www.ZeitSpurenSuche.de

Nach einiger Zeit wurden wir verlegt, Sivry gegenüber, unweit der Straße, die auf Dannevaux bezw. den Forgeswald zugeht. Bis dahin kamen, wenn es die Franzosen erlaubten, nachts still Vollbahnzüge mit Truppen und Munition, wie auch sonstiges Kriegsmaterial, mit dem wir uns abzufinden hatten. Hier traf ich Max Engels aus Wald, Ernst Stein, Kraftfahrer, aus Haan, Kluth aus Wilzhausen bei Ohligs. Ich besuchte meinen Schwager Heinrich in Velosnes wie auch in Brieulles, dem Dörfchen links der Maas, wo die bekannte "Jungfrau von Orleans" getauft worden sein soll.

Am 11. Juli 1916 nahm ich Urlaub, um das Grab meines Bruders Fritz in Dun a.d. Maas zu besuchen. Kamerad Wilhelm Geyer ging als angeblicher Schwager von mir mit. Auf dem Wege, in Liny, traf ich auch Schwager Heinrich, der bei einer Flammenwerfer-Abteilung seines Regiments leicht verwundet worden war. In Dun ging ich in das Feldlazarett, in dem Fritz gelegen hatte, traf dort auch Schwester Käthe aus Elberfeld, die ihn gepflegt hat. Sie freute sich sichtlich, erzählte noch manches, zeigte das Bett, in dem er gelegen und gestorben. -

Dun ist zu vergleichen mit Burg an der Wupper, Dun und Oberdun. Die Lazarette, wohl frühere Privathäuser, lagen unten, der Friedhof neben der Kirche (d.h. der katholische Gemeindefriedhof) lag oben auf dem Berge, der angelegte Militärfriedhof lag mehr unten und zählte dazumal schon über 1.300 Gräber. Fritz lag noch auf dem Gemeindefriedhof neben der Kirche als No. 96; ca. 100 Militärgräber waren dort. Ob diese jetzt auch umgebettet sind? -



Rückverlegung zur Kompagnie - Samonieuxschlucht

September 1916! Wir wurden wieder zur Kompagnie verlegt, Bewegung und Veränderung muss sein. Der Dