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Kriegserlebnisse und Erinnerungen
aus dem Weltkrieg 1914/1918

Der Erste Weltkrieg hat auch in unserer Familie Lücken hinterlassen. Karl Ludwig Mutz (1873-1956), Vater von vier Kindern, aus pietistischem Elternhaus stammend, hat ihn mit viel Glück und sehr viel Gottvertrauen als nicht mehr ganz junger Soldat überlebt. In den 1930er Jahren schrieb er - zumeist nach Tagebuchaufzeichnungen - seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus der Soldatenzeit als Landsturmmann und Kanonier bei Verdun bzw. im Nordosten Frankreichs auf. Die Aufzeichnungen sind hier inhaltlich und sprachlich unverändert wiedergegeben.

Unterstreichungen und VERSALIEN im Text gem. Original,
Hervorhebungen sowie Zwischenüberschriften von mir,
[Anmerkungen] und [Wortergänzungen] sind gekennzeichnet.


1914 2
          Friedrich Mutz 2
1915 3
          Ausbildungsbataillon - Diedenhofen 4
1916 6
          Ersatz-Bataillon - Saint Avold 8
          Ersatz-Bataillon - Saarlouis 9
          Fußartillerie - Sedan, Stenay, Velosnes, Sivry 10
          Erste Frontnacht - Parkkomp. Fußartillerie, Munitionspark -
              Consenvoye, Sivry, Velosnes
11
          Erster Fronttag - Samonieuxschlucht 12
          Wieder Munitionspark - Sivry, Velosnes 13
          Rückverlegung zur Kompagnie - Samonieuxschlucht 15
          Munitionslager - Caureswald 17
1917 23
          Namen von Artilleriegeschossen 25
          Verlegung - Munitionsstollenbau - Velosnes, Vigneulles-Wald, Varnevill, St. Mihiel 28
          Munitionsdienst - Festieux 30
          Batterie-/Stollenbau - Chamouille, Neuville, Colligis, Pancy 31
          Munitionsdepot Montberault - Schloss Cellier 34
          Munitionsdepot Parfondru-Chérêt 42
          Munitionslager Hartwald - Mülhausen/Elsass 45
          Ausbildung - Munitionskolonne - Diedenhofen 50
          Ausbildung - Ersatz-Bespannungs-Abteilung - Metz, Martinsbann 51
          Artillerie-Pferde-Ersatz-Depot - Longuyon, Lopigneux 52
1918 58
          Infanterie-Ersatz-Bataillon - Düsseldorf 59
          Schlusswort 61





Kriegserlebnisse und Erinnerungen
aus dem Weltkriege 1914/1918

meist nach Tagebuch-Aufzeichnungen von Karl Ludwig Mutz (* 25.06.1873)
in Solingen-Ohligs, Prinzenstraße 19
im Jahre 1934 in sein Heimatstädtchen Haan verzogen



Der Weltkrieg mit seinen vielseitigen Nöten ist vorüber, - Erinnerungen aber bleiben. Bei Vielen gehen auch diese schon teilweise im Meer der Vergessenheit unter, darum für mich und meine Nachkommen diese Nachschrift.

Tagebuch führen war uns im Kriege, d.h. im Felde verboten. Aus Gründen einer evtl. Gefangenschaft sollte es nicht sein, trotzdem tat es doch der Eine und Andere, ich auch.

Fast jede Generation hat Kriege erlebt, müssen die sein? Eine Frage, die oft gestellt wurde und in mancherlei Form beantwortet wird, auch heute noch. Ich möchte sie offen lassen, obschon man erkennt, dass Neid, Gewalt, Habgier und dergleichen sehr oft oder meist die offenen oder geheimen Hintergründe waren oder sind.

Auch mein Vater Gottlieb Mutz war in Kriegen, teilweise aktiv, hat auch kurze Eintragungen in sein mitführendes neues Testament gemacht.

Er war am 22. Dezember 1839 geboren und diente von 1859 bis 1861 bei der 7. Komp. des Hohenzollernschen Füsilier-Regiments No. 40 in SAARLOUIS. Bei diesem Regiment machte er auch 1866 den Krieg gegen Österreich mit. Sein Regiment war der Heeresgruppe Herwart v. Bittenfeld unterstellt.

1870/71 war er beim Rheinischen Landwehr-Regiment No. 39 in Düsseldorf, Wesel u.A. - Dies Regiment ist nicht in das Feuer gekommen, sondern hatte die Aufgabe der Gefangenenbewachung, Munitionszüge zu begleiten u. dergl. Elf Monate war er von seiner Familie getrennt; verwundet oder krank aber ist er in beiden Kriegen nicht gewesen.





    1914    

Der Weltkrieg von 1914 bis 1918, den wir jetzt nur noch rückschauend betrachten, erforderte viele Opfer mancherlei Gestalt. Zuerst hoffnungsvoll aufhorchend, verfolgte man gespannt die Heeresberichte. Die Zeitungen umschrieben sie, wenn selbige auch kurz, nüchtern und herb gehalten waren, mit dem Tatendrang unserer Brüder, Väter und Söhne, die in diesem großen Ringen standen, als Wall gegen die Heimat. Unzählige Kameraden, bekannt, oder unkontrollierbar vermisst, traten ab von der Bühne, die man Leben nennt (ein Feldausdruck), und in der Heimat??? ----

Friedrich Mutz

Auch mein jüngster Bruder FRITZ sollte schnell ein Opfer werden. Am 1. Aug. 1914 stellte er sich als Kriegsfreiwilliger dem Königs-Infanterie-Regiment No. 145 (METZ) zur Verfügung. Er war in den Musterungsjahrgängen 1912-1914 stets tauglich befunden, aber auf Reklamation der Mutter zurückgestellt worden. Jetzt wollte er aber, gleich den Vätern, seine Kräfte dem Vaterlande geben.

In Paderborn bei vorgenanntem Regiment bis Mitte Oktober ausgebildet, wurde er im Felde der 2. Komp. des Inf.-Reg. No. 173 (Friedensgarnison St. Avold, Lothringen) zugeteilt. Das Regiment lag damals im Argonnerwald (Frankreich). Anfang November erhielt er auf Vorposten einen Kopfschuss, an dessen Folgen er am 4.12.1914 im Kriegslazarett in DUN a.d. Maas starb. Als erster "Bergischer" wurde er mit viel Liebe von der Schwester Käthe Pagenstecher aus Elberfeld gepflegt.

