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Der Erste Weltkrieg hat auch in unserer Familie Lücken hinterlassen. Karl Ludwig Mutz (1873-1956), Vater von vier Kindern, aus pietistischem Elternhaus stammend, hat ihn mit viel Glück und sehr viel Gottvertrauen als nicht mehr ganz junger Soldat überlebt. In den 1930er Jahren schrieb er - zumeist nach Tagebuchaufzeichnungen - seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus der Soldatenzeit als Landsturmmann und Kanonier bei Verdun bzw. im Nordosten Frankreichs auf. Die Aufzeichnungen sind hier inhaltlich und sprachlich unverändert wiedergegeben. Unterstreichungen und VERSALIEN im Text gem. Original,
Hervorhebungen sowie Zwischenüberschriften von mir, [Anmerkungen] und [Wortergänzungen] sind gekennzeichnet. |
Der Weltkrieg mit seinen vielseitigen Nöten ist vorüber, - Erinnerungen aber bleiben. Bei Vielen gehen auch diese schon teilweise im Meer der Vergessenheit unter, darum für mich und meine Nachkommen diese Nachschrift.
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Der Weltkrieg von 1914 bis 1918, den wir jetzt nur noch rückschauend betrachten, erforderte viele Opfer mancherlei Gestalt. Zuerst hoffnungsvoll aufhorchend, verfolgte man gespannt die Heeresberichte. Die Zeitungen umschrieben sie, wenn selbige auch kurz, nüchtern und herb gehalten waren, mit dem Tatendrang unserer Brüder, Väter und Söhne, die in diesem großen Ringen standen, als Wall gegen die Heimat. Unzählige Kameraden, bekannt, oder unkontrollierbar vermisst, traten ab von der Bühne, die man Leben nennt (ein Feldausdruck), und in der Heimat??? ----
Friedrich Mutz
Auch mein jüngster Bruder FRITZ sollte schnell ein Opfer werden. Am 1. Aug. 1914 stellte er sich als Kriegsfreiwilliger dem Königs-Infanterie-Regiment No. 145 (METZ) zur Verfügung. Er war in den Musterungsjahrgängen 1912-1914 stets tauglich befunden, aber auf Reklamation der Mutter zurückgestellt worden. Jetzt wollte er aber, gleich den Vätern, seine Kräfte dem Vaterlande geben.
Der damalige Hilfsprediger Haarbeck aus Duisburg, später Pfarrer in Jüchen, hat ihn seelsorgerlich betreut und hat uns sein gottergebenes gläubiges Sterben mitgeteilt. Beide haben uns berichtet, wie er immer in klaren Augenblicken so freudig von seiner lieben betenden Mutter geredet habe, und auch sie gebeten habe, doch mit und für ihn zu beten.
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Friedrich Mutz 27.09.1892 - 04.12.1914 |
Anlage
Briefe des Pfarrers Haarbeck an Pastor Glaser in Haan und der Schwester Käthe Pagenstecher an meine Mutter vom 4. und 5. Dezember 1914 zum Tode meines Bruders FRITZ. |
Dun a.d. Maas, 4. Dezember 1914
Sehr geehrter Herr Pastor!
Hierdurch möchte ich Sie bitten, der Witwe Mutz mitzuteilen, dass ihr Sohn heute morgen hier im Kriegslazarett seiner Verletzung (Kopfschuss) erlegen ist. Er war zuletzt bewusstlos. Die letzten Tage phantasierte er meistens. Wiederholt sagte er: "Ich habe solch liebe Mutter". Sonntag vor 8 Tagen war er noch ziemlich klar bei Besinnung, er bat mich, mit ihm zu beten, was ich auch tat. Ich versprach ihm an seine Mutter zu schreiben, das ist auch längst geschehen. Es ist ein Jammer, hier das Leiden und Sterben zu sehen. Gott sei Dank, dass wir einen Heiland haben. Bitte trösten Sie die arme Frau und grüßen Sie sie von mir. Ich lasse ihr Trost und Frieden von Gott wünschen. Sie soll doch nicht verzweifeln. Mit ergebenem Gruß
Hilfsprediger Haarbeck aus Duisburg-Ruhrort. |
Dun a.d. Maas, 5. Dezember 1914
Liebe Frau Mutz!
