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Familiäre Ereignisse - Der Nachwuchs


 
Geburt
Kindtaufe
Uneheliche Geburten
Zauberkräfte



Geburt

Nach der Hochzeit kam in den meisten Fällen spätestens nach 9-10 Monaten das erste Kind, und dann folgte in dichter Folge eines auf das andere. Nicht selten wird man in den Kirchenbüchern noch Ende des 19. Jh. die Geburt des letzten Kindes in zeitlichem Zusammenhang mit dem Tod der Mutter finden - und kurz darauf die Wiederverheiratung des verwitweten Vaters, der dringend eine Stiefmutter für seine Kinderschar brauchte. Und die Kinderzahl wuchs dann in aller Regel noch weiter.

Um den Müttern nach der glücklich überstandener Entbindung etwas Gutes zu tun, gab es zur Stärkung und Aufmunterung - bis etwa 1860, wie ein Zeitzeuge berichtete -, eine besondere Suppe mit Anis-Likör für sie und ihren Besuch. Hier das Rezept:

"Das 'Kümpchen' - ein Festgericht für Wöchnerinnen und ihre Besucher.

Noch vor ungefähr vierzig Jahren bestand in Solingen vielfach der Brauch, Wöchnerinnen, sowie Verwandten und Freunden, die sie besuchten, zu Ehren 'Kümpchen' zu brauen oder aufzusetzen. Zu diesem Zweck vermengte man in einem wenn möglich silbernen Schüsselchen oder Kümpchen feingeschnittenen Kräuterkuchen, ganz kleine Rosinen und Zuckerstückchen, tränkte die Mischung mit holländischem Anisette und deckte sie für eine Stunde zu.

Wenn die Wöchnerin Besuch bekam, wurde das angenehm duftende 'Kümpchen' herumgereicht und aus dem Schüsselchen selbst mit einem Löffel verzehrt. Um ein wirklich gutes Kümpchen zu erhalten, mußten alle Zuthaten von bester Beschaffenheit sein. Dafür trug der Genuß auch zur Förderung der Fröhlichkeit nicht wenig bei."

[Weyersberg, MBGV 9/1898 S. 190]


Das oben beschriebene Kümpchen in der Silberschale kam natürlich eher bei den "Bessergestellten" zum Einsatz. Ansonsten gab es Kuchen:

"Bei der Geburt eines Erdenbürgers galt der erste Besuch der jungen Mutter. Sie wurde begrüßt von den Bessergestellten mit dem 'Kümpchen'. Es war eine Wöchnerinnensuppe, die in einer silbernen Schale gereicht wurde, deshalb auch die Bezeichnung "Kümpchen". Das Gericht galt der Mutter, während die wohlhabendere Schenkerin die Schale meist als erstes Geschenk für das Neugeborene bestimmte.

In den einfacheren Familien übernahmen in den ersten Wochen die Nachbarinnen die Pflege der Mutter. Die entfernter wohnenden Verwandten und Bekannten sandten als Zeichen des Glückwunsches Torten oder Kuchen. Je größer die Zahl der Bekannten und Verwandten war, je größer war die Zahl der Kuchen. Hatte die Familie in solchen Fällen schon größere Kinder, so ist erklärlich, daß die Geschenke, die sich zuweilen häuften, auch von diesen freudig begrüßt wurden.

Weniger gefeiert als in unserer Zeit [= 1922], wurden die Konfirmation und Kommunion. Es waren schlichte Familiengedenktage."

[Schmidt S. 144]


Kinder

Dass die Babys wirklich nicht vom Klapperstorch gebracht werden, dürften diese beiden Postkarten zweifelsfrei beweisen.
Kinder
Weltpostverein, Serie 346;
um 1900, nicht verschickt



Kindtaufe

1823 konstatiert der Solinger Amtsarzt Dr. Spiritus in seiner medizinischen Topographie des Kreises Solingen, dass "Hochzeiten und Kindtaufen [...], besonders im obern Kreise, ziemlich stille gefeiert" wurden [Spiritus S. 168].

Zu den Festivitäten bei der Kindtaufe im 17. und 18. Jh. berichtet Rosenthal etwas ganz anderes:

"Für die Kindtaufen galten die gleichen Vorschriften und die gleichen Mißbräuche wie für die Hochzeiten. Das Gevatterbitten bei Kindtaufen war auch in Solingen üblich. Ein Beschluß des Konsistoriums von 1686 wandte sich dagegen, daß der Kindesvater die gebetenen Gäste sogleich bei ihrem Erscheinen ins Wirtshaus führe, wo dann ein schändliches Saufen anfange. Dies sei der heiligen Taufe nachteilig und solle abgestellt werden.

Haustaufen waren beliebter als Taufen in der Kirche. Es war der Absicht des Konsistoriums nicht förderlich, die Bevölkerung daran zu gewöhnen, in der Kirche taufen zu lassen, wenn die Bestimmung galt, daß die unehelichen Kinder in der Kirche getauft werden mußten. Bei diesen Kindern mußten Kirchenälteste von Amts wegen als Paten (Gevattern) auftreten. Man beschränkte 1718 die Zahl der Gevattern auf zwei bis drei und wandte sich dagegen, daß mit der Aufbietung von sechs, sieben, acht Gevattern »schändlicher Wucher« getrieben werde."

