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"Die Arbeit der Schleifer war schwer und ungesund. Meistens erlagen sie schon in den besten Mannesjahren der 'Schleiferkrankheit' [...]. Aber sie waren auch ein fröhliches Völkchen, das ohne Zwang dahinlebte und meist eine 'durstige' Leber hatte. Als echt bergische Menschen waren viele von ihnen Freunde des Gesanges." So charakterisierte Heinson "die Schleifer" 1959. Dass sie Naturfreunde waren, einige von ihnen gern ihr Schießgewehr mit auf den Wald- und Heidespaziergang genommen haben und mit totgeschossenen Tieren nach Hause kamen, ist auch keine Legende.
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"Moralische Characteristic" (1823)Im Jahr 1823 berichtete der Amtsarzt des Kreises Solingen, Dr. Johann Wilhelm Spiritus (1787-1848), über besondere Charakter- und Mentalitätsmerkmale, die ihm an den Einwohnern des Kreises Solingen aufgefallen waren. |
§ 40
"Ein Hauptcharacterzug des Solinger Fabrikanten [Mit Fabrikant ist hier der Handwerker bzw. Gewerbetreibende gemeint] war ehedem ein gewisser Handwerksstolz, der sich von seinen Vorrechten und Privilegien herschrieb, auch ietzt noch nicht ganz erloschen ist, obgleich jene Privilegien seit mehrern Jahren ausser Kraft gesetzt worden sind [175].
Mitleid mit dem nothleidenden Bruder, Diensteifer, um ihm zu helfen, und Wohlthätigkeit sind schöne Characterzüge der hiesigen Fabricanten [179], sie zeichnen sich darin vor dem Landmanne aus, den das Unglück seines Mitmenschen weniger schnell erweicht und zur Freigebigkeit anspornt. Auch haben sie von jeher Sinn für Religiosität bewiesen; die Kirche wird fleißig besucht [180], und das Wort Gottes, die Bibel so wie die Prediger stehen in hoher Achtung. An so manchem Krankenbette habe ich mich davon überzeugt, daß Leichtsinn und Sinnlichkeit den Glauben an die Wahrheit unserer heiligen Religion noch keinesweges verdrängt haben.
Anmerkungen
[173] Adam Edler von Daniels: Vollständige Abschilderung der Schwert- und Messer-Fabriken, fort sonstigen Stahl-Manufacturen in Sohlingen. Düsseldorf 1802. Ndr. Remscheid 1981. Daniels war Amts- und Obervogtsverwalter in Solingen, schrieb im Auftrag der Landesregierung und widmete das Buch dem Regierungspräsidenten von Hompesch. Er beschreibt im Gegensatz zu Spiritus ausführlich auch die Verfaßtheit der Solinger Gewerbe (Lohnordnungen, Privilegien, Fabrikzeichen usw.).
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Steinhängen
Man versuchte das Beste aus dem rauhen Arbeitsalltag zu machen. Ein Grund zum Feiern war das Steinhängen, wenn ein neuer Schleifstein in Betrieb genommen wurde. Der abgenutzte alte Stein musste zunächst aus dem Kotten geschafft und der 'Schleiftrog' vom 'Schleifdreck' gereinigt werden. Dann wurde der meist aus der Eifel bezogene, 30-40 Zentner schwere Stein in den Kotten geholt und unter großen Anstrengungen aufgehängt und befestigt - was nicht immer ohne Blessuren abging.
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Steinhängen Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen |
Ottersehen und andere Scherze
"Die Schleifer waren auch zu Scherzen und allerhand Schabernack bereit, die wohl meistens montags ausgeheckt wurden, da sie an diesem Tage regelmäßig blau machten. Aber auch während der Arbeit machten sie sich manchen Spaß.
Auch die folgende Anekdote aus dem Tal der Wupper, leider aus unbekannter Zeit, lässt den Schluss zu, es habe sich bei den "alten Schleifern" um gewitzte, erfindungsreiche und dabei eigentlich grundehrliche Leute gehandelt, eine eingeschworene Gemeinschaft. Das wird auch oft so gewesen sein. Schließlich verbrachte man mehr oder weniger das ganze Leben miteinander, war verwandt oder verschwägert oder wohnte zumindest in der Nachbarschaft. |
Solinger Tageblatt vom 26. November 1957
Der abergläubige Bauer und der "weiße" Teufelsspuk
Weit unten, am Unterlauf der Wupper, wohnte ein Bauer, der mit Menschen nur sehr wenig in Berührung kam. Daher kam es, daß er vor Geistern und Gespenstern eine heillose Angst hatte. Damit ihm Hexen sein Vieh nicht verhexen konnten, hatte er nicht allein ein Hufeisen an die Außenseite der Stalltür genagelt, sondern er hatte auch eine Elster im Monat März geschossen und mit dem Kopfe nach unten im Stall aufgehängt. Beides sollten Radikalmittel gegen Hexen und andere unliebsame Kobolde sein.
