www . ZeitSpurenSuche . de

Erziehung kleiner Kinder
-  ein Ratgeber aus dem Jahr 1863  -


Kind
Aus dem Familienalbum, ca. 1900
 
1. Körperliche Erziehung
-   Nahrung des Kindes
-   Die Kleidung
-   Der Aufenthaltsort der Kinder

2. Die Gewöhnung
-   Reinlichkeit
-   Arbeitsamkeit
-   Aufmerksamkeit
-   Gehorsam
-   Wahrhaftigkeit
-   Sittsamkeit
-   Höflichkeit

3. Erziehung zur Frömmigkeit



Kindererziehung...

... ist bestimmt ein unerschöpfliches Thema für fast alle, die Kinder haben, kennen, mit ihnen umgehen oder selbst einmal eines gewesen sind. Was im Lauf der Jahrhunderte schon alles angestellt wurde, um fromme Untertanen heranzuziehen, willige Arbeitskräfte, Kanonenfutter, Helden-Gebärerinnen, umsatzfördernde Konsumenten, brauchbare Wähler oder gar selbstständig denkende, verantwortungsbewusste Menschen, darüber gibt es eine Fülle aufschlussreicher Literatur. Auch darüber, was jeweils dabei herausgekommen ist.

Ob der jeweils aktuelle pädagogische Zeitgeist immer von allen Eltern bewusst mitgetragen wurde und wird, sei dahingestellt. Immerhin rückt inzwischen wieder ins Bewusstsein, dass Erziehung als Sozialisationshilfe ganz sinnvoll sein kann und diese Aufgabe auch wieder von den Eltern übernommen werden sollte.

Dass nicht alle Empfehlungen, die unerfahrene Eltern und Erzieher für diese Aufgabe fit machen sollen, auf ungeteilte Akzeptanz stoßen, zeigt sich an einer Schrift der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur frühkindlichen Sexualerziehung. Einige anscheinend erst nachträglich in die Wahrnehmung der Leser gedrungene irritierende Details dieser Broschüre lösten im Juli / August 2007 in den Medien (einschl. Internet) lebhafte Diskussionen aus.

Aufmerksam geworden durch diese teils heftig geführten Kontroversen, in denen es auch um Methoden der "Aufklärung" in Kindergärten geht (müssen kleine Kinder heute wirklich schon so früh alles wissen?), entdeckte ich im Stadtarchiv einen unscheinbaren Band mit dem langen Titel

"Die Erziehung und Beschäftigung kleiner Kinder in Kleinkinderschulen und Familien.
Anleitung, Kinder in den ersten Lebensjahren zu erziehen,
durch Spielen, Arbeiten und vorbereitenden Unterricht zu beschäftigen,
mit besonderer Berücksichtigung der Kleinkinderschule",

verfasst von J. Fr. Ranke, Lehrer an der Diakonissen-Anstalt und dem damit verbundenen Seminar für Lehrerinnen zu Kaiserswerth am Rhein. Erschienen ist das Bändchen 1863 in Elberfeld (Wuppertal).

An schriftlichen Erziehungs-Ratgebern herrscht heute wahrlich kein Mangel. Ranke hingegen hatte damals vergeblich nach einem geeigneten Leitfaden gesucht und daher selbst einen solchen für Erzieherinnen und Eltern verfasst. Sein Buch ist in mehreren Auflagen erschienen; die Hinweise sind praxisbezogen, entstammen eigener Erfahrung und Beobachtung und sind nicht immer "politisch korrekt" formuliert.

Im Folgenden sind einige (zwangsläufig aus dem Zusammenhang der insgesamt 200 Seiten umfassenden Schrift gerissene) Passagen zitiert. Die Kinderwelt war auch damals alles andere als heile, und in vielen Familien herrschten Hunger, Armut und Gewalt. Rankes Empfehlungen erreichten vermutlich gerade diejenigen Eltern nicht, die sie am nötigsten gebraucht hätten. Kinderarbeit war noch üblich, so dass dem Autor ein ausdrücklicher Hinweis angebracht schien, die ganz kleinen Kinder hiervon zu verschonen.

Die Kapitel und Überschriften entsprechen denjenigen im Buch. - Wer beim Lesen gedanklich ein paar Vokabeln austauscht, wird vielleicht hier und da überrascht sein.




1. Körperliche Erziehung.

[...] Die körperliche Erziehung ist nicht unwichtig; Leib, Seele und Geist bilden ja ein Ganzes. "Nur in einem gesunden Leibe wohnt eine gesunde Seele," sagten die Alten. Auch das geistliche Leben kann gar vielfach durch eine schlechte Erziehung des Körpers gehemmt, gestört werden.

[...] Ein Blick auf unsere Jugend zeigt uns leider, wie sehr auch die körperliche Erziehung der Kinder vernachlässigt wird. Viele, ja wohl die meisten von ungesunden Kindern sind deßhalb ungesund, weil sie in früher Jugend körperlich so vernachlässigt worden sind. Es ist nicht immer Armuth, was die Vernachlässigung herbeiführt, sondern gar oft die mit der Armuth verbundene Gottlosigkeit. Nachforschungen in einzelnen Kleinkinderschulen haben z.B. gezeigt, daß in manchen Schulen der größte Theil der Kinder sich schon an das Branntweintrinken gewöhnt hatte.

Schlechte körperliche Erziehung ist aber nicht bloß in den untern Volksklassen anzutreffen; die Verweichlichung der Kinder in den mittleren und höheren Ständen ist nicht besser als die Vernachlässigung der körperlichen Pflege in den untern Ständen. [S. 8 f]


Nahrung des Kindes.

