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Schon vor längerer Zeit fiel mir einmal auf dem Höhscheider Friedhof eine Grabstätte mit dem Abbild eines etwa lebensgroßen, blau patinierten Löwen auf. Ungewohnt auf einem Friedhof - aber bald wieder vergessen. Bis ich von "Vogels Chrest" hörte, Solingens wahrscheinlich einzigen Löwenzüchter, der hier schon lange begraben liegt, und von seinem "Brühler Zoo". |
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2009 Grabmal für "Vogels Chrest", ev. Friedhof Höhscheid |
Aus der "Zeittafel zur Geschichte der Stadt Solingen" von Otto Bauermann war zu erfahren, dass Christian Baur am 21.05.1905 an der Brühler Straße einen Zoologischen Garten eröffnet habe. Das Solinger Tageblatt veröffentlichte zu diesem Termin eine große Anzeige: |
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"Eröffnungsfeier. Zoologischer Garten Solingen. Morgen, Sonntag, den 21. Mai, nachmittags 4 Uhr; großes Konzert, ausgeführt von der Solinger Stadtkapelle, unter Leitung ihres Kapellmeisters Herrn Bölts. Zu recht zahlreichem Besuch lädt ergebenst ein C. Baur. |
Es wird sich hier um eine Saisoneröffnungsfeier gehandelt haben, wie sie auch im Jahr zuvor angekündigt wurde: An anderer Stelle ist schon früher von dem Tierpark die Rede, der bis 1914 in Höhscheid bestanden hat, nicht weit vom ehemaligen Solinger Hauptbahnhof. Heute weist "vor Ort" nichts mehr darauf hin. Da ich gegenüber Zoos gewisse Vorbehalte hege - zumindest in der früher üblichen, wenig tiergerechten, vergitterten Form, wie ich sie als Kind noch erlebte -, habe ich das Thema zunächst nicht weiter verfolgt. Aber zwei zufällig entdeckte alte Zeitungsartikel enthielten so viele originelle Details über unanständige Löwen, kühne Artisten und eine berühmte "Attraktionspersönlichkeit", dass sich hier - neben der Zoogeschichte - interessante Einblicke in die damalige Solinger Unterhaltungs- und Freizeitkultur erschließen. Beide Artikel sind weiter unten wiedergegeben.
Gründer und Eigentümer des Zoos war der Federmesserreider, Gastwirt und Vogelhändler Christian Baur (1865-1930), in Solingen bekannt als "Vogels Chrest". Er wohnte zusammen mit seiner Mutter, der Wirtin und Spezereihändlerin Wwe. August Vogel, in der Brühler Straße 71. "Auf ihren Namen war auch die Vogelhandlung eingetragen. Erst das Adressbuch von 1901 führt Christian Baur selbst als Vogelhändler und Inhaber der Firma Wwe. August Vogel Nachf. auf." [Wanderwege S. 139]
Die Unterhaltung des Tierparks war kostspielig; Einnahmen aus den Eintrittsgeldern flossen nur während der Öffnungszeiten im Sommer. Eine Änderung der Steuergesetze im Jahr 1911 erschwerte die Situation, denn nun wurde die sogenannte Lustbarkeitssteuer nicht mehr nur bei Veranstaltungen erhoben, sondern auf jedes verkaufte Eintrittsbillet. Die
Lustbarkeitssteuer fiel nicht an, wenn ein Unternehmen oder eine Veranstaltung "lehrreichen Zwecken" diente. Dies nahm Baur für sich in Anspruch und versuchte mehrfach durch Schreiben an den Solinger Oberbürgermeister, eine Steuerbefreiung zu erreichen - jedoch vergeblich. |
Solinger Tageblatt vom 15. Februar 1945
Erinnerungen an den Solinger Zoo
[...] bis noch vor dem ersten Weltkriege besaß die Klingenstadt ihren eigenen Zoo und zwar eine Anlage, die sich sehen lassen konnte. Sie war zwar räumlich bedeutend kleiner als die ähnlichen Unternehmen der benachbarten Großstädte, besaß aber einen für damalige Verhältnisse überaus reichhaltigen Tierbestand.
