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Kotten-Brände und nächtliche Orakel

Häufig ist in der Geschichte der Schleifkotten davon die Rede, dass sie abbrannten und daraufhin neu errichtet wurden - oder auch nicht. Oft war Unachtsamkeit wie auch "Unfug" die Brandursache. Zu der Zeit, als die Kotten noch mit Stroh gedeckt waren, reichte wohl schon eine vergessene Tabakspfeife oder der mehr oder weniger absichtliche Treffer einer Gewehr- oder Pistolenkugel aus, um sie in Brand zu setzen, z.B. beim Hillingsschießen, das noch bis ins 19. Jh. hinein in Solingen üblich gewesen ist.

Überhaupt scheinen die Menschen noch Mitte des 18. Jh. generell recht sorglos mit der Feuergefahr umgegangen zu sein. Dies stellte der Magistrat in Solingen fest, als er - aufgeschreckt durch den Brand der Stadt Lennep 1746 - die Brandsicherheit in der Stadt prüfte: Viele Bürger "gingen leichtsinnig beim Feuerstochen vor, fegten die Schornsteine nicht aus, lagerten Heu, Stroh und Gespins auf dem »Older« [Boden- oder Speicherraum eines Hauses] neben dem Schornstein, die Tagelöhner droschen mit brennenden Tabakspfeifen, Dienstboten gingen mit offenem Licht in die Scheunen und Ställe." [Rosenthal 2. Bd. S. 97] Die Schleifer werden sich in ihren Werkstätten ähnlich verhalten haben.

Knapp 20 Jahre später schritt man zur Tat: "Die Bewohner des Dorfes Wald und umliegender Höfe schlossen sich zu einer Interessengemeinschaft zusammen und beschlossen am 21.01.1765 eine Brandordnung, die am 22.03.1765 von dem Solinger Richter Kannegießer bestätigt wurde" - mit Strafgewalt gegen Übertreter. [Rosenthal 2. Bd. S. 97] Dazu gehörte auch die Bereitstellung von Wasser. Das war bei den Kotten vorhanden - aber was hilft es, wenn niemand zum Löschen in der Nähe ist?

1801 wurde der Brandkataster angelegt. Dieses amtliche Grundstücksverzeichnis ist übrigens eine gern genutzte Quelle, wenn es um die Geschichte einzelner Schleifkotten und ihrer Besitzer geht. Die staatliche Brandversicherungs-Gesellschaft für das Herzogtum Berg begann am 1. Februar 1802 mit ihrer Tätigkeit. "Das förderte den schon vereinzelt eingeleiteten Übergang zum Ziegelbau. Die Aufnahme in diese Feuerversicherung bewirkte den Rückgang der Strohdächer" [Rosenthal 2. Bd. S. 97] - in der Stadt und wahrscheinlich auch an den Bächen und an der Wupper.

Aber nicht nur die Strohdach-Kotten, auch die späteren Fachwerkbauten konnten einem einmal ausgebrochenen Feuer nicht viel entgegensetzen. Franz Hendrichs schreibt dazu:


"Den Grund für das häufige Niederbrennen der Kotten hat man wohl darin zu suchen, daß das Holzwerk vielfach mit Öl durchtränkt und die Baulichkeiten leicht aus Holz und Lehm gebaut waren. Ein Brand zur Nachtzeit mußte um so verheerender wirken, als weit und breit kein Mensch wohnte und daher ein Bekämpfen des Feuers meist zu spät kam. Gelegentlich soll freilich ein Niederbrennen auf Schabernack unter mißgünstigen Schleifern zurückzuführen gewesen sein, wovon manche Anekdote zu erzählen weiß." [Hendrichs 1922, S. 54].



Der "Schabernack", von dem "manche Anekdote zu erzählen weiß", wird nicht selten die Existenz der Betroffenen vernichtet haben - vor allem vor der Zeit der Feuerversicherungen -, wird zu Überschuldung geführt und vielleicht dem lange gehegten Gedanken an Auswanderung den letzten Impuls zur Tat gegeben haben.

Nach der Lektüre einiger Kapitel der Dissertation von Rudolf Boch über die Solinger Lokalgewerkschaften und den deutschen Metallarbeiterverband scheint mir allerdings der Hintergrund solcher Brandstiftungen nicht nur gewöhnlicher Schabernack oder Unfug gewesen zu sein.