Für die erste Nahrung des Kindes hat der, der das Kind in's Leben rief, unmittelbar selbst gesorgt. [...] Wie der Einfluß der Mutter auf das Kind vor der Geburt ein außerordentlicher, unberechenbarer ist, so ist gewiß auch die unmittelbare Einwirkung der stillenden Mutter auf das Kind keine geringe, und auch aus diesem Grunde sollten nur ganz besondere Gründe die Mutter veranlassen, ihrem Kinde eine Amme zu geben, zumal da dieselben vielfach rohe, unsittliche Personen sind. [...]

Schon kleine Kinder müssen an bestimmte Zeiten hinsichtlich des Essens gewöhnt werden. Es ist sehr schädlich, wenn, wie es leider gar häufig geschieht, die Kinder fast ohne Aufhören essen, weil dann der Magen nie ordentlich verdauen kann. Noch größer ist aber der sittliche Schade, der durch ein solches immerwährendes Essen angerichtet werden kann; dadurch wird die Sinnlichkeit groß gezogen, der Grund zur Naschhaftigkeit gelegt, welche so leicht zu Diebstahl, zu Lügen und andern Sünden führt.

Vorzüglich ist dies auch der Fall, wenn man den Kindern viel Leckereien giebt, wodurch übrigens auch der Magen verdorben, seine Verdauungskraft geschwächt wird. Man thut wahrlich den Kindern weder nach Leib noch Seele etwas Gutes damit und sollte man gewiß nur ausnahmsweise ihnen mit Leckereien Freude machen. Je kleiner die Kinder, je mehr Eßzeiten müssen sie haben; mehr als sechsmal in einem Tage sollten aber 3-5 jährige Kinder nicht essen.

Kinder dürfen hinsichtlich der Speisen nicht wählerisch sein; was ihnen gegeben wird, das müssen sie essen, es müßte denn sein, daß sie einen natürlichen Widerwillen gegen die eine oder die andere Speise hätten, was die verständige Erzieherin bald sehen wird. Je mehr man den Kindern in dieser Beziehung nachgiebt, je schlimmer wird es mit ihnen, je unzufriedener, unglücklicher werden sie. -

Kinder wissen oft nicht, wenn sie satt sind, besonders bei Speisen, welche sie gerne essen; man gebe ihnen daher nicht so viel als sie verlangen. [...]

Das beste Getränk für kleine Kinder ist unstreitig frisches Wasser; dasselbe muß möglichst frisch sein; lang gestandenes Wasser zu trinken ist schädlich. [...] Soll das Getränk zugleich nähren, so gebe man Milch, wenn es möglich ist, ungekochte, mit Wasser vermischt. Kaffee, vorzüglich starker, Thee, Chocolade, Wein und vor allem Branntwein ist kleinen Kindern sehr schädlich. [S. 9-13]

Lt. Ranke erhielten viele Kinder täglich Branntwein zu trinken, was nach anderen Quellen aus dem 19. Jh. bei Arbeiterfamilien des Bergischen Landes durchaus üblich, deshalb aber nicht weniger problematisch war. Zu große Körperfülle bei den Kindern durch Fastfood, braunes Zuckerwasser und Dauer-Stubenhocken war jedenfalls noch nicht das Problem.


Die Kleidung.

Die Kleidung darf vor Allem nicht enge, nicht fest anschließend sein. [...] Es ist Thorheit, dem Körper der kleinen Kinder durch die Kleidung eine nette Form geben zu wollen. [...]

Die Kleidung kann noch recht gut dazu dienen, die Kinder an Reinlichkeit und Ordnung zu gewöhnen. Man verlange aber von kleinen Kindern in dieser Beziehung nicht zu viel; wenn sich das lebendige Kind durch das Spielen seine Kleider etwas beschmutzt oder unordentlich gemacht hat, so hat es nichts Böses gethan und hat keinen Tadel verdient. Nur wenn es muthwillig, gern seine Kleider beschmutzt oder zerreißt, verdient es Strafe. Eine verkehrte Strafe würde dann aber jedenfalls sein, das Kind recht lange mit dem zerrissenen, beschmutzten Kleide gehen zu lassen. Dadurch würde es sich ja nur an Unreinlichkeit und Unordnung gewöhnen.

Die Kleidung kann ferner gut dazu dienen, die Kinder recht eitel zu machen. Wie viel in dieser Beziehung schon in früher Jugend den Kindern geschadet wird, ist kaum zu sagen. [...] [S. 13]


Kind
 

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen bei solch aufwändiger Kinderbekleidung, wie sie z.B. 40 Jahre später in einem Modejournal präsentiert wurde:
  Kindergarderobe (1906-1913)






Aus dem Familienalbum, 1905:
Verwöhnt, verzärtelt, früh verstorben.

Der Aufenthaltsort der Kinder.

Vor Allem ist da zu sorgen, daß in demselben

Reine, gesunde Luft

sei. [...] Es ist daher dringendst nöthig, daß die Fenster von Zeit zu Zeit geöffnet werden zumal in Schulen, wo so viele Kinder zusammen sind. [...] Für diesen Zweck ist es besonders gut, wenn die Fenster ein Oberlicht haben, wodurch schädlicher Zug vermieden wird. [...] Ich bin öfters in Schulen gekommen, in welchen eine unausstehliche Luft war, und die Lehrer und Lehrerinnen wußten davon nichts, währen der Hereintretende fast nicht athmen konnte. - [...]

Daß unsere Handwerker gewöhnlich jeden frischen Luftzug von ihrem Wohnzimmer abwehren, ist gewiß mit ein Grund davon, daß viele so blaß und elend aussehen. Müssen in solchen Stuben, in welchen oft noch gekocht, gewaschen u.s.w. wird, auch die Kinder sein, wie dies bei armen Leuten gewöhnlich im Winter der Fall ist, so können diese natürlich nicht gesund bleiben. [...]

