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Dampfschleifereien im Solinger Industriebezirk (19. Jh.)

Notwendigkeit alternativer Technik
Einführung von Dampfschleifereien
Vorbehalte der Schleifer
Einführung des Stellenmietersystems

Dampfschleifereien in Merscheid und Wald
Arbeitsbedingungen und -verhältnisse
Ablösung der Dampfkraft durch elektrischen Strom
Loosen Maschinn in Widdert


 
2004
Loosen Maschinn, Börsenstraße 87 in Solingen-Widdert, ehemals eine der größten Solinger Dampfschleifereien



Dampfmaschinen wurden schon im 18. Jh. wirtschaftlich genutzt. Aber bis sich diese technische Errungenschaft in Solingen etablieren konnte, dauerte es noch eine Weile. 1829 setzte als Erste die Schirmfabrik Lange und Dinger in Wald eine solche Maschine ein. In der Schneidwarenindustrie begann sie sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. gegen die wesentlich billigere, aber unzuverlässige Wasserkraft durchzusetzen. Um 1900 löste der elektrische Strom die Dampkraft als Antriebskraft wieder ab.

Bei der zögerlichen Einführung der Dampfmaschine spielten nicht nur die Anschaffungskosten eine Rolle, sondern auch die hohen Betriebskosten. Beträchtlich waren die Transportkosten für die zum Heizen der Kessel benötigten Steinkohle: Sie musste umständlich mit Fuhrwerken und Tragtieren über die sog. Kohlenstraßen aus den Kohlerevieren des Ruhrgebiets nach Solingen gebracht werden. [Thiemler S. 8]

Um 1850 erschlossen zwar mehrere Eisenbahnlinien das Bergische Land, aber erst ab 1867 wurden die Gemeinden des Solinger Industriebezirks nach und nach direkt mit dem rheinisch-westfälischen Eisenbahnnetz verbunden. Damit wurde die Beschaffung der Kohle - und der Einsatz der Dampfkraft - erschwinglicher und rentabler. Der Verbrauch war beträchtlich: Immerhin benötigte eine 3-PS-Maschine bei 24stündigem Betrieb 600 Pfund Kohlen, eine 8-PS-Maschine 3 000 Pfund. [Thiemler S. 8 u. 12]

Sehen und - mindestens ebenso eindrucksvoll: hören! - kann man eine Dampfmaschine z.B. im  Remscheider Werkzeugmuseum und im Rheinischen Industriemuseum "Gesenkschmiede Hendrichs" in Solingen, Merscheider Straße 297. Auch im Gründer- und Technologiezentrum Solingen an der Grünewalder Straße gibt es noch ein Exemplar.



 



Notwendigkeit alternativer Technik

Lange vor Solingen - schon seit 1786 - sollen die Betriebe im englischen Sheffield mit Dampfkraft gearbeitet haben. [Beermann S. 90] Aufträge, die in Solingen aufgrund der Witterungsabhängigkeit der Wasserkotten nicht erledigt oder gar nicht erst angenommen werden konnten, verloren die Solinger Unternehmen an Sheffield!

  Über die Arbeitsbedingungen in Sheffield
  Über die Wasserkotten

1846 schilderte die Solinger Handelskammer der preußischen Regierung ihre Nöte und bat um Unterstützung:

"Schließlich erlauben wir uns noch auf einen sehr großen Übelstand in unserer Stahl- und Eisenwaren-Fabrikation aufmerksam zu machen, der namentlich zur diesjährigen Sommer- und Winterzeit sich bemerkbar gemacht und seinen Einfluß auf das verderblichste ausübt. Es sind dies die an verschiedenen kleinen Bächen gelegenen Schleifereien, wodurch die ganze Fabrik wohl jährlich 3 bis 4 Monate und sogar oft noch länger untätig gemacht wird; denn im Sommer trocknen diese Bäche aus, bei starkem anhaltendem Regen treten sie aus ihren Betten, und im Winter frieren sie leicht zu, und so haben wir denn auch in der gegenwärtigen, bedrängten Zeit, wo zwar kein Überfluß an Arbeit war, sehr schmerzlich empfunden, daß auch diejenigen Bestellungen, die am Platze waren, durch den Frost verhindert, nicht ausgeführt werden konnten.