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Der damalige Hilfsprediger Haarbeck aus Duisburg, später Pfarrer in Jüchen, hat ihn seelsorgerlich betreut und hat uns sein gottergebenes gläubiges Sterben mitgeteilt. Beide haben uns berichtet, wie er immer in klaren Augenblicken so freudig von seiner lieben betenden Mutter geredet habe, und auch sie gebeten habe, doch mit und für ihn zu beten.

Er wurde als No. 96 auf dem katholischen Friedhof in OBERDUN neben der Kirche beerdigt. Kameraden trugen den in Zeltbahn eingewickelten Sarg hinauf zu Grabe. Oben genannter Pfarrer hat seiner Gedächtnisrede das Wort 2. Kor. 5,1 zu Grunde gelegt und die Kameraden sangen: Näher mein Gott zu dir. --- Schwester Käthe und Pfarrer Haarbeck haben dies meiner Mutter geschrieben, und später habe ich noch Beide persönlich gesprochen.


 
Friedrich Mutz
27.09.1892 - 04.12.1914


Anlage

Briefe des Pfarrers Haarbeck an Pastor Glaser in Haan
und der Schwester Käthe Pagenstecher an meine Mutter
vom 4. und 5. Dezember 1914 zum Tode meines Bruders FRITZ.


Dun a.d. Maas, 4. Dezember 1914
Sehr geehrter Herr Pastor!

Hierdurch möchte ich Sie bitten, der Witwe Mutz mitzuteilen, dass ihr Sohn heute morgen hier im Kriegslazarett seiner Verletzung (Kopfschuss) erlegen ist. Er war zuletzt bewusstlos. Die letzten Tage phantasierte er meistens. Wiederholt sagte er: "Ich habe solch liebe Mutter". Sonntag vor 8 Tagen war er noch ziemlich klar bei Besinnung, er bat mich, mit ihm zu beten, was ich auch tat. Ich versprach ihm an seine Mutter zu schreiben, das ist auch längst geschehen.

Es ist ein Jammer, hier das Leiden und Sterben zu sehen. Gott sei Dank, dass wir einen Heiland haben. Bitte trösten Sie die arme Frau und grüßen Sie sie von mir. Ich lasse ihr Trost und Frieden von Gott wünschen. Sie soll doch nicht verzweifeln.

Mit ergebenem Gruß
Hilfsprediger Haarbeck
aus Duisburg-Ruhrort.

Dun a.d. Maas, 5. Dezember 1914
Liebe Frau Mutz!

Seit heute Nachmittag halte ich Briefe aus der Heimat an Ihren Sohn Fritz in Händen und nun habe ich die schwere und schmerzliche Aufgabe, Ihnen zu schreiben, dass kein lieber Gruß ihn mehr erreicht hier auf Erden. Gestern früh, am 4.12. um 7 Uhr ist er ganz sanft und schmerzlos eingeschlafen. Die letzten Wochen waren ein beständiges Ringen zwischen Leben und Tod. Groß war die Verwundung des Schädels, immer von neuem traten Blutungen aus der Tiefe ein, die nicht zu stillen waren, so dass auch der Berliner Professor, der hier unsere Tapferen behandelt, keine Hilfe bringen konnte.

Wir haben versucht, durch kräftige Nahrung den Blutverlust zu ersetzen, aber hohes Fieber trat hinzu, unser Mühen war umsonst, sein junger kräftiger Körper musste dennoch erliegen. In den ersten Wochen seiner Verwundung waren seine Gedanken meist in der Heimat, er hat mir von seinen Lieben erzählt, die Erinnerung an seine liebe gute Mutter beglückte ihn noch in seinen Fieberphantasien, immer wieder rief er ihren Namen. Von den Vorgängen vor und während seiner Verwundung hat er leider fast gar nichts gesprochen. Fieber und Schwäche nahmen ihm in den letzten Tagen die volle Klarheit seines Verstandes, so dass ihm der Kampf des Abschieds und Scheidens von allem was ihm lieb war auf Erden erspart geblieben ist.

Mir war Ihr lieber Sohn in seiner treuen und dankbaren Art in diesen Wochen ganz ans Herz gewachsen. Wie schwer mag es der Mutter sein, die ihr Kind ganz anders kennt und liebt, dem Vaterland dies große Opfer zu bringen.

Hoch über Dun liegt Kirche und Kirchhof an einem wunderschön gelegenen Fleck französischer Erde, haben ihn heute Kameraden zu Grabe getragen, unser Pfarrer hat ihn geleitet und sein Abschiedswort an 2.Kor.5,1 angeknüpft. Soldaten haben gesungen: "Näher mein Gott zu Dir."

Des Herbstes letzte Blumen schmücken sein Grab. So viele ruhen schon dort oben, wir wollen ihrer in Dankbarkeit gedenken, die bis zum Tode dem Vaterland getreu waren.

Möchte Ihnen, liebe Frau Mutz, der liebe Gott in seiner Allmacht einen Trost senden.

(gez.) Schwester Käthe Pagenstecher

Im Juli 1916, als ich bei Verdun lag, habe ich das Grab meines Bruders, wie auch das Lazarett, wo er gelegen hatte, aufgesucht. Schwester Käthe hat mir das Zimmer und das Bett gezeigt und mir noch erzählt als von einem "Nichtalltäglichen", den sie so leicht nicht vergessen werde. Pfarrer Haarbeck sagte mir, dass er seinem Tagebuch dieses "Heimgehen" zur bleibenden Glaubensstärkung für ihn, wie für andere, anvertraut habe.

Im Juli 1916, als ich dort war, war ein besonderer Friedhof für die toten Kameraden angelegt worden, wo damals schon über 1.300 gebettet lagen. Auf dem Gemeindefriedhof lagen nur 100 Kameraden. Unserer lieben Mutter ging der Tod ihres Jüngsten doch besonders nach, und sie folgte ihm am 18. Februar 1915 in die Ewigkeit.








    1915    

Zuerst dachte man an eine kurze Dauer des Krieges, doch, da der Feinde immer mehr wurden, schwand auch diese Hoffnung. So wurde im Frühjahr 1915 auch noch der ungediente Landsturm der Jahrgänge 1873-74 gemustert, wobei auch ich als K.V. = Kriegsverwendungsfähig = befunden wurde. In meinen Musterungsjahren war ich auch als wehrfähig (Infanterie) notiert worden, aber auf Reklamation hin frei gekommen.