Auch die reinste Stubenluft ist aber doch nicht so gut, als die Luft im Freien; deshalb lasse man die Kinder bei günstiger Witterung viel in der frischen Luft sein. [...] [S. 14 f]

  Über Wohnungen und Zimmerluft

Die folgende Empfehlung richtete sich an die Erzieherinnen der Kinderschulen, die für Unfälle der Kinder verantwortlich gemacht wurden. Damals wie heute ging es um die Haftungsfrage.

[...] Man sehe ferner darauf, daß in dem Aufenthaltsorte des Kindes so wenig als nur möglich

Gefährliche Orte

sind. Das Klettern auf Tische, Stühle, Bänke, Fenster, Leitern, Mauern u.s.w. ist für die Kinder in einer Hinsicht sehr gut, denn es übt die jugendlichen Kräfte und macht gewandt. Aber in Kleinkinderschulen darf man solches nicht zugeben, weil man bei so vielen Kindern nicht die Aufsicht über die einzelnen Kinder führen kann, die dann nöthig ist. [...] Man übe lieber ihre Kräfte, mache sie gewandt auf andere, nicht gefährliche Weise. [...]

Der Spielplatz sei wo möglich ganz abgeschlossen, er grenze nicht an Wassergräben, Landstraßen, er enthalte nicht offene Brunnen oder Wasserlöcher. [...] [S. 16 f]



Auch damals war natürlich bekannt, dass z.B. bleihaltiges Spielzeug oder bestimmte Farben für Kinder gefährlich werden und zu Vergiftungen führen konnten. Darauf zu achten war ureigenste Sache der Eltern und Erzieher und nicht die des Gesetzgebers oder Spielzeugherstellers. Verbraucherschutz wurde erst ab Beginn des 20. Jh. ganz langsam ein Begriff; Sicherheitsstandards waren noch nicht definiert. Und die Welt war voller gefährlicher Dinge:

[...] Man bewahre ferner die Kinder, daß sie nicht für sie

Gefährliche Sachen

bekommen können. Solche gefährlichen Dinge sind z.B. Glasstückchen, Knöpfe, Geld, Nadeln, Messer, Gabeln, spitze Blechstückchen, Bohnen, mit schädlichen Farben angestrichene oder bleierne Spielsachen, Schwefelhölzer u.s.w. [...] Es sind schon mehrere Beispiele vorgekommen, daß Kinder Bohnen, womit sie spielten, in die Nase steckten, und von den geschicktesten Ärzten nicht von dem dadurch herbeigeführten Tode gerettet werden konnten. [...]

Es ist zwar wahr: je ängstlicher wir die Kinder vor dergleichen Sachen hüten, je ungeschickter werden sie und je leichter können sie sich beschädigen. Aber solche durchaus gefährliche Sachen dürfen die kleinen Kinder gewiß nie in die Hände bekommen. [S. 17 f]

Die Schule bietet noch eine Gefahr dar in den

Ansteckungen.

Die Lehrerin suche die gewöhnlichen, ansteckenden Kinderkrankheiten kennen zu lernen, besonders Krätze, ansteckende Kopfrind, Keuchhusten, weil die Kinder noch in die Schule kommen, wenn sie diese Krankheiten haben. [...]

Soll der Körper gesund bleiben, sollen sich seine Kräfte stärken, sollen die Kinder gewandt werden, so müssen sie gehörige

Bewegung

haben. Man lasse schon die kleinen Kinder, ehe sie laufen können, sich viel bewegen, befreie sie wo möglich jeden Tag, so lange sie noch gewickelt werden, einige Zeit von ihren Banden, und lasse sie sich frei bewegen; sind sie größer, so mögen sie auf dem Boden herumkriechen. Es ist ganz verkehrt, von kleinen Kindern zu verlangen, daß sie stundenlang still sitzen sollen. Deshalb dürfen in Kleinkinderschulen die Kinder auch nie lange nach einander unterrichtet werden, eine Viertelstunde sei das gewöhnliche Maaß. [...] Handarbeiten passen daher schlecht für Kleinkinderschulen, weil dabei die Kinder in der Regel längere Zeit still sitzen müssen.

In den Spielzeiten lasse die Lehrerinn die Kinder sich viel durch gemeinschaftliche Spiele bewegen; sie überlasse daher die Kinder in diesen Zeiten auch aus diesem Grunde nicht sich selbst, sie werden sonst in der Regel sich wenig bewegen, besonders die Mädchen.

Sind die Kinder 4-5 Jahre alt, so muß man von ihnen, vorzüglich von Knaben, auch solche Bewegungen machen lassen, bei welchen sie ihre Kräfte anstrengen müssen. Solche Bewegungen sind: Hüpfen, Springen über Gräben, die man in Sand gemacht hat, Springen über (dünne) Stöcke, die man auf zwei Steine so gelegt hat, daß sie an der einen Seite höher sind als an der andern und nicht fest aufliegen, Schaukeln an der schottischen Schaukel, Seilchen springen u.s.w. Für das eigentliche Turnen sind die Kinder in der Kleinkinderschule noch zu klein. Doch kann ein niedriger Barren, ein niedriges Reck von 5-6jährigen Knaben recht gut gebraucht werden. [...] [S. 17-20]

Ruhe

ist ebenso zum Gedeihen des Körpers nöthig als Bewegung. Je kleiner die Kinder, desto mehr Ruhe müssen sie haben; 2-3jährige müssen noch Nachmittags einige Stunden schlafen. Sind viele solche Kinder in der Kleinkinderschule, so ist es gut, wenn man einige Strohsäcke in derselben hat, auf welchen die Kinder ihre Köpfchen legen. Betten sind nicht nöthig, zumal da auch diese kleinen Kinder im Winter in den kurzen Tagen nicht schlafen. Ist kein Strohsack vorhanden, so ist es am besten, wenn die Kinder sich auf den Boden setzen und den Kopf auf die Bank legen. [...]

