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Anfang 1969 waren dem Solinger Gewerbeaufsichtsamt neben etwa 10 300 Beschäftigten in der Solinger Schneidwarenindustrie noch 4 573 Auftragsverhältnisse von Heimarbeitern gemeldet, überwiegend Schleifer. Diese Auftragsverhältnisse verteilten sich auf etwa 2 000 Heimarbeiter. Jeder Heimarbeiter arbeitete i.d.R. für zwei bis drei Herstellerfirmen. [Röltgen S. 50] Darunter war damals auch mein Vater, der ein Jahr später seinen Beruf als heimarbeitender Rasiermesserschleifer an den Nagel hängen musste, nicht nur wegen der schlechten Auftragslage. Das ist 35 Jahre her, und inzwischen hat sich vieles verändert.
- Die Schleifer-Betriebssysteme - Die Wasserkotten - Die Dampfschleifereien - Die "eigenen Betriebsstätten" - Heimarbeiter im Fabrikbetrieb - Das Stellenmietersystem |
Definition des "Heimarbeiters" in Solingen
Im landläufigen Sinne werden als Heimarbeiter Lohnarbeiter bezeichnet, die zu Hause arbeiten, aber zu ihrem Arbeitgeber in einem abhängigen Dienstverhältnis stehen. In der Solinger Schneidwarenindustrie ist das anders.
"Hausgewerbetreibender und Heimarbeiter im Sinne dieses Vertrages ist, wer ohne Gewerbetreibender zu sein, im Auftragsverhältnis in eigenen oder gemieteten Arbeitsräumen oder Arbeitsstellen mit eigenen oder gemieteten Werkzeugen oder Gerätschaften allein, mit Verwandten oder mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften für einen oder mehrere Auftraggeber Schneidwaren bearbeitet oder verpackt und dabei keinen disziplinären Anweisungen des Auftraggebers unterliegt." [Zitiert bei Röltgen S. 50 f]
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Die Schleifer-BetriebssystemeDie Wasserkotten
Die wassergetriebenen Schleifkotten waren Eigentum ihrer Erbauer, die als Schleifermeister in ihren Kotten arbeiteten, mit Gesellen und Lehrlingen oder ohne.
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Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 27. Februar 1861, vom 9. März 1861 u.a. Für Schleifer.
Am Balkhauser-Kotten sind noch 3 bis 4 Schleifstellen und die Hälfte von einem großen Stein zu vermiethen und können gleich bezogen werden. Das Nähere bei A. Wirts am Wupperhof. |
Die Dampfschleifereien
Bei andauerndem Frost oder extremer Trockenheit konnte in den Wasserkotten oft wochenlang nicht gearbeitet werden. Das sollte sich durch Nutzung der Dampfkraft ändern: Mitte des 19. Jh. begannen wohlhabende Fabrikanten mit der Einrichtung von Dampfschleifereien ("Maschinn" genannt) in verkehrsgünstiger Lage auf den Höhenrücken, um dort billigere Lohnarbeitskräfte zu beschäftigen. Aber das Selbständigkeitsbedürfnis der Schleifer war so groß, dass kaum einer der "Alt-Eingesessenen" in diesen "Bärenställe" genannten Schleifhäusern arbeiten wollte.
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2004 Loosen Maschinn in Solingen-Widdert, ehemals eine der größten Solinger Dampfschleifereien |
Die "eigenen Betriebsstätten"
Ende des 19. Jh. wurde das Bergische Land an das Stromnetz angeschlossen. Die neue Antriebskraft führte dazu, dass die Schleifer wieder in die altgewohnten Heimwerkstätten zurückkehrten oder sich solche in der Nähe ihrer Wohnung einrichteten. Die "eigenen Betriebsstätten" schossen wie Pilze aus dem Boden. 1935 schrieb das Solinger Tageblatt:
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2003 Ehemalige Taschenmesser-Reiderei Lauterjung, Solingen, Schaberger Straße 16 |
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2003 Die Werkstatt ist Teil des Rheinischen Industriemuseums und kann besichtigt werden. |
Heimarbeiter im Fabrikbetrieb
Wer nicht Eigentümer einer "eigenen Betriebsstätte" war oder in einer solchen eine Stelle gemietet hatte, konnte dies auch in der Fabrik eines seiner Auftraggeber tun.
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1913 Schleiferei einer Stahlwarenfabrik |
Das Stellenmietersystem
Der nach dem beschriebenen Betriebssystem arbeitende Heimarbeiter ist ein Stellenmieter. Das Stellenmietersystem gibt es - so Röltgen - nur in der Solinger Schneidwarenindustrie, in keiner anderen Industrie oder Branche weltweit. [S. 58]
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Heimarbeiter-Betriebssysteme
I. Heim-Heimarbeiter: 1. Eigentümer mit eigenen Gerätschaften und eigenen Hilfsstoffen. 2. Echte Stellenmieter mit eigenen Gerätschaften und eigenen Hilfsstoffen. (Unabhängig davon, ob sie für einen oder mehrere Auftraggeber arbeiten.) Nach ortsüblichem Sprachgebrauch
"Heim-Heimarbeiter" = Eigentümer gemäß I, 1 = Echter Stellenmieter gemäß I, 2 "Stellen-Mieter" = Betriebs-Heimarbeiter gemäß II, 1 = Betriebs-Heimarbeiter gemäß II, 2 = Echter Stellenmieter gemäß I, 2 "Fabrik-Heimarbeiter" = Betriebs-Heimarbeiter gemäß II, 3 = Betriebs-Heimarbeiter gemäß II, 4 |
Quelle:
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