          K.V. - kriegsverwendungsfähig
          G.V. - garnisonverwendungsfähig
          A.V. - armierungs- oder arbeitsdienstfähig.

Wie schon oben erwähnt, brachte die lange Dauer des Krieges die Notwendigkeit, die alten Landsturmjahrgänge auch noch auszubilden, und so erhielt ich, mit 350 Kameraden aus dem Landkreis Solingen, am 5. Dezember 1915 den Gestellungsbefehl zum 9. Dezember in die Solinger Schützenburg.

  Über den Ersten Weltkrieg in Solingen

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Eine Reklamation meiner Firma [Anm.: Korten & Scherf in Ohligs], da in der mir unterstellten Abteilung Kriegsmaterial gemacht wurde, war erfolglos, nur ganz besondere Fälle fanden Berücksichtigung.

Gegen 4 Uhr nachmittags marschierten wir mit Musik zum Bahnhof Solingen. Ein Zug stand fertig, mit dem Ziel "DIEDENHOFEN". Die Stimmung war wenig gehoben. Die Straßen umstanden Frauen, Kinder und sonstige Angehörige, die ihre Männer, Väter, Brüder und Söhne dahinziehen sahen, mit tränenumflorten Augen. Die erste Kriegsbegeisterung war dahin. In Ohligs blieb der Zug längere Zeit liegen, auch meine Kinder besuchten mich damals dort nochmals.

Nachts gegen 2 Uhr kamen wir in Kalscheuren in der Eifel an, wo uns eine gute warme Erbsensuppe verabreicht wurde, aber alle hatten wenig Appetit. Unser Zug hatte in der Nacht einen kleinen Zusammenstoß, wobei Verschiedene mehr oder weniger verwundet wurden. Mir fiel mein Schließkorb von oben auf den Kopf. -

Ausbildungsbataillon - Diedenhofen

Am 10. Dez. 1915 nachmittags 2½ Uhr waren wir endlich am Ziel und sollten auf einem alten Fruchtlager unser Domizil haben. Nach Einteilung in Korporalschaften, fünfzehn je 22 bis 24 Mann, ging's dann doch ab in die neuerbaute schöne Kaserne an der Straße auf Fort Gentringen zu. Es sollte bis dahin nur ein Ausbildungsbataillon darin gelegen haben. Wir Solinger bildeten jetzt das 23. Infanterie-Ausbildungs-Bataillon des 16. Armeekorps. Meine Adresse war:

        Landsturmmann Mutz, 1. Inf. Ausbildungs-Batl. XVI/23
        4. Korporalschaft, DIEDENHOFEN.

Es lagen außer uns noch viele Ausbildungsbataillone für Infanterie, Artillerie, Maschinengewehr u.a. hier, mit denen wir später die Übungsplätze teilten. - In meiner Korporalschaft und Stube waren drei von unserer Straße: Wilhelm Becker, Gustav Finke und ich, zwei aus meiner Abteilung: E. Hardt und M. Michaelis, sowie E. Specht aus unserem Christlichen Männerchor.

Am 11. Dezember wurden wir in getragenem Feldgrau eingekleidet. Mein Rock hatte im Rücken ein kleines blutumrändertes Loch. Nur die Leibwäsche war neu. Mit Ausnahme der Gewehre bekamen wir alles. Nachmittags hatten wir etwas Dienst. Keiner konnte gerade gehen oder stehen; war dies stets früher bei den jungen Rekruten der Fall, so erst recht bei uns.

Anschließend an den Kasernenhofdienst [folgte] Instruktion. Dieser Dienst mit Exerzieren war für das erste die Tageslosung von morgens 5 Uhr, wo wir geweckt wurden, bis abends 8 Uhr, wenn die Putz- und Flickstunde zu Ende war. Die Pausen waren kurz, und weil wir in 6-8 Wochen fertig ausgebildet sein sollten, so setzte ein förmlicher Druck ein.

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Auch glaubte man mit einer gewissen Angst an die alles niederstechenden Solinger Messerhelden und meinte mit besonderem Dienst und Druck dieses abwenden zu müssen; diese Lächerlichkeit!

  Den Solingern eilte offenbar ein gewisser Ruf voraus...

Nach einigen Tagen bekamen wir auch die Gewehre: Zuerst russische Karabiner, dann nach einigen Tagen neue russische Dreilinien-Gewehre mit gebogenem Visier. Diese waren bedeutend länger und ca. ½ Kg schwerer als unsere deutschen 98-Gewehre. Mit diesen wurden wir in jedem Dienst ausgebildet; sie waren im allgemeinen brauchbar, nur die Sicherung war unpraktisch.

Zu vorgenanntem Dienst kam nun bald auch Geländedienst, Zielen, Fechten und - nach Weihnachten - auch Scharfschießen; letzteres war das Wichtigste. Sollen wir denn doch noch Frontsoldaten werden?!

* * *

Alle paar Wochen war ärztliche Untersuchung, auch Impfen. Die Untersuchungen änderten manchmal [einen] früheren Befund, manche mussten auch ins Lazarett oder ins Revier. Jeden Samstag früh war größerer Gepäckmarsch, oft bis zum Nachmittag. Anschließend dann Stuben und Fenster reinigen sowie Nachexerzieren für die, die sich schon in der Woche etwas verfehlt hatten.

Sonntags war um 6 ½ Uhr wecken, anschließend Spind- und Fußbesichtigung. Die Stuben waren für 9 Mann (im Frieden) berechnet, daher hatten auch 2 bis 3 Mann ein Spind. Nachts war eine wunderbare Luft! Gegen 10 Uhr Appell im Anzug (wir hatten nur einen), Stiefel, Gewehr usw. auf dem Kasernenhof, anschließend Grüßen, Vorbeigehen an Vorgesetzten u. dergl. mehr.

Die etwas nicht in Ordnung hatten bekamen keinen Ausgang. Der Kasernenhof war 300 Meter lang und 150 Meter breit, umrahmt von einer Baumallee. Rundum waren noch mehr Kasernen, Zeughäuser, Lazarette, Kommandantur, Ställe und was zu einer Garnison gehört. Ein kurzes unbebautes Stück hatte eine hohe Mauer, der Ausgang musste meist durch die Hauptwache erfolgen.