Die Kinder dürfen ferner unmittelbar vor dem Schlafengehen nichts oder doch nur sehr wenig und leicht verdauliche Speisen essen, wenn sie ruhig schlafen sollen. [...] [S. 21 f]



2. Die Gewöhnung.

[...] Man kann [...] die Kinder nicht früh genug an das Gute gewöhnen. Schon viel, viel früher, ehe sie verstehen, was Recht und Unrecht ist, müssen sie z.B. folgen lernen. [...] Wie schwer wird einem größern Kinde oft der Kampf gegen Trägheit, wenn es nicht in frühester Jugend an Thätigkeit gewöhnt wurde! Wie schwer wird es einem Erzieher, ein 11jähriges unreinliches, unordentliches Kind zu einem reinlichen ordentlichen zu machen, auch wenn es ernstlich gegen die alten Gewohnheiten kämpft! Man achte daher die Gewöhnung ja nicht geringe. [...] Einzelne Tugenden - wir wollen sie so nennen - an welche man die Kinder so früh als möglich gewöhnen muß, sind:

1. Reinlichkeit,
2. Ordnung,
3. Arbeitsamkeit,
4. Aufmerksamkeit,
5. Gehorsam,
6. Verträglichkeit,
7. Wahrhaftigkeit,
8. Sittsamkeit,
9. Höflichkeit, Freundlichkeit, Gefälligkeit.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Viele (Haus- oder Nutz-)Tiere sind das auch. Bei den einen wie den anderen macht man sich die Gewöhnung bei der Erziehung zunutze. Aber Gewöhnung formt auch ganz von selbst, unabhängig davon, ob die Ergebnisse erwünscht sind oder nicht. Was die Kindern tagtäglich sehen und erleben, das prägt und formt, das wird verinnerlicht und wird in ihrer Welt "normal".


Reinlichkeit.

[...] Wie sind nun die Kinder an Reinlichkeit, die uns auch so beliebt bei den Menschen macht, zu gewöhnen? Ermahnen, warnen, strafen hilft hier, wie überhaupt bei der Gewöhnung, wenig. Man halte die Kinder stets reinlich - das ist das einfachste Mittel, welches am sichersten zum Ziele führt. Hält man die Kinder reinlich, so können sie zuletzt gar keinen Schmutz am Körper, Kleidern und anderen Sachen leiden. Freilich macht das Reinhalten sehr, sehr viel Mühe, und es ist oft wirklich Mangel an Zeit bei den Eltern, wenn arme Kinder unreinlich sind. Viel öfter ist es aber doch Trägheit, Gleichgültigkeit; [...]

In der Schule sei alles rein: Bänke, Tische, Fußboden, Tafeln, Spielklötzchen u.s.w. Jedenfalls muß es in der Schule so sein, daß nicht dichter Staub wird, wenn die Kinder sich bewegen. [...]

Eltern und Erziehern macht oft eine Unreinlichkeit der Kinder viel zu schaffen, nämlich das Verunreinigen der Betten in der Nacht. Dasselbe kann ganz verschiedene Ursachen haben und muß also die Behandlung der betreffenden Kinder auch eine ganz verschiedene sein. Sind die Kinder zu bequem, um aufzustehen, so sei man streng; ist es schlechte Gewöhnung, so lasse man das Kind Abends sehr wenig essen und trinken und veranlasse es, vor dem zu Bette gehen seine Notdurft zu verrichten. Ist es körperliche Schwäche, so wecke man das Kind in der Nacht und frage den Arzt um Rath. Oefters kommt es daher, daß das Kind nicht warm genug liegt. Am traurigsten ist es, wenn die Schwäche die Folge von geheimer Sünde ist. Da ist viel Wachen, Beten, Liebe, Geduld nöthig; da muß gegen das Hauptübel gekämpft werden, mit welchem die Folgen auch wegbleiben werden. [S. 23-26]

Beten, Liebe, Geduld gegen Bettnässen - vielleicht eine Ahnung von seelischen Ursachen, die aber nicht weiter erforscht werden. Die "geheime Sünde" der kleinen Kinder ist hier nicht näher definiert.


Arbeitsamkeit

[...] Für kleine Kinder ist [...] nicht etwa bloß die Thätigkeit Arbeit, wodurch äußerer Nutzen geschafft wird, wodurch sie etwas verdienen. Man hat wohl diese falsche Ansicht und meint deßhalb, die armen Kinder müßten schon früh, deßhalb auch schon in der Kleinkinderschule, solche Arbeiten verrichten, weil sie in ihrem späteren Leben doch arbeiten müßten, um sich ihr täglich Brod zu verdienen.

Arbeit ist für die kleinen Kinder jede Thätigkeit, die sie nach dem Willen eines Andern verrichten. Solche Arbeiten sollen sie schon früh verrichten, damit sie sich daran gewöhnen. Nicht bloß arme Kinder sind so zur Arbeit anzuleiten, sondern alle; ein reicher Müßiggänger ist ja ein eben so jämmerlicher Mensch als ein armer, und wodurch mehr Unheil angerichtet wird, durch reiche oder arme Müßiggänger, ist die Frage.

Frühe schon gewöhne man also die Kinder daran, daß sie etwas thun, was ihnen befohlen wird, und wenn es auch nur ein Spiel, ein Zusehen wäre; man lasse also die Kinder nicht immer die Beschäftigung sich selbst wählen. [...] Mit andern Arbeiten, wodurch die Kinder etwas verdienen sollen, verschone man sie doch in der frühsten Jugend, wenigstens bis zum vierten Jahre; denn durch solche Arbeiten wird in der Regel nichts verdient, und gar oft wird dadurch dem Körper durch anhaltendes Sitzen, genaues Zusehen u.s.w. sehr geschadet. [...]

Haben die Mädchen später nicht die Zeit und Gelegenheit, das Stricken zu erlernen, so ist es gut, wenn 4-5jährige Mädchen dies lernen, und will man sonst durchaus noch Arbeiten in der Schule machen lassen, so wähle man doch ganz einfache, wie Charpiezupfen, was die Kinder sehr gern thun, Cordel mit kleinen Maschinchen flechten oder dgl.

In den Schulen, in welchen die Kinder den ganzen Tag sind, möchten solche leichte, einfache Arbeiten für die größern Kinder passend nöthig sein; in Schulen, in welchen die Kinder aber nur 6-7 Stunden sind, läßt man sie gewiß besser ganz weg. Strohmatten flechten oder gar Band weben, wie wohl in manchen Schulen geschieht, oder wenigstens geschehen ist, sind in keinem Falle passende Arbeiten, dazu sind 3-5jährige Kinder zu jung. [...] [S. 28 f]

  Charpie = lat. carpere, zupfen, gezupfte Leinwand. Die sog. Charpie war bis etwa 1870 das gebräuchliche Verbandmaterial. Sie wurde aus sauberem altem Leinen hergestellt, das in Stücke geschnitten und dann zerzupft wurde.


Aufmerksamkeit

[...] Die Erziehung zur Aufmerksamkeit wird erleichtert durch die Neugierde, erschwert durch die Flüchtigkeit der Kinder. Man sei in seinen Forderungen hinsichtlich der Aufmerksamkeit billig; man verlange nicht, daß die Kinder lange Zeit nacheinander aufmerksam sein sollen. Man unterrichte daher bei 4-5jährigen Kindern in der Regel nie länger als eine Viertelstunde nacheinander. Auch während dieser Zeit lasse man die Kinder nicht bloß zuhören, sondern auch Mancherlei thun, nachsprechen, nachahmen, zeigen, singen, u.s.w., da es durchaus nicht der kleinen Kinder Art ist, lange Zeit stille zu sitzen, ohne etwas zu tun.

Man unterrichte anschaulich, kindlich, so daß die Kinder verstehen, was man sagt; oft kommt die Unruhe der Kinder daher, daß sie so wenig von dem verstehen, was man zu ihnen sagt, als wenn man in einer fremden Sprache mit ihnen redete. Vorzüglich ist dies oft in Kleinkinderschulen der Fall, weil die meisten Kinder in derselben die hochdeutsche Sprache beinahe wie eine fremde erlernen müssen, da sie im elterlichen Hause eine ganz andere Sprache gehört und gesprochen haben. [...]

Ein vorzügliches Mittel, die Kinder an Aufmerksamkeit zu gewöhnen, ist noch, daß man nicht eher anfängt zu unterrichten, bis die Kinder ruhig und aufmerksam sind. Alle Spielsachen u.s.w. müssen entfernt werden, die Kinder müssen still sitzen, die Hände zusammenlegen und die Lehrerin ansehen. Dahin bringt man es aber nicht durch viel Reden, Schelten, Ermahnen, Strafen, Hin- und Herlaufen sondern durch eine ruhige Haltung, durch kurze, bestimmte Ermahnungen und Verweise, durch Aufstehen und Setzenlassen, durch Zeigenlassen der Hände, durch Singen eines Liedchens, und wo ein Blick, eine Miene, ein Zeichen ausreicht, lasse man alles Andere sein.

[...] lieber nicht unterrichtet, als daß man unterrichtet, während die Kinder unaufmerksam sind; sie würden sonst geradezu zur Unaufmerksamkeit und zum Ungehorsam angeleitet, und würde man dadurch dazu beitragen, daß die Schüler der Kleinkinderschule sich in der Elementarschule durch Unaufmerksamkeit auszeichnen, welche Klage von manchem Lehrer, und gewiß öfters nicht unbegründet, erhoben wird. [S. 30 f]

Gehorsam.

[...] Wird ein Kind nicht in frühester Jugend gewöhnt, äußerlich zu folgen, so wird der Eigenwille groß gezogen und ist nachher der Kampf gegen denselben ein sehr schwerer. An solchen äußern Gehorsam können die Kinder gewöhnt werden [...]

  "Äußerlich" ist hier gemeint im Gegensatz zur "Unterwerfung unter den göttlichen Willen" i.S. von Frömmigkeit.

[...] Schon viel früher, als die Kinder Gebote verstehen, sind sie in der Weise an den Gehorsam zu gewöhnen, daß sie durch ihr ungestümes Verlangen, durch Schreien und Toben, durch Trotz nie etwas erlangen, und überhaupt nicht Alles bekommen, was sie haben wollen. Verlangt ein Kind etwas, was man ihm nicht geben kann, so entferne man wo möglich das Kind oder den Gegenstand; geht Beides nicht, so bringe man das Kind möglichst auf andere Gedanken, ehe es zum Schreien kommt.

[...] Versteht das Kind die Befehle, so halte man streng darauf, daß das Befohlene gethan wird. Viele Kinder sind nur dadurch ungehorsam geworden, daß man ihnen soviel befahl, aber gar nicht darauf achtete, daß sie das Befohlene thaten. Deßhalb sind in der Regel die Kinder den Müttern ungehorsamer als den Vätern; erstere sind mehr bei den Kindern als letztere, sie befehlen denselben oft unaufhörlich, aber halten nicht darauf, daß nach dem Befohlenen gehandelt wird.

