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Aus dem Familienalbum, ca. 1900 |
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1. Körperliche Erziehung - Nahrung des Kindes - Die Kleidung - Der Aufenthaltsort der Kinder 2. Die Gewöhnung - Reinlichkeit - Arbeitsamkeit - Aufmerksamkeit - Gehorsam - Wahrhaftigkeit - Sittsamkeit - Höflichkeit 3. Erziehung zur Frömmigkeit |
Kindererziehung...
... ist bestimmt ein unerschöpfliches Thema für fast alle, die Kinder haben, kennen, mit ihnen umgehen oder selbst einmal eines gewesen sind. Was im Lauf der Jahrhunderte schon alles angestellt wurde, um fromme Untertanen heranzuziehen, willige Arbeitskräfte, Kanonenfutter, Helden-Gebärerinnen, umsatzfördernde Konsumenten, brauchbare Wähler oder gar selbstständig denkende, verantwortungsbewusste Menschen, darüber gibt es eine Fülle aufschlussreicher Literatur. Auch darüber, was jeweils dabei herausgekommen ist.
Anleitung, Kinder in den ersten Lebensjahren zu erziehen, durch Spielen, Arbeiten und vorbereitenden Unterricht zu beschäftigen, mit besonderer Berücksichtigung der Kleinkinderschule", verfasst von J. Fr. Ranke, Lehrer an der Diakonissen-Anstalt und dem damit verbundenen Seminar für Lehrerinnen zu Kaiserswerth am Rhein. Erschienen ist das Bändchen 1863 in Elberfeld (Wuppertal).
An schriftlichen Erziehungs-Ratgebern herrscht heute wahrlich kein Mangel. Ranke hingegen hatte damals vergeblich nach einem geeigneten Leitfaden gesucht und daher selbst einen solchen für Erzieherinnen und Eltern verfasst. Sein Buch ist in mehreren Auflagen erschienen; die Hinweise sind praxisbezogen, entstammen eigener Erfahrung und Beobachtung und sind nicht immer "politisch korrekt" formuliert.
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1. Körperliche Erziehung.
[...] Die körperliche Erziehung ist nicht unwichtig; Leib, Seele und Geist bilden ja ein Ganzes. "Nur in einem gesunden Leibe wohnt eine gesunde Seele," sagten die Alten. Auch das geistliche Leben kann gar vielfach durch eine schlechte Erziehung des Körpers gehemmt, gestört werden. |
Nahrung des Kindes.
Für die erste Nahrung des Kindes hat der, der das Kind in's Leben rief, unmittelbar selbst gesorgt. [...] Wie der Einfluß der Mutter auf das Kind vor der Geburt ein außerordentlicher, unberechenbarer ist, so ist gewiß auch die unmittelbare Einwirkung der stillenden Mutter auf das Kind keine geringe, und auch aus diesem Grunde sollten nur ganz besondere Gründe die Mutter veranlassen, ihrem Kinde eine Amme zu geben, zumal da dieselben vielfach rohe, unsittliche Personen sind. [...]
Kinder dürfen hinsichtlich der Speisen nicht wählerisch sein; was ihnen gegeben wird, das müssen sie essen, es müßte denn sein, daß sie einen natürlichen Widerwillen gegen die eine oder die andere Speise hätten, was die verständige Erzieherin bald sehen wird. Je mehr man den Kindern in dieser Beziehung nachgiebt, je schlimmer wird es mit ihnen, je unzufriedener, unglücklicher werden sie. -
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Lt. Ranke erhielten viele Kinder täglich Branntwein zu trinken, was nach anderen Quellen aus dem 19. Jh. bei Arbeiterfamilien des Bergischen Landes durchaus üblich, deshalb aber nicht weniger problematisch war. Zu große Körperfülle bei den Kindern durch Fastfood, braunes Zuckerwasser und Dauer-Stubenhocken war jedenfalls noch nicht das Problem. |
Die Kleidung.
Die Kleidung darf vor Allem nicht enge, nicht fest anschließend sein. [...] Es ist Thorheit, dem Körper der kleinen Kinder durch die Kleidung eine nette Form geben zu wollen. [...]