Das Essen war im allgemeinen gut, die meisten hatten auch noch immer etwas von zu Hause. Jeden Abend musste abwechselnd eine Korporalschaft nach dem Dienst Kartoffeln schälen; glücklich der Bauer, der den Abfall bekam. Die drei, die in der letzten Woche die meisten Pakete bekommen hatten, mussten sonntags mit der Ziehkarre die Postsachen abholen, auch ich war oft dabei. Unser Korporalschaftsführer, Unteroffizier Ehrlich, war ein tüchtiger feiner Mann, im Zivilberuf Fischräuchermeister in Kiel. -

Kein Tag verging, wo wir nicht im nassen Dreck gelegen; es war Winter. Auch Schanzen, Stellungsbau nach gegebener Kriegstaktik wurde praktisch geübt; auch Nachtübungen fehlten nicht. Fausthandschuhe zum ans Seitengewehr hängen hatten wir, auch Mäntel zum Nichtanziehen, nämlich alte unbrauchbare zum Tragen um den Tornister. Am ersten Weihnachtstag wurde den ganzen Tag Mantel- und Zeltbahnrollen und Tornisterpacken geübt. Zum Kirchgang war immer ein und derselbe aus jeder Korporalschaft bestimmt, der hatte dafür auch einen besseren Anzug; bei uns war es Gustav Finke. -

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Als wir eingezogen wurden, waren 2/3 von uns K.V. und 1/3 G.V.; durch den anstrengenden Dienst verschob sich dies aber wesentlich ins Gegenteil, wie die ärztlichen Befunde bald zeigten.

Sonntag nachmittags ging ich mit Heinrich Licht, der in Ohligs zur Christlichen Versammlung gehörte und in meiner Korporalschaft war, in das gemütliche, den wirklichen christlichen Gemeinschaftssinn pflegende Soldatenheim des Westdeutschen Jünglingsbundes. Wir haben da schöne Stunden verlebt; in dieser Luft waren alle Rangunterschiede ausgemerzt.






    1916    

Wie schon gesagt, wurde der Hauptwert auf Felddienst und Schießen gelegt. Der große Übungsplatz bei Niederjeutz sah uns fast täglich, oder wir waren mit der Artillerie bei St. Peter.

An einem besonders nasskalten anstrengenden Morgen, an dem die Solinger Schleifer nach allen Regeln der Kunst geschliffen und blitzblank poliert worden waren, hieß es beim Abrücken: "Singen". Da die Solinger aber durch das Auf und Nieder ihre "Noten" verloren hatten, gab das nichts. Darauf wurde seitwärts wieder auf den Platz eingeschwenkt, und die soldatische Ertüchtigung begann von neuem. Dies wiederholte sich zweimal, aber ohne den erhofften Erfolg. Zuletzt sangen die Unteroffiziere solo. Die Solinger hatten ihre Noten trotz Ausschwärmen und Hinlegen nicht wiedergefunden, konnten deshalb auch nicht singen. Nachmittags hatten wir wegen dem "späten Einrücken" kürzere Pause und längeren Dienst auf dem Kasernenhof; so glich sich alles aus. ----

Die 16 Schießstände waren immer belebt, auch aus anderen Garnisonen kamen viele nach hier zum Schießen. Von unserer Korporalschaft schossen G. Finke und ich am besten, ich bekam drei Tage Urlaub. Zug- und Geländeschießen auf stehende oder sich bewegende Figuren war im Gelände von Fort Illingen, dort mussten wir auch Nachtübungen machen.

Bei einer letztgenannten Übung hatte ich als Verbindungsmann in stockfinsterer Nacht (wegen Fliegergefahr musste möglichst alles dunkel sein) auf dem Markt, der schon von Bauern und Händlern belebt war, in dem Gedränge meinen Verbindungsmann verloren. Auf meine diesbezügliche Frage an einen Dastehenden zeigte dieser mir die Richtung. Als die Übung morgens hinter Künzig beendet und alles angetreten war, mussten die Verbindungsleute vortreten und fragte der Oberleutnant: "Wer hat heute morgen früh auf dem Markt nach seinem Vordermann gefragt?" Die Frage blieb trotz Druck unbeantwortet.

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Unser Ausbildungs-Bataillon war in drei Züge eingeteilt, jeder Zug hatte fünf Korporalschaften. Jeder Zug, also über 100 Mann, wurde von einem Offizierstellvertreter geführt. Über das Ganze war ein Feldwebel und älterer Feldwebelleutnant von der Kriegs- oder Kadettenschule gestellt.

Die Solinger schossen von allen Ausbildungs-Bataillonen in Diedenhofen am besten, gehörten doch viele den emsigen Schützenvereinen an. Leider überhörten die Solinger auch oft den Zapfenstreich und versuchten den Weg über die Mauer zu nehmen. Moritz Broch war beim ersten Ausgang der erste, der diese Kletterübung vornahm, aber am anderen Ende, sich zu Hause meinend, eingeschlafen war, wo ein Posten ihn aufrüttelte und mit zur Wache nahm.

* * *

Für Anfang März 1916 waren die Besichtigungen angesagt, vorher aber musste noch mancher Schweißtropfen heraus. Wache aufziehen und ablösen, Einmarsch in Stellungen, Stielhandgranaten und Eierhandgranaten werfen, Kompagnieexerzieren wie im Bataillon, vor allem Schießen, Präsentieren usw. mussten gründlich erlernt sein. Diejenigen, die evtl. den Spaß verderben konnten, wurden für den Tag ausgemerzt, sie mussten sich krank melden. Weil Diedenhofen schon Operationsgebiet war, bekamen wir auch Kriegslöhnung, und alles wurde sehr streng gehandhabt.

Viele Wachen mussten geschoben werden, am Bahnhof, an den Moselbrücken oben wie unten, an den Proviantlagern, der Eisenbahn mit ihren Brücken und Unterführungen usw., kurz gesagt: Dienst übriggenug.