Es ist dieser Übelstand um so drückender, als darunter nicht allein die Schleifer selbst leiden, sondern die ganze Fabrikation oft Monate lang in Stockung gerät, wodurch sehr viele, namentlich überseeische Bestellungen zurückgeblieben und die Käufer sich vor und nach damit nach England gewendet haben, wo diese Hindernisse schon seit einer Reihe von Jahren nicht mehr bestehen und vermöge Dampfschleifereien alle Aufträge zu jeder Jahreszeit ausgeführt werden können.

Dazu kommt nun noch, daß sämtliche hiesige Schleifereien nicht Eigentum der Fabrikanten, sondern den Schleifern selbst gehören, wodurch kein einziger Schleifkotten einen Eigentümer allein hat, vielmehr alle mehrherrig sind, es gibt deren sogar die 7 bis 10 Eigentümer haben.

Wenn nun auch diese Klasse Arbeiter nicht als die ärmste hiesiger Fabriken dargestellt werden kann, so ist sie doch zu unbemittelt, um dem Übelstande mit eigenen Kräften abzuhelfen und würde es von unberechenbaren, segensreichen Folgen sein, wenn durch Errichtung einer Hilfsschleiferei mit Dampfkraft hier ausgeholfen würde, worin nur dann gearbeitet werden müßte, wenn die billigere Wasserkraft durch Elementar-Hindernisse nicht benutzt werden kann. Dadurch würden wir in den Stand gesetzt, zu jeder Jahreszeit Aufträge auszuführen und bei den überseeischen Bestellungen ebenso wie unsere, ohnehin für uns schon zu mächtigen Nebenbuhler in England feste Lieferzeit anzunehmen.

Die teilweise Benutzung einer solchen Dampfschleiferei würde, wie leicht vorauszusehen, sehr kostspielig werden und das Anlege-Kapital wahrscheinlich wenig oder gar keine Zinsen aufbringen, worin der Grund zu finden sein mag, daß eine solche Hilfs-Dampfschleiferei nicht schon lange besteht, indem das Bedürfnis sich schon seit Jahren herausgestellt hat.

Euer Excellenz erlauben wir uns, auf diesen für die hiesige Fabrik so höchst wichtigen Gegenstand ganz besonders aufmerksam zu machen und gehorsamst um eine Unterstützung zu diesem Zwecke aus Staatsmitteln zu bitten.

Wenn, wie dies in unserer Nachbar-Provinz Westfalen schon so häufig der Fall gewesen, der Staat uns eine zu diesem Zwecke bestimmte Maschine zu verleihen geruhen wollte, so haben wir die Überzeugung, daß der gute Sinn unserer Fabrikanten die zur Verbesserung des Fabrikstandes gewiß ihr möglichstes tun, auch dann durch Aktien-Beteiligung das erforderliche Kapital zur Anlegung einer zweckmäßigen Hilfs-Dampfschleiferei herbeischaffen wird.

Wir hoffen daher auf Gewährung unserer ergebensten Bitte, als das Opfer für den Staat doch nur ein kleines genannt werden kann, indem eine Maschine von 3 à 4 Pferdekraft hinreichen würde, diesem großen Übelstand abzuhelfen, wogegen die Fabrikanten für Ankauf des Terrains, Anlage der Gebäulichkeiten und des Getriebes wenigstens das fünffache aufzubringen hätten, um so mehr, da bis jetzt unser Fabrikationszweig sich keinerlei Unterstützung von Seiten des Staates zu erfreuen gehabt hat."

[Jahresbericht 184, aufgestellt am 26.2.1847, S. 48 f. Zitiert bei Thiemler S. 9 f]


Dabei blieb es auch: Der ergebensten Bitte um Hilfe aus Staatsmitteln wurde nicht entsprochen. "Die staatliche Industriepolitik in Preußen förderte einseitig Betriebe der Textilbranche, andere Gewerbezweige wurden nur in sehr geringem Maße bedacht. Eisen- und metallverarbeitende Betriebe erhielten keine Unterstützung." [Thiemler S. 10]


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Einführung von Dampfschleifereien im Solinger Industriebezirk

