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Verlegung - Munitionsstollenbau
Velosnes, Vigneulles-Wald, Varnevill, St. Mihiel

Da, am 20. Februar 1917, kommt Befehl: Alles zur Kompagnie zurück, die Kompagnie wird verlegt; unsere Ablösung waren 20er aus der Flabasschlucht. Da die Folgezeit wechselvoller, werde ich mich mehr als bisher an die Eintragungen mit Tag und Datum halten.

Wir fuhren, da gerade Gelegenheit, mit dem Bähnchen bis "Köhlersdorf," auch "Molde-Ville-Ferme" genannt. Dieses Gut, das ich schon einmal erwähnte, lag am Bergabhang fast im Tale, rechts der Straße, die von Consenvoye über den Höhenrücken nach Etraye geht. (Etwas vorher, links von der Straße in dem großen Wald lag auch der Kronprinzenstand.) Die Tochter dieses Gutes soll 1914 als Spionin erschossen worden sein, da sie durch ein geheimes Telefon mit den Franzosen die auf wie neben dem Gut liegenden Deutschen oft in Gefahr und Not gebracht hatte.

Ich bin öfter über dieses Gut gegangen, als den kürzeren Weg zu unserem jetzt verlassenen Standort, von der Kompagnie kommend, fand und sah dann auch dort die vielen Kreuze und Gräber im Garten.

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Noch etwas weiter im Tale, kurz vor dem sogenannten "Jägerbusch", war der Fesselballon, bei dem auch ein Kommando von unserer Kompagnie Dienst hatte.

Da die ganze Kompagnie, d.h. alle Kommandos zusammengezogen waren, lagen wir wie Heringe im Fass, es war kein Platz mehr! Was uns nun noch an Läusen und Flöhen fehlte, bekamen wir hier dazu.

Am 21. Febr. 1917 wurden wir wieder in Korporalschaften eingeteilt, hatten Appelle und Exerzieren, auch an dem folgenden Tag.

Am 23. Febr. morgens um 7 Uhr hieß es antreten zum Essenempfang in Köhlersdorf, später durch die Wälder nach Velosnes, wo wir um 5 Uhr nachmittags verladen wurden.

Am 24. Febr. morgens 4 Uhr kamen wir im Vigneulles-Wald an und marschierten über Heudicourt in ein eine Stunde entfernt liegendes Waldlager ein. Am anderen Tag hatten wir Ruhe.

Am 26. Febr. - morgens 7 ½ Uhr Abmarsch nach Varneville-Apremont in der südlichen Einbeulung des Wetterbogens [?] von St. Mihiel, Ankunft nachmittags 2 ½ Uhr. Zu unserer Unterkunft auf dem kilometerlangen tunnelisierten Bergrücken führte eine breite Treppe von vielen hundert Stufen. Ein langsam sich hinwindender Weg führte auch hinauf.

In einigen dieser Stollen fanden wir Unterkunft. Die Stollen waren sehr schön eingerichtet, ziemlich trocken, tief, mit elektrischem Licht, hatten schöne Ausgänge, kurz gesagt: tadellose Unterstände. Die Stellung war sehr ruhig gegen Verdun, nur ab und zu mal etwas Störungsfeuer. Der ganze lange Höhenrücken war bewaldet. Die Infanterie-Stellungen waren nur einige hundert Meter auseinander, ein sächsisches Landwehr-Infanterie-Regiment lag dort.

27. Febr. bis 3. März  Batterie- und Munitionsstollenbau. Abends Alarmbereitschaft. Ein schönes Kirchlein und Friedhof waren dort.

Am 5. März mittags 1 Uhr Abmarsch von Varneville über Woinville, Buxerulles, Buxières, Heudicourt, Vigneulles nach Vigneulles-Wald. Dort abends 8 ¾ Uhr Abfahrt in den kalten überfüllten Viehwagen. Nach längerer Zeit bekamen wir Post.

Am 6. März morgens 5 Uhr Verpflegung in Sedan, dann weiter über Reims nach Coucy-lès-Eppes (vor Laon), Ankunft 4 Uhr nachmittags. Auf einer Wiese in Regen und Schnee bis abends 8 ¾ Uhr gelagert, dann Abmarsch über Festieux, Festieux-Berg nach Arrancy. Gegen 11 ¼ Uhr waren wir dort, suchten und fanden zu acht bis zehn Mann, darunter auch Ernst und Richard Kolk, eine alte Scheune. Oben unter dem Dach fanden wir noch ein wenig Heu und krochen mit unseren Sachen hinauf.

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Munitionsdienst - Festieux

Es war kalt, wir waren nass, und als wir morgens unsere Augen öffneten, waren wir alle weiß von Schnee. Das Dach war undicht. Vor Übermüdung hatten wir nichts davon gemerkt!

Am 7. März abends 7 Uhr war ich mit oben Genannten auf Wache auf Festieux Berg, wo ein Lager gefangener Belgier war.

Am 8. März abends 7 Uhr kamen wir von der Wache zurück. Die Scheune war von Feldartillerie belegt, doch fanden wir noch einen leeren Pferdestall, an dem die Fenster allerdings ausgebrochen waren. Richard sorgte für einige Bunde Stroh, hängte seinen Mantel ins Fensterloch, und dafür deckten wir ihn mit zu. Das Dorf war kurz vorher geräumt worden.

Am 9. März morgens 8 ½ Uhr Rückmarsch nach Festieux. Wir wurden mit 40 Mann auf einem Dachboden untergebracht. Die wenigen Einwohner, die noch dort sind, müssen auch noch das Städtchen verlassen. Von Bespannungen aller Formationen werden sie rückwärts gefahren, trauriger Anblick! Alte Leute, Frauen und Kinder, jeder hat ein Paket mit nötigen Sachen, fast alle weinen. Beim Einmarsch traf ich Hermann Dornhaus aus Schnittert bei Ohligs, der bei einem Fesselballon dort war, er hat mich später aufgesucht.

Am 10. März - Munitionsdienst aller Art an einer größeren Höhle (Stollen) bei La Maison Rouge und St. Croix. Abends 6 Uhr von dort zurück, mussten unsere 10 Mann und ein Unteroffizier nach Coucy lès Eppes. Da das ganze Dorf stark belegt war, fanden wir noch Unterkunft auf dem Steinflur eines Hauses, immer noch besser als draußen. Unser Dienst war von morgens bis abends Munition verladen. Sehr gefahrvoll, da ständig Fliegerbesuch; Ernst und Richard waren auch dabei.

Am 12. März ging es zurück nach Festieux; habe dann Hermann Dornhaus und die gute Kantine aufgesucht.

Am 13. März - morgens 4½ Uhr Alarm, um 5½ Uhr stand die ganze Kompagnie fertig zum Abrücken. Gegen 6½ Uhr zurück in die Quartiere, um 7½ Uhr einteilen zu diversen Diensten.

Am 14. März werden wir einem Sägewerk modernster Einrichtung im Walde bei Festieux-Berg zugeteilt; je nach Zivilberuf wurde die Zuweisung gehandhabt. Dienst hatten wir von 8 bis 12 und von 2 bis 6 Uhr. Ich musste die geschnittenen Bretter, Bohlen, Pfosten usw. genau notieren, den evtl. direkten Abgang vom Werk an ein Regiment oder Batterie auf der Schreibstube angeben, denn ohne vorherige Anmeldung konnte nichts abgegeben werden.

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Die Nachfrage überstieg stets das Angebot. Dann musste ich die gefangenen Franzosen und Belgier, die dort beschäftigt waren, mit beaufsichtigen. Der Betrieb war elektrisch und von Fachleuten technisch geleitet. Das Holz wurde im Walde gefällt und mit vielen Gespannen zum Sägewerk über einen Bohlenweg geschleppt. Hier hätte ich gerne den Krieg beendet. Viele Füchse wurden hier gefangen, es war ja noch Winter, Schnee lag und es war sehr kalt.

Am 19. März - nachmittags Alarm. Um 4 Uhr Befehl: Die Kompagnie hat am 20. März morgens 6 Uhr marschbereit zu stehen.