Um darauf halten zu können, daß die Kinder das Befohlene thun, muß man wohl überlegt befehlen. Es ist z.B. Thorheit, dem Kinde zu sagen, wenn es schreit und tobt, es solle augenblicklich stille sein, [...] u.s.w. - Auch befehle man möglichst wenig, denn je mehr Gesetze, je mehr Uebertretung, je mehr gewöhnen sich die Kinder an Ungehorsam, je leichter vergißt man das Befohlene. Auch ist es überhaupt ein Fehler, die Kinder durch eine Menge Gesetze einzuengen; man lasse sie sich möglichst frei bewegen, suche dem Bösen durch möglichst gute Aufsicht, Entfernen der Gelegenheiten zum Bösen, durch passende Beschäftigung u.s.w. entgegen zu arbeiten. Man befehle dem Kinde stets ernst; das Kind muß sehen und hören, daß man nicht scherzt; man befehle in Liebe, nicht in Laune; das Kind wird dann bald die Liebe durchfühlen und aus Liebe gehorchen. Man befehle nicht so, daß man morgen verbietet, was man heute erlaubt hat, obgleich die Verhältnisse noch ganz dieselben sind. [...] [S. 31 f]


Befehl und Gehorsam sind Vokabeln, die im Sprachgebrauch einen ähnlich unangenehmen Beigeschmack bekommen haben wie Rohrstock und Backpfeife. Trotzdem wünschen sich vermutlich die meisten Eltern, dass die Sprösslinge ihren freundlichen Bitten nachkommen, wenn sie welche äußern, und im Supermarkt nicht gleich mit der maximalen Phonstärke losbrüllen, wenn ihre frühkindlichen Konsumbedürfnisse einmal nicht gleich erfüllt werden.

Thut ein Kind nicht nach dem erhaltenen Befehle, so behandle man dasselbe nicht hart, drohe, strafe in der Regel nicht gleich, sondern man wiederhole ernst in kurzen Worten das Ge- oder Verbot und lasse dem Kinde etwas Zeit zur Besinnung. Beharrt es bei dem Ungehorsam, so strafe man es ernst; eine ordentliche Strafe erspart hundert andere. [...] Man nehme sich aber doch nicht vor, die Kinder zu zwingen, nach dem Befehle zu handeln; denn es ist manchmal rein unmöglich, die Kinder dahin zu bringen. [...] Der verständige Erzieher muß wissen, ob er sich auf einen solchen Kampf mit dem Kinde einlassen kann oder nicht. [...] Es schadet auch gewiß nicht, wenn ein Kind das Befohlene nicht thut, wenn es nur dann für seinen Ungehorsam recht ernst gestraft wird. [...] [S. 32 f]



Beim Thema Flunkern unterscheidet Ranke nach Lügen aus Angst vor Strafe, aus falscher Scham, aus Gewohnheit, aus Eigennutz und Gewinnsucht, aus Prahlerei - und entsprechend differenziert sind die Ratschläge. Einige Beispiele aus dem umfangreichen Kapitel:

Wahrhaftigkeit

[...] Das Lügen ist unter der Kinderwelt sehr häufig, und der erste Grund hiervon ist gewiß der, daß die Kinder so viel Lügen sehen und hören, ja oft geradezu zur Lüge angehalten werden. [...] - Und wie ist unser feines, gesellschaftliches Leben so voller Lüge und Heuchelei! Kann man sich, wenn man dieses bedenkt, noch wundern, wenn die Lüge auch bei Kindern so häufig angetroffen wird?

Will man daher die Kinder zur Wahrhaftigkeit erziehen, so ist das erste Mittel hierzu, ihnen mit einem guten Beispiele voran zu gehen. [...] Man hüte sich besonders davor, die Kinder zu belügen; man wird wohl hierzu versucht, wenn die Kinder nach etwas fragen, was man nicht weiß, oder ihnen nicht sagen will. Im ersten Falle gestehe man aber doch lieber seine Unwissenheit und im zweiten Falle muß man entweder die Kinder von der Sache auf eine kluge Weise abbringen, oder ihnen nur so viel sagen, als für sie gut ist, oder sie liebend auf spätere Zeiten verweisen, nie aber zum Lügen seine Zuflucht nehmen. [...]

Man glaube dem Kinde so lange als möglich, traue ihm die Lüge nicht leicht zu, dadurch wird man gar oft dieselbe verhüten. [...] Das Untersuchen, ob Jemand gelogen hat, ist zwar eine sehr mühevolle, unangenehme Arbeit, aber man scheue sie nicht; denn eine Lüge, die herauskommt, verhindert hundert andere. Selbst wenn die Lüge nicht entdeckt wird, macht die Untersuchung bei vielen Kindern den Eindruck, daß sie sich vor Lügen hüten.

Man bedenke stets, daß nicht jedes Kind lügt, welches etwas anderes sagt, als wie es der Wahrheit gemäß ist. Ein kleines Kind vergißt z.B. sehr leicht das, was es gethan hat, und sagt dann bestimmt, es habe es nicht gethan. Ein Kind versteht uns oft ganz falsch und sagt uns dann, wir hätten so und so gesagt, hätten ihm erlaubt u.s.w. Ein Kind meint oft bestimmt, etwas gesehen und gehört zu haben, und behauptet dies; ein Kind hat einen lebhaften Traum gehabt, erzählt aber den Traum nach seinem besten Wissen als Wahrheit. Solches kommt besonders bei solchen Kindern vor, die eine lebhafte Phantasie haben, und ist bei solchen die Phantasie zu zügeln, ihnen zu zeigen, daß kleine Kinder oft in großem Irrthum sind, aber die Unwahrheit darf durchaus nicht als Lüge behandelt werden. [...]