Gefragt war also Privatinitiative. 1846 nahm Reinhard Kirschner in Dorp die erste Dampfschleiferei in Betrieb. 1852 gab es laut Handelskammerbericht bereits acht Dampfschleifereien mit mehr als 600 beschäftigten Schleifern. 1854 waren es 20 Dampfschleifereien. Die Mehrzahl der Dampfschleifereien entstand allerdings erst in der 1880er und 1890er Jahren nach dem Aufschwung der Solinger Schneidwarenindustrie. 1895 waren es über 100 derartige Betriebe. Thiemler nennt für die 1850er Jahre folgende Betriebe (angegeben ist das Jahr der Inbetriebnahme):

1850 Gebr. Evertz, Mühle und Schleiferei, Brücker Mühle, Höhscheid
1850 Carl Ern, Weeg, Höhscheid
1851 J. D. Schwarte, Messerfabrik und Schleiferei, Grünewald, Dorp
1851 P. D. Schulder, Bügel- und Garniturschleiferei, Adamsfeld, Wald
1853 J. A. Henckels, Stahlwarenfabrik, Grünewald, Dorp
1853 Ludwig Linder, Musterfabrikant, Schleiferei und Fruchmühle, Schlagbaum, Wald
1853 J. W. Theegarten, Schleiferei und Drahtstiftefabrikation zu Buscherfeld, Gräfrath
1853 Gustav Woeste, Weyersbergerstraße, Solingen
1854 Böddinghaus & Urban, Schleiferei, Hindenberg, Höhscheid   [Hingenberg?]
1854 Daniel Küllenberg, Scherenfabrikant, Sheffield (Platzhof), Höhscheid
1854 Eduard Lauterjung, Schaafenmühle, Höhscheid
1854 Gustav Lauterjung & Crämer, Fürker Irlen, Merscheid
1854 Edmund Wüsthoff & Consorten (Wahnenkamper Aktiengesellschaft), Merscheiderstraße, Merscheid
1856 Brückmann & Thurn, Fürk, Merscheid

Der ausschlaggebende Grund für die Einführung der Dampfmaschinen lag nicht allein in der Einsicht in die Notwendigkeit von Hilfsschleifereien, die bei Ausfall der Wasserkraft durch Eis oder Trockenheit eingesetzt werden konnten, sondern vor allem auch im Aufschwung der neu entstandenen Galanteriestahlwaren-Fabrikation (Stahlbügel für Portemonnaies, Zigarrenetuis etc.). Für diesen neuen Produktionszweig reichte die Schleifkapazität der Wasserkotten nicht aus. [Thiemler S. 13]

Eine qualifizierte Ausbildung wie für das Schleifen von Schneidwaren war hierfür nicht erforderlich. Und so arbeiteten in den neuen Dampfschleifereien nicht nur ortsansässige Schleifer, sondern auch zugewanderte Arbeitskräfte, und in den 1850er Jahren auch junge Frauen.




Stellenangebot im Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 4. Januar 1845:

"Ein geschickter solider Arbeiter, der sich auf Stahl-Galanterie-Arbeit versteht;
findet in einem hiesigen Hause dauernde Beschäftigung. Näheres in der Expd. d. Bl."





Wie in einem Artikel der Rheinischen Landeszeitung 1940 berichtet wird, rankt sich um die Dampfschleiferei Theegarten im Gräfrather Bezirk eine Überlieferung zum Thema Kinderarbeit, die nur stimmen kann, wenn diese schon in der 1840er Jahren bestanden hat und nicht erst 1853 eröffnet wurde, wie anderenorts angegeben [Thiemler S. 11 f]:


Rheinische Landeszeitung vom 29. Dezember 1940

Die erste Dampfschleiferei

"Bei einem vor einigen Jahren am Buscherfeld in der Nähe von Ketzberg auf der Flur 'Scheidter Heide' aufgeführten Neubau wurde [...] altes Gemäuer angeschnitten, dessen Vorhandensein die Erinnerung wachrief an eine früher dort vorhanden gewesene Dampfschleiferei. Die Überlieferung besagt, daß es die erste Dampfschleiferei des Gräfrather Bezirks gewesen sein soll, die vor bereits über 100 Jahren von einem Besitzer namens Theegarten eingerichtet wurde. [...] In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Betrieb dieser Dampfschleiferei eingestellt und das Gebäude später niedergelegt.