Eine nicht zu unterschätzende Ursache von Kottenbränden waren danach auch die nächtlichen Femegerichte oder sog. "nächtlichen Orakel" unter den Schleifern. Im Zusammenhang mit den Lohnstreitigkeiten und Streiks war die Zerstörung von Werkzeug, Arbeitsmaterial oder des ganzen Kottens drastische "Bestrafung" von Streikbrechern oder von Schleifern, die anderweitig gegen geltende Regeln verstoßen hatten - bis ins 20. Jh. hinein. [Boch S. 72 ff]

Sollte die Kottenidylle und Schleiferromantik, wie sie folkloristisch verklärt in manchen Publikationen und den Aufsätzen mancher Vorkriegs-Heimatforscher zu finden ist, nicht die ganze Wahrheit sein?


Konflikte und Lohnstreitigkeiten werden zwar bei verschiedenen Autoren thematisiert (z. B. Hendrichs, Rosenthal, Beermann u. a.), aber Boch ist in seinem Kapitel "Soziale Kontrolle und nächtliche Femegerichte in den Schleiferberufen" (im Stadtarchiv Solingen vorhanden) noch wesentlich tiefer in das Geschehen im letzten Drittel des 19. Jh. eingedrungen.

Das Landgericht (LG) Elberfeld hatte sich z. B. mit folgenden Fällen zu befassen:

- 5/39,  Der Solinger Messerschleiferverein.
         Untersuchungsakten Wilhelm Meiss und Ernst Bergmann
         wegen Diebstahls 1872, 1882-1883;
- 5/157, Schleifer Gustav Fritz in Hingenberg
         wegen Bedrohung und Mißhandlung (betr. Arbeitskampf) 1872;
- 5/227, Schleifer Gustav Lauterjung und Schleifer Robert König,
         beide in Dorp, wegen Bedrohung
         (Versammlung des Messerschleifervereins) 1877;
- 5/252, Schleifer Karl und August Mutz in Wald wegen Mißhandlung 1872;
- 5/280  Messerreider Albert Röhrig in Dorp (Messerreiderverein) 1872;
- 5/518 u. 519, Messerschleifer Karl Kirschbaum in Solingen und Genossen
         wegen Erpressung und Vergehen gegen die Gewerbeordnung
         (betr. Messerschleiferverein) 1883-1884.

  Einen Carl Mutz und einen August Mutz gab es um 1864 und auch um 1880 im Zieleskotten.




Julius Günther hat 1941 über diese "verbohrt-zünftlerischen Maßnahmen" klassenbewusster Schleifer - man könnte sie auch kriminell nennen - einen kurzer Artikel veröffentlicht:


Rheinische Landeszeitung vom 18. Juli 1941 - J. G. -

Vom "Schleifergeblüt"

Solinger Handwerkerstolz in alter Zeit

"Die im Jahre 1809 durch Napoleon erfolgte Aufhebung der Zünfte und Innungen, zu denen auch die seit über 500 Jahren nachgewiesenen Solinger Handwerkerbruderschaften gehörten, konnte man lange danach nicht verschmerzen; denn in ihnen hatte sich bis dahin das Solinger Schwert- und Messerhandwerk in den Familien vererbt. Man bemühte sich weiterhin, die Söhne denjenigen Zweig des Solinger Schwert- und Messerhandwerks erlernen zu lassen, in dem Väter und Urväter einst tätig gewesen waren. Demnach war es auch schwierig, schulentlassene Söhne in diese Berufe hineinzubekommen, die nicht von diesen Handwerkern stammten.

Ein solcher Fall ist nachgewiesen aus der Zeit um 1850 durch Verhandlungen vor der Vergleichskammer. Hiernach wurde gegen einen Schleifermeister, der am 1. Mai einen Lehrling einstellte, ihn aber schon nach vier Wochen wieder entlassen hatte, Klage auf Wiedereinstellung und Entschädigung erhoben. Der Meister sollte den Lehrling aus dem Grunde entlassen haben, 'weil er nicht vom Schleifergeblüte, also ein Wilder sei'. Diese Behauptung stellte der beklagte Schleifermeister als richtig hin, gab auch zu, daß er den Lehrling auf Jahre hinaus bis 1856 'gemietet' habe. Er habe den Jungen, 'da er nicht vom Handwerk, das heißt vom Schleifergeblüte sei', auf Druck der Berufskollegen entlassen müssen. Ob eine Wiedereinstellung des Lehrlings erfolgte, ist aus den Verhandlungen nicht ersichtlich.

Ähnliche Fälle, in denen der Handwerkerstolz der alten Solinger Familien zum Ausdruck [kam], sind häufig nachgewiesen. Zum Beispiel hatte vor 1848 ein begüterter Solinger durch einen von ihm beschäftigten Schleifermeister junge Leute zum Scherenschleifen anlernen lassen, die nicht vom 'Schleifergeblüt' waren. Die Folge war, daß der Schleifkotten, in dem diese arbeiteten, zerstört wurde.