Seit heute Nachmittag halte ich Briefe aus der Heimat an Ihren Sohn Fritz in Händen und nun habe ich die schwere und schmerzliche Aufgabe, Ihnen zu schreiben, dass kein lieber Gruß ihn mehr erreicht hier auf Erden. Gestern früh, am 4.12. um 7 Uhr ist er ganz sanft und schmerzlos eingeschlafen. Die letzten Wochen waren ein beständiges Ringen zwischen Leben und Tod. Groß war die Verwundung des Schädels, immer von neuem traten Blutungen aus der Tiefe ein, die nicht zu stillen waren, so dass auch der Berliner Professor, der hier unsere Tapferen behandelt, keine Hilfe bringen konnte. Wir haben versucht, durch kräftige Nahrung den Blutverlust zu ersetzen, aber hohes Fieber trat hinzu, unser Mühen war umsonst, sein junger kräftiger Körper musste dennoch erliegen. In den ersten Wochen seiner Verwundung waren seine Gedanken meist in der Heimat, er hat mir von seinen Lieben erzählt, die Erinnerung an seine liebe gute Mutter beglückte ihn noch in seinen Fieberphantasien, immer wieder rief er ihren Namen. Von den Vorgängen vor und während seiner Verwundung hat er leider fast gar nichts gesprochen. Fieber und Schwäche nahmen ihm in den letzten Tagen die volle Klarheit seines Verstandes, so dass ihm der Kampf des Abschieds und Scheidens von allem was ihm lieb war auf Erden erspart geblieben ist. Mir war Ihr lieber Sohn in seiner treuen und dankbaren Art in diesen Wochen ganz ans Herz gewachsen. Wie schwer mag es der Mutter sein, die ihr Kind ganz anders kennt und liebt, dem Vaterland dies große Opfer zu bringen. Hoch über Dun liegt Kirche und Kirchhof an einem wunderschön gelegenen Fleck französischer Erde, haben ihn heute Kameraden zu Grabe getragen, unser Pfarrer hat ihn geleitet und sein Abschiedswort an 2.Kor.5,1 angeknüpft. Soldaten haben gesungen: "Näher mein Gott zu Dir." Des Herbstes letzte Blumen schmücken sein Grab. So viele ruhen schon dort oben, wir wollen ihrer in Dankbarkeit gedenken, die bis zum Tode dem Vaterland getreu waren. Möchte Ihnen, liebe Frau Mutz, der liebe Gott in seiner Allmacht einen Trost senden. (gez.) Schwester Käthe Pagenstecher
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Im Juli 1916, als ich bei Verdun lag, habe ich das Grab meines Bruders, wie auch das Lazarett, wo er gelegen hatte, aufgesucht. Schwester Käthe hat mir das Zimmer und das Bett gezeigt und mir noch erzählt als von einem "Nichtalltäglichen", den sie so leicht nicht vergessen werde. Pfarrer Haarbeck sagte mir, dass er seinem Tagebuch dieses "Heimgehen" zur bleibenden Glaubensstärkung für ihn, wie für andere, anvertraut habe.
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Zuerst dachte man an eine kurze Dauer des Krieges, doch, da der Feinde immer mehr wurden, schwand auch diese Hoffnung. So wurde im Frühjahr 1915 auch noch der ungediente Landsturm der Jahrgänge 1873-74 gemustert, wobei auch ich als K.V. = Kriegsverwendungsfähig = befunden wurde. In meinen Musterungsjahren war ich auch als wehrfähig (Infanterie) notiert worden, aber auf Reklamation hin frei gekommen.