In der Bevölkerung von Ketzberg erinnert man sich noch eines besonderen Ereignisses, das sich auf die früher übliche Beschäftigung von Kindern in dem erwähnten Schleifereibetrieb zu Buscherfeld bezieht. Durch Generationen hat sich die Auffassung erhalten, daß die Dampfschleiferei ein Anlaß wurde, die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschäftigung von Kindern in gewerblichen Betrieben wegen der erheblichen gesundheitsschädlichen Gefahren zu ändern. Man sagt, daß eine hohe Persönlichkeit mit Gefolge gelegentlich einer militärischen Übung an der Schleiferei vorbeigekommen sei und unter den aus der Fabrik herausgetretenen Arbeitern eine große Anzahl schmutziger Kinder bemerkt habe. Nach einigen Jahren wurde die Beschäftigung von Jugendlichen durch Gesetz neu geregelt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich bei der genannten hohen Persönlichkeit um den Prinzen Friedrich von Preußen handelte, der von 1821 bis 1848 in Düsseldorf residierte und dort Divisionskommandeur war. Bei seinen Besichtigungen des damaligen Landwehrbataillons Gräfrath mag er auf die Mißstände der Beschäftigung von Kindern aufmerksam geworden sein und zur Abstellung derselben mitgewirkt haben.

Tatsächlich war es ja früher so, daß die Kinder nur bis zum 12. Lebensjahre die Schule besuchten und dann, um bei der Ernährung der Familie mitzuwirken, in die Fabriken und Schleifereien kamen. Ein Regulativ vom März 1839 besagt sogar, daß vor zurückgelegtem neuntem Lebensjahr niemand in einem Fabrikbetriebe zu einer regelmäßigen Beschäftigung angenommen werden dürfte. Auch sollten junge Leute unter 16 Jahren täglich nicht über 10 Stunden arbeiten, desgleichen nicht vor 5 Uhr morgens und nach 9 Uhr abends. Wo die Verhältnisse die Beschäftigung schulpflichtiger Kinder in den Fabriken nötig machte, sollten Einrichtungen getroffen werden, daß die Wahl der Unterrichtsstunden den Betrieb derselben so wenig wie möglich störte.

Wie glücklich die jetzige Jugend, deren Gesundheit gegenüber derjenigen ihrer Urgroßväter und Großväter nicht schon im zartesten Kindesalter durch Arbeit in den Fabriken untergraben werden darf."


Wahrheit oder Legende - es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein kleiner Einblick in die sozialen Wirklichkeiten helfen kann, die richtigen politischen Entscheidungen auf den Weg zu bringen - selbst wenn der Hintergedanke in diesem Fall militärischer Natur und alles andere als sozial gewesen sein sollte.

  Kinderarbeit und das Regulativ von 1839

Näheres über den Besuch von "Kronrinz Friedrich Wilhelm 1833 in Solingen" ist übrigens nachzulesen in dem gleichnamigen Aufsatz von Heinz Rosenthal in Die Heimat 4/1971, S. 13 f.


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Vorbehalte der Schleifer

Die großen Dampfschleifereien, Maschinn genannt, stießen bei vielen der alteingesessenen Schleifer zunächst nicht auf uneingeschränkte Akzeptanz. Eher wurden sie als Bedrohung für den herkömmlichen handwerklichen Produktionsprozess empfunden. Während der Revolution im Frühjahr 1848 wurde eine davon Angriffsziel der Zerstörungswut. War diesen Schleifern noch nicht bewusst, dass es längst eine bedeutende englische Konkurrenz gab? Im November 1851 veröffentlichte das Solinger Kreis-Intelligenzblatt folgenden offenen, aber anonymen Brief:


Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 19. November 1851

Schleifer-Angelegenheiten.

"Die Erfahrungen haben uns in letzteren Zeiten deutlich genug einsehen lassen, wie durchaus nothwendig es ist, den Schleifern gut gemeint anzurathen ihre Triebwerke derart zu verbessern (welches an sehr vielen Stellen laut Aussagen Sachverständiger mit geringen Kosten zweckmäßiger eingerichtet werden könnte) um den Bedarf der hiesigen Fabrikationen durch alle Jahreszeiten zu befriedigen; allein Mangel an einer richtigen und klaren Einsicht, diesem Bedürfnisse entgegen zu kommen, sind noch viele, vielleicht noch die meisten Schleifer von dem vermoderten Vorurtheil befangen, daß unsere hiesigen Fabrikationen lediglich von ihnen allein abhängig wäre, und daher der alte Grundsatz, dem Schleifer muß es nicht schaden, wenn das Wasser zu groß oder zu klein ist, oder die Wintermonate zu kalt zum Arbeiten sind, die Commissionen gehen uns nicht verloren, und werden ohnedem später gemacht; o verblendeter Irrthum in unserem Zeitalter!