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Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen bei solch aufwändiger Kinderbekleidung, wie sie z.B. 40 Jahre später in einem Modejournal präsentiert wurde: Aus dem Familienalbum, 1905: Verwöhnt, verzärtelt, früh verstorben. |
Der Aufenthaltsort der Kinder.Vor Allem ist da zu sorgen, daß in demselben Reine, gesunde Luft
sei. [...] Es ist daher dringendst nöthig, daß die Fenster von Zeit zu Zeit geöffnet werden zumal in Schulen, wo so viele Kinder zusammen sind. [...] Für diesen Zweck ist es besonders gut, wenn die Fenster ein Oberlicht haben, wodurch schädlicher Zug vermieden wird. [...] Ich bin öfters in Schulen gekommen, in welchen eine unausstehliche Luft war, und die Lehrer und Lehrerinnen wußten davon nichts, währen der Hereintretende fast nicht athmen konnte. - [...]
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Über Wohnungen und Zimmerluft
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[...] Man sehe ferner darauf, daß in dem Aufenthaltsorte des Kindes so wenig als nur möglich Gefährliche Orte
sind. Das Klettern auf Tische, Stühle, Bänke, Fenster, Leitern, Mauern u.s.w. ist für die Kinder in einer Hinsicht sehr gut, denn es übt die jugendlichen Kräfte und macht gewandt. Aber in Kleinkinderschulen darf man solches nicht zugeben, weil man bei so vielen Kindern nicht die Aufsicht über die einzelnen Kinder führen kann, die dann nöthig ist. [...] Man übe lieber ihre Kräfte, mache sie gewandt auf andere, nicht gefährliche Weise. [...]
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Auch damals war natürlich bekannt, dass z.B. bleihaltiges Spielzeug oder bestimmte Farben für Kinder gefährlich werden und zu Vergiftungen führen konnten. Darauf zu achten war ureigenste Sache der Eltern und Erzieher und nicht die des Gesetzgebers oder Spielzeugherstellers. Verbraucherschutz wurde erst ab Beginn des 20. Jh. ganz langsam ein Begriff; Sicherheitsstandards waren noch nicht definiert. Und die Welt war voller gefährlicher Dinge: |
[...] Man bewahre ferner die Kinder, daß sie nicht für sie Gefährliche Sachen
bekommen können. Solche gefährlichen Dinge sind z.B. Glasstückchen, Knöpfe, Geld, Nadeln, Messer, Gabeln, spitze Blechstückchen, Bohnen, mit schädlichen Farben angestrichene oder bleierne Spielsachen, Schwefelhölzer u.s.w. [...]
Es sind schon mehrere Beispiele vorgekommen, daß Kinder Bohnen, womit sie spielten, in die Nase steckten, und von den geschicktesten Ärzten nicht von dem dadurch herbeigeführten Tode gerettet werden konnten. [...]
Die Lehrerin suche die gewöhnlichen, ansteckenden Kinderkrankheiten kennen zu lernen, besonders Krätze, ansteckende Kopfrind, Keuchhusten, weil die Kinder noch in die Schule kommen, wenn sie diese Krankheiten haben. [...]
haben. Man lasse schon die kleinen Kinder, ehe sie laufen können, sich viel bewegen, befreie sie wo möglich jeden Tag, so lange sie noch gewickelt werden, einige Zeit von ihren Banden, und lasse sie sich frei bewegen; sind sie größer, so mögen sie auf dem Boden herumkriechen. Es ist ganz verkehrt, von kleinen Kindern zu verlangen, daß sie stundenlang still sitzen sollen. Deshalb dürfen in Kleinkinderschulen die Kinder auch nie lange nach einander unterrichtet werden, eine Viertelstunde sei das gewöhnliche Maaß. [...] Handarbeiten passen daher schlecht für Kleinkinderschulen, weil dabei die Kinder in der Regel längere Zeit still sitzen müssen.
ist ebenso zum Gedeihen des Körpers nöthig als Bewegung. Je kleiner die Kinder, desto mehr Ruhe müssen sie haben; 2-3jährige müssen noch Nachmittags einige Stunden schlafen. Sind viele solche Kinder in der Kleinkinderschule, so ist es gut, wenn man einige Strohsäcke in derselben hat, auf welchen die Kinder ihre Köpfchen legen. Betten sind nicht nöthig, zumal da auch diese kleinen Kinder im Winter in den kurzen Tagen nicht schlafen. Ist kein Strohsack vorhanden, so ist es am besten, wenn die Kinder sich auf den Boden setzen und den Kopf auf die Bank legen. [...]
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2. Die Gewöhnung.
