor   Caprilli noch nicht üblich.


Zirkus
Wunderschöne Zirkuspferde: "SM. der König von Württemberg schenkte dem Königl. Kommissionsrat Paul Busch vier Schimmel aus dem Königl. Gestüt 'Weil'". Abb.: Festschrift Circus Busch
 

  Seine Majestät König Wilhelm I. von Württemberg hatte 1817 sein privates Arabergestüt Weil gegründet. Stammvater der Weiler Zucht war der Hengst Bairaktar. Seit 1932 wird die Zucht im württembergischen Haupt- und Landgestüt Marbach weitergeführt.

1963 kam es zum Zusammenschluss des Zirkus Busch mit dem Bremer Zirkus Roland.
Das    Zirkusunternehmen Busch-Roland besteht noch heute.


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Zirkus en miniature

In Solingen und wahrscheinlich auch anderswo gab es aber auch die "ganz kleine" Zirkuskunst mit 68-76 cm kleinen Pferdchen (Falabellas?). Mit folgender Anzeige im Solinger Kreis-Intelligenzblatt wurde die geneigte Solinger Bevölkerung am Heiligen Abend 1903 in die provisorische Arena gelockt:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 24. Dezember 1903


"Im Lokale des Restaurants 'Im schwarzen Walfisch' auf der Kaiserstraße wird heute ein Zirkus en miniatur seinen Einzug halten, der in der Tat einzig in seiner Art ist und schwerlich seine Anziehungskraft auf die Solinger Pferdeliebhaber sowie die Jugend auszuüben verfehlt. Die drei Zwerg-Pferde sind etwa 27-30 Zoll hoch und leisten auf dem Gebiete der Pferdedressur außerordentliches."

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Tierdressur

Menschen, die einfühlsam und sachgerecht mit Pferden umgehen, sei es intuitiv, aus Erfahrung oder auf der Grundlage von angeeignetem Wissen über das natürliche Pferdeverhalten, gibt es nicht erst, seit sie "Pferdeflüsterer" heißen und sich auf Großveranstaltungen oder im Fernsehen dem staunenden Publikum präsentieren.

Aber leider wurde Tierdressur "früher" auch häufig durch brutale Gewalt und Futterentzug versucht. Ganz besonders galt dies für das Gefügigmachen von Wildtieren. Die Tanzbären sind ein trauriges Beispiel dafür. Wie konnte das Publikum Spaß an dieser Tierquälerei haben?! Ob solche Methoden in unseren Breiten heutzutage noch vorkommen, wissen die Tierschützer...

Im weiteren Sinn bezieht sich Tierdressur natürlich nicht nur auf Zirzensisches, sondern auf jede Art von Umgang mit Haus- und Arbeitstieren bzw. sog. Nutztieren, wenn deren vom Menschen festgelegte Bestimmung nicht von vornherein das Schlachthaus ist. Besonders wichtig war die "Abrichtung" früher bei den Kavalleriepferden. Etwas freundlicher könnte man sie bei den Arbeitspferden mit "Erziehung" oder "Ausbildung" umschreiben.

Abschließend sei hier zitiert aus der bei Zirkuspferden vorgenommenen Verhaltensstudie des Freiburger Ethnologen Klaus Zeeb (1975), lesenswert auch für Zirkus-Abstinenzler:

Was ist Dressur?

"Beim Nachschlagen des Wortes Dressur im Lexikon finden wir, daß es aus dem Französischen stammt und Abrichtung von Tieren bedeutet, unter Ausnützung ihrer Lernfähigkeit, ein Signal (Ton, Farbe, Duftstoffe usw.) mit einer bestimmten, vom Menschen geforderten Verhaltensweise zu beantworten. Es heißt dann weiter, Dressur erfolge mittels bedingter Reflexe. Dabei wird 'Reflex' als unmittelbare Antwortbewegung auf einen Reiz unter Ausschaltung des Willens definiert. Ein bedingter Reflex wird erworben, er ist also im Gegensatz zum unbedingten nicht angeboren. Er wird vom Menschen geschaffen, indem richtiges Reagieren des Tieres belohnt wird, etwa durch Füttern, während falsches Reagieren durch Schlag oder Futterentzug bestraft wird.

Diese Art der Interpretation erscheint uns reichlich mechanistisch und ist wenig geeignet, Sympathien zu Leuten zu wecken, die solcherart mit Tieren umgehen. [...]

Selbst der wenig Bibelfeste kennt die Stelle aus dem ersten Buch Mose, die da heißt: »Und er segnete sie und sprach zu ihnen, seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch Untertan, und herrschet über die Fische im Meer, über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.« Zu keiner Zeit ist es dem Menschen schwergefallen, dieses Gebot zu befolgen, aber erst spät in der Menschheitsgeschichte, jetzt, da Überbevölkerung und Verwüstung der Natur durch die Technik drohen, wird begriffen, welch ungeheure Verantwortung in diesen Worten steckt, denn der Mensch neigt zur rücksichtslosen Ausbeutung des Tieres mit Gewalt und Tod. Und unter diesem Zeichen stand und steht zum Teil auch heute noch die Tierdressur. [...]

Jene oben zitierte Bibelstelle und die psychische Veranlagung des Menschen verleiten ihn gerne dazu, den Schwächeren auszunützen. Wie erhaben und groß fühlt sich der Arme im Geiste, wenn er über gebändigte Bestien triumphiert. Überall dort, wo der Geist im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Körperkraft steht, wird die Dressur zu dem, was wir [...] unter Einbrechen und Abrichten einreihen wollen: Zum Triumph der Dummheit und Rohheit, als Selbstverherrlichung des Menschen, der nicht begreift, daß er sich damit erniedrigt." [Zeeb S. 11 ff]


"Dressur bedeutet nicht Vergewaltigung der Kreatur. Nur Einfühlungsvermögen, biologisches Verständnis und Konsequenz sind die Mittel, ein Tier nicht gefügig zu machen, sondern Gemeinsamkeit mit ihm zu erwerben, ohne es zu vermenschlichen." [Zeeb]


Zirkus
1899   Das Tandem. Kohlezeichnung von Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901)
 
Zirkus
1888   Die Kunstreiterin im Zirkus Fernando. Kohlezeichnung von Henri de Toulouse-Lautrec

Zirkusszenen waren Ende des 19. Jh. beliebte Motive des künstlerischen Schaffens. Z.B. Henri de Toulouse-Lautrec hat sie immer wieder gern gemalt und gezeichnet. 1888 malte er den "Zirkus Fernando mit der Zirkusreiterin". Das Bild war Auftakt einer Reihe von Zirkusbildern, die wohl als realistische Momentaufnahmen angesehen werden dürfen.



Quellen:
  • Vom Zeltcircus zum Kuppelbau. Festschrift zum 50jähr. Bestehen des Circus Busch (1884-1934). Veröffentlichung auf dieser HP mit Genehmigung des Circus Busch-Roland v. 23.03.2005
  • Beckmanns Neues Welt-Lexikon (1959)
  • Frielinghaus in: Frh.v.Stenglin (1983) S. 392-407
  • Solinger Kreis-Intellligenzblatt vom 24.12.1903
  • Zeeb (1975)

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