Nun beschlossen die Schleifer, das Holz ohne Einwilligung des Bauern zu holen. In einer mondhellen Nacht gingen die Schleifer das Holz holen, und während die meisten das Holz abschleppten, ging einer, in ein großes weißes Laken gehüllt, mit einem langen Stab auf der Schulter am Waldrande hin und her. Ein anderer lief zum Bauer, um ihm den Holzdiebstahl zu melden. Mit den Worten »Die soll der Teufel holen«, ergriff er ein Handbeil und schritt in Begleitung des Schleifers dem Walde zu.
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Kotten-HeinzelmännchenSchleifer-Anekdoten ranken sich auch um die hilfreichen 'Heinzelmännchen', die manchmal zu nächtlicher Stunde einsprangen, wenn die Schleifer z.B. wegen Wassermangel zeitweise nicht arbeiten durften, aber dringende Aufträge zu erledigen waren. Diese heimlichen Gehilfen haben z.B. im Kuckesberger Kotten an der Itter gewirkt, oder auch im Auerkotten an der Wupper. Richard Dinger schrieb dazu im Jahr 1930: |
Die Heimat Nr. 22 vom 1. November 1930, S. 86 f
"[...] Nun war da ein Schleifer oder Schmied, der eilige Bestellungen erledigen mußte. Da er verpflichtet war, sich an die gesetzmäßigen Abkommen zu halten, durfte er abends nicht länger als die anderen das Wasserrad laufen lassen. Er ging nach Hause und sagte zu seinen Kollegen: »Ech mak et morn!« Scheinbar regte es ihn nicht auf, daß er die Arbeit nicht vollenden konnte.
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Aber nicht immer herrschten Eintracht und Solidarität zwischen den Berufskollegen. Und zu Zeiten der Handwerker-Bruderschaften gab es noch eine andere, dunkle Seite, und die war gar nicht lustig: die "nächtlichen Orakel". |
Böse BubenAuch ohne zünftige oder "politische" Hintergründe kam es vor, dass die Schleifer und Kottenbesitzer Opfer böser Buben wurden oder auch mal selbst als solche in Erscheinung traten. |
Beilage zu Nro. 50 des Solinger Wochenblattes vom 20. Dezember, 1826
Obrigkeitliche Bekanntmachungen.
Es wird Jemand vorgestern Abends eine Parthie Messerstahl in der Nähe hiesiger Stadt gefunden haben; da aber zu vermuthen steht, daß solches irgendwo gestohlen worden sey, so wird der unbekannte Eigenthümer hiermit aufgefordert: sich dazu ungesäumt auf hiesigem Rathhause zu legitimiren.
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Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 27. August 1851
Seit einiger Zeit sind uns am Königskotten Fenster und Dachziegel durch Bösewichte zerworfen worden. Derjenige, welcher uns den Thäter so anzeigt, daß wir denselben gerichtlich bestrafen lassen können, erhält eine Belohnung von fünf Thalern. |
Selbstverständlich waren die Schleifer ehrenwerte Leute, wie alle anderen Solinger Handwerker auch. Wenn trotzdem gelegentlich etwas anderes über den einen oder anderen in der Zeitung stand, dann kann es sich nur um einen bedauerlichen Einzelfall oder einen Irrtum gehandelt haben. |
Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 26. November 1853
Steckbrief.
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Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 3. Juni 1854
Amtliche Bekanntmachung.
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Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 12. Dezember 1896
Ein Schwertschleifer hatte von einem Wirthe Branntwein geborgt unter Vorspiegelung falscher Thatsachen. Er wurde wegen Betruges mit einer Woche Gefängniß bestraft. |
Schleifer-Spitznamen
So mancher Ahnenforscher hat sich schon mit der nahezu unlösbaren Aufgabe herumgeschlagen, unter einer Vielzahl gleichzeitig am selben Ort lebender Personen mit gleichen Vor- und Zunamen den Richtigen herauszufinden. Da die Unterscheidung dieser Personen anhand der Namen zu ihren Lebzeiten ähnlich schwierig war, half man sich mit Spitznamen. Die der bergischen Schleifer fielen manchmal etwas derb aus und wurden von ihren Trägern nicht immer gern gehört, beseitigten aber sofort alle eventuellen Zweifel über die Identität. Schade, dass sie nicht wenigstens als Randnotiz in die Kirchenbücher aufgenommen wurden.