Eine Reklamation meiner Firma [Anm.: Korten & Scherf in Ohligs], da in der mir unterstellten Abteilung Kriegsmaterial gemacht wurde, war erfolglos, nur ganz besondere Fälle fanden Berücksichtigung.
Ausbildungsbataillon - Diedenhofen
Am 10. Dez. 1915 nachmittags 2½ Uhr waren wir endlich am Ziel und sollten auf einem alten Fruchtlager unser Domizil haben. Nach Einteilung in Korporalschaften, fünfzehn je 22 bis 24 Mann, ging's dann doch ab in die neuerbaute schöne Kaserne an der Straße auf Fort Gentringen zu. Es sollte bis dahin nur ein Ausbildungsbataillon darin gelegen haben. Wir Solinger bildeten jetzt das 23. Infanterie-Ausbildungs-Bataillon des 16. Armeekorps. Meine Adresse war:
Auch glaubte man mit einer gewissen Angst an die alles niederstechenden Solinger Messerhelden und meinte mit besonderem Dienst und Druck dieses abwenden zu müssen; diese Lächerlichkeit!
Alle paar Wochen war ärztliche Untersuchung, auch Impfen. Die Untersuchungen änderten manchmal [einen] früheren Befund, manche mussten auch ins Lazarett oder ins Revier. Jeden Samstag früh war größerer Gepäckmarsch, oft bis zum Nachmittag. Anschließend dann Stuben und Fenster reinigen sowie Nachexerzieren für die, die sich schon in der Woche etwas verfehlt hatten.
Als wir eingezogen wurden, waren 2/3 von uns K.V. und 1/3 G.V.; durch den anstrengenden Dienst verschob sich dies aber wesentlich ins Gegenteil, wie die ärztlichen Befunde bald zeigten.
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Wie schon gesagt, wurde der Hauptwert auf Felddienst und Schießen gelegt. Der große Übungsplatz bei Niederjeutz sah uns fast täglich, oder wir waren mit der Artillerie bei St. Peter.
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Unser Ausbildungs-Bataillon war in drei Züge eingeteilt, jeder Zug hatte fünf Korporalschaften. Jeder Zug, also über 100 Mann, wurde von einem Offizierstellvertreter geführt. Über das Ganze war ein Feldwebel und älterer Feldwebelleutnant von der Kriegs- oder Kadettenschule gestellt.
Für Anfang März 1916 waren die Besichtigungen angesagt, vorher aber musste noch mancher Schweißtropfen heraus. Wache aufziehen und ablösen, Einmarsch in Stellungen, Stielhandgranaten und Eierhandgranaten werfen, Kompagnieexerzieren wie im Bataillon, vor allem Schießen, Präsentieren usw. mussten gründlich erlernt sein. Diejenigen, die evtl. den Spaß verderben konnten, wurden für den Tag ausgemerzt, sie mussten sich krank melden. Weil Diedenhofen schon Operationsgebiet war, bekamen wir auch Kriegslöhnung, und alles wurde sehr streng gehandhabt.
Zum Schluss erhielten wir in einer kurzen Rede eine lobende Anerkennung für das Geleistete, und dann kamen für uns die weiteren Fragezeichen: W a s n u n ? * * *
Am 7. März 1916 sahen sich viele von uns zum letzten Mal, denn unser Bataillon wurde aufgelöst. Ein Teil von den inzwischen A.V. Gewordenen blieb in Diedenhofen und Umgebung, auch einige G.V. blieben dort, andere G.V. kamen nach Russland oder Belgien.
Ersatz-Bataillon - Saint Avold
Am 29. März 1916 wurde die Kompagnie dann zum 3. Landsturm-Infanterie-Ersatz-Bataillon XVI/24 nach St. Avold versetzt und aufgelöst.