Die schönsten Wachen waren an einem Nonnenkloster, wo ein Proviantlager untergebracht war. Auch ich war einige Male dort. Nach jeder Mahlzeit kamen die Schwestern und brachten uns etwas zu essen oder zu trinken. Sie unterhielten sich in traulicher Weise mit Jedem, der auf dem inneren Hof seinen Posten hatte. Der Dienst ist mir nie schwer gefallen, ich konnte mit allem gut fertig werden und wurde von unserer Korporalschaft (von jeder Korporalschaft einer) zur Ausbildung anderer Kameraden in einen besonderen Kursus geschickt, der aber nicht zu Ende geführt wurde, weil keine K.V. dafür in Frage kamen.

Am 5. und 6. März fanden die Besichtigungen statt, durch General von Loehov (?) und andere hohe Militärs. Sie kamen, ohne Eintrittsgeld bezahlt zu haben, zur Besichtigung unserer Vorstellungen.

Am 5. März mussten wir von morgens bis nachmittags auf dem großen Niederjeutzer Übungsplatz sein. Nachmittags erhielten wir zugweise in der Kantine bezw. im Esssaal Instruktionen über das Gewehr, über die Gasmasken u. dergl.

Am 6. März wurde exerziert, gefochten, die Wache musste aufziehen, und zuletzt war Alarm.

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Zum Schluss erhielten wir in einer kurzen Rede eine lobende Anerkennung für das Geleistete, und dann kamen für uns die weiteren Fragezeichen:  W a s   n u n ?

* * *

Am 7. März 1916 sahen sich viele von uns zum letzten Mal, denn unser Bataillon wurde aufgelöst. Ein Teil von den inzwischen A.V. Gewordenen blieb in Diedenhofen und Umgebung, auch einige G.V. blieben dort, andere G.V. kamen nach Russland oder Belgien.

Ich kam mit 42 Kameraden aus unserem Bataillon, die alle K.V. waren, und vielen anderen, auch K.V., aus anderen Ausbildungs-Bataillonen, auch aus anderen Garnisonen, zur

        1. Kompagnie des Landsturm-Infanterie-Ausbildungs-Bataillons XVI/23,

wo der Drill von neuem anfing. Wir bekamen jetzt andere Gewehre, Modell 88. Da wir dieses Modell nicht kannten, mussten wir neue Instruktionen darüber haben, und dann ging's zu den Schießständen. Unser Kompagnieführer war sehr streng, wir waren jetzt auch z.T. unter jüngeren Leuten. Große weite feldmarschmäßige Marschübungen, oft über 30 Km, sollten unsere Fähigkeiten erproben. Alle hielten nicht immer aus.

Ersatz-Bataillon - Saint Avold

Am 29. März 1916 wurde die Kompagnie dann zum 3. Landsturm-Infanterie-Ersatz-Bataillon XVI/24 nach St. Avold versetzt und aufgelöst.

Dort kam ich mit sieben alten Solinger Kameraden zur 5. Kompagnie des vorgenannten Bataillons, darunter auch Ernst Klein, Richard Kolk, Franz Schröder, die ich noch später erwähnen muss.

Der Kompagnieführer, ein jüngerer verwundet gewesener Leutnant, war ein guter feiner Mensch, ebenso der Feldwebel. Hier waren sehr viele junge Leute, z.T. im Zugschießen u. dergl. noch nicht ganz ausgebildet. Die Kompagnie stand vor einer Besichtigung; von uns Solingern durften nur zwei an der Besichtigung teilnehmen, nachdem wir alle, d.h. der neue Ersatz durch uns, eingehend vom Feldwebel und Leutnant einzeln in "Allem" auf dem Exerzierplatz vorgenommen und geprüft worden waren.

Ernst Klein und ich waren die zwei. Wir bekamen Gewehre Modell 98; wir mussten uns dem Fortschritt wieder anpassen und das Neue studieren. Wir lagen in einer neuen, noch unfertigen Reiterkaserne außerhalb St. Avold, hinter uns in Baracken und Ställen das Ersatzbataillon des Infanterie-Regiments No. 173.

Hier hatten wir eine unvergessliche Wache. Ein Vizefeldwebel, einige Unteroffiziere (dieser waren stets genug in der Etappe) und 36 Mann, darunter auch ich und die anderen sechs Solinger, waren zur Wache an dem stillliegenden Bergwerk hinter Folschweiler kommandiert, wo viel Proviant lagerte und kilometerlange Strohschober standen. Beim Hinmarsch kamen wir an einem Restaurant "Zur Sonne" vorbei, und der "Spieß" meinte, ein kühler Trunk könne in der Wärme nicht schaden. Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und fast alle gingen wohlgemut in die gemütlichen Gastzimmer mit den freundlichen Mädchen.

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Ein Groschen nach dem anderen wanderte in den Spieleapparat, und bald war eine Tanzstimmung vorhanden, die das Soldatsein, wie die Pflichten, vergessen ließ. Da wir nachmittags um 1 Uhr zur Ablösung da sein mussten, kamen wir mit ½ bis ¾ stündiger Verspätung an. Die hierauf einsetzende Auseinandersetzung ließ schon eine feuchtfröhliche Stimmung erkennen, der Vorgeschmack hatte erst recht die richtigen Bedürfnisse bei vielen geweckt. Nach Aufzug der ersten Nummer wurde dann reichlich Wein und andere Getränke zur Wachstube geholt, und bald war es ein Singen und Fröhlichsein.

Zwischen 5 und 7 Uhr, ich stand gerade an einem Schober, kam ein Offizier zur Kontrolle über oben angeführte Verspätung und fand die Situation nicht befriedigend, denn die meisten waren mit dem Vize im Dorf. Gegen 9 Uhr kam wieder ein Leutnant vom Dienst, und die Revision fand einen Teil der Posten betrunken und schlafend. Der Vize musste mit den anderen auf Befehl des Leutnants geholt werden, dann musste er mit. Ein früherer Lehrer (Unteroffizier) wurde an dessen Stelle kommandiert, und so verlief dann alles ruhig bis zum anderen Mittag.

* * *

Als wir nachmittags zurück waren, erhielt ich einen achttägigen Urlaubsschein. Der Bahnhof lag auf der anderen Seite, Franz Schröder begleitete mich. Zu Hause angekommen, meinte meine Firma, ob ich auf ihr Gesuch gekommen sei. Da dies aber nicht der Fall war, reklamierte sie weiter, und ich bekam nach einigen Tagen noch weitere 2 Wochen Urlaub. Als ich aber 2 Wochen um hatte, kam vom Bataillon ein Telegramm "Sofort zurück".