Ferner ist der Fall bekannt, daß um ungefähr die gleiche Zeit ein gelernter Schmied einen Schleifkotten im Weinsbergtal ankaufte, um darin die Schleiferei zu betreiben. Der 'Handwerkerstolz' anderer Mitbürger ließ es nicht zu, daß ein Schmied sich mit der Schleiferei befaßte. Das Ende davon war, daß der Schleifkotten eines Tages in Flammen aufging. -

Die Entwicklung hat sich aber durch derartige verbohrt-zünftlerische Maßnahmen nicht aufhalten lassen."


Ein Schmied im Weinsbergtal - wahrscheinlich ist dieser Vorfall aus dem Jahr 1839 gemeint, von dem Johann Peter Höfer, Bürgermeister in Höhscheid, seinem Landrat Bericht erstattet hat:

"Dem Schleifer Eduard Kohl zu Unten-Widdert hat man seinen in der Wippe gelegenen Kotten zerstört und die darin befindlichen Gerätschaften zerschlagen. Die Untersuchung ist noch nicht beendet. Es wird schwer halten, die Frevler zu entdecken. Neid und Rachsucht sind die Triebfedern dieser Tat. Kohl war früher ein Schmied, erlernte später das Schleiferhandwerk und hatte erst kürzlich gekauft. Daß er selbst den Schleiferfamilien nicht angehörte und ebenfalls derartige Lehrlinge angenommen hatte, hat diese Tat vollends zur Reife gebracht." [Hendrichs 1933, S. 190]

  Es kann sich hier nur um den Kohlenkotten am Weinsberger Bach handeln.




Kottendiebstahl

Vielleicht ging es hier nur um einen ganz gewöhnlichen Diebstahl, vielleicht aber auch um andere Motive:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 20. März 1841

"In der Nacht vom 5. zum 6. d. Mts., sind aus dem sogenannten Hailer Schleifkotten, in der Bürgermeisterei Höhscheid, 300 Stück spanische Taschenmesser Nro. 6, aus dem schwarzen geschliffen und mit weißen knöchernen Heften versehen, die meisten mit dem Namen "F. Hürrthal" einige aber auch nur mit drei Buchstaben gezeichnet, gestohlen worden.

Indem ich diesen Diebstahl zur öffentlichen Kunde bringe, und vor dem Ankauf der gestohlenen Messer warne, ersuche ich Jedermann mir alles mitzutheilen, was zur Wiedererlangung derselben, oder zur Entdeckung des Diebes führen kann.

Elberfeld, den 13. März 1841.
Der Ober-Procurator: (gez.) Wingender"


Fabrikverein gegen Kottendiebstahl

Die betroffenen Schleifer versuchten sich gegen die zunehmenden Diebstähle, Brandstiftungen und Zerstörungen zu wehren. Im Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 26.06.1841 geht es unter der Rubrik "Etwas Zeitgemäßes" um die Gründung eines Fabrikvereins zum gemeinsamen Kampf insbesondere gegen den "Kottendiebstahl". Es fehlt nicht der Hinweis, es zunächst einmal durch Aufklärung und Überzeugungsarbeit zu versuchen. Wer hier unter einer etwas sperrigen Überschrift sein Statement zu den verschiedenen Abhilfe-Vorschlägen abgibt, geht aus dem Artikel leider nicht hervor:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 26. Juni 1841

"Errichtung eines Fabrikvereins gegen Kottendiebstahl. - Wirksamkeit des Vereins durch leitende und hindernde Maaßregeln zur Verhütung, Erschwerung und Vereitelung der Verbrechen. - Anstalt zur speziellen Ermittelung derselben.

[...] Ein Fabrikverein möge der Verein seyn und werde aus einer zureichenden Zahl von tüchtigen (durch Abstimmung gewählten) Männern zusammengesetzt; sein Wirkungskreis sey den zu Gebote stehenden Kräften und Mitteln (Fonds) gemäß; er muß konzentrirt seyn, wäre daher auf den Fabrikverband der Gemeinde zu beschränken. Der nachbarliche (auswärtige) Verein, schließe sich an und so fort, resp. im ganzen bergischen Lande. - Eine große wohlthätige Verkettung zu einem gemeinsamen Endzwecke.