Wollt Ihr Schleifer, wie ihr es heißt, euer Handwerk noch möglichst in euren Händen behalten, so schimpft in der Folge nicht so leichtsinnig, so schonungslos über Anlegungen von Dampfmaschienen, thut vielmehr ein Gleiches, wenn ihr euere Schleifkotten nicht auf eine andere Weise zum Arbeiten zweckmäßiger einrichten könnt; braucht Wasser so lange es da ist, und in Ermangelung dessen setzt eine Dampfkraft in Betrieb, so habt ihr euch eurerseits keine Nachlässigkeit vorzuwerfen, und wird auch späterhin vielleicht keinem Fabrikanten oder Kaufmann mehr einfallen Dampfmaschinen zu bauen.

Unser wackerer und braver Schleifer Abr. Knecht in der Königsmühle ist der Erste, welcher die Nothwendigkeit einsah, daß der alte Schlendergang der Schleifer unserer Zeit nicht mehr anpaßte, hat sich weder durch ein bedeutendes Kapital Geld und vieler Mühe scheu machen lassen, neben seiner Wasserkraft eine Dampfmaschiene zu bauen, nicht um das Handwerk mit Füßen zu treten, sondern dasselbe zu befördern, und so viel an ihm liegt zu erhalten; - und wie dankbar sind ihm hierfür seine Schleifer-Collegen? seine vermeinten besten Freunde suchen jenes Unternehmen mit nichtssagenden Protesten in die Länge zu ziehen, sind nach einem eingesogenen suspendirten Schulmeisterverstande seine größten Widersacher geworden, dieses verschlägt jedoch nichts, wollen es vielmehr getrost der Entscheidung unserer weisen Königlichen Regierung überlassen, ob diese geneigt ist die Industrie auch in diesem Zweige befördern zu helfen.

G. ..........        K."


Abraham Knecht war Anfang der 1850er Jahre eine Ausnahme. Jahrzehnte später erst statteten einzelne Schleifer auch ihre Wasserkotten mit Dampfmaschinen aus. 1873/74 wurde neben dem Neuenkotten an der Itter eine Dampfmaschine von 30 PS aufgestellt, so dass mit Wasser- wie mit Dampfkraft gearbeitet werden konnte. Um 1875 erhielt der Barler Kotten am Viehbach eine Dampfmaschine.

Die frühen Dampfschleifereien waren überwiegend von finanzkräftigen Verleger-Fabrikanten auf ihrem Fabrikationsgelände eingerichtet worden. Das war etwas Neues: Anders als in den Wasserkotten, wo die Fabrikanten keinen Einfluss auf Arbeitstechnik und -organisation nahmen, befürchteten die Schleifer nun eine Statusverschiebung in Richtung abhängiger Lohnarbeit. In Sheffield hatte eine solche Entwicklung stattgefunden. [Thiemler S. 15]


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Einführung des Stellenmietersystems

Nicht so in Solingen. Der Freiheits- und Selbständigkeitsdrang der alteingesessenen Schleifer waren so groß, dass zunächst kaum einer in diesen "Bärenställe" genannten Schleifhäusern arbeiten wollte, obwohl sie dort von den Witterungsverhältnissen unabhängig waren. Zudem wurden "abtrünnige" Schleifer von ihren Berufskollegen angefeindet und die Betriebe ihrer Arbeitgeber bestreikt.