Wieder in St. Avold fand ich unsere 5. Kompagnie aufgelöst seit dem 15. April. Ich war der 1. Kompagnie zugeteilt. Es war Sonntag. Am anderen Tag sollte unser Bataillon nach Saarlouis verlegt werden; es war deshalb noch allerhand Arbeit und Krempelei. Die sich für den feldmarschmäßigen Marsch nicht stark genug fühlten, mussten helfen die Sachen zur Bahn zu schaffen und fuhren dann mit dem Zuge. Ich habe den Marsch mitgemacht.

Ersatz-Bataillon - Saarlouis

In Saarlouis kamen wir in die Ställe der reitenden Jäger, hier war ein stetes Kommen und Gehen. Leute jeden Alters und aller Truppengattungen, verwundet oder krank gewesen, alte gediente und frisch ausgebildete Kameraden fanden sich in diesem Ersatzbataillon zusammen. Die Lücken der anfordernden Regimenter wurden von hier aus aufgefüllt. Hier exerzierten wir zwischen Artillerie, Kavallerie, Train [Fuhrwesen, Materialtransport], Pionieren u.a.; für uns Infanteristen war das ein Vergnügen, da wir in Griffe kloppen, schießen u. dergl. doch weit geschulter waren. [Griffe kloppen = Gewehrgriffe üben; mit dem Gewehr exerzieren.] Aber an jedem Abend dachte man, wo bist du wohl morgen?

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Wachen gab es auch genug; einmal stand ich am Lazarett, wo in einer Baracke kranke gefangene Russen lagen. Es war streng verboten, dass sich nach 10 Uhr abends noch jemand sehen ließe oder zu schaffen machte ohne vorherige Meldung beim Posten. Ich musste nachts von 11 bis 1 Uhr Wache stehen, hörte etwas im Gebüsch, auf meinen Anruf aber keine Antwort. Als ich das Gewehr entsicherte und in der nächsten Sekunde geschossen hätte, kam Antwort. Beim Nähertreten war es ein Sanitäter, der ohne Urlaub über die Mauer zurückkam. Er bat mich nicht so laut zu sein, es kämen noch mehr. Die sonst dort auf Posten standen wussten darüber Bescheid, nur wir waren hierin noch Neulinge. Gemeldet wurde darüber nichts.

* * *

Am 18. Mai 1916 hatten wir eine große Übung auf dem weiten Exerzierplatz, als gegen 11 Uhr der Alarmbefehl kam. In zwei Gliedern auf dem Kasernenhof eingetreten, hieß es in den einzelnen Kompagnien überall abzählen bis ...... Bei uns auch einmal bis 18, und ein Unteroffizier bekam den Befehl: diese 36 Mann sind für Diedenhofen. Sofort alles abgeben, und nachmittags gegen 3 Uhr fuhr mein alter Unteroffizier Ehrlich schon mit uns, wir wurden notdürftig in Blau gekleidet, nach Diedenhofen.

Dort wurden wir bei dem uns schon von früher her bekannten 2. Rekruten-Depot des Fußartillerie-Regiments No. 16 abgegeben. Also jetzt noch Fußartilleristen!! Unser Dienst hieß hier fast immer "Instruktion".

Am 20. Mai wurden wir auf dem Fort Gentringen von oben bis unten neu eingekleidet, erhielten auch neue 98er Karabiner mit scharfer Munition, und abends gegen 10 Uhr ging's mit Musik: Muss ich denn, muss ich denn ..... zum Bahnhof. Es waren etwas über 40 Mann, die als Ersatz ins Feld mussten.

Fußartillerie - Sedan, Stenay, Velosnes, Sivry

21. Mai 1916 - Gegen 5 Uhr morgens, es war Sonntag, waren wir in Sedan und gegen 10 Uhr in Stenay, wo wir wegen Fliegergefahr einige Stunden liegen mussten. Dann ging's an Kriegergräbern und vielen zerstörten Dörfern vorbei auf Verdun zu.

In Velosnes hieß es aussteigen, der Zug fährt nicht weiter. Verwundete vom "Toten Mann" und Umgebung kamen uns entgegen. Truppen gingen vor und rückwärts; wir als Frischgebackene wurden besehen. Kolonnen rasten staubaufwirbelnd an uns vorbei. Geschützdonner begleitete uns als Willkommen in unserer neuen Heimat; Krieg in Wirklichkeit! Unser Weg ging links der Maas, dann über die Graf Häseler-Brücke nach Sivry. Am Friedhof Halt, denn unser Führer musste auf der Kommandantur erfahren, wo der Truppenteil lag, dem wir zugeteilt werden sollten: Parkkompagnie, Fußartillerie-Landwehr-Bataillon 16.

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Erste Frontnacht
Parkkompagnie Fußartillerie, Munitionspark für Artillerie
Consenvoye, Sivry, Velosnes

Also weiter, bergauf und bergab, waldein und waldaus, bis wir gegen 8 Uhr im Walde von Consenvoye landeten. Wir wurden in Unterstände verteilt, mussten unsere "Eiserne Portion" und Zwieback abgeben, erhielten noch Brot und Kaffee und durften schlafen. In jedem Unterstand waren sechs Mann, die Unterstände lagen im Wald zerstreut. Die Betten waren aus Hühnerdraht gespannt, für je drei Mann übereinander, alles weitere kann man sich dazu denken. Andauernder, erschütternder Kanonendonner war die Beigabe zur ersten Frontnacht.

"Parkkompagnie" - was ist das? Ein jedes Fußartillerie-Regiment hatte eine, aus ihr wurden die Ergänzungen für die artilleristischen Bedürfnisse jeder Art geholt. 4/5 derselben waren wohl altgediente oder als jüngerer Eratz ausgebildete Fußartilleristen. Auch einige Feldartilleristen waren als Altgediente unter uns; nun kamen wir als Infanteristen dazu und mussten in dem uns noch Fremden geschult und ausgebildet werden. Bei meiner Einberufung hatte ich auf dem Bezirkskommando Solingen den Wunsch geäußert, zur Artillerie zu kommen, nun war ich dabei.

      Meine neue Adresse lautete:
      Kanonier Mutz, Parkkompagnie Landwehr Fußartill. Batl. 16, Feldpost No. ?