Batterie-/Stollenbau - Chamouille, Neuville, Colligis, Pancy

20. März 1917 - Schneegestöber und Regen. Wir stehen und warten und warten und stehen, bis endlich gegen 12 Uhr der Abmarschbefehl kommt. Es geht über Vaurville [?], Bièvres, Chavailles nach Chamouille. Ankunft dort um 4 Uhr. Es war ein verlassenes Dorf, Quartier bezogen wir in einer Schule.

21. März - Batteriebau an der Siegfried-Stellung bei Neuville. Wir mussten umziehen in Haus No. 9. Kleine Scheibengardinen sind noch an den Fenstern, auch stehen noch einige Möbel da, von uns bleibt alles, wie es war und ist. Eine schöne nummerierte Steinsammlung sowie Kinderspielsachen sind auf dem Speicher.

22. März - Andere Einteilung; meistens mussten wir in Stellung, Ernst, Richard, ich und andere zum Stollenbau bei dem Dorfe Colligis.

Hier wurden verschiedene Naturhöhlen von größerem Ausmaß zu einem Divisionsbefehlsstand für eine zu erwartende Offensive eingerichtet, woran schon viele Kommandos von vielen Regimentern mit Hochdruck arbeiteten. Zerschossene Häuser gaben noch brauchbares Holz für die Inneneinrichtung ab. In dem etwas zerschossenen Schloss fand ich unter anderen herumliegenden Büchern auch den Klavierauszug von Karl Maria von Weber: "Der Freischütz", auch noch andere Sachen, die ich als Andenken und vor weiterem Untergang bewahrend nach Hause besorgte.



[Das Chateau de Pancy bei Colligis wurde während der schweren Kämpfe 1917-1918 vollständig zerstört und 1925, einen Kilometer entfernt, wieder aufgebaut.]

Auf dem Wege dorthin kamen wir auch durch das Dorf Pancy. Die besagten Höhlen lagen bei einem großen Steinbruch am Berge rechts von Colligis, an dem Wege, der von hier über die Höhe auf Fort "Montberault" zu führt und auf die Straße mündet, die von Cerny - Chamouille - Laon geht. Hinter dem Steinbruch auf schöner Höhe war ein großes Steindenkmal unserer 13. Reserve-Division und des 18. französischen Armeekorps als Andenken an die Gefallenen von 1914. Ein Wahrzeichen des schon Gewesenen, --- und was kommt noch?! ---

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Ein anderes Wahrzeichen waren die großen Militärfriedhöfe, wo Freund und Feind damals zusammen gebettet lagen und dem großen Auferstehungsmorgen entgegen schlummern.

Die Stellungen waren gegen Verdun ruhig. Munitions-Kolonnen fuhren bei helllichtem Tage in Stellung, was wir noch nie gesehen hatten. Die Dörfer Chamouille, Pancy, Colligis und weitere lagen in einem schönen breiten Tale, anscheinend eine fruchtbare Gegend. Rechts von Pancy auf dem Bergrand stand ein hohes, weithin sichtbares Kreuz. Es wurde gesagt, dass dort auch ein katholischer Passionsweg sei. Ob dem so war weiß ich nicht, für mich aber stets ein Fingerzeig nach oben, ebenso die vielen Heilandbilder, die an den Wegen standen.

Unserem Standort gegenüber auf lang ansteigendem Berge lag das total zerschossene Dorf Cerny [Cerny-en-Laonnois], dabei die oft erwähnte Zuckerfabrik, wovon aber sozusagen nichts mehr vorhanden war. Als ich einmal mit Franz Schröder aus Solingen dort war, fand ich auf dem Friedhof neben der zerschossenen Kirche auch Gräber von "Franz Hochkeppel" und "Graf", diese mussten wohl aus Haan sein.

24. März 1917 - starker Frost. Jetzt Feldpost 375.

25. März - Sonntag. Vormittags Dienst, wie immer. Am Negerdorf, rechts der Straße auf Cerny zu, werden von uns auch Batteriestellungen wie Unterstände gebaut. Nachmittags 3 Uhr in der katholischen Kirche in Pancy evangelischer Gottesdienst mit Austeilung des heiligen Abendmahls. Dies war der zweite Gottesdienst, den ich hören konnte. Divisionspfarrer Müller sprach sehr ernst und eingehend über Joh. 18.38 "Was ist Wahrheit?" - Das Kirchlein war überfüllt, meist von in Stellung gehender Infanterie. Am Abendmahl nahmen wenige teil, auch von uns. Die Katholischen hatten öfter Gottesdienst als wir Evangelischen.

Während des Gottesdienstes wurde das Dorf in überraschender Weise ziemlich beschossen, so dass es etwas Unruhe gab. Auf dem Rückweg mussten wir uns durch den Bergwald schleichen, da die Franzosen die ganze Gegend stark abstreuten.

4. April - Mit kleinen Verschiebungen hin und her blieb der Dienst fast immer derselbe. Durch eine starke Detonation, die ihren Ausgangspunkt in Cerny hatte, gehen alle Fensterscheiben entzwei.

5. April - Überall sind die Arbeiten gut voran gegangen, und weil nicht mehr so ruhig, steht alles in gewisser Erwartung, was kommen wird. Noch herumlaufende Katzen werden von einigen Kameraden eingefangen und später gebraten. Dann haben die und auch wir keinen Hunger mehr, sagen sie.

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Ein großer offener Herd auf dem Flur (Küche) gab Gelegenheit hierzu. Überall waren nur Steinfußböden. Auf dem Speicher lagen versteckt auch viele Bücher. Ob ein Lehrer da gewohnt hat? Nur fand man nirgends Aborte. Im Zimmer stand auch ein großer Spiegel, in dem wir uns selbst einmal bewundern konnten. An der Wand hing ein Kruzifix, das Kreuz wunderschön aus allerhand Holz zusammengesetzt. Darunter war ein feines Brettchen, worauf ein seidenes Deckchen lag, und darauf stand eine Schale mit Weihwasser.

Ich sagte zum katholischen Kameraden Heinrich Pfeiffer aus Fischbach a.d. Nahe, er solle zum Andenken das schöne Kruzifix mitnehmen, da es anscheinend doch bald unter den Trümmern liegen würde. Er wollte das aber aus religiösen Gründen nicht. Als Andenken habe ich mir dann das Deckchen und ein Salzfässchen aus Glas, Entenfigur, mitgenommen. Einige Tage später wurden wir tatsächlich ausgeräuchert, und das Dörfchen war nur noch ein einziger Trümmerhaufen.

Den ganzen Tag stärkeres Feuer. Besuchten Cerny bis an die Drahtverhaue und Umgebung, da M. Schröder das Grab eines Bekannten suchte. Da das beiderseitige Feuer stärker wurde, wir auch vergeblich gesucht, gingen wir am bekannten Negerdorf vorbei zurück.



6. April 1917 - Charfreitag. Welch ein stiller Gedenktag! Und hier den ganzen Tag starkes Feuer, welches gegen Abend zum Trommelfeuer auswächst. Als wir vom Dienst kommen, müssen wir uns durch unsere feuernden Batterien einzeln in unser Dorf schleichen. Am Dorfrand, die anderen hatten an dem Tag dort Wache, wo die Straßen Cerny - Laon und Pancy - Chavailles sich kreuzen, war die Wache schon hin, alles zerschossen. Munitions-Kolonnen, die die Straße von Laon herunter kamen und fast am Dorf waren, wurden vollständig vernichtet.

Das Blut der vielen Menschen und Tiere kam bis zum Dorf. Alle Zufuhrstraßen lagen unter schwerstem Feuer. Dies war heute der Auftakt zu der geahnten "Aisne-Offensive". Wie schon erwähnt, wunderten wir uns stets über die frühe Einfuhr der Munitions-Kolonnen; bei Verdun nur bei dunstigem, nebligem Wetter, sonst ausgeschlossen.

Ein anscheinend aus dem Urlaub kommender Infanterist wollte zu seinem Truppenteil, ging durch unser Dorf auf die Straße nach Cerny zu. Wir sahen, wie eine Granate vor ihm einsetzte und er tot hinfiel. Einer von uns (aus der P***) , der bei uns nicht im besten Ansehen stand, auch nicht lesen noch schreiben konnte, lief und wollte diesen armen Menschen untersuchen, doch, da wir dessen Vorhaben sofort erkannten, wurde nichts daraus. Eine Kolonne nahm ihn später mit zurück.

