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Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688-1740) |
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Solinger Klingenhandwerker trugen wesentlich zum Entstehen der später bedeutenden Industrie in Tula bei - wenn auch zunächst nicht freiwillig. Die Stadt Tula liegt ca. 200 km südlich von Moskau.
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Sie kannte die Vorliebe des Königs für "lange Kerls", und so bot sie ihm 100 großgewachsene "Flügelmänner" für seine Leibgarde zum Tausch gegen zwölf Klingenschmiede, einen Sensenschmied und einen Schleifer an. Der König konnte nicht widerstehen. Da sich jedoch kein Handwerker fand, der freiwillig die weite Reise ins unbekannte Tula antreten wollte, ließ der preußische König die gewünschten Handwerker zwangsweise nach Rußland deportieren. Das ging so: |
"Da die Arbeiter nicht durch Zureden zur Auswanderung zu bewegen waren, so ließ der König ihrer sechs in Spandau 'greifen' und sandte wegen der fehlenden 6 folgenden Befehl an den Oberstlieutnant von Herzberg vom Schliewitzschen Regimente:
Da es nicht gelang, die Handwerker (Fabrikanten genannt) zur Auswanderung zu überreden, so wurden sie mit Gewalt festgenommen und nach Rußland geschafft. Und als sie in Tula ihre Aufgabe zur Zufriedenheit erfüllt hatten, bekamen sie erneut die königlich-preußische Willkür zu spüren:
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In den Jahren ab etwa 1810 schickte der russische Zar Alexander I. Werber in das für seine hervorragende Klingenindustrie bekannte bergische Land. Sie sollten qualifizierte Facharbeiter für seine Rüstungsindustrie gewinnen, die angesichts der Bedrohung durch Napoleon I. auf Hochtouren lief und vervollkommnet werden sollte.
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Peter Daniel Koeller Bürgermeister in Merscheid (1811-1837) |
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Karl Reichsfreiherr vom Stein (1757-1831), dt. Staatsmann und Diplomat, Reorganisator Preußens nach 1806, 1812 politischer Berater des Zaren in Rußland |
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Alexander I. Pawlowitsch (1777-1825), Kaiser von Rußland, reg. seit 1801 |
Die bergischen Gemeindebehörden versuchten, die Auswanderung der Angeworbenen zu verhindern, so der Merscheider Bürgermeister Koeller. Sie hatten triftige Gründe, fürchteten die Konkurrenz der Länder, die bisher ihre Kunden waren; außerdem verloren sie durch die Auswanderung nicht nur Facharbeiter, sondern auch Militärdienstpflichtige.
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Über die Solinger Russland-Auswanderer von 1814 liegen einige aufschlussreiche Berichte und Artikel vor, verschiedene Namenslisten, ein Auswanderungskontrakt und sogar einige Indizien dafür, dass es den Auswanderern im russischen Zarenreich gut ergangen ist und sie zu Wohlstand gekommen sind.
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Von Solingen über Lübeck und St. Petersburg bis Slatoust im Ural |
1938 erschien der folgende Artikel von L. Busch über die beabsichtigte Auswanderung der Solinger. In der Liste der Auswanderungswilligen befinden sich außer den Klingenarbeitern und Angehörigen verwandter Berufe bezeichnenderweise auch ein "Chirurgus" und ein Schullehrer. Einige der Angeworbenen, deren Fachwissen und Erfahrung geschätzt wurden, waren bereits über fünfzig Jahre alt, als sie sich entschlossen, mit ihren Familien in Russland einen neuen Anfang zu wagen. |
Solinger Tageblatt vom 9. August 1938
Solinger wollen nach Rußland auswandern.Ein Beitrag zur Geschichte der bergischen Auswanderung im 19. Jahrhundert.Von Dr. L. Busch, Berlin.