Am 22. Mai 1916 (wir waren nun eine Nacht an der Front) hieß es um 4 Uhr aufstehen und Kaffee holen an der Küche. Wir konnten als Fremdlinge in der Zerstreuung zuerst die Küche nicht finden. Dort hieß es, um 5 Uhr antreten, Kochgeschirr, Brotbeutel und Brot bis abends mitbringen. Es war ein dichter großer Hochwald (von uns Grunewald genannt) am Westabhang auf Consenvoye - Brabant, auf die Maas zu, in dem wir beheimatet waren und wo unsere Schreibstube war.

Alles Unterstände, sichtbar oft befunkt von dies- wie jenseits der Maas (Toter Mann), deshalb war ein Austreten aus dem Walde bei Tage streng verboten. In der Dunkelheit nur durfte die Küche ihr Wasser an der etwas aus dem Walde gelegenen Quelle holen, wir dann auch unser Wasch- und Trinkwasser.

Beim Antreten gab es allerhand Kommandos. Wir "Neue" kamen fast alle mit anderen in einen ca. 1 ½  Stunden entfernten großen Munitionspark für Artillerie, in einer bewaldeten Schlucht zwischen Sivry und Velosnes, unmittelbar an der Straße nach Haremont [Haraumont]. Hier wurden Netzbeutelkartuschen gefüllt und umgearbeitet, Granaten aller Kaliber gestapelt, Munitionskolonnen nachmittags und abends abgefertigt, vom Feuer- und Oberfeuerwerker Blindgänger und andere untersucht und geprüft, kurz gesagt, für die nötige Zufuhr der in Stellung stehenden Batterien eines bestimmten Abschnitts gesorgt.

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Meist waren es 15-cm-schwere Feldhaubitzengeschosse, Granaten, die mit Korb ca. 86 und 95 Pfund wiegen, die getragen werden mussten, auch 10,5-cm, 21-cm-kurz, 7,5-cm drei in einem Korb, die ohne Hilfe getragen bezw. aufgehoben werden mussten. Nur war der zweite Mann bei 21-cm-lang, die 260 Pfund wiegen sollten und evtl. auch mal bei 21-cm-kurz von 150 Pfund und anderen schweren Geschossen beigegeben. Kein Wunder, dass wir bald an unseren Kräften zweifelten, - doch Schonung gab es nicht. - Die Zeit brachte es mit sich, dass auch das durch tägliches Trainieren überwunden wurde und uns dies nach einigen Wochen keine Sorge mehr machte. Der Mensch kann oft mehr als er glaubt.

Unser Weg hin und zurück ging fast immer durch Wald oder ziemlich gedecktes Gelände. Die Gulaschkanone brachte uns unser gutes Essen, und Brotsorgen, wie unsere Lieben daheim, hatten wir nicht. Der Tagelohn war tarifmäßig für alle Frontsoldaten festgelegt und wurde nicht nach Leistung gewertet; daher, wenn's ging, auch Druck.

Abteilungen der 8., 13. und 20er Parkkompagnie lagen in der Nähe des Munitionsparkes; nur wir hatten morgens um 5 Uhr den Hin- und abends gegen 7 Uhr den Rückmarsch.

Am zweiten Tag, dem 23. Mai, meldete ich mich mit anderen fußkrank. Durch die neuen Stiefel hatten wir Blasen bekommen und mussten die Füße etwas schonen. Ein Sanitäter schnitt uns die Blasen auf, tat Salbe darauf und Verband darum, und um uns nützlich zu machen mussten wir den ganzen Tag an der Küche Holz sägen und spalten.

Erster Fronttag - Samonieuxschlucht

Am 24. Mai 1916 ging ich wieder mit zu oben genanntem Dienst. Abends, als wir fertig zum Abrücken waren, wurden noch einige von uns bestimmt, als Begleitmannschaft eines kleinen Benzolmunitionszuges in die Stellungen in der Samognieuxschlucht mitzugehen; das wurden wir natürlich erst unterwegs gewahr. Uns war die Gegend fremd, ebenfalls das Ziel. Ich war mit dabei. Unser Brot für den Tag war längst auf, und wir hatten Hunger. Wir saßen auf den mit 15-cm-Granaten geladenen Loren der Kleinbahn und fuhren durch Sivry, Consenvoye, Brabant in vorgenannte Schlucht, benannt nach dem gewesenen Dorf an der Maas.

Es war schon dunkel, und unsere Aufgabe war, die Loren nach Ankunft an den Stellungen mit den Batteriemannschaften schnell zu entleeren und helfen, in die Stellungen zu tragen.

Als wir in das Tal einbogen, hörten wir schon in fast greifbarer Nähe das Trommelfeuer der gegenseitigen Batterien, sahen das Aufblitzen und die Einschläge. Der Zug hielt eine Zeitlang. Nach kurzer Zeit sahen wir rechts, links, vor und hinter uns nur noch im Dunkel die Abschüsse unserer Batterien sowie die Einschläge unserer Gegner in direkter Nähe. Es zeigten uns diese in natura die Wirklichkeit des Krieges. Ein Beben ging durch unsere Glieder.

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Der Zug hielt, zog wieder an, hielt wieder, aber er war noch nicht am Ziel. Da, --- waren wir entdeckt? Das Bähnchen war den Franzosen nicht unbekannt und wurde fast täglich unfahrbar gemacht. Granaten setzten jetzt vor und neben uns ein, die Loren entgleisten, die Maschine, ob getroffen (?) - es wurde "ja" gesagt, war vom Geleise, die Geleise aufgerissen. Ein Teil der Begleitmannschaften hatte Schutz gesucht, aber wo? Einer von meinen Kameraden kam nach drei Tagen erst wieder zur Kompagnie, wir glaubten ihn tot.