[Rosenthal, Die Heimat 6/1963, S. 22 f]


Eine gewollte öffentliche Stigmatisierung unehelicher Täuflinge durch die Kirche? Und weshalb wohl glaubte "man" sich bei der Anzahl der Gevattern einmischen zu müssen? Tatsächlich finden sich auch noch später z.B. in den Solingen-Walder Taufbucheinträgen bei vielen Täuflingen vier bis sechs Paten oder Taufzeugen.




Uneheliche Geburten

Von Dr. Spiritus ist aus dem Jahr 1823 zu erfahren, dass die "unehelichen Kinder [...] sich zu den Gebornen [...] wie 1 zu 32 [verhalten], was in der That gegen andere Gegenden ein günstiges Verhältnis ist". [Spiritus S. 174] Die gleiche Zahl nennt 1832 auch Fhr. v. v. Hauer in seiner statistischen Darstellung des Kreises Solingen. [Hauer S. 27] Dies entspräche einer Quote von 3,1% unehelicher Geburten.

Dass die Quote auf dem Lande meist kleiner war als in den Großstädten und Gewerbegebieten, lag nicht unbedingt an der dortigen größeren "Sittenverderbnis". Den Kommentar von Dr. Spiritus über die großartigen werdenden Väter, die ihr gefallenes Mädchen nicht nur zur Mutter, sondern notfalls auch zur ehrbaren Ehefrau machten, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: "Rühmlich ist es hiebei, daß ein gefallenes Mädchen selten von ihrem Liebhaber verlassen wird, weshalb auch die Zahl der unehelichen Kinder gar nicht bedeutend ist." [Spiritus S. 181]




Kindstötung

An die Kehrseite der Moral erinnert Stremmel in seiner Anmerkung: "z.T. auch heimliche Abtreibungen oder Kindestötungen." [S. 174] Nicht nur heile Welt. Grausamkeit der Mutter oder eines unrühmlichen Vaters oder der Doppelmoral einer bigotten Gesellschaft? Ein Phänomen mit vielen Facetten, das sich durch alle Zeiten zieht.

Nachträgliche "Geburtenkontrolle" durch Kindstötung kam vor, sei es durch aktive Tötung, durch Nahrungsentzug oder Vernachlässigung. Häufige Gründe waren nicht nur Unehelichkeit des Kindes, sondern insbesondere Armut der Eltern oder Missbildungen des Kindes. Auch das Aussetzen von Kindern kam nicht nur in Märchen - wie "Hänsel und Gretel" - vor und war zu Zeiten der Gebrüder Grimm (18./19. Jh.) in Deutschland grausame Wirklichkeit.

Eine Zeitungsnotiz aus dem Jahr 1926:


Solinger Tageblatt vom 3. April 1926

=gr= Eine Kindesleiche gefunden. Am Donnerstagnachmittag wurde von der Wupper bei Zweiterkotten die Leiche eines neugeborenen Kindes angeschwemmt. Die Leiche wurde von Kindern zuerst bemerkt und der Polizei übergeben. Das tote Kind hatte ein Taschentuch als Knebel im Mund. Die Ermittlungen sind eingeleitet.




Zauberkräfte

Natürlich taten verantwortungsbewusste Mütter auch früher alles für das Wohlergehen ihres Sprösslings, und ein Kind, das seine ersten Zähnchen zu spüren bekommt, kann ziemlich laut werden. Gut, wenn man gerade die Klaue eines verstorbenen Maulwurfs zur Hand hatte:

"Maulwurfsklauen, ein Sympathie-Mittel, um das Zahnen der Kinder zu erleichtern.
Wie verbreitet in früheren Zeiten der Glaube an Sympathie-Mittel gewesen ist, erhellt daraus, daß noch vor 70 Jahren die Kinder einer der angesehensten Solinger Familien die Vorderklaue eines Maulwurfs in ein leinenes Säckchen genäht auf der Brust getragen haben, um das Zahnen zu erleichtern."
[Wbg., MBGV 9/1898 S. 190]



Linke Hand
des Maulwurfs

Immerhin schwören noch heute manche Mütter zum gleichen Zweck auf Bernsteinketten. Schaden kann wohl das eine so wenig wie das andere.

Wichtig war früher auch der Schutz vor bösen Zaubermächten, denen neu geborene Kinder besonders ausgeliefert waren. Die Furcht vor Hexerei war bis ins 18. Jh. weit verbreitet. Glücklicherweise gab es Gegenmittel.

  Einige vorbeugende Tricks zum Schutz des Kindes



Quellen:
  • v. Hauer (1832)
  • Rosenthal: Solinger Sittenbilder aus alter Zeit. In: Die Heimat 6/1963
  • Schmidt, in: Schmidthäussler (1922) S. 140-145
  • Spiritus (1823) / Stremmel (1991)
  • Weyersberg, MGBV 9/1898, S. 190
  • Webseite: "http://www.kinder-stadt.de/ am 12.02.2006

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