A. Allgemeine Wirksamkeit zur Vorbeugung.

Die erste Wirksamkeit gehe auf Anordnung von leitenden und hindernden Maaßregeln hin ... Vorzüglich: Unterricht zur Beschwichtigung des fatalen Vorurtheils des Zunftschleifers gegen fremde (heut zu Tage unabwendbare) Konkurrenz! Der Vorschlag ... "postenweise Bewachung des Kottens", ist beachtenswerth; wir fügen mehr empfehlend bey; Bewohnung: wo dies nicht angeht "äußere Beleuchtung". Eine beständige Kontrole der feindseeligen Konkurrenten (schwerer K.D.) und der verdächtigen, arbeitscheuen Individuen, deren Unterhalt bekanntlich für sich und die Ihrigen nicht zureicht: (gewöhnlicher K.D.).

B. Spezielle Ermittelung.

Bey der Entdeckung ist die schleunige genaue Anzeige das erste und Haupterforderniß, um den Thäter durch Verfolgung der noch vorhandenen Spuren auszuforschen und dem Beschädigten das Seinige wiederzuverschaffen. Man fertige ein genaues Verzeichniß mit Beschreibung der Merkmale und Kennzeichen der Sachen; man lasse Abschriften davon oder Abdrücke der Zeichen, Muster ec. schleunigst umtheilen, an jedem öffentlichen Orte (Wirtshäuser) niederlegen und überdieß durch das Kreis-Intelligenzblatt ehestens kund machen; den Thäter und Anbiether bezeichnen; eine nützliche Haussuchung bewirken; auf die erste Anzeige eine Prämie öffentlich aussetzen, öffentlich Beloben ec. und mit unermüdeter Thätigkeit so fortfahren. -

Das Bedürfniß, den wieder zunehmenden, beklagenswerten Zerstörungen und Diebstählen in den meistens einsam, fern von Wohnungen und Hülfe gelegenen Schleifkotten, bald möglichst ein Ziel zu setzen, wird wohl allgemein gefühlt und erkannt. -

I. Prüfung älterer Vorschläge.

Die in Vorschlag gebrachte "gegenseitige Verassekurirung unter den Schleifern" ... ist ihrer Idee nach für die Wichtigkeit der Sache, nicht umfassend genug; Analogie zwischen kleinem Gartendiebstahl (Polizey) und Kottendiebstahl (Kriminell) paßt nicht; ein Verein als Privatinstitut, ist unstatthaft, weil der Gegenstand oder Zweck des Vereins der Privatverfügung gesetzlich entzogen sind; er muß vom Staate homologiert, verfassungsmäßig (unter öffentlicher Autorität) konstituirt seyn; die fragliche Idee der Konstituirung des Vereins durch Ballolage, ist durchaus unzusagend. Ballotage (Geheimwesen) in Gemeindesachen (in öffentlicher Angelegenheit) ist gefährlich und gehässig: öffentliche freie Abstimmung ehret stets die Sache und ihren Mann. -

Der Vorschlag: "bestimmte, feststehende, nicht unbeträchtliche Belohnung in Geld blos für Schleifer" ... geht nicht an; die Idee (Vereinskasse) ist auch zu unbestimmt, nicht realisibel. Eine gute That darf keinen Lohn dingen, dieses Mittel zum Zwecke, verwerfen unsere Schleifer, und es wäre wieder nichts, dann Lohn soll aber aufmunternd, zur Thatkraft erhebend, darf daher nicht subjektiv (auf Schleifer) beschränkt seyn, vielmehr möglichst erweitert werden.

II. Neuer Vorschlag.

Sollte nicht durch unseren Deputirten vor dem Provinzial-Landtage Antrag erhoben werden:

"dem neuen Institute, dem Fabriken-Gerichte zu Solingen, nach der Grundlage des alten Dekrets vom 18. März 1806, Art. 10-13., und vom 17. December 1811, Art. 3., neben seinen übrigen Befugnissen, zugleich gerichtlich-polizeyliche Attributionen, in Absicht der Fabrikdiebstähle (Kottendiebstähle) beizulegen: zunächst den Thatbestand festzustellen, die darüber aufgenommene Verhandlungen, nebst den Ueberführungsstücken, dem kompetenten Gerichte einzureichen".

Die einfache Lösung der bisher vorschwebenden Schwierigkeit, zur Erörterung unseres Gegenstandes, wäre hiernach wohl zu finden; möge der vorzüglich zu berücksichtigende Fabrikverband der Gemeinde Höhscheid, für den wir uns verwendet haben, unverweilt den Anfang machen und Hand an's Werk legen: an tüchtigen Männern, Mitteln und Kräften fehlt es ihr ja nicht.

Solingen, im Juny."



Quellen:
  • Beermann (1993)
  • Boch (1983)
  • Hendrichs (1922) S. 54
  • Hendrichs (1933) S. 190
  • Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 26.06.1841
  • Rheinische Landeszeitung vom 18.07.1945 J.G. [Julius Günther]
  • Rosenthal Bd. 2 (1972) S. 96-100

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