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In der Nacht wurde unser Dorf derart befunkt, dass wir in den Kellern Schutz suchen mussten, d.h. die nicht gerade draußen waren.

Munitionsdepot Montberault - Schloss Cellier

7. April 1917 - Charsamstag. Frühmorgens Alarm. Während einer Feuerpause verlassen wir das Dorf Chamouille und gehen gegen 7 Uhr im Nebelregen über Monthenault, Montberault in ein Waldlager in einer Schlucht auf Laon zu. - Montberault war ein französisches Fort von Laon und diente dazumal als Feldrekrutendepot und Munitionslager aller Art. Nachmittags wieder überall Dienst, auch vorne in den Stallungen. Regen.

8. April - Ostern. Die ganze Nacht und den ganzen Tag starkes Feuer auf beiden Seiten, auch unser Waldlager wird ausgiebig bedacht. Dienstfrei. -- Ruhelos. --

9. April - Vormittags Dienst am Befehlsstand und in den Stellungen, nachmittags Alarmbereitschaft.

10. April - Einteilung in verschiedene Kommandos. Abends 7 Uhr abrücken. Unteroffizier Vogt (Düsseldorf) kommt mit 14 Mann, darunter auch ich (Ernst und Richard nicht) als Verstärkung zu einer bayerischen Fußartillerie-Abteilung auf Schloss Celliers, die u.a. auch das Munitionsdepot Montberault, welches z.T. auch in dem Schlosswald an der Straße Montberault - Parfondru hin und her untergebracht war, zu betreuen hatte. Dort wurde uns der große nasse und kalte Stollen (leerer Weinkeller) als Unterkunft angewiesen.

Aus dem hohen Bruchsteingewölbe tropfte es stets auf uns. Ein schmaler Gang führte hinein, und durch eine Rinne floss stets Wasser nach außen. Ein schmaler Luftschacht kam in den Anlagen heraus. Weil die Erde so nass war, suchten wir uns allerhand Holz, worauf wir uns und unsere Sachen legten. Da es auch bei Tage stockfinster in dem Stollen war, mussten wir uns mit Kerzen zurechthelfen. Bombensicher geschützt waren wir, denn der Stollen sollte 14 Meter Deckung haben.

Auch kam eine Sanitätskompagnie ins Schloss und Wirtschaftsgebäude. Diese brachten bald jede Nacht bis zum Morgen mit anderen die Schwerverwundeten auf Tragbahren zu uns in den Stollen und andere Unterkunftsräume. Manche waren beim Absetzen schon tot. Dann gab es ein Stöhnen und Jammern, ein Sterben so qualvoll, welches nur der versteht, der mit in dem Schlamassel gewesen ist. In jeder Nacht dasselbe traurige Bild. Hier war die erste Verbandsstation, d.h. soweit nicht schon in Stellung verbunden worden war. Marschfähige kamen nicht hierhin, diese mussten weiter zurück. Soweit man nicht Nachtdienst hatte, war es fast unmöglich, bei solchem Elend in einer anderen Ecke den nötigen Schlaf zu finden.

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Das Röcheln der Sterbenden, das Bitten um Wasser, was nicht immer gereicht werden durfte, nötigte oft Manchen hinaus zu gehen. Kam man gegen Morgen vom Dienst, blieb man möglichst so lange draußen, bis einigermaßen Ruhe war. Die Ärzte mit den Sanitätern hatten die Hände voll zu tun. Nach den ersten Verbänden wurden sie dann mit Fuhrwerk oder Autokolonnen in die Feldlazarette gebracht. Auch die Toten wurden in Zeltbahnen mitgenommen.

11. April 1917 - Müde und steif sind wir alle von der Kälte und der Stollenluft. Das Kommando hatte angefangen, einen großen tiefen Unterstand zu bauen als Sicherheit in der Nähe der Munitionslager. Nun sollten wir weiter mithelfen, damit er rasch fertig wurde. Das starke Feuer seit dem 5. April übergeht auch unsere Umgebung nicht, und viele Einschläge in direkter Nähe machen das Arbeiten fast unmöglich. Fast keiner will noch über Tag arbeiten, denn die Granaten zischen ganz kurz über oder neben demselben her, um in nächster Nähe zu krepieren. Obschon Unteroffizier Vogt einen gerechten Wechsel hierin will, melde ich mich für stets oben, wusste ich mich doch in Gottes Hand.

12. April - Das Schloss steht auf einem hohen Bergabhang. Am Südabhang in einer Talmulde liegt das Dörfchen Courpierre. Heute steht auch dies unter schwerem Feuer, und gegen Abend ist es nur noch gewesen! Auch das Schloss wird gestreift. Die Verpflegung bei den Bayern ist soweit gut. Viel Dienst!

13. April - Im Tale am Bach liegt das Waschhaus des Schlosses. Dort reinigen wir, so gut es geht, unsere Wäsche noch mal. Seife oder dergleichen fehlt meist. Nachmittags Dienst, das Feuer wird schwächer.

14. April - Stollenbau, klares Wetter. Starkes Feuer. Der Schlossplatz, der als Verbandsplatz dient, wird trotz des Roten Kreuzes mit Granaten belegt. Der Chefarzt tot, zwei andere tödlich getroffen, bei Anbruch des Tages.

15. April - Munitionsdienst. Alle Straßen liegen unter starkem Feuer. Die Geschosse ziehen über uns hinweg nach Chérêt und Umgebung. Seit Mittag liegt auch das Schloss wie Fort Montberault unter Feuer schwerster Kaliber und Gas. Nachmittags kommt Befehl, von allen Formationen sollen gegen 6 Uhr abends Abteilungen in das Fort Montberault stürmen und die dort lagernde Munition heraus holen. Von uns sollen sieben Mann und der Unteroffizier Vogt dabei sein. Letzterer ließ uns antreten und bat um Freiwillige für den Gang.

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Da sich keiner meldete und mehrere darauf hinwiesen, dass dieses ein offensichtliches in den Tod Laufen wäre und diesen Gang verweigerten, meldete ich mich freiwillig. Unteroffizier Vogt wollte mich aber nicht, da ich der Älteste war und zudem Frau und vier Kinder hatte. Aber ich blieb dabei, sprach den anderen noch von Gottes Bewahrung, und auf mein Zureden meldete sich noch Robert S*** aus Gera (?). Darauf bestimmte Unteroffizier Vogt noch die fünf Jüngsten, und so waren wir zu acht Kameraden zusammen. Bei etwas ruhigerem Feuer ging es mit sprungauf, hinlegen usw. durch Gräben etc. dem Fort zu.

Als wir gegen 6 Uhr eintrafen, liefen gleichzeitig von allen Seiten Abteilungen aller Formationen heran, doch war es unmöglich ins Fort zu kommen, da alle Eingänge verschüttet waren. Ein höherer Offizier kommandierte dann "Alles zurück". Das Feuer setzte auch wieder stärker ein, als wir noch da standen, alles bebte von den schweren Einschlägen, doch langsam und gesund kamen wir wieder zurück. Lt. Tagebuch habe ich dem Herrn für diese besondere Bewahrung gedankt. - Psalm 116, 1-9.

16. April 1917 - Starkes Feuer bei unklarem Himmel. Seit dem 5. April bis heute mit wenigen Ausnahmen ununterbrochenes Trommelfeuer. Materialschlacht!

17. April - Nacht, Tag und Nacht - immer Dienst. An der Straße, in der Nähe unserer Munitionslager, ist bereits eine Batterie 15 cm. in Stellung gefahren. Unterkunft im Schloss. Seit einigen Tagen viel Fliegerbesuch. Ein motorisierter Flak tut sein Möglichstes auf der Straße im Schlosswald, ebenso sehen wir über uns die interessant traurigen Fliegerkämpfe. Hinter uns bei Chérêt sollen auch schwere Geschütze eingebaut worden sein.