Man frage sich: Warum lügt das Kind? Am öftersten lügt das Kind aus Furcht vor Strafe. [...]

Kann man nicht bestimmt dem Kinde zeigen, daß es gelogen hat, und gesteht es selbst die Lüge nicht ein, so hüte man sich, auf den bloßen, wenn auch starken Verdacht hin, das Kind zu strafen, denn man kann sich irren, und bestraft man ein Kind und es ist unschuldig, so kann man dadurch sehr viel schaden. [...]

Ein Kind lügt manchmal, wenn es kein Wort sagt: es lügt durch die That. Es stellt sich, als wäre es recht aufmerksam und treibt doch etwas ganz anderes; es heuchelt Liebe, Freundlichkeit, Frömmigkeit u.s.w., und es gehören oft scharfe Augen dazu, solche Lügen zu erkennen. [...] Es gehen in der Schule und zu Hause oft Dinge vor, während die Kinder sehr artig dazusitzen scheinen, die man nicht glauben sollte. [...] [S. 35-40]



Rankes Ausführungen zur "Sittsamkeit" fallen grundlegend anders aus als diejenigen in heutigen Schriften zur "psychosexuellen Entwicklung" wie die der BZgA, und insbesondere ist seine Wertung eine völlig andere. Zu jener kaum mehr vorstellbaren Zeit, als noch nicht überall im Straßenbild mit größter Selbstverständlichkeit Plakate mit aufreizenden Nackedeis zum Besuch der nächsten Erotik-Messe aufforderten, schrieb er 1863 Folgendes:


Sittsamkeit

Unter Sittsamkeit wird hier Schaamhaftigkeit, Keuschheit verstanden. In dieser Beziehung kann durch die Erziehung, durch die Gewöhnung sehr viel geschehen. Ist aber Schaamlosigkeit, Roheit u.s.w. schon eingerissen, so hat man außerordentlich schwere Arbeit, dagegen zu kämpfen, und der Kampf wird um so schwerer, je älter das Uebel ist. Wer die Jugend, besonders die der niedern Stände kennt, weiß es, wie viel in dieser Hinsicht zu klagen ist. Schaamlose Entblößungen, unzüchtige Reden, geheime Unkeuschheit trifft man nicht selten unter kleinen Kindern jeden Standes, und leider oft aus dem Grunde, weil sie es von Erwachsenen, von Vater und Mutter, von Dienstboten, ältern Geschwistern, Spielkameraden u.s.w. gesehen und gehört haben. Daher muß man solchen Kindern vor Allem liebend ernst sagen, daß es große Sünde sei, so zu sagen oder zu thun.

Man halte ferner stets darauf, daß die Kinder anständig dasitzen, leide nie schaamlose Entblößungen, und hat man z.B. ein Kind anzukleiden, so thue man es in der Schule nicht vor den Augen der andern Kinder. Auch im Hause unterdrücke man nicht durch solche und ähnliche Thaten die Schaamhaftigkeit des Kindes.

Man lasse nicht 2 Kinder zu gleicher Zeit abgehen, um ihre natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen, vorzüglich nie einen Knaben und ein Mädchen, und man halte darauf, daß die Abgegangenen schnell wiederkommen. Man sehe immer darnach, was die Kinder treiben, wenn sie etwa still in einer Ecke sitzen; man achte besonders darauf, wo die Kinder ihre Hände haben, wenn sie still beim Unterrichte sitzen, was sie spielen, wenn sie allein spielen. Ist man in dieser Hinsicht recht aufmerksam, so wird man auch bei kleinen Kindern oft Thaten entdecken, die man, wie man zu sagen pflegt, sich nicht träumen läßt. -

Leider ist die Unerfahrenheit, Unwissenheit, die Arglosigkeit, leider auch manchmal der Leichtsinn der jüngern Kinderpflegerinnen die Ursache davon, daß die Kinder sich nach Leib und Seele durch geheime Unkeuschheit verderben. Eltern, die ihre Kinder Kindermädchen anvertrauen müssen, sind nicht genug darauf aufmerksam zu machen, darauf zu achten, was solche mit den Kindern beginnen. Leider ist schon manches Kind nach Leib und Seele von einer unkeuschen Kindermagd gemordet worden. Hier ist ein Pfuhl der Sünde sonder Gleichen.

Wir verweisen, da wir hier nicht ausführlich auf die Leib und Seele verderbenden Unkeuschheiten der Kinder eingehen können und nur ein ausführliches Eingehen darauf von Nutzen ist, auf die vortreffliche Schrift von Kapff: "Ueber die geheimen Sünden der Jugend." Jeder Erzieher, jede Erzieherin sollte sich hierüber belehren. Es ist zwar nicht angenehm, diesen Sündenpfuhl kennen zu lernen; aber man bedenke doch, was die Folge der Unerfahrenheit sein kann. [S. 40 f]



"Die Wiederentdeckung der Höflichkeit" - unter dieser Überschrift erschien am 24.08.2003 in der FAZ ein Artikel über einen anscheinend eingeleiteten Wertewandel (Wiederentdeckung von Werten?) in der Gesellschaft:

"87 Prozent der vom Institut für Demoskopie in Allensbach Befragten gaben kürzlich an, Kinder sollten im Elternhaus 'Höflichkeit und gutes Benehmen' lernen; 1992 lag dieser Wert noch bei 73 Prozent. An zweiter Stelle lag das Erziehungsziel 'Ihre Arbeit ordentlich und gewissenhaft tun' mit 80 Prozent gegenüber 69 Prozent vor elf Jahren. Schon gibt es Schulen, in denen es einen Benimm-Unterricht gibt beziehungsweise bald geben soll. Pädagogen sehen als einen Grund für die gestiegenen Werte die Einsicht, daß nur der erfolgreich sein könne, der gewisse Mindeststandards einhalte"

Eine wahrlich überzeugende Begründung für die Mühe, höflich, freundlich und respektvoll miteinander umzugehen!?