[...] Man kann [...] die Kinder nicht früh genug an das Gute gewöhnen. Schon viel, viel früher, ehe sie verstehen, was Recht und Unrecht ist, müssen sie z.B. folgen lernen. [...] Wie schwer wird einem größern Kinde oft der Kampf gegen Trägheit, wenn es nicht in frühester Jugend an Thätigkeit gewöhnt wurde! Wie schwer wird es einem Erzieher, ein 11jähriges unreinliches, unordentliches Kind zu einem reinlichen ordentlichen zu machen, auch wenn es ernstlich gegen die alten Gewohnheiten kämpft! Man achte daher die Gewöhnung ja nicht geringe. [...] Einzelne Tugenden - wir wollen sie so nennen - an welche man die Kinder so früh als möglich gewöhnen muß, sind:
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Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Viele (Haus- oder Nutz-)Tiere sind das auch. Bei den einen wie den anderen macht man sich die Gewöhnung bei der Erziehung zunutze. Aber Gewöhnung formt auch ganz von selbst, unabhängig davon, ob die Ergebnisse erwünscht sind oder nicht. Was die Kindern tagtäglich sehen und erleben, das prägt und formt, das wird verinnerlicht und wird in ihrer Welt "normal". |
Reinlichkeit.
[...] Wie sind nun die Kinder an Reinlichkeit, die uns auch so beliebt bei den Menschen macht, zu gewöhnen? Ermahnen, warnen, strafen hilft hier, wie überhaupt bei der Gewöhnung, wenig. Man halte die Kinder stets reinlich - das ist das einfachste Mittel, welches am sichersten zum Ziele führt. Hält man die Kinder reinlich, so können sie zuletzt gar keinen Schmutz am Körper, Kleidern und anderen Sachen leiden. Freilich macht das Reinhalten sehr, sehr viel Mühe, und es ist oft wirklich Mangel an Zeit bei den Eltern, wenn arme Kinder unreinlich sind. Viel öfter ist es aber doch Trägheit, Gleichgültigkeit; [...]
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Beten, Liebe, Geduld gegen Bettnässen - vielleicht eine Ahnung von seelischen Ursachen, die aber nicht weiter erforscht werden. Die "geheime Sünde" der kleinen Kinder ist hier nicht näher definiert. |
Arbeitsamkeit
[...] Für kleine Kinder ist [...] nicht etwa bloß die Thätigkeit Arbeit, wodurch äußerer Nutzen geschafft wird, wodurch sie etwas verdienen. Man hat wohl diese falsche Ansicht und meint deßhalb, die armen Kinder müßten schon früh, deßhalb auch schon in der Kleinkinderschule, solche Arbeiten verrichten, weil sie in ihrem späteren Leben doch arbeiten müßten, um sich ihr täglich Brod zu verdienen.
Frühe schon gewöhne man also die Kinder daran, daß sie etwas thun, was ihnen befohlen wird, und wenn es auch nur ein Spiel, ein Zusehen wäre; man lasse also die Kinder nicht immer die Beschäftigung sich selbst wählen. [...] Mit andern Arbeiten, wodurch die Kinder etwas verdienen sollen, verschone man sie doch in der frühsten Jugend, wenigstens bis zum vierten Jahre; denn durch solche Arbeiten wird in der Regel nichts verdient, und gar oft wird dadurch dem Körper durch anhaltendes Sitzen, genaues Zusehen u.s.w. sehr geschadet. [...]
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Charpie = lat. carpere, zupfen, gezupfte Leinwand. Die sog. Charpie war bis etwa 1870 das gebräuchliche Verbandmaterial. Sie wurde aus sauberem altem Leinen hergestellt, das in Stücke geschnitten und dann zerzupft wurde. |
Aufmerksamkeit
[...] Die Erziehung zur Aufmerksamkeit wird erleichtert durch die Neugierde, erschwert durch die Flüchtigkeit der Kinder. Man sei in seinen Forderungen hinsichtlich der Aufmerksamkeit billig; man verlange nicht, daß die Kinder lange Zeit nacheinander aufmerksam sein sollen. Man unterrichte daher bei 4-5jährigen Kindern in der Regel nie länger als eine Viertelstunde nacheinander. Auch während dieser Zeit lasse man die Kinder nicht bloß zuhören, sondern auch Mancherlei thun, nachsprechen, nachahmen, zeigen, singen, u.s.w., da es durchaus nicht der kleinen Kinder Art ist, lange Zeit stille zu sitzen, ohne etwas zu tun.