Friedrich Wieden berichtete 1942 im Solinger Tageblatt von einem Taufregister der Wupperschleifer und hat zahlreiche Namen aufgelistet. Die zugehörigen bürgerlichen Namen sind leider nicht angegeben. Ob man sich tatsächlich ein Register in schriftlicher Form vorzustellen hat, wer es ggf. geführt hat und wie lange, und ob es womöglich ein "Taufritual" gegeben hat, erfährt der Leser hier leider nicht. |
Solinger Tageblatt vom 29. August 1942
Der "Schluffen" und der "Ernen-Buck"Aus dem Taufregister der alten Wupperschleifer
In den Wupperbergen und besonders in dem Schleifkotten herrschten früher Sitten und Gebräuche, die für einen Fremden, selbst wenn er aus der Solinger Kante stammte, schwer zu erklären waren. Dazu gehörten auch die Rufnamen der Schleifer, die häufig ganz anders klangen, als sie in den amtlichen Melderegistern verzeichnet waren. So geschah es zu Beginn des Krieges 1870/71, daß der Gestellungsbefehl für einen Wupperschleifer erst nach vier Wochen zugestellt werden konnte, eben weil der Name nicht mit dem "Taufregister der Schleifer" übereinbstimmte. Erst als der mit den Ermittlungen betraute Polizist festgestellt hatte, daß ein gewisser Evertz, genannt "Schluffen", gemeint war, konnte ihm jedes Kind die gewünschte Anschrift mitteilen.
Anschließend geben wir eine Uebersicht von Namen, die im alten Taufregister der Schleifer verzeichnet waren. Es gab da einen
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Bei den Spitznamen in der Sammlung von Richard Wilms aus Wald (1928) sind die Spezifizierungen mit wenigen Ausnahmen (richtig nett: "Et Marellenbäumken") einfach an die Familiennamen angehängt. Sicher half man sich auf ähnliche Weise auch bei den Nicht-Schleifern und bei den vielen Anna Catharinas, Anna Margarethas und Anna Christinas. |
D'r Pottplatz D'r Plümekersch-hipp D'r Mutz-knudel D'r Mutz-brun D'r Mutz-klöwer D'r Nahsentheis D'r Jakobs-klöppel D'r Pietersch-ente D'r Ohligersch-geus D'r Küllersch-buck D'r Schafe-stert D'r Klophouse-quaß D'r Klophouse-wöübel D'r Nöckersch-gries D'r Reiersch-nauke D'r Oellekserpel D'r Schedlersch-pierres Et Marellenbäumken D' Boukfeite-fott D'r Schlips D'r Dekkersch-kuckuck D'r Meyersch-fiste D'r Erne-monter D'r Ernen-mecke D'r Merlepie |
D'r Lach-hannes Et Marine-kröppels D' Bosch-tante D'r Jung's-schlufen D'r Kaimersch-pen D' Hexe-complö D'r Schmett's-büdel D'r Schmett's-kessel D'r Orm's-bon D'r Orm's-balg D'r Witte-speck D'r Ka-isersch-drüch D'r Ka-isersch-stenz D' Ohligersch-bestemuder D'r Paschmann's-esel D'r Re-irsch-nauke D'r Bous-puckel D'r Kempersch-knipp D'r Melchersch-büll D' Melchersch-eierprum D'r Melchersch-kuhschuhn D'r Ernsches-kipp D'r Kappeler-hügel D'r Botterweks-piep D'r Fretz-wellm |
D'r Kolfertz-esel D'r Hendrich's-perzkopp D'r Wolfertz-pliester D'r Wolfertz-ester D'r Kratz-tüt D'r Jung's-mostert D'r Mibesmaier D'r Wietschersch-wan-et-sich D' Krämersch-ühl D'r Melchersch-pe-ias D'r Kösters-stupsmol D' Schmett's-mus D' Rödersch-flieg D'r Hüskes-hölz D'r Stemmlersch-bimmert D'r Zöllnersch-priemel D'r Wirschberg's-mul D'r Schäfersch-peck |
1895 Lauter Individualisten: Belegschaft des Obenfriedrichsthaler Kottens an der Wupper, Solingen. Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen |
Die Haaner Schleifer und die Politik
Über die "ganz alten" Schleifer ist in der Literatur viel geschrieben worden. Aber als die meisten Wasserkotten aus dem Verkehr gezogen waren und die Schleifer sich aus den Dampfschleifereien in eigene Werkstätten verteilt hatten, scheint das Interesse an ihnen verloren gegangen zu sein. In einer Abhandlung über Haan aus der Zeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus tauchen sie kurz wieder auf.
"In Haan selbst waren etwa 100 als Heimarbeiter für Solinger Firmen tätig. Diese 'Handwerker-Arbeiter' waren fast alle organisiert. Sie schlossen sich in lokalen Fachvereinen zusammen (Industriearbeiterverband) und kämpften gegen das Fabriksystem. Damit gerieten sie in Konflikt zum Deutschen Metallarbeiter Verband, dem sie seit 1926 zunehmend das Feld räumen mußten. Die Konkurrenz beider Organisationen trat auch in Haan zutage. Die gegensätzlichen Interessen kulminierten in der Frage, ob die Schneidwarenindustrie Teil- und Maschinenarbeit dulden sollte oder nicht.
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In einigen der lokalpatriotisch geprägten älteren Schilderungen zur Solinger Geschichte wird der Eindruck erweckt, als wären die stolzen Schleifersöhne dem vermeintlichen Naturgesetz, wieder Schleifer zu werden, mit der größten Selbstverständlichkeit gefolgt.
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Quellen:
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