Höflichkeit

Unter Höflichkeit verstehen wir hier Freundlichkeit, Gefälligkeit, Zuvorkommenheit u.s.w., kurz das wohlanständige, äußere Betragen der Kinder. In Betreff der Höflichkeit, die nur in der Sitte beruht, verlange man von kleinen Kindern sehr wenig.

Zur Höflichkeit sind die Kinder zunächst durch freundliche Belehrung anzuleiten. Man sage dem Kinde, daß es grüßen müsse, wenn es käme und ginge, daß man bitten müsse, wenn man etwas haben wolle, und danken, wenn man etwas empfinge u.s.w. Man sage dies den Kindern stets freundlich, da sie nichts verbrechen, wenn sie aus Unwissenheit darin fehlen; man hüte sich aber auch, sie statt höflich, unwahr zu machen, und verschone sie mit dem Lehren von Redensarten, die weiter nichts als Lüge sind. Durch ein Einengen in viele Höflichkeitsformen würde man dem Kinde seine Unbefangenheit, kindliche Fröhlichkeit rauben und ihm dadurch viel schaden; denn die kindliche Unbefangenheit, Offenheit und Fröhlichkeit bewahrt vor vielem Bösen. [...]

Man sei auch selbst stets freundlich, im gewissen Sinne höflich gegen die Kinder, bitte, wo man nicht befehlen kann, danke, wenn ein Kind etwas that, was nicht seine Pflicht war; grüße selbst die Kinder u.s.w., und zeige denselben durch Erzählungen, wie Höflichkeit den Menschen so wohlgefällt. [...] [S. 41 f]




3. Erziehung zur Frömmigkeit

Zwar erwartet Ranke von kleinen Kindern noch keine Frömmigkeit, empfiehlt den Erziehern aber, vor dem Hintergrund des Glaubens das Gewissen, Gottvertrauen, Gut und Böse, Tugenden und Sünden zu erklären und entsprechende Anleitungen zu geben:

[...] Das Vertrauen der Kinder suche man dadurch zu stärken, daß man ihnen zeigt, wie Gott immer helfen kann und will und alle unsere Noth kennt; man erzähle ihnen Geschichten, besonders bibl., welche uns dies lehren; man verweise auf ihr eigenes Leben und zeige ihnen, wie Gott auch ihnen schon auf mehr als hundert Weisen geholfen hat. Zagen oder zittern aber die Eltern oder Erzieher, wenn ein Leiden naht, oder da ist, so wird alles Ermahnen zum Vertrauen nichts nützen; sehen aber die Kinder dieselben in Noth und Gefahr getrost und freudig, so ist dies die beste Ermahnung zum Gottvertrauen. [...] [S. 49]

Soweit die Theorie. Wenn Eltern und Erzieher auf diese Weise das Selbstvertrauen und Geborgenheitsgefühl der Kinder stärken und Ängstlichkeiten mindern konnten, wäre das Ziel erreicht.

[...] Fromme Kinder achten auch Thiere und Pflanzen als Geschöpfe Gottes, quälen erstere nie und zerstören letztere nicht muthwillig. Den besten Eindruck macht es auch in dieser Hinsicht auf die Kinder, wenn man ihnen mit einem guten Beispiele vorangeht. Ferner müssen die Kinder durch Erzählungen auch in dieser Hinsicht ermahnt, gewarnt werden, und erreicht man dadurch nichts, so ist ernste Strafe anzuwenden. Bei der Warnung hüte man sich aber doch ja, die Kinder mit Arten der Thierquälerei bekannt zu machen, die ihnen noch ganz unbekannt sind. -

Man lasse wo möglich die kleinen Kinder nicht zusehen, wenn Schweine, Kälber, Hühner, Gänse getödtet werden, auch ist kleinen Kindern durchaus nicht das Fangen und Tödten von Käfern und Schmetterlingen zu erlauben. Sehr gut wird es aber für Kinder sein, wenn sie, sobald sie es können, ein Thier zu pflegen bekommen, natürlich unter Aufsicht eines Erwachsenen. Auch ist es sehr gut, wenn sie ein Blumenbeetchen pflegen [...]. [S. 52]


Fakt war natürlich auch damals etwas ganz anderes. Aber heute können die Kinder, wie nie zuvor, auf einfachste Weise Tag für Tag neue Methoden des Massakrierens kennenlernen und gleich (virtuell) ausprobieren und sind längst an Dinge gewöhnt, die in meiner Kindheit noch jenseits aller Vorstellungskraft waren.

  Nachtrag 2008: Verstaatlichung der Erziehung - Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen



Quellen:
  • Ranke, J. Fr.: Die Erziehung und Beschäftigung kleiner Kinder in Kleinkinderschulen und Familien (1863)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Körper, Liebe, Doktorspiele. Ein Ratgeber für Eltern zur frühkindlichen Sexualentwicklung. Köln 2007
  • FAZ vom 24.08.2003

Übersicht Kindheit      nach oben     

www.zeitspurensuche.de
Copyright © 2007 Marina Alice Mutz. Alle Rechte vorbehalten.