Gegen Abend schießt sich unsere Batterie ein, wir sind zugeteilt. Hüben wie drüben ist es nur noch ein Aufblitzen wie donnern; Trommelfeuer! Es vergeht einem fast Hören und Sehen. Die Franzosen und Engländer haben uns erkannt, Einschlag folgt auf Einschlag; gilt es nur uns? Eine Hölle auf Erden, und wir mitten darin. Ein Munitionsschuppen geht durch Volltreffer in die Luft. Gut, dass wir gerade abseits bei den Geschützen waren; grässlich! Auch hier ein Treffer nach dem anderen. Viele sind schon erledigt, - wann du?

Um und über uns werden Bäume entkront, alles umgepflügt. Munitionsstapel neben den Geschützen gehen in die Luft. Es wird noch geschossen, aber nicht mehr von allen. Die ganze Straße wird belegt, auch Chérêt. In den frühen Morgenstunden (lt. Tagebuch nach Mitternacht) ist unsere Batterie erledigt! Aber Bäume fallen und Äste fliegen wie Streichhölzer. Wir liegen hinter Bäumen, einige sind schon fort in den Stollen, wir wollen ihnen nach.



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Jeder denkt an sein letztes Stündlein. Neben mir liegt der 28jährige Theatermensch Spijaltzky aus Berlin, dieser große Spötter weint und betet: Lieber Herrgott, bewahre mich doch nochmals, ich will auch jetzt ein anderes Leben führen, ein anderer Mensch werden, auch wieder zur Mutter gehen u.a. mehr. -

Auch Wilhelm Kunkel oder Runkel aus Frankfurt, ein aus der Kirche ausgetretener Freidenker, betet katholische Gebete. Dieser sonst so ruhige nette Mann, kein Spötter wie der andere, sieht sich im Augenblick am Tore der Ewigkeit und ringt um einen Durchblick, wie ich merke. Am anderen Tage sprach ich mit dem letzteren über Glauben, und er meinte, es gäbe doch ein höheres Wesen, das habe er vorige Nacht gefühlt. Spijaltzky hat in meiner Gegenwart später nie mehr gespottet. - In meiner ganzen Militärzeit hat mir nie einer Bemerkungen über die Bibel oder das Lesen christlicher Zeitschriften gemacht. - Lag das an der Zeit? -

* * *

Wir sind aus dem großen in zwei kleine Stollen umquartiert worden, die z.T. unter Wirtschaftsgebäuden am Waldabhang liegen; Eingang im Walde. Ein schmaler Fußweg führt an den Türen, die ein Loch für Licht und Luft haben, vorbei, weiter in den Wald. Jahrhunderte alte dicke Bäume und Sträucher stehen dort am Abhang bis dicht an unsere Türen. Wir verpflegen uns jetzt selbst, ein Ofen ist bald gefunden. Heinrich Pfeiffer, in Zivil Bäcker und Koch bezw. Wirt, ist unser Koch. Unteroffizier Vogt fährt in Urlaub, Bellinger löst ihn ab.

18. April 1917 - Die schreckliche Nacht ist vorbei, aber noch schweigt der Feind nicht. Der Tag bringt neue Aufgaben. Die Batterie ist erledigt, ja, vorläufig erledigt! Kein Toter oder Verwundeter liegt mehr da. Die Rohre weisen nach allen Richtungen. Die noch lagernde Munition wird gestapelt, die Einschläge hören noch nicht auf.

Der große in die Luft gegangene Munitionsschuppen hat, jedenfalls bis zum Feind hin sichtbar, schreckliche Folgen hinterlassen. Aus- und abgerissene sowie verbrannte Bäume und anderes zeichneten die Stelle des Gewesenen. Gut, dass die Schuppen alle ziemlich zerstreut auseinanderstanden, sonst wäre es nicht bei einem geblieben. Überhaupt ist es unverständlich, dass bei solchem Feuer und Einschlägen die anderen nicht getroffen wurden.

Wieder erhöhte Fliegertätigkeit. Motorisierte Flakgeschütze tauchen wieder auf. (Flak - heißt: Flieger-Abwehr-Kanone.) Die "Divisionswürste" (Fesselballons) sind beiderseits in großer Zahl aufgestiegen. Die Aisne-Offensive will noch nicht zu Ende gehen. Unsere Batterien vor, neben und hinter uns können auch noch nicht zur Ruhe kommen.



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Jede Nacht kommt Infanterie durch unseren Wald zur Stellung. Französischer Infanterie-Angriff wird durchgegeben, auf 40 Km breiter Front zwischen Reims und Soissons. Unsere Batterien rasen Trommelfeuer wie selten. - Geht die Welt unter, wird gesagt. - Der französische Angriff ist gescheitert, dürfen wir hören, unser Einsatz und Munitionsdienst hat mitgeholfen, wir haben uns eingesetzt bis zum Äußersten.

Das Schloss, als erster Verbandsplatz, wird sehr stark in Anspruch genommen. In einem 1 ½ Km südlich von uns gelegenen Walde wurde eine Verbandsbaracke trotz großer Rote Kreuz-Zeichen und Fahne zerschossen. - Krieg - !!! - - -

19. April 1917 - Mittelstarkes Feuer. Der Unterstandsbau ist schon länger eingestellt. Der Munitionsdienst wird nur noch von uns allein ausgeführt unter steter Lebensgefahr für alle.

20. April - Ruhigeres Feuer bei uns. Der Munitionsdienst drängt seit gestern.

21. April - Dienst wie immer, von uns lebhafteres Feuer. Erkundigungsgänge bei den Batterien sollen gemacht werden, Munitionsmangel? Unteroffizier S. hat mich diesbezüglich noch in guter Erinnerung von Verdun, und so war ich heute in und bei dem zerschossenen Dörfchen Courpierre am Fuße unseres Schlossberges. Eine Munitions-Kolonne war gestern gegen Abend darauf zugefahren; als mitten drin, konzentrierte sich das feindliche Feuer darauf und vernichtete sie in kurzer Zeit vollständig. Wir sahen es alle, von der Munitionskolonne war fast nichts mehr da. Menschen und Tiere waren von der Lebensbühne (wie's im Felde hieß) abgetreten. - Ersatz anfordern.

22. April - Nachtdienst. Die Fronten sind belebter. Fliegerkämpfe sind etwas Alltägliches.

23./24. April - Die Fronten sind besonders nachts und gegen Morgen sehr belebt.

25. April - Munition! Munition! Von Laon, Coucy-lès-Eppes u.a. wird Munition gebracht. Die Lager füllen sich, sind aber bald wieder leer. Bei Tage sind alle Straßen leer. Niemandsland! - Auf Reims zu heute stärkeres Feuer, welches zum Trommelfeuer auswächst.

26. bis 28. April - Dasselbe. Die Fronten werden etwas ruhiger. Bei Cerny in der Siegfriedstellung starke Infanterie-Grabenkämpfe. Die Stellungen sollen dreimal verloren und dreimal wieder zurück erobert worden sein, und etwas Geländegewinn. Ein großer schlanker Neger ist bei den vielen eingebrachten Verwundeten. Er sträubt sich, als er auf der Tragbahre in das Gebäude hineingebracht wird, doch leuchten seine Augen, als er verbunden wieder herauskommt und dann rückwärts geschafft wird. Er war Offizier.

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Wir sahen möglichst stets nach den eingebrachten Verwundeten, ob wohl ein Bekannter dabei war. Es tat mir stets leid, in den oft brechenden Augen noch Wünsche lesen zu können und doch nicht helfen zu können. Ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher waren viel da, doch habe ich wenig von ihrem Zuspruch gesehen. Im Tagebuch habe ich dazu mal vermerkt: "Diese bittenden Kameradenaugen".

29. April 1917 - Sehr schönes Wetter. Bei uns und zu uns wieder stärkere Artillerie-Tätigkeit. Gasmunitions-Abgabe! In der Nacht zum 30. April soll eine französisch-englische Bestürmung unserer Stellungen stattfinden, wird durchgegeben. Aus diesem Grunde setzte Punkt 12 Uhr ein deutscher Gas-Großangriff ein, wodurch diese im Keime erstickt wurde. Wie man später hörte, wäre dieser Gasangriff sehr wirksam gewesen.