Ein vorzügliches Mittel, die Kinder an Aufmerksamkeit zu gewöhnen, ist noch, daß man nicht eher anfängt zu unterrichten, bis die Kinder ruhig und aufmerksam sind. Alle Spielsachen u.s.w. müssen entfernt werden, die Kinder müssen still sitzen, die Hände zusammenlegen und die Lehrerin ansehen. Dahin bringt man es aber nicht durch viel Reden, Schelten, Ermahnen, Strafen, Hin- und Herlaufen sondern durch eine ruhige Haltung, durch kurze, bestimmte Ermahnungen und Verweise, durch Aufstehen und Setzenlassen, durch Zeigenlassen der Hände, durch Singen eines Liedchens, und wo ein Blick, eine Miene, ein Zeichen ausreicht, lasse man alles Andere sein.
[...] Wird ein Kind nicht in frühester Jugend gewöhnt, äußerlich zu folgen, so wird der Eigenwille groß gezogen und ist nachher der Kampf gegen denselben ein sehr schwerer. An solchen äußern Gehorsam können die Kinder gewöhnt werden [...]
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Befehl und Gehorsam sind Vokabeln, die im Sprachgebrauch einen ähnlich unangenehmen Beigeschmack bekommen haben wie Rohrstock und Backpfeife. Trotzdem wünschen sich vermutlich die meisten Eltern, dass die Sprösslinge ihren freundlichen Bitten nachkommen, wenn sie welche äußern, und im Supermarkt nicht gleich mit der maximalen Phonstärke losbrüllen, wenn ihre frühkindlichen Konsumbedürfnisse einmal nicht gleich erfüllt werden. |
Thut ein Kind nicht nach dem erhaltenen Befehle, so behandle man dasselbe nicht hart, drohe, strafe in der Regel nicht gleich, sondern man wiederhole ernst in kurzen Worten das Ge- oder Verbot und lasse dem Kinde etwas Zeit zur Besinnung. Beharrt es bei dem Ungehorsam, so strafe man es ernst; eine ordentliche Strafe erspart hundert andere. [...] Man nehme sich aber doch nicht vor, die Kinder zu zwingen, nach dem Befehle zu handeln; denn es ist manchmal rein unmöglich, die Kinder dahin zu bringen. [...] Der verständige Erzieher muß wissen, ob er sich auf einen solchen Kampf mit dem Kinde einlassen kann oder nicht. [...] Es schadet auch gewiß nicht, wenn ein Kind das Befohlene nicht thut, wenn es nur dann für seinen Ungehorsam recht ernst gestraft wird. [...] [S. 32 f] |
Beim Thema Flunkern unterscheidet Ranke nach Lügen aus Angst vor Strafe, aus falscher Scham, aus Gewohnheit, aus Eigennutz und Gewinnsucht, aus Prahlerei - und entsprechend differenziert sind die Ratschläge. Einige Beispiele aus dem umfangreichen Kapitel: |
Wahrhaftigkeit
[...] Das Lügen ist unter der Kinderwelt sehr häufig, und der erste Grund hiervon ist gewiß der, daß die Kinder so viel Lügen sehen und hören, ja oft geradezu zur Lüge angehalten werden. [...] - Und wie ist unser feines, gesellschaftliches Leben so voller Lüge und Heuchelei! Kann man sich, wenn man dieses bedenkt, noch wundern, wenn die Lüge auch bei Kindern so häufig angetroffen wird?
Man bedenke stets, daß nicht jedes Kind lügt, welches etwas anderes sagt, als wie es der Wahrheit gemäß ist. Ein kleines Kind vergißt z.B. sehr leicht das, was es gethan hat, und sagt dann bestimmt, es habe es nicht gethan. Ein Kind versteht uns oft ganz falsch und sagt uns dann, wir hätten so und so gesagt, hätten ihm erlaubt u.s.w. Ein Kind meint oft bestimmt, etwas gesehen und gehört zu haben, und behauptet dies; ein Kind hat einen lebhaften Traum gehabt, erzählt aber den Traum nach seinem besten Wissen als Wahrheit. Solches kommt besonders bei solchen Kindern vor, die eine lebhafte Phantasie haben, und ist bei solchen die Phantasie zu zügeln, ihnen zu zeigen, daß kleine Kinder oft in großem Irrthum sind, aber die Unwahrheit darf durchaus nicht als Lüge behandelt werden. [...]
