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2004 Loosen Maschinn, Börsenstraße 87 in Solingen-Widdert, ehemals eine der größten Solinger Dampfschleifereien |
Dampfmaschinen wurden schon im 18. Jh. wirtschaftlich genutzt. Aber bis sich diese technische Errungenschaft in Solingen etablieren konnte, dauerte es noch eine Weile. 1829 setzte als Erste die Schirmfabrik Lange und Dinger in Wald eine solche Maschine ein. In der Schneidwarenindustrie begann sie sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. gegen die wesentlich billigere, aber unzuverlässige Wasserkraft durchzusetzen. Um 1900 löste der elektrische Strom die Dampkraft als Antriebskraft wieder ab.
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Notwendigkeit alternativer Technik
Lange vor Solingen - schon seit 1786 - sollen die Betriebe im englischen Sheffield mit Dampfkraft gearbeitet haben. [Beermann S. 90] Aufträge, die in Solingen aufgrund der Witterungsabhängigkeit der Wasserkotten nicht erledigt oder gar nicht erst angenommen werden konnten, verloren die Solinger Unternehmen an Sheffield!
"Schließlich erlauben wir uns noch auf einen sehr großen Übelstand in unserer Stahl- und Eisenwaren-Fabrikation aufmerksam zu machen, der namentlich zur diesjährigen Sommer- und Winterzeit sich bemerkbar gemacht und seinen Einfluß auf das verderblichste ausübt. Es sind dies die an verschiedenen kleinen Bächen gelegenen Schleifereien, wodurch die ganze Fabrik wohl jährlich 3 bis 4 Monate und sogar oft noch länger untätig gemacht wird; denn im Sommer trocknen diese Bäche aus, bei starkem anhaltendem Regen treten sie aus ihren Betten, und im Winter frieren sie leicht zu, und so haben wir denn auch in der gegenwärtigen, bedrängten Zeit, wo zwar kein Überfluß an Arbeit war, sehr schmerzlich empfunden, daß auch diejenigen Bestellungen, die am Platze waren, durch den Frost verhindert, nicht ausgeführt werden konnten.
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Einführung von Dampfschleifereien im Solinger Industriebezirk
Gefragt war also Privatinitiative. 1846 nahm Reinhard Kirschner in Dorp die erste Dampfschleiferei in Betrieb. 1852 gab es laut Handelskammerbericht bereits acht Dampfschleifereien mit mehr als 600 beschäftigten Schleifern. 1854 waren es 20 Dampfschleifereien. Die Mehrzahl der Dampfschleifereien entstand allerdings erst in der 1880er und 1890er Jahren nach dem Aufschwung der Solinger Schneidwarenindustrie. 1895 waren es über 100 derartige Betriebe. Thiemler nennt für die 1850er Jahre folgende Betriebe (angegeben ist das Jahr der Inbetriebnahme):
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Stellenangebot im Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 4. Januar 1845: "Ein geschickter solider Arbeiter, der sich auf Stahl-Galanterie-Arbeit versteht; findet in einem hiesigen Hause dauernde Beschäftigung. Näheres in der Expd. d. Bl." |
Wie in einem Artikel der Rheinischen Landeszeitung 1940 berichtet wird, rankt sich um die Dampfschleiferei Theegarten im Gräfrather Bezirk eine Überlieferung zum Thema Kinderarbeit, die nur stimmen kann, wenn diese schon in der 1840er Jahren bestanden hat und nicht erst 1853 eröffnet wurde, wie anderenorts angegeben [Thiemler S. 11 f]: |
Rheinische Landeszeitung vom 29. Dezember 1940
Die erste Dampfschleiferei
"Bei einem vor einigen Jahren am Buscherfeld in der Nähe von Ketzberg auf der Flur 'Scheidter Heide' aufgeführten Neubau wurde [...] altes Gemäuer angeschnitten, dessen Vorhandensein die Erinnerung wachrief an eine früher dort vorhanden gewesene Dampfschleiferei. Die Überlieferung besagt, daß es die erste Dampfschleiferei des Gräfrather Bezirks gewesen sein soll, die vor bereits über 100 Jahren von einem Besitzer namens Theegarten eingerichtet wurde. [...] In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Betrieb dieser Dampfschleiferei eingestellt und das Gebäude später niedergelegt.
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Wahrheit oder Legende - es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein kleiner Einblick in die sozialen Wirklichkeiten helfen kann, die richtigen politischen Entscheidungen auf den Weg zu bringen - selbst wenn der Hintergedanke in diesem Fall militärischer Natur und alles andere als sozial gewesen sein sollte.
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Vorbehalte der SchleiferDie großen Dampfschleifereien, Maschinn genannt, stießen bei vielen der alteingesessenen Schleifer zunächst nicht auf uneingeschränkte Akzeptanz. Eher wurden sie als Bedrohung für den herkömmlichen handwerklichen Produktionsprozess empfunden. Während der Revolution im Frühjahr 1848 wurde eine davon Angriffsziel der Zerstörungswut. War diesen Schleifern noch nicht bewusst, dass es längst eine bedeutende englische Konkurrenz gab? Im November 1851 veröffentlichte das Solinger Kreis-Intelligenzblatt folgenden offenen, aber anonymen Brief: |
Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 19. November 1851
Schleifer-Angelegenheiten.