Also machte man sich Gedanken und ging dazu über, das traditionelle Stellenmietersystem der Wasserkotten auf die Dampfschleifereien zu übertragen und die einzelnen Schleifstellen an selbstständige Schleifer zu vermieten. Die Schleifer arbeiteten dort, wie bisher, in eigener Regie für ihre jeweiligen Auftraggeber. "Der Schleifer blieb in der Dampfschleiferei Handwerker und wurde nicht Lohnarbeiter des Eigentümers, nur gab er die Eigenschaft eines Heimarbeiters auf", schreibt Rosenthal. [3. Bd. S. 82] Heimarbeiter im engeren Sinne war er aber eigentlich auch in den großen Wasserkotten nicht, wenn er dort, wie 50 andere Kollegen, eine Schleifstelle gemietet hatte.

Das Stellenmieter-Verfahren setzte sich schnell durch, denn es lag ja auch im Interesse der meisten Fabrikanten: Sie sparten die Investitionskosten für die Produktionsmittel der Schleifereien und konnten zudem das Risiko der hohen Absatzschwankungen auf die "selbstständigen Produzenten" besser abwälzen als auf festangestellte Lohnarbeiter. [Thiemler S. 15]

Und so verlagerte sich der Schleifereibetrieb von den Bachtälern auf die verkehrsgünstig gelegenen Höhen. Auch viele Wupperschleifer zogen in diese Dampfkotten, und die alten Wasserkotten an der Wupper verfielen.


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Dampfschleifereien in Merscheid und Wald

Die Nützlichkeit der Dampfschleifereien überzeugte die Schleifer aber bald doch so weit, dass sie selbst zu Investitionen bereit waren. Dies unterstreicht ein Artikel in der Rheinischen Landeszeitung:


Rheinische Landeszeitung vom 9. Februar 1934

Schleifer helfen sich selbst

Eine Merscheider Erinnerung an die Zeit vor 70 Jahren

"[...] In der Zeit von 1850 bis 1854 wurden in Merscheid Dampfschleifereien errichtet. Eine brannte bald nach der Errichtung nieder, eine weitere ging ein, weil der Inhaber keine ordentliche Wirtschaft betrieb, und nur die auf dem Wahnenkamp blieb bestehen, in der 70 Schleifer beschäftigt waren.

Der trockene Sommer 1865 machte den Mangel einer zweiten Dampfschleiferei so stark fühlbar, daß viele Schleifer zusammentraten und die Errichtung einer solchen Anlage beschlossen. Es bildete sich eine Aktiengesellschaft, das Grundkapital wurde zu 10 000 Talern angenommen (in Aktien zu je 100 Talern), und es gelang nach großer Mühe sowie unter größten Anstrengungen vieler Arbeiter, die Aktien unterzubringen, da leider, so heißt es in einem Bericht aus jener Zeit, "die bemittelteren Einwohner und namentlich der Fabrikantenstand, der doch auch ein wesentliches Interesse an dem Zustandekommen dieses gemeinnützigen Unternehmens hatte, sich nur äußerst wenig beteiligten". Die größte Zahl der Aktien also blieb im Besitz der Arbeiter selbst. Das Statut der Gesellschaft erhielt die königliche Genehmigung unter dem 5. August 1867 und damit das Unternehmen Korporationsrechte.

Die Anlage entstand auf den von Benner gekauften, in Ohligs an der Merscheider Bezirksstraße gelegenen Grundstück und wurde anfänglich für 120 Stellen (für 90 Schleifer) eingerichtet und am 15. Juli 1867 ihrer Bestimmung übergeben. Im Laufe des folgenden Jahres war der Betrieb bereits voll besetzt, die Zahl der Schleifer wurde immer größer, so daß man den Aufbau des bis dahin einstöckigen Kesselhauses beschließen mußte und auf dem Speicher Stellen einrichtete.

Trotz der großen Anforderungen, die an die Anlage gestellt wurden, war die Wirtschaftlichkeit gesichert. Vor nunmehr 70 Jahren waren in dem Werk über 130 Schleifer tätig [...]."


Einen anderen Aspekt thematisiert ein Artikel in der Rheinischen Landeszeitung aus dem Jahr 1940: Für ihre früher übliche landwirtschaftliche Nebentätigkeit blieb den Schleifern durch ihre regelmäßigen Arbeitszeiten in den Dampfschleifereien keine Zeit mehr. Das Einkommen mag zwar regelmäßiger gewesen sein, aber ein wesentliches Element zum Ausgleich der ungesunden Arbeitsverhältnisse fiel weg.