30. April - Starkes Feuer. Nachts viele Bombenwürfe in unserer Nähe.

1. Mai - Frühmorgens wieder bekannter Erkundigungsgang wegen Munition bei erledigten bezw. verlassenen Batterien, die dann abends oder nachts dort abgeholt wird. Mein Weg (nicht Straße) ging über Martigny (d.h. Gegend) Monthenault, Colligis, Pancy, Chamouille, Courpierre. Als steter Naturfreund kannte ich mich schnell überall aus und war mir auch hier die Gegend schon längst ein bekanntes Bild. Jetzt, wo ich dies schreibe, tritt mir das alles nochmals vor mein inneres Auge und möchte heute dies alles nochmals gerne durchreisen.

Bei diesem Geländemarsch, es war inzwischen hell geworden, erhielt ich bei Colligis gut gemeinte Morgengrüße französischer Feldgeschosse, die mich auch nicht kalt ließen, sondern ich mich noch mehr beeilte im Niemandsland zu verschwinden. Wofür sollten die Franzosen auch ihre Munition unnütz verschwenden.

2. Mai - Das Bild wie vorher. Unsere Batterien auf und am Neuvillerkopf lagen unter schwerstem englisch-französischem Feuer. Bei Colligis besah ich mir den seinerzeit hergerichteten Divisions-Befehlsstand im Steinbruch. Ein Blick hinein, zerschossen, verlassen, keine Menschenseele in der Nähe, auch die bekannten Batterien in der Nähe haben gewechselt. Der Weg Montberault - Colligis ist mit vielen aufgedunsenen Pferden und Wagen bedeckt, keine Frühlingsluft. Das einmal früher erwähnte Kreuz bei Pancy stand noch unversehrt, trotz der vielen Geschützstellungen rundherum.

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3. Mai 1917 - Sehr starkes Feuer. Vor uns im Tale bei Courpierre - Chavailles etwa südwestlich des Schlosses haben sich 15-cm-schwere F.H. [Feldhaubitzen] eingebaut, die bereits das Feuer eröffnet haben. Unteroffizier B. und ich beobachten die Neulinge. Aber unsere Gegenüber gehen daran, denen da unten ihr Dasein streitig zu machen, ob's gelingt? -

4. Mai - Feuer wie gestern. Unteroffizier B. wollte mal mit mir frühmorgens einen (den üblichen) Erkundigungsgang machen, und zwar in umgekehrter Richtung. Also Doppel-Patrouille! Er kannte die Gegend noch nicht so gut, wollte sie aber kennen lernen. Der Bericht trug dann auch einen Namen mehr. - Als wir nun am Rande des Schlosswaldes auf den einige hundert Meter entfernt liegenden Steinbruch (westlich) zugehen wollten, der als Sammelplatz für in Stellung gehende Infanterie, weil auch durch Stollen und Lage Schutz gewährend, bekannt und fast immer belegt war, gewahrten wir direkt neben uns (es war noch nicht ganz hell) eine seit gestern erbaute Blinkerstation im Gehölz.

Was ist das? Nachsehen! Blinkgerät, - Militär, Nachrichtengerät. Durch eine elektrische (oder dergl.) Glühlampe, die vor einem Hohlspiegel angebracht ist, werden Morsezeichen gegeben. Die Reichweite des großen Blinkgeräts beträgt bei Tage etwa 25, bei Nacht etwa 75 Km. Pioniere bedienten diese und arbeiteten noch fleißig und emsig an Erweiterung. Wir blieben einen Augenblick stehen, besahen [das Gerät] und unterhielten uns etwas mit ihnen.

Währenddessen setzten auch schon Feldgeschützgranaten in die Kronen der Tannen neben und über uns ein; im gleichen Moment fast auch schon neben uns reichlich, auch vor und in den Blinker. Unteroffizier B. taumelte durch den Luftdruck (oder was es war) den Abhang etwas hinab. Ich sprang ihm nach, doch er war unversehrt und lief und rief: Zurück! Zurück!

Einer der Pioniere aber war schwer, andere anscheinend leichter verletzt, da sie noch zurückliefen. Einer der Blinker und ich hoben den Schwerverletzten auf, machten [den] Rock etc. auf und sahen, dass die Eingeweide sozusagen herauskamen. Ich lief dann zu der Pionier-Abteilung ins Schloss, damit der Kamerad mit Tragbahre geholt würde. Ging dann auch in unseren Unterstand zurück, wo Unteroffizier B. schon glaubte, ich sei auch geblieben. Das Feuer hält an.

5. Mai - Die Feuertätigkeit ist unvermindert. Morgens früh versuchen wir beide wieder den gestern gescheiterten Patrouillegang, doch umsonst, der Waldrand mit den noch gestern stehenden Bäumen und Sträuchern ist wegrasiert.



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Von der Blinkereinrichtung ist nicht das geringste mehr zu sehen, nur ein ins andere greifendes Granatloch. Ein Lauf bis zum Steinbruch ist unmöglich, wäre nur ein Todeslauf gewesen. Der Einschlägenebel und die auffliegende Erde waren das vor und um uns Liegende, also wieder zurück! Wer es mitgemacht hat, kennt diese Bilder, auch seine innere Stimmung dabei.

Ich will kein Kriegsbuch schreiben, sondern nur Erlebnisse andeuten.

Das Feuer konzentriert sich immer weiter auf unseren Abschnitt, und es wird mit schwersten Kalibern geschossen. Da die ganze Nacht - wie immer - Dienst, ist jetzt alles in den Unterständen. Die Front unserer Unterstände liegt zum Glück in feindlicher Schussrichtung. Von morgens 9½ bis nachmittags 3 Uhr hören wir nur ein Einschlagen. Die 1 bis 2 Meter von unserem Eingang entfernt stehenden dicken hohen Bäume werden wie Streichhölzer geknickt, fallen, streifen unsere Türen, doch alles geht unter in dem höllischen Getöse.

Es ist keine Stimmung unter uns. Jeder denkt an sein fast sicheres Ende. Eine schwere Granate an unsere Türen, und wir sind gewesen. Splitter und dergl. schlagen genug an, doch damit war meist ihre Durchschlagstätigkeit gebrochen. Wir sitzen in der denkbar geschützten Ecke. An Kochen und Essen denkt keiner, unsere Verpflegung war auch schon seit gestern überfällig, konnten nicht zu uns.

Ich hatte morgens früh meine Schlafdecke vor unserer Tür auf einen Strauch gehängt. Abends waren fast hundert Löcher darin von Granatsplittern und dergl. Diese wäre für uns alle ein Andenken jeder Art an den 5.5.1917 geworden. Hätte man da, und jeder nachher seine seelischen Gedanken nochmals lesen können. H. Pfeiffer weinte, sonst allgemeine Stille.

Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, als das Feuer etwas abgeflaut war, ersuchte ich unseren Koch Heinrich Pfeiffer aus Fischbach a.d. Nahe, Bäcker und Wirt in Zivil, doch noch etwas zu machen, doch er rührt sich nicht, auch die anderen wollen nichts. Ich gehe dann und hole im Waschhaus am Bach einige Kochgeschirre und frisches Trinkwasser. Das Schloss, die Wirtschaftsgebäude und die Scheune sind stark mitgenommen. Auch ist wieder ein Munitionsschuppen im Walde, wie am 17.4., in die Luft gegangen. Ob unsere Gegenüber von diesen Lagern wissen?

Uns gegenüber, Luftlinie 700 bis 800 Meter am Abhang des zerschossenen Dörfchens Courpierre, waren viele Geschütze seit einigen Tagen eingebaut und erwiderten das feindliche Feuer ausgiebig. - Wir gehen, wie so oft, nochmals durch das schöne Schloss und seine Anlagen; es fängt an zu grünen.

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Viele große Gemälde sind verschwunden; die Rahmen hingen noch! Ein schönes Zimmer, wo hunderte Porzellanteller und dergl. in allen Formen und Größen an den Wänden hingen, ist unberührt. Auch Kinderspielsachen liegen noch wie früher herum. Teppiche sind nicht mehr da, konnte man auch überall gebrauchen. Am Abend wird das Schloss von sämtlichen Truppen geräumt; wir bleiben alleine zurück. Nachts wieder Dienst an den Munitions-Lagern.

[Was ist aus dem Schloss Cellier geworden? Vollständig zerstört? Es war nichts darüber zu finden.]