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Rankes Ausführungen zur "Sittsamkeit" fallen grundlegend anders aus als diejenigen in heutigen Schriften zur "psychosexuellen Entwicklung" wie die der BZgA, und insbesondere ist seine Wertung eine völlig andere. Zu jener kaum mehr vorstellbaren Zeit, als noch nicht überall im Straßenbild mit größter Selbstverständlichkeit Plakate mit aufreizenden Nackedeis zum Besuch der nächsten Erotik-Messe aufforderten, schrieb er 1863 Folgendes: |
Sittsamkeit
Unter Sittsamkeit wird hier Schaamhaftigkeit, Keuschheit verstanden. In dieser Beziehung kann durch die Erziehung, durch die Gewöhnung sehr viel geschehen. Ist aber Schaamlosigkeit, Roheit u.s.w. schon eingerissen, so hat man außerordentlich schwere Arbeit, dagegen zu kämpfen, und der Kampf wird um so schwerer, je älter das Uebel ist. Wer die Jugend, besonders die der niedern Stände kennt, weiß es, wie viel in dieser Hinsicht zu klagen ist. Schaamlose Entblößungen, unzüchtige Reden, geheime Unkeuschheit trifft man nicht selten unter kleinen Kindern jeden Standes, und leider oft aus dem Grunde, weil sie es von Erwachsenen, von Vater und Mutter, von Dienstboten, ältern Geschwistern, Spielkameraden u.s.w. gesehen und gehört haben. Daher muß man solchen Kindern vor Allem liebend ernst sagen, daß es große Sünde sei, so zu sagen oder zu thun.
Man lasse nicht 2 Kinder zu gleicher Zeit abgehen, um ihre natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen, vorzüglich nie einen Knaben und ein Mädchen, und man halte darauf, daß die Abgegangenen schnell wiederkommen. Man sehe immer darnach, was die Kinder treiben, wenn sie etwa still in einer Ecke sitzen; man achte besonders darauf, wo die Kinder ihre Hände haben, wenn sie still beim Unterrichte sitzen, was sie spielen, wenn sie allein spielen. Ist man in dieser Hinsicht recht aufmerksam, so wird man auch bei kleinen Kindern oft Thaten entdecken, die man, wie man zu sagen pflegt, sich nicht träumen läßt. -
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Höflichkeit
Unter Höflichkeit verstehen wir hier Freundlichkeit, Gefälligkeit, Zuvorkommenheit u.s.w., kurz das wohlanständige, äußere Betragen der Kinder. In Betreff der Höflichkeit, die nur in der Sitte beruht, verlange man von kleinen Kindern sehr wenig.
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3. Erziehung zur FrömmigkeitZwar erwartet Ranke von kleinen Kindern noch keine Frömmigkeit, empfiehlt den Erziehern aber, vor dem Hintergrund des Glaubens das Gewissen, Gottvertrauen, Gut und Böse, Tugenden und Sünden zu erklären und entsprechende Anleitungen zu geben: |
[...] Das Vertrauen der Kinder suche man dadurch zu stärken, daß man ihnen zeigt, wie Gott immer helfen kann und will und alle unsere Noth kennt; man erzähle ihnen Geschichten, besonders bibl., welche uns dies lehren; man verweise auf ihr eigenes Leben und zeige ihnen, wie Gott auch ihnen schon auf mehr als hundert Weisen geholfen hat. Zagen oder zittern aber die Eltern oder Erzieher, wenn ein Leiden naht, oder da ist, so wird alles Ermahnen zum Vertrauen nichts nützen; sehen aber die Kinder dieselben in Noth und Gefahr getrost und freudig, so ist dies die beste Ermahnung zum Gottvertrauen. [...] [S. 49] |
Soweit die Theorie. Wenn Eltern und Erzieher auf diese Weise das Selbstvertrauen und Geborgenheitsgefühl der Kinder stärken und Ängstlichkeiten mindern konnten, wäre das Ziel erreicht. |
[...] Fromme Kinder achten auch Thiere und Pflanzen als Geschöpfe Gottes, quälen erstere nie und zerstören letztere nicht muthwillig. Den besten Eindruck macht es auch in dieser Hinsicht auf die Kinder, wenn man ihnen mit einem guten Beispiele vorangeht. Ferner müssen die Kinder durch Erzählungen auch in dieser Hinsicht ermahnt, gewarnt werden, und erreicht man dadurch nichts, so ist ernste Strafe anzuwenden. Bei der Warnung hüte man sich aber doch ja, die Kinder mit Arten der Thierquälerei bekannt zu machen, die ihnen noch ganz unbekannt sind. -
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Fakt war natürlich auch damals etwas ganz anderes. Aber heute können die Kinder, wie nie zuvor, auf einfachste Weise Tag für Tag neue Methoden des Massakrierens kennenlernen und gleich (virtuell) ausprobieren und sind längst an Dinge gewöhnt, die in meiner Kindheit noch jenseits aller Vorstellungskraft waren.
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Quellen:
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