  Über die Gesundheitsgefahren des Schleiferberufs


Rheinische Landeszeitung vom 12. Oktober 1940

Kottenbetrieb an den Walder Bächen und Dampfschleifereien

"Mit dem Aufkommen der ersten Dampfschleifmaschine, die, soweit älteren Einwohnern noch erinnerlich ist, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Merscheid aufgestellt wurde, änderte sich das bisherige Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Industrie, die wegen der damals vollausgenutzten, aber nicht immer gleichbleibenden Wasserkraft der Bäche innig miteinander verbunden waren.

An der Dampfmaschine erhielt die täglich zehn Stunden betragende Arbeitszeit eine gewisse Stabilisierung. Im Kotten hatte sich die Arbeitsmöglichkeit nach der stets schwankenden Wasserzufuhr gerichtet. Hierzu kam nebenbei eingefügt werden, daß aus jener Zeit eine heute noch vereinzelt in anderer Beziehung angewandte Ausdrucksweise stammt: "Ich bin auf der Mott", d.h. der Kottenbroich war durch die Arbeit entleert, er hatte kein Wasser mehr, es war nur noch der Mott (Schlamm) da. Dann hörte der Schleifbetrieb im Kotten von selbst auf.

Industriearbeiter, die in Werkstätten mit Dampfantrieb arbeiteten, hatten bei der im Gegensatz zu den Schleifkotten mit Wasserantrieb ununterbrochenen Arbeitsmöglichkeit keine Zeit mehr, landwirtschaftlichen Arbeiten nachzugehen. Allmählich gingen diese also in ihrer Bedeutung für die Existenz der Familie verloren und wurden durch die besseren Einkünfte in der Dampfschleiferei ausgeglichen. Die früher hochstehenden Grundstückspreise in der Nähe der Schleifkotten sanken nun um ein Erhebliches.

Auch im Orte Wald entstanden, jedoch wesentlich später als wie vorstehend für Merscheid angegeben, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Dampfschleifereien. Dadurch entvölkerten sich im Laufe der weiteren Jahre die Schleifkotten an der Itter und am Lochbach mehr und mehr. Die Besitzer dieser Kotten hielten allerdings den Betrieb für sich und ihre Angehörigen, soweit es eben angängig war, noch aufrecht. Nicht nur der allgemeinen Förderung der Arbeitsmöglichkeit war die Einrichtung der Dampfschleifereien dienlich, sondern sie begünstigte die Entwicklung der Gemeinschaftsbewegung nicht unwesentlich.

Etwa nach dem Jahre 1900, bei der Einführung des elektrischen Kraftstromes, wurden auch die Walder Dampfschleifereibetriebe darauf umgestellt. Danach schlug die Sterbestunde der Dampfschleifereien überhaupt."


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Arbeitsbedingungen und -verhältnisse

Für die Nutzung der Dampfenergie und der Transmissionsanlage zahlten die Schleifer eine wöchentliche Miete. Je nach Steingröße (also je nach benötigter Antriebskraft) wurden lt. einem Finanzierungsplan von 1882 die Mieten mit 6 Mark für einen großen Stein und mit 3 bis 3,50 Mark für kleinere Steine angesetzt. Das wöchentliche Einkommen eines Schleifers lag durchschnittlich zwischen 35 und 40 Mark.

Die Betriebsstrukturen entsprachen denen anderer Handwerksbetriebe. Ein Schleifermeister beschäftigte in der Regel einen oder zwei Gesellen bzw. Lehrlinge. Schleifsteine, Riemenscheiben, Treibriemen und andere Werkzeuge gehörten den Schleifern. Zogen sie in eine andere Werkstatt um, nahmen sie ihre gesamte Werkstatteinrichtung mit.

Die Arbeitszeit richtete sich nach den Betriebszeiten der Dampfmaschine und lag - theoretisch - bei etwa 10 Stunden täglich. Viele Schleifer nutzten diese Zeit aber nicht voll aus, wie aus einem Artikel aus dem Jahr 1907 hervorgeht. Ihre Arbeitszeit war die kürzeste bei den selbstständigen Arbeitern der Schneidwarenindustrie, was infolge der ungesunden Beschäftigung auch nachvollziehbar ist. [Thiemler S. 28 f]

In Dampfschleifereien wie der 'Loosen Maschinn' arbeiteten viele selbstständige Kollegen unter einem Fabrikdach zusammen, und dies förderte eine ausgeprägte Fest- und Feierpraxis. Empört beklagte sich darüber der Schleifereibesitzer Carl Friedrich Ern im Jahr 1887 beim Walder Bürgermeister. - Im selben Jahr hatte C.F. Ern allen Schleifern gekündigt, um auf das Rasiermesserschleifen in Teilarbeit mit ungelernten Kräften im Fabrikbetrieb umzustellen.