"Bei meinen Studien zur Erforschung der bergischen Militärgeschichte im geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem stieß ich zufällig auch auf enige Akten, deren Auswertung einen willkommenen Beitrag zur Geschichte der bergischen Auswanderung im 19. Jahrhundert, aber auch zur Solinger Lokalgeschichte bieten dürfte.
Jedoch die Ende 1813 erfolgende Befreiung des Bergischen Landes von der französischen Fremdherrschaft durch die nach der Leipziger Völkerschlacht siegreich vorrückenden preußischen und russischen Truppen und die damit erfolgende Besetzung und Verwaltung des Landes im Namen der verbündeten Regierungen mußten nicht nur die weitere Werbetätigkeit Eversmanns durchkreuzen, sondern überhaupt auch die Auswanderung der bereits Angeworbenen in Frage stellen.
Der Nachfolger Gruners auf dem bergischen Gouverneursposten, Prinz von Solms-Lich, teilte an sich diesen Standpunkt der bergischen Behörden, andererseits aber wurde er von Bergrat Eversmann mit immer ernsteren Vorstellungen bestürmt, den von ihm angeworbenen Leuten die Auswanderungserlaubnis zu geben. So war er in einer etwas peinlichen Lage. Da er sich nicht für ermächtigt hielt, eine selbständige Entscheidung zu treffen, wandte er sich am 13. März 1814 mit einem ausführlichen Schreiben an den Freiherrn vom Stein, in dessen Händen die Oberleitung aller besetzten Gebiete lag, und bat diesen um nähere Verwaltungsmaßregeln.
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Name Weyersberg, Peter Abr. Keimer, Johann Peter Bick, Benjamin Birkendahl, Johann Wilhelm Grah, Johann Gottfried Grah, Daniel Ohliger, Johann Abraham Wolfertz, Daniel Luhn, Johann Franz Ohliger, Daniel Hartkopf, Abraham Klein, Johann Gottfried Ströter, David Rosenkaimer, P. Abraham Lauterjung, Samuel Ohliger, Samuel Henkels, Daniel Pörter, Wilhelm Linder, Peter Gottfried Melchior, Johann Wilhelm Halbach, Johann Peter Hoppe, Daniel Kirchhoff, Friedrich Wilh. Kipper, Casper Dietrich Schmitz, Carl Höfer, Johann Peter Berger, Jakob Weyersberg, Friedrich Wilh. Schneider, Johann Wolfhaus, Peter Eckstein, Sebastian Hölz, Franz Killing, Peter Johann Hommes, Wilhelm Bertram, Johann Peter |
Alt.J. 40 53 50 37 33 40 40 40 47 38 48 37 49 20 20 40 22 44 36 49 31 30 28 30 ? 44 36 22 30 33 55 40 23 51 50 |
Familien- stand vh. 3 Kind. vh. 6 " vh. 4 " vh. 4 " vh. 5 " vh. 5 " vh. 4 " vh. 6 " vh. 2 " vh. 4 " vh. 4 " vh. 3 " vh. 5 " - - - - vh. 5 Kind. - - vh. 4 Kind. vh. 4 " - - vh. 4 Kind. - - - - - - - - vh. 4 Kind. vh. 3 Kind. - - vh. 1 Kind vh. 3 " vh. 8 " vh. 4 " - - vh. 3 Kind. - - |
Heimat Solingen Merscheid Wald Höhscheid Höhscheid Höhscheid Dorp Solingen Remscheid Solingen Solingen Höhscheid Höhscheid Wald Wald Dorp Höhscheid Dorp Höhscheid Solingen Remscheid Dorp Solingen Merscheid Remscheid Merscheid Merscheid Solingen Dorp Dorp Wermelsk. Dabringhs. Höhscheid Kronenberg Remscheid |
Beruf Kl.-Schmied Stahlarbeit. Federm.-Schm. Scherenmach. Schleifer Schleifer Schwertschm. Schwertschm. Schwertschm. Reider Vergolder H.-Schmiedm. Schleifer Federm.-Arb. Schwertschm. Schwertschm. Schleifer Schwertfeger Schleifer Setzer [richtig: Ätzer] Scheidenm. Härter Feilenhauer Vergolder Schmelzer Feilenhauer Messerreider Schwert-Arb. Gabelmacher Chirurgus Schullehrer Scherenmach. Sägenschmied Hammerschmied |
Bemerk. wohl zu entb. muß im Land bl. g. Arb. sehr g. Arbeit. sehr gut. Arbeit. nicht zu entbehr. g. Arb. ? g. Arb. g. Arb. 1 Sohn i. Musik. wohl zu entbehr. wohl zu entbehr. |
Ob sich die der Namensliste angefügten Bemerkungen nur auf einen oder auf mehrere Personen beziehen, geht aus der Aufstellung nicht klar hervor. Sie sind hier so wiedergegeben wie im Solinger Tageblatt abgedruckt.
Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß es sich bei den russischen Auswanderern damals um 35 Familien mit 152 Personen handelte. Die größte Zahl von ihnen stammte aus dem Solinger Industriebezirk. Außer den in der Liste Aufgeführten scheinen sich aber noch weitere Bewohner der genannten Städte mit dem Gedanken getragen zu haben, nach Rußland auszuwandern.
Der zusammenfassende Bericht des Elberfelder Kreisdirektors unterstreicht noch einmal diesen Hinweis des Merscheider Bürgermeisters. Ihm wäre es am liebsten, wenn die ganze Auswanderung einfach verboten würde, da sie ein Unglück für die gesamte bergische Waffenindustrie sein werde.
Hier und da hätten die Angeworbenen auch schon von sich aus den Wunsch geäußert, von der eingegangenen Verpflichtung entbunden zu sein, aber sie fürchteten, Zwang zu erfahren, und deswegen wollten sie nicht recht mit der Sprache heraus. Dann glaubt der Kreisdirektor zum Schluß besonders darauf aufmerksam machen zu müssen, daß sich das Eversmann'sche Unternmehmen nicht in Einklang mit der eingeführten allgemeinen Dienstpflicht bringen lasse.
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Wenn auch die Ausreise von Peter Keimer (Kaymer) verboten wurde, gereist ist er doch und machte in Slatoust sogar Karriere. Julius Günther berichtete im Solinger Tageblatt vom 1. März 1940, "daß im Anfang des 19. Jahrhunderts zu Garzenhaus ein einfacher Fabrikarbeiter namens Peter Kaymer wohnte, der sich durch seinen Fleiß große Kenntnisse in den schwierigsten Wissenschaften, z.B. der Mathematik, erworben hatte, Sprachkenntnisse besaß, sogar den Homer im Griechischen las und auch als geschickter Optiker berühmt war. 1814 folgte er einem Rufe der russischen Regierung nach Sladus in Rußland, wo ihm die Leitung der daselbst eingerichteten Stahlfabriken übertragen wurde. (Nach Porschke und Hölterhoff, Vaterlandskunde.)"