Ein Groschen nach dem anderen wanderte in den Spieleapparat, und bald war eine Tanzstimmung vorhanden, die das Soldatsein, wie die Pflichten, vergessen ließ. Da wir nachmittags um 1 Uhr zur Ablösung da sein mussten, kamen wir mit ½ bis ¾ stündiger Verspätung an. Die hierauf einsetzende Auseinandersetzung ließ schon eine feuchtfröhliche Stimmung erkennen, der Vorgeschmack hatte erst recht die richtigen Bedürfnisse bei vielen geweckt. Nach Aufzug der ersten Nummer wurde dann reichlich Wein und andere Getränke zur Wachstube geholt, und bald war es ein Singen und Fröhlichsein.
Als wir nachmittags zurück waren, erhielt ich einen achttägigen Urlaubsschein. Der Bahnhof lag auf der anderen Seite, Franz Schröder begleitete mich. Zu Hause angekommen, meinte meine Firma, ob ich auf ihr Gesuch gekommen sei. Da dies aber nicht der Fall war, reklamierte sie weiter, und ich bekam nach einigen Tagen noch weitere 2 Wochen Urlaub. Als ich aber 2 Wochen um hatte, kam vom Bataillon ein Telegramm "Sofort zurück".
Ersatz-Bataillon - SaarlouisIn Saarlouis kamen wir in die Ställe der reitenden Jäger, hier war ein stetes Kommen und Gehen. Leute jeden Alters und aller Truppengattungen, verwundet oder krank gewesen, alte gediente und frisch ausgebildete Kameraden fanden sich in diesem Ersatzbataillon zusammen. Die Lücken der anfordernden Regimenter wurden von hier aus aufgefüllt. Hier exerzierten wir zwischen Artillerie, Kavallerie, Train [Fuhrwesen, Materialtransport], Pionieren u.a.; für uns Infanteristen war das ein Vergnügen, da wir in Griffe kloppen, schießen u. dergl. doch weit geschulter waren. [Griffe kloppen = Gewehrgriffe üben; mit dem Gewehr exerzieren.] Aber an jedem Abend dachte man, wo bist du wohl morgen? 10Wachen gab es auch genug; einmal stand ich am Lazarett, wo in einer Baracke kranke gefangene Russen lagen. Es war streng verboten, dass sich nach 10 Uhr abends noch jemand sehen ließe oder zu schaffen machte ohne vorherige Meldung beim Posten. Ich musste nachts von 11 bis 1 Uhr Wache stehen, hörte etwas im Gebüsch, auf meinen Anruf aber keine Antwort. Als ich das Gewehr entsicherte und in der nächsten Sekunde geschossen hätte, kam Antwort. Beim Nähertreten war es ein Sanitäter, der ohne Urlaub über die Mauer zurückkam. Er bat mich nicht so laut zu sein, es kämen noch mehr. Die sonst dort auf Posten standen wussten darüber Bescheid, nur wir waren hierin noch Neulinge. Gemeldet wurde darüber nichts. * * *
Am 18. Mai 1916 hatten wir eine große Übung auf dem weiten Exerzierplatz, als gegen 11 Uhr der Alarmbefehl kam. In zwei Gliedern auf dem Kasernenhof eingetreten, hieß es in den einzelnen Kompagnien überall abzählen bis ...... Bei uns auch einmal bis 18, und ein Unteroffizier bekam den Befehl: diese 36 Mann sind für Diedenhofen. Sofort alles abgeben, und nachmittags gegen 3 Uhr fuhr mein alter Unteroffizier Ehrlich schon mit uns, wir wurden notdürftig in Blau gekleidet, nach Diedenhofen.
Fußartillerie - Sedan, Stenay, Velosnes, Sivry
21. Mai 1916 - Gegen 5 Uhr morgens, es war Sonntag, waren wir in Sedan und gegen 10 Uhr in Stenay, wo wir wegen Fliegergefahr einige Stunden liegen mussten. Dann ging's an Kriegergräbern und vielen zerstörten Dörfern vorbei auf Verdun zu.
Erste Frontnacht
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