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Ablösung der Dampfkraft durch elektrischen Strom

1898 wurde das Bergische Land an das Stromnetz angeschlossen. Es trat ein, womit niemand mehr gerechnet hatte: Die alteingesessenen Schleifer zogen sich aus den Fabriken zurück. Sie kehrten in die gewohnten Heimwerkstätten zurück bzw. richteten sich ihre eigenen Werkstätten im oder am eigenen Haus ein.

Das Arbeiten mit dem Elektromotor war billig, komfortabel und überall möglich, die Kraftmaschine ließ sich ein- und ausgeschaltet, wann immer man wollte. Das Wiedererstarken der gegen Ende des 19. Jh. gravierend zurückgegangenen hausindustriellen Produktion in Solingen war also hauptsächlich auf die billige Kraftquelle des elektrischen Stromes zurückzuführen. [Röltgen S. 56]


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Loosen Maschinn in Widdert

Eine der größten Solinger Dampfschleifereien wurde in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Industriemuseum zum Teil erhalten bzw. wieder hergerichtet: Loosen Maschinn (Loos'n Maschinn), 1888 in der Schleiferortschaft Widdert von Landwirt Ernst Loos errichtet. Die Anlage umfasste anfangs 15, später 34 Arbeitsräume mit je 8 Schleifstellen pro Raum. Alle Räume waren mit Ventilatoren ausgestattet. [Thiemler S. 34 und Röltgen S. 54]]

Nach dem Ersten Weltkrieg fanden die Heimkehrer das Gebäude leer vor. Kapitalkräftige Schleifer mieteten die leeren Räume und richteten selbst Schleifstellen ein. Der Antrieb erfolgte jetzt mit Elektromotoren. Da jeder Raum 8 Schleifstellen aufnehmen konnte, vermietete der Raummieter die übrigen Schleifstellen an andere Kollegen. Der Besitzer des Zimmers (bei Röltgen "Eigentümer" genannt) "zahlt die Raummiete, Wassergeld und Stromverbrauch, sowie seinen Anteil der Grundsteuer. Es gibt viele Zimmereigentümer, die selbst nicht mehr schleifen und alle Stellen vermietet haben." [Röltgen S. 54]

Karl Röltgen schreibt hier in der Gegenwartsform. Sein Buch über "Das Berufsbild des Schleifers", dem diese Passage entnommen ist, erschien 1974 in der zweiten Auflage. 1986 waren noch etwa 60% der vorhandenen Räume an Heimarbeiter der Solinger Schneidwarenindustrie vermietet. Am 4. Juli 1988, 100 Jahre nach ihrer Eröffnung, wurde der Abbruch der Gebäudeanlage genehmigt. Den letzten Schleifern wurden ihre Arbeitsräume zum 31. Dezember 1988 gekündigt. [Thiemler S. 44]

1989 wurde die Loosen Maschinn in das Denkmalverzeichnis der Stadt Solingen aufgenommen. Heute befindet sich hier ein Ausstellungsraum zur Geschichte der Dampfschleifereien, der besichtigt werden kann. (Rheinisches Industriemuseum, Tel. 0212 / 232410)



Quellen:
  • Beermann (1993)
  • Boch (1985)
  • Röltgen (1974)
  • Rosenthal: Solingen Bd. 2 (1972) S. 304 und 3. Bd. (1975) S. 82
  • Solinger Kreis-Intelligenzblatt vom 19.11.1851
  • Thiemler (1991)
  • Weber, Herbert: Die Schleifsteine liefen mit verläßlicher Dampfkraft. Solinger Tageblatt vom 02.04.1986
  • Die Verkürzung der Arbeitszeit in den Schleifereien. In: Der Stahlwaren-Arbeiter. Organ des Industriearbeiter-Verbandes des Kreises Solingen vom 12.04.1907

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