6. Mai - Frühmorgens zieht Infanterie an uns vorbei, will durch das Tal in Stellung. Da kommen sie auf einmal wieder den Berg herauf an uns vorbei, und wir hören, dass der Franzmann Gas schießt. Auch zieht es schon in unsere Unterstände, werden mit bedacht und beeilen uns mit unseren Gasmasken auch auf die Höhe zu kommen. Wie einige andere Kameraden verspüre auch ich ein Unbehagen, doch verging dies nach einigen Tagen.

Dann untersuchten wir das ganze Schloss nochmals nach etwas Essbarem. Wir finden reichlich zurück gelassene Lebensmittel. Auf dem Kochherd steht noch eine Pfanne gebratenes Fleisch, eine Wohltat für einige. Der Abmarsch war für diese zu schnell gekommen. Am Morgen noch kommt der Befehl: Das Munitions-Depot "Montberault" wird aufgehoben und unser Kommando nach Parfondru verlegt. Die folgende Nacht hier noch Dienst.

Munitionsdepot Parfondru-Chérêt

7. Mai 1917 - Gegen 5   Uhr morgens fahren wir mit unserem Gepäck mit aus Stellung kommenden Munitions-Kolonnen-Wagen in scharfem Trab von dem "Nievergessenen Schloss Celliers" in das größere Munitionslager Parfondru-Chérêt, wo von unserer Kompagnie schon eine größere Abteilung liegt.

Wir finden kein Unterkommen, alle Unterstände und dergl. sind voll. Ein angefangener Stollen nimmt uns auf, der etwas abseits im Walde liegt; andere kommen in den zerschossenen Kellern von Parfondru unter. Die ganzen Wälder und Gehöfte, die zerschossenen Häuser sind mit Soldaten aller Formationen belegt. Abends müssen wir mit anderen wieder zurück, zum Abbrechen der noch stehenden Schuppen, wie Abgabe der noch lagernden Geschosse. Unser Dienst bei den Bayern ist somit beendet.

8. Mai - Um 7 Uhr morgens von der Nachtarbeit zurück. Regen, dunkel-trübes Wetter. Abends gegen 5 Uhr wieder hin, immer noch Regen.

9. Mai - wieder frühmorgens zurück. Es regnet immer noch, die Kleider werden nicht trocken. Nachmittags gegen 5 Uhr wieder hin, nachts gegen 1½ Uhr ist alles soweit erledigt. Zurück von der Arbeit finden wir keine Unterkunft, gehen zusammen in einen Keller.



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10. Mai 1917 - Nasskalt muss ich morgens mit nach Chérêt zur Besichtigung, da dort ein kleineres Munitions-Depot eingerichtet werden soll. Dies ist aber, soviel ich weiß, nicht zur Ausführung gekommen. Kurz vor Parfondru sah ich, wenn wir von Schloss Celliers kamen, links am Walde ein kleineres Fort. Nach einigen Tagen habe ich es aufgesucht. Drahtverhau und die üblichen Gräben waren noch in der Nähe, viel beschädigt war es nicht. Ob es zu Laon gehörte? Der Name ist mir entfallen. Viele Wälder. Noch immer Regen.

11. Mai - Dienst in einem neu zu errichtenden Munitionspark zwischen Parfondru und Veslud. Derselbe wird groß und breit unter Bäumen und kleineren Mulden, also unübersichtlicher von allen Seiten ausgebaut. Wir haben uns je 4 bis 5 Mann kleine Stollen in den mit Sträuchern bewachsenen Berg gemacht, vorne mit Zeltbahn verhangen, und diese am 13. Mai bezogen. Hier erfuhr ich, dass Ernst Klein bei der Kompagnie in Coucy-lès-Eppes ist. Ob andere Kommandos noch vorne mit tätig sind, weiß hier keiner.

12./13. Mai - Dienst im neuen Munitionspark, bei Tage 14 Stunden, nachts nach Bedarf. Die meisten von uns bezogen unfertige Baracken im Walde. Neben uns im Walde liegt ein Regiment Garde-Infanterie. Ameisen besuchen unsere Unterstände, obwohl wir mit unseren Läusen genug haben.

Der 13. Mai ist ein Sonntag. Wer kennt noch diesen Sonntag! Aus dem Zuge der Ereignisse sind wir anscheinend nochmals an einem ruhigeren Ort. Hin und wieder besuchen uns Flieger. Einmal nachts, während des Munitionierens, flog einer ganz niedrig über den Park; jedenfalls wollte er die Neueinrichtung kennen lernen. Hätten ihnen auch die Verlegung mitteilen können, damit sie im Bilde blieben.

Nachmittags wurde ich zum Dienst auf der Schreibstube im Park kommandiert. Diese war ein tiefer Stollen, vorne etwas vorgebaut. Ich hatte den Zu- und Abgang an die einzelnen Batterien zu buchen. Für mich nichts Neues, kannte dies ja schon von Verdun etc. her. Unteroffizier B. war auch hier im Park und hat mich anscheinend vorgeschlagen; wir verstehen uns gut. Diese Arbeiten machte ich mit einem kameradschaftlichen Unteroffizier eines anderen Artillerie-Regiments zusammen. Der Gesamtpark war einem höheren Offizier unterstellt.

Wir haben hier, vielleicht wegen weiterer Entfernung, verhältnismäßig wenig Feuer erhalten. Der Donner gehörte ja zum Atmen. - Parfondru und Veslud liegen in einem schönen breiten Tal. Im letztgenannten Ort lagen dazumal auch Bayern, die stets wegen dem guten Bier in den Kantinen aufgesucht wurden.

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Eine breite Straße von Laon kommend und nach Paris (?) gehend führte hindurch. Große Spargelfelder waren hier, und unsere Küche brauchte ihn auch, nur vergaß sie die Butterzurichtung. Hier traf ich auch oft den Dachdeckermeister H. Crewett aus Ohligs, der bei einer Munitionskolonne war und hier munitionierte.

        [Telephon-Adressbuch für das Deutsche Reich, Ohligs 1907
        269, Crewett, Heinrich, Dachdecker, Grünstr. 28]


Diesen Dienst habe ich dann die ganze Zeit meines Hierseins beibehalten, immer 12 Stunden, dann Ablösung.

14. Mai 1917 - Lebhafte Feuertätigkeit auf beiden Seiten; viel Anforderung. Flieger überfliegen nachts wieder ganz niedrig den Park. - Allerhand Gedanken kommen einem da. -

15. bis 19. Mai - Immer dasselbe. Die Fronten werden ruhiger.

20. Mai - ist wieder Sonntag. Nach der Ablösung gehe ich nach Coucy-lès-Eppes, um Ernst zu besuchen. Vor einigen Tagen hatten Flieger dort einen Munitions-Zug mit vollem Erfolg bombardiert und sah ich noch den ganzen Trümmerhaufen. Bei den Aufräumungsarbeiten hatten Ernst und ich auch ziemlich Seifenpulver geerbt. Es wurde dort stark geglaubt, weil etwas vorher ein deutscher (?) Flieger dort niedergegangen sei, dieser sei sicher ein Spion gewesen, soll also einer von den Feinden gewesen sein.

21./22. Mai - Regen, unsere Erdhöhlen lassen auch durch.

23. bis 27. Mai - Schönes Wetter. Telefon wird mit dem bisherigen Dienst noch vereinigt. Angestrengter Dienst, wenn alles klappen soll, aber es geht; nur muss man ruhige Nerven behalten.

28. Mai - Pfingstwetter. Schön! Die Fronten sind ruhiger, die Aisne-Offensive ist nochmals hin. Von heute ab zehnstündiger Dienst, so ist's zum Aushalten.

29. Mai - Wie immer, - abends Bekanntgabe, dass wir ab 30.5. in Alarmbereitschaft liegen. Bekomme von meinem Schwager Heinrich Winkels eine Karte, dass er auch in meiner Nähe liegt und mich besuchen will. Haben uns viel in Frankreich (bei Verdun) getroffen.

30. Mai - Mittags 2 Uhr. Abmarsch zur Kompagnie nach Coucy-lès-Eppes, nachmittags dort noch exerzieren. Es war wieder mal schön gewesen! Abwechselung muss sein.