"Die Erfahrungen haben uns in letzteren Zeiten deutlich genug einsehen lassen, wie durchaus nothwendig es ist, den Schleifern gut gemeint anzurathen ihre Triebwerke derart zu verbessern (welches an sehr vielen Stellen laut Aussagen Sachverständiger mit geringen Kosten zweckmäßiger eingerichtet werden könnte) um den Bedarf der hiesigen Fabrikationen durch alle Jahreszeiten zu befriedigen; allein Mangel an einer richtigen und klaren Einsicht, diesem Bedürfnisse entgegen zu kommen, sind noch viele, vielleicht noch die meisten Schleifer von dem vermoderten Vorurtheil befangen, daß unsere hiesigen Fabrikationen lediglich von ihnen allein abhängig wäre, und daher der alte Grundsatz, dem Schleifer muß es nicht schaden, wenn das Wasser zu groß oder zu klein ist, oder die Wintermonate zu kalt zum Arbeiten sind, die Commissionen gehen uns nicht verloren, und werden ohnedem später gemacht; o verblendeter Irrthum in unserem Zeitalter!
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Abraham Knecht war Anfang der 1850er Jahre eine Ausnahme. Jahrzehnte später erst statteten einzelne Schleifer auch ihre Wasserkotten mit Dampfmaschinen aus. 1873/74 wurde neben dem Neuenkotten an der Itter eine Dampfmaschine von 30 PS aufgestellt, so dass mit Wasser- wie mit Dampfkraft gearbeitet werden konnte. Um 1875 erhielt der Barler Kotten am Viehbach eine Dampfmaschine.
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Einführung des Stellenmietersystems
Nicht so in Solingen. Der Freiheits- und Selbständigkeitsdrang der alteingesessenen Schleifer waren so groß, dass zunächst kaum einer in diesen "Bärenställe" genannten Schleifhäusern arbeiten wollte, obwohl sie dort von den Witterungsverhältnissen unabhängig waren. Zudem wurden "abtrünnige" Schleifer von ihren Berufskollegen angefeindet und die Betriebe ihrer Arbeitgeber bestreikt.
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Dampfschleifereien in Merscheid und WaldDie Nützlichkeit der Dampfschleifereien überzeugte die Schleifer aber bald doch so weit, dass sie selbst zu Investitionen bereit waren. Dies unterstreicht ein Artikel in der Rheinischen Landeszeitung: |
Rheinische Landeszeitung vom 9. Februar 1934
Schleifer helfen sich selbstEine Merscheider Erinnerung an die Zeit vor 70 Jahren
"[...] In der Zeit von 1850 bis 1854 wurden in Merscheid Dampfschleifereien errichtet. Eine brannte bald nach der Errichtung nieder, eine weitere ging ein, weil der Inhaber keine ordentliche Wirtschaft betrieb, und nur die auf dem Wahnenkamp blieb bestehen, in der 70 Schleifer beschäftigt waren.
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Einen anderen Aspekt thematisiert ein Artikel in der Rheinischen Landeszeitung aus dem Jahr 1940: Für ihre früher übliche landwirtschaftliche Nebentätigkeit blieb den Schleifern durch ihre regelmäßigen Arbeitszeiten in den Dampfschleifereien keine Zeit mehr. Das Einkommen mag zwar regelmäßiger gewesen sein, aber ein wesentliches Element zum Ausgleich der ungesunden Arbeitsverhältnisse fiel weg.
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Rheinische Landeszeitung vom 12. Oktober 1940
Kottenbetrieb an den Walder Bächen und Dampfschleifereien
"Mit dem Aufkommen der ersten Dampfschleifmaschine, die, soweit älteren Einwohnern noch erinnerlich ist, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Merscheid aufgestellt wurde, änderte sich das bisherige Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Industrie, die wegen der damals vollausgenutzten, aber nicht immer gleichbleibenden Wasserkraft der Bäche innig miteinander verbunden waren.
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Arbeitsbedingungen und -verhältnisse
Für die Nutzung der Dampfenergie und der Transmissionsanlage zahlten die Schleifer eine wöchentliche Miete. Je nach Steingröße (also je nach benötigter Antriebskraft) wurden lt. einem Finanzierungsplan von 1882 die Mieten mit 6 Mark für einen großen Stein und mit 3 bis 3,50 Mark für kleinere Steine angesetzt. Das wöchentliche Einkommen eines Schleifers lag durchschnittlich zwischen 35 und 40 Mark.
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Ablösung der Dampfkraft durch elektrischen Strom
1898 wurde das Bergische Land an das Stromnetz angeschlossen. Es trat ein, womit niemand mehr gerechnet hatte: Die alteingesessenen Schleifer zogen sich aus den Fabriken zurück. Sie kehrten in die gewohnten Heimwerkstätten zurück bzw. richteten sich ihre eigenen Werkstätten im oder am eigenen Haus ein.
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Loosen Maschinn in Widdert
Eine der größten Solinger Dampfschleifereien wurde in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Industriemuseum zum Teil erhalten bzw. wieder hergerichtet: Loosen Maschinn (Loos'n Maschinn), 1888 in der Schleiferortschaft Widdert von Landwirt Ernst Loos errichtet. Die Anlage umfasste anfangs 15, später 34 Arbeitsräume mit je 8 Schleifstellen pro Raum. Alle Räume waren mit Ventilatoren ausgestattet. [Thiemler S. 34 und Röltgen S. 54]]
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Quellen:
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