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Namensliste der engagierten "Individuen"Im Solinger Stadtarchiv befindet sich eine (maschinenschriftliche) Liste der im April 1814 engagierten Personen, auf die sich auch Albert Weyersberg in seinem Aufsatz (1930) bezieht. Wer sie getippt hat, ist nicht ersichtlich. Der Begriff "Individuen", heute von etwas zweifelhaftem Klang, wurde damals - wie auch "Subjekte" - wertneutral verwendet. |
"Verzeichnis der von dem Herrn Bergrat Eversmann, dem alten Königsrat zum Savordendienst Sr. Russischen Kaiserl. Majestät engagierten Individuen aus der Gemeinde Solingen
1.) Abraham Hartkopf, Vergolder, 49 Jahre, Ehefrau 42 Jahre 4 Kinder (2 Knaben u. 2 Mädchen) im Alter von 1/2, 12, 14 u. 15 Jahren) 2.) Daniel Wolfertz, Klingenarbeiter, 39 Jahre, Ehefrau 40 Jahre, 6 Kinder (3 Knaben, 3 Mädchen) im Alter von 1/2 bis 17 Jahren. 3.) Daniel Ohliger, Messerhefte- oder Griffmacher, 36 Jahre, Ehefrau 32 Jahre, 4 Kinder (2 Knaben, 2 Mädchen) im Alter von 1 bis 8 Jahren. 4.) Pet. Weyersberg, Messermacher, 41 Jahre, Ehefrau 30 Jahre, (2 Knaben, 1 Mädchen) im Alter von 3 - 5 Jahren) 5.) Wm. Melchior, Ätzer, 49 Jahre, 6.) Friedr. Kirchhof, Härter, 27 ", 7.) Fr. Wm. Weyersberg, Messermacher, 22 Jahre.[...] Das Verzeichnis wurde im April 1814 aufgestellt. Quelle: Kelleter-Sammlung: LPA 8, Blatt 176. In den späteren Jahren müssen noch mehr Solinger der Auswanderung nach Rußland gefolgt sein, denn Alb. Weyersberg schreibt darüber in seiner Abhandlung »Solinger Klingen- und Messerhandwerker in Rußland, zunächst Slatoust« in der Heimat 1930, Seite 13 u. 14. Weyersberg gibt viele Namen an, u.a. auch einen Hepp (leider ohne Vornamen) - 1832 -. Dr. Leo Busch schreibt in seiner Arbeit "Die Auswanderung nach Rußland im Solinger Industriegebiet während des 2. Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts" (Zeitschrift des BGV. 1939, 67. Band, Seite 66 ff) u.a., daß es dem Bergrat Eversmann gelang, 35 Familien mit insgesamt 152 Personen aus dem Solinger Industriegebiet zur Auswanderung nach Rußland zu bewegen. - Busch benennt in seiner Arbeit einen unverheirateten, 28jährigen Daniel Heppe, Messermacher aus der Gemeinde Dorp. Ob dieser Daniel Heppe derselbe Mann ist, der von Weyersberg mit dem Namen Hepp angegeben ist, läßt sich leider nicht feststellen." [Stadtarchiv Solingen, FA 1/36] |
Was die Solinger in Slatoust an Einkommen und Sozialleistungen zu erwarten hatten und was man umgekehrt von ihnen erwartete, geht aus einem Vertrag hervor, der am 1. Januar 1814 in Lennep unterzeichnet wurde. Erwartet wurde von den Meistern vor allem, dass sie ihr Fachwissen an die einheimischen Arbeitskräfte weitergaben und diese ebenfalls zu Meistern ihres Fachs machten.
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Die Heimat, Jg. 15, Nr. 7, 13. Mai 1939
Ein Solinger Auswanderungskontrakt aus dem Jahre 1814. Ein wichtiger Fund zur Geschichte der Solinger Auswanderung nach Rußland. Von Dr. L. Busch, Berlin.
"[...] Es handelt sich um einen Kontrakt, den mehrere der auswanderungslustigen Solinger ... am 1. Januar 1814 in Lennep mit dem russischen Auswanderungskommissar Alexander Eversmann abgeschlossen haben. Der Wert dieses Schriftstücks beruht darin, daß es uns weitere Aufschlüsse über die damalige russische Werbung im Solinger Industrie-Gebiet vermittelt und uns auch einen recht interessanten Einblick in den Aufgabenbereich und den Verwendungszweck der Solinger Auswanderer ins russische Reich ermöglicht.
Soweit der eigentliche Vertrag. Auf Grund von Beobachtungen und Erfahrungen, welche die beiden Solinger aber bei Auswanderern gemacht hatten, die bereits vor ihnen sich nach Rußland auf den Weg gemacht hatten, hielten sie es für richtig, die Rede auf folgende Punkte zu bringen und um entsprechende Regelung zu bitten.
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Weiter: Auswanderung nach Slatoust |
Quellen:
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