Jetzt mussten die Loren geleert werden, ein Weiterfahren war ausgeschlossen. Kameraden von den Batterien kamen und schleppten mit uns, oder wir hinter ihnen, die Geschosse in Bergstellungen, so schnell es in der Dunkelheit in dem uns völlig unbekannten Gelände ging. Gegen Morgen kamen wir zur Kompagnie zurück. Dies war meine erste Feuertaufe, - alle wussten, dass auch sie ein Herz hatten, - dem Herrn sei Dank für seine gnädige Bewahrung. - Der angefangene Tag war für uns dienstfrei, aber reich an Gedanken. -

* * *

Heute zurückblickend auf diesen ersten und die späteren Fronttage glaube ich sagen zu dürfen, dass jeder ehrliche Frontsoldat zugeben musste, dass es ihm jedes Mal in die Glieder gefahren sei, auch wenn der äußere Schein das nicht verriet. Wer keine Angst empfunden hat, war eben nicht dort, wo man Angst um sein Leben haben konnte, wo dieses Leben einfach nichts wert war. Wenn heute Wichtigmacher womöglich von keiner gehabten Angst reden, dann kann man sie ruhig fragen, bei welchem Proviantamt oder Kasino in der Etappe sie den Krieg erlebt und wie viel Meter Betondecke die da vorhandenen Unterstände gehabt hätten. Denn, hineingeführt in das "Muss", war es doch stets eine seelische Überwindung, die die Ausführung kostete.

Der U-Boot-Kommandant Niemöller, bekannt aus dem Kriege, jetzt evgl. Pfarrer, sagte einmal: Mut wird aus der Angst geboren, die Angst, der Feind könnte uns unterkriegen, gibt uns den Mut zur Verteidigung und zum evtl. Sieg.

Wieder Munitionspark - Sivry, Velosnes

Am 25. Mai 1916 ging es wieder in den vorgenannten Munitionspark. Der Dienst war vielseitig, bald hier, bald dort. Im Laboratorium des Oberfeuerwerkers war ich gerne, hier gab es für Interessenten zu denken und zu lernen. Zudem kam er Wissbegierigen sehr gerne weitgehendst entgegen, und er freute sich über Bemühungen und Fragen, die zur Erlangung eines gründlichen Verständnisses für artilleristische Ziele und Probleme nötig waren.

Unsere Hauptaufgabe war: Munition stapeln. Aus dem Munitionspark ging auch ein Schmalspurbähnchen durch den Wald von Sivry (den wir täglich zweimal passierten), über die Höhenrücken, das Dörfchen Etraye links im Tale, durch den Etrayewald, dann rechts durch den Moirewald nach dem Caureswald zwischen Flabas und Beaumont, wo es endete.

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Von Etraye kam auch ein Bähnchen, welches oben im Walde in dieses mündete. Da, wo erstgenanntes Bähnchen die Straße Consenvoye - Etraye auf dem Höhenrücken überfuhr, war auch ein Munitionslager, von einem Feuerwerker und von einigen unserer Leute bedient. Dies wurde von uns Köhlerdorf, oder auch nach dem am Bergabhang liegenden Gut: "Molde Ville Ferm" genannt. Diesem Bähnchen bezw. diesem Zügle wurde ich auch schon mal als Begleiter abends beigegeben.

Auch war ein etwas größeres Munitionslager am Moire-Wald, an dem erstgenannten Bähnchen, auch von Leuten unserer Kompagnie verwaltet. Bis Etray war Vollbahn, hier war ein größerer Munitionspark aller, auch Infanterie und dergl. Geschosse. Alles war vorhanden, was zur Verteidigung nötig war, auch ein großer Pionierpark. Ernst Klein aus Burscheid, mein treuer Kamerad, und ich, wurden auch einmal für einige Wochen dorthin kommandiert.

Am Bergabhang standen im Februar 1916 einige 42er Geschütze (Dicke Berta) bei der Februar-Offensive, die ja jeder Kriegsteilnehmer der damaligen Zeit kennt. Die Stellung derselben war noch zu sehen, hatten auch einen Rohrkrepierer gehabt. Die französische Stellung im Haumontwalde, ein besonderer Stützpunkt, war von diesen mit Erfolg bearbeitet worden; die Franzosen wurden dadurch näher auf Verdun zurück gedrängt.

* * *

Als wir eines Morgens früh aus dem Walde traten, sahen wir einen Fliegerkampf. Leider gelang es dem Feinde, den gerade aufgestiegenen Fesselballon in Brand zu schießen, so dass dieser zur Erde fiel, die Insassen waren natürlich tot. Wir waren direkt dabei. In dem Kriegsbuch des Infanterie-Regiments No. 145 steht dieser Kampf näher beschrieben.

Der Dienst wurde oft geändert, je nach Bedarf und Anforderungen. Zum Teil waren meine Kameraden zum Fesselballon am Jägerbusch (hinter der Molde Ville Ferm), andere zu den Batterien, Stellungsbau, Knüppelwege für die Munitionskolonnen zu den Stellungen, Munitionsdienst usw. kommandiert. Da die weiten Wege zu dem großen Munitionspark zeitraubend wie auch gefahrvoll waren, im Regen, oder auch so ermüdet nach dem vielen Dienst, da letzterer meist nach Bedürfnis beendet wurde, so wurde für einige Zeit ein ständiges Kommando von uns in eine Pferdestall-Baracke am Munitionspark, die von einer Feldartillerie-Abteilung geräumt war, gelegt, darunter ich, Ernst Klein und Richard Kolk aus Leichlingen.

Da wir nicht verwöhnt waren, begrüßten wir dies, und da beim Ausrücken jeder einen kleinen leeren Strohsack als Ausrüstung mitbekam, so war hier Gelegenheit, denselben mit gutem Pferdemist zu füllen als Mittel gegen Ungeziefer, denn Läuse und Flöhe gehörten nun einmal zur Truppe, und keiner wurde von ihnen verschont.

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Je nach dem wir Dienst hatten, konnten wir jetzt auch zur Maas baden gehen, eine Wohltat. Ab und zu ging's dann auch zur Entlausungsanstalt nach Etray.

Hier hat mich oft mein Schwager Heinrich Winkels aus Haan besucht, dessen Regiment - Infanterie-Regiment No. 13 - am "Toten Mann", links der Maas, in Stellung war.  [Heinrich Winkels, jüngster Bruder der Ehefrau Emma Mutz geb. Winkels (1889-1928)]   Auch Karl Meurer aus Ohligs, der ebenfalls bei unserer Firma als Angestellter war und bei dem Feldartillerie-Regiment No. 43 stand und ebenfalls beim "Toten Mann" in Stellung musste, kam oft. Heinrich Winkels lag bei Velosnes, Karl Meurer bei Haremont in Quartier.

Kamerad Hugo Heine legte abends oft mit viel Erfolg Fanggeräte für Aale in die Maas; auch wurde gefischt.



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