31. Mai - Morgens 8 Uhr Exerzieren und Geländeübungen, nachmittags Appell in allen Sachen.

1. Juni - Nachmittags 3 Uhr Befehl: Marschbereit! Ade Aisne Depart!

2. Juni - Morgens 12 ½ Uhr endlich Abmarsch über Oizy nach Liesse. Dort gegen 3 Uhr Ankunft, ein schöner warmer Nachtmarsch. Zwischen 5 und 6 Uhr wurden wir verladen nach Mülhausen im Elsass, was wir natürlich da noch nicht wussten.

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Munitionslager Hartwald - Mülhausen/Elsass

Um 11 ½ Uhr waren wir in Charleville, blieben dort bis 4 ½ Uhr liegen, gegen 6 Uhr waren wir in Sedan und wurden verpflegt. Dann 8 ¾ Uhr in Longuyon, wo wir bis

3. Juni 1917 - morgens 5 ½ Uhr liegen blieben und gegen 6 ½ Uhr in Diedenhofen anlangten. Gegen 11 Uhr ab nach Metz, gegen 3 Uhr nachmittags nach Rieding, wo Verpflegung, dann über Zabern, Schlettstadt etc. nach Mülhausen, wo wir den

4. Juni - morgens ankamen. Nach hin und her wurden wir in eine als Kaserne eingerichtete Fabrik einquartiert. Flöhe und Wanzen kamen da noch zur evtl. Kreuzung zu unseren Läusen. -

        Feldpost No. 473.

5. Juni - 5 ½ Uhr wecken, 6 ¾ Uhr antreten zum Exerzieren. Der Dienst fällt aus, - heiß! - Bummel durch Mülhausen.

6. Juni - 5 Uhr wecken. Einteilung in verschiedene Kommandos. Das Kommando, dem Ernst und ich zugeteilt werden, kommt in den sogenannten Hartwald in ein zu erweiterndes Munitionslager, wo schon Württemberger liegen. Von diesen Württembergern werden uns, was ich noch nie gesehen, christliche Schriften zugeleitet.

Der Hartwald ist ein großer Wald, fängt bei Napoleonsinsel an und geht auf Banzenheim zu. Die Bahn: Mülhausen - Napoleonsinsel - über den Rhein - Neuenburg - Müllheim i. Baden durchfährt den Wald, und in unserer Nähe ist auch ein Bahnhof Hartwald, aber nicht für Personen, sondern jetzt nur für Kriegsmaterial.

Wir wie auch die Württemberger liegen in dumpfen Waldbaracken. Dies soll für uns hier "in Ruhe" sein. Wer noch einen leeren Strohsack hat, jeder erhielt einen beim Ausrücken, kann ihn hier mit nasser Holzwolle füllen. Die meisten haben keinen mehr, ich doch, also wer nicht, schläft so auf dem Maschendraht. Die Schreibstube unserer Kompagnie liegt in einer Mühle bei Battenheim, 1 ½ Stunde von uns ab.

Ein anderes Kommando, darunter Richard Kolk aus Bremersheide bei Leichlingen, kam in die Gegend von Lutterbach - Aspach - Sentheim und baute dort mit anderen (in Ruhe) Baracken. Jeder sagte: Soll hier wieder eine Offensive einsetzen?

Da es am 6. Juni sehr heiß war, sollte der Abmarsch von Mülheim spät nachmittags sein, doch wurde schon mittags abmarschiert, natürlich feldmarschmäßig, wie immer. Als das Kommando Battenheim in der Mühle angekommen war, erlag Kamerad Mumm aus Mainz einem Herz- oder Hitzschlag; ein lieber Mensch, war Landwirt. Er wurde dort beerdigt, ist aber später in seine Heimat überführt worden.

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8. Juni 1917 - Damit man nun in seinem Ruhelager am "stillen" Hartmannsweiler nicht einrostete, war Kartuschenarbeit angesetzt.

9. Juni - Geschosse nachsehen und verladen.

10. Juni - Sonntag. Dass dies ein Ruhetag sein sollte, war hier im Elsass auch nicht bekannt. Nachmittags gingen Ernst und ich über Balsenheim nach Battenheim wegen Urlaub zur Kompagnie.

11. Juni - Bei ungemütlichem Regen Munitions-Arbeiten im Walde und dergleichen.

12./13. Juni - Schönes Wetter. Allerhand Dienst. Dies ist Ruhe. Ob denn doch hier etwas vor sich gehen soll? Zivilpersonen, darunter auch Jungfrauen aus Mülhausen und Umgebung, arbeiten hier gegen Lohn an einem Waldbahnbau mit, natürlich unter militärischer Aufsicht. Tolles Volk!

14. Juni - Schonung, da ich meinen Fuß verstaucht hatte.

15. Juni - Schonung, aber wieder leichterer Dienst.

16. Juni - Abends 8.45 Uhr in Urlaub gefahren, und zwar vom 18.6. bis 1.7. und zwei Reisetage. Nehme für Unteroffizier B. etwas mit.

* * *

3. Juli - Morgens gegen 3 Uhr mit Schnellzug ab Solingen-Ohligs über Köln, Koblenz, Baden-Baden, Müllheim, Neuburg, Hartwald. Da der Zug hier langsam durchfuhr, warf ich meine Sachen heraus und sprang ab. Gegen Abend meldete ich mich bei der Kompagnie aus dem Urlaub zurück. Ernst kam einige Tage später in und aus Urlaub, er besuchte mich in Ohligs. Am gleichen Tage besuchten mich auch Frau Bellinger und ihre Schwester aus Köln. Bei der Rückfahrt nahm ich ein Paket für ihren Mann (Unteroffizier Bellinger) mit. Es waren sehr nette Leute.

Ich kam wieder ins Waldlager Hartwald, wo ich auch meine Sachen bereits wieder gelassen hatte. Die Nacht vom 3. bis 4.7. musste ich bei der Kompagnie, da sonst kein Platz, in einem Kuh-, Schweine- und Pferdestall schlafen, wo reichlich Ratten mir die Schönheit der letzten zwei Wochen nochmals so recht zum Bewusstsein brachten und vor Augen führten.

4. bis 7. Juli - Viel Gewitter und allerhand Dienst.

8. Juli - Sonntag. Man hört nur Störungsfeuer, bis jetzt hat sich noch kein Geschoss nach hier verirrt. Die Umgegend wird durchstreift, auch sehe ich die Gedenkzeichen für die gestürzten Flieger an der Straße auf Banzenheim zu.

9. bis 11. Juli - Allerhand Geländedienst. - Regen. - Von abends 7 bis anderen Abend 7 Uhr Wache. Die Straße ist gesperrt.

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Jeder Durchgehende oder Durchfahrende muss eine schriftliche Genehmigung haben. Die ganze Gegend, Straße, Wald, Bahn, auch die Munitions- und Materiallager werden durch Posten und Patrouillen stets streng kontrolliert. Mittags, als ich den Wald durchgehe, steht ein ca. 70jähriger alter Mann zwischen den neu angelegten Munitionsstapeln und schimpft, dass diese Dinger in seinem Walde liegen.

Ich versuchte, ihn möglichst zu beruhigen, erklärte ihm, dass er auch seinen Wald ohne Erlaubnis nicht betreten dürfe und bat ihn zu gehen. Doch wollte er sein Eigentumsrecht so leicht nicht abtreten; wie es schien, dachte er mich zurückweisen zu können, bis ich ernst machte und evtl. Verhaftungsanstalten vorstellte. Da wich er allerdings zurück und schimpfte mit allerhand Gebärden auf französisch aus einiger Entfernung, bis ich den Karabiner in Schießstellung brachte, worauf er dann im Hasentempo im Walde verschwand. Man musste in solchen Fällen auch schon mal Komödiant spielen.

15. Juli - Sonntag. Waffenappell, sonst dienstfrei.

16./17. Juli - An einem Abend, als der Dienst beendet war, kommt ein Pferdefuhrwerk und holt mit Erlaubnis Schanzen aus dem Wald. Ein ca. 30 bis 40jähriger ist Fuhrmann, und dabei ist auch der vorhin erwähnte Alte. Ernst und ich helfen aufladen, wobei wir den Alten schonen, anscheinend kennt er mich auch nicht mehr. Dazumal in Helm und umgeschnallt, jetzt lose in Mütze, ist das ja auch begreiflich.