Ueber Mangel an Besuchern brauchte sich natürlich unser Zoologischer Garten nicht zu beklagen. Besonders an Sonntagen konnte er die Scharen der Gäste, die aus Solingen und der weiteren Umgebung kamen, häufig kaum fassen. |
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Um 1910 Die "Todesfahrt überm offenen Löwenkäfig" nach einer Postkarte des Brühler Zoos Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen |
Hier ein Auszug aus dem zweiten Artikel: |
Solinger Tageblatt vom 1. Juni 1941
Neben Hagenbeck und Ruhe der "Vogels Chrest"Rückblick auf den Zoologischen Garten - Einst Tier- und Unterhaltungspark,heute Stützpunkt der medizinischen Wissenschaft
"Und nun Jungens, aufgepaßt. Morgen fällt der Unterricht aus. Mit der vierten Klasse zusammen besuchen wir den zoologischen Garten. Jeder bringt Butterbrote und 25 Pfennig mit. Wir treffen uns um 8.30 Uhr auf dem Schulhof."
Die Zeiten dieses Zoos liegen weit zurück. [...] Es war kurz vor der Jahrhundertwende, als sich der Gastwirt und Vogelhändler Christian Baur, der in der Welt der Vogelliebhaber schon als Hersteller eines guten Vogelfutters bekannt war, entschloß, diesen Garten auf seinem weit in die Tiefe gehenden Gelände anzulegen. Wenn auf diese Weise nun eine große Anzahl von Raubtieren aller Art, Exoten und so weiter nach Solingen kommen würde, so dachte Baur zunächst weniger an ein bloßes Zurschaustellen der Tiere, sondern er verband damit den Gedanken, Raubtiefe in größerer Zahl heranzuziehen und sie weiter zu verkaufen. Und diesen Gedanken setzte er auch in die Tat um. Es kann vorweggenommen werden, daß Christian Baur in Solingen Löwen für die halbe Welt heranzog und diese Tiere auch durch eigens verpflichtete Dompteure abrichten und dressieren ließ.
Mit den Jahren hatte Christian Baur seinen Zoo, der ursprünglich nichts anderes gewesen war als eine Sammlung von Vögeln, so ausgedehnt und erweitert, daß er, was die Zahl der Tiere uhnd ihren Wert betraf, mit bedeutenden Tiergärten nicht nur Schritt halten konnte, sondern sie sogar übertraf. Das gilt insbesondere für die Berberlöwen, die mit ihren großartigen Mähnen im In- und Ausland gefragt waren und als die bestgezüchteten Tiere in Europa bezeichnet wurden.
Im übrigen sorgte der "Vogels Chrest" auch für die notwendigen sonntäglichen "Attraktionen". Noch in bester Erinnerung sind zweifelsohne "die Todesfahrt" und der "Hauptmann von Cöpenick". Da war zunächst eine Radfahrertruppe, die in wirbelnder Fahrt über dem offenen Löwenkäfig ihre Kreise zog [...]. Ein anderes Mal war eine Radfahrertruppe zu Gast, die von einem im Garten aufgestellten 30 Meter hohen Mast in steilster Kurve die "Todesfahrt" heruntersauste, mit den Rädern freischwebend über die Raubtierkäfige flog, um erst nach geraumer Entfernung die stark gebauten Fahrzeuge wieder auf festen Boden aufzusetzen und auszufahren. Das war wirklich eine artistisch sehr kühne Tat, die auch verdienten Beifall fand. |
Die Auflösung des zoologischen Gartens während des Ersten Weltkriegs wirkte sich natürlich auch auf die Gaststätte aus, die Christian Baur 1920 vorübergehend auf zwei Gasträume verkleinerte. Das eindrucksvolle Eingangsportal des Zoos wurde 1921 durch ein Firmenschild mit der Aufschrift "Zoologische Großhandlung Vogelfutter Wwe. Aug. Vogel Nachf." ersetzt. |
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2009 Brühler Straße, rechts die ehemalige Gastwirtschaft. Links daneben befand sich der Eingang zum Zoo. |
Ebenfalls Vergangenheit ist der Vogelschutzpark in Solingen-Wald, der in den Jahren 1933-1944 im Ittertal viele Besucher angelockt hat. Ohne Tierpark muss Solingen aber auch heute nicht auskommen. Allerdings gibt es bisher keine Berberlöwen und nur gelegentlich todesmutige Artisten zu sehen: Der Vogelpark in Solingen-Ohligs am Hermann-Löns-Weg besteht schon seit 1927. Der Tierpark "Fauna" an der Lützowstraße am Rande des Gräfrather Stadtwaldes wurde 1951 (wieder-)eröffnet. |
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2007 Zwei langohrige Bewohner der Gräfrather Fauna |
Quellen:
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