Nach getaner Arbeit lädt uns der Schwiegersohn des Alten, wie er sich jetzt vorstellt, für nächsten Sonntag zum Nachmittagskaffee zu sich nach Balsenheim ein. Wir halfen dem hoch voll geladenen Wagen noch auf die Straße und nahmen die Einladung dankend an.

Natürlich gingen wir hin, und wenn auch die bergische Sauberkeit nicht vorherrschte, so hat es uns bei sehr freundlicher Aufnahme doch gut geschmeckt. Der Schwiegersohn war in Russland gewesen, aber wegen Landwirtschaft und Kindern reklamiert. Über den Vorfall mit mir und dem Schwiegervater war er etwas im Bilde, doch bei genauer Erzählung haben er und seine Frau herzlich gelacht. Der Alte ließ sich nicht blicken, er wollte mit den Preußen nichts zu tun haben.

18./19. Juli - Wache am Försterhaus bei Napoleonsinsel.

20./21. Juli - Geländedienst. - Die jungen Mädchen beim Bahnbau suchen und bekommen Liebesverbindungen mit unserer jungen Mannschaft, auch ältere tun mit.

22. Juli - Sonntag. Gottesdienst - Kirchgang nach Mülhausen.

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Dann im Soldatenheim bei Pfarrer Rink gewesen. Dieses Heim, unter entschieden christlicher Leitung, stand im Gegensatz zu den anderen. Alle Bibelstundenteilnehmer bekamen gegen Entgelt auch etwas zu essen. Zurück ging's am Rhein-Rhône-Kanal vorbei über Napoleonsinsel. -

26./27. Juli 1917 - Wache, strenge Kontrolle.

29. Juli - Abends und die Nacht mussten wir Steine aus Kähnen ausladen bei Napoleonsinsel, welche für Munitions-Straßenbau in unserem Abschnitt bestimmt waren.

30. Juli - Nachmittags wieder Dienst. Regen. Es geht hin und her.

1. Aug. - Noch immer Regen, Dienst hin und her.

2. Aug. - Entlausung in Ensisheim (?). Die Lausbuben werden nicht alle. In der Woche gingen Ernst und ich in die Nachbardörfer, um als besondere Zugabe Kartoffeln zu kaufen. Dies war verboten. Die großen Felder dort standen bei Tag und Nacht unter militärischem Schutz durch Posten. Wir armen Klinkenputzer wurden überall mit abweisenden Blicken und Worten abgefertigt. Zuletzt kamen wir noch in ein Örtchen Illzach. Überall: haben nichts! -

Da ein Regenschauer einsetzte, fragten wir die letzte Bäuerin, ob wir nicht etwas eintreten dürften, was gerne gewährt wurde. Im Flur stehend, sah ich im Zimmer einen christlichen Abreißkalender hängen. Ich glaube, es war ein Neukirchener Hausfreund, und ich sagte der Frau, dass wir zu Hause auch solch einen Kalender hätten. Dies ergab dann einen interessanten christlichen Gesprächsstoff. Da bald der Hausherr eintrat, wurde das Gespräch so weiter geführt, dass wir uns bald als geistesverbunden erkannten und uns über die unerwartet schöne Bekanntschaft freuten.

Als wir uns verabschieden wollten, erhielten wir in der Küche noch eine schöne Portion Pellkartoffeln, fertig zum Essen. Dann zeigte man uns noch das ganze Anwesen, alles war sehr schön und sauber. Beim Abschied bekam noch jeder einen Sandsack frisch gewaschener Kartoffeln mit, zudem auch noch eine Einladung zum Sonntagnachmittag-Kaffee, die auch gerne angenommen wurde.

5. Aug. - Sonntag. Wache. Viel Regen. Wegen Wache konnte ich leider der Einladung der vorerwähnten lieben Familie nicht folgen. Dies tat mir, wie jeder denken kann, sehr leid. Aber Ernst ist mit einem anderen Kameraden doch hingegangen. Sie sind sehr gut bewirtet worden, und der Mann hat, wie sie mir erzählten, ihnen eine Art Bibelstunde gehalten. Es tut mir bis heute leid, dass mir die Adresse dieser Familie fehlt.

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6. bis 11. Aug. 1917 - Viel Regen. Hin und her allerhand Dienst. Wir erhalten, solange ich bei der Kompagnie bin, zum dritten Male ca. 40 Mann Ersatz. Hier hat die Kompagnie nur drei bis vier Mann verloren, teilweise durch Unglück.

12. Aug. - Sonntag. Vormittags Dienst, nachmittags Waffenappell.

13. bis 17. Aug. - Wie immer hin und her. Viel Regen. Wir waren oft durchnass.

17. Aug. - Nachmittags 4 ½ Uhr werden 10 Mann von uns, darunter auch ich, mit Lastauto nach Mülhausen gefahren. Abends 8 ½ Uhr geht's im Panzerzug über Altkirch an einem Bergabhang in Stellung. Dort haben wir u.a. auch ein 24 cm-Geschütz, welches zum Teil in einem Stollen stand, soweit abmontieren und herausziehen helfen und mit der noch vorhandenen Munition verladen helfen.

Die Stellung war sehr ruhig gegen das, was ich bisher erlebt hatte. Nur hin und wieder kam etwas Störungsfeuer. Wir konnten deshalb auch nicht begreifen, dass wir in eine so ruhige Stellung mit Panzerzug gefahren wurden. Interessant aber doch.

Als wir vor der Hinfahrt in Mülheim auf dem Bahnhof waren, warfen französische Flieger Flugblätter in deutscher und französischer Sprache ab mit der Aufforderung: Wir Soldaten sollten, wie sie dann auch, die Waffen niederlegen, denn der Kampf wäre nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen den Kaiser mit seinem Anhang, als die Urheber des Krieges. Was sagen wir rückblickend dazu?!

18. Aug. - Mit Panzerzug wieder aus Stellung zurück. Schön, wenn man vieles sieht, auch mitmacht.

19. Aug. - Sonntag. Vormittagsdienst. Eine Abteilung mit Zivilpersonen, die an einem Feldbähnchen für Munitionszwecke nahe der französischen Grenze arbeitete, wurde von diesen überrascht und gefangen genommen.

20. bis 25. Aug. - Abwechselnd Regen mit Sonnenschein. Diverser Dienst. Kartenspiel mit hohen Einsätzen gibt Streit. Ein Offizier muss, wie schon öfter, wieder einschreiten. Teufelsspiel.

26. Aug. - Sonntag. Wenig Dienst. Ernst und ich sind immer zusammen, der eine ergänzt den anderen. Abends war ein schweres Gewitter. Ich hatte frei.

27. Aug. - Alarmbereitschaft. Hier viel Vorbereitung, - doch die Fronten sind noch immer sehr ruhig.

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28. Aug. 1917 - Mittags 1 ½ Uhr Befehl zum Packen. 5 ½ Uhr Abfahrt von Hartwald nach Fallbrücke. Die Nacht mussten wir im Waldlager liegen.

29. Aug. - Morgens 5 ½ Uhr Abfahrt von dort nach Ensisheim, wo die ganze Kompagnie zusammengezogen und verladen wurde.

* * *

Unter dem letztgenannten Ersatz war auch ein älterer Landsturmmann namens Grote aus der Hildesheimer Gegend. Durch reichlich zweideutige Witze meinte er sich besonders gut einführen zu können. Die meisten beachteten natürlich den unerfahrenen Hammel nicht.

Der junge, im Winter eingetretene Viehhändler Feist aus der Eifel und Grote nahmen Sonntagsurlaub nach Mülheim. Wie Feist später erzählte, suchten sie zuerst eine christliche Versammlung auf, »dann nahmen uns die "Brüder" mit zum guten Mittagessen, gaben uns noch etwas, und nachmittags sind wir dann bei den "Dirnen" gewesen und haben Spaß gehabt.« - Solche Verlogenheit! - Ich schreibe dies, weil mir dies viel zu denken gegeben hat. Habe diesen dann schnell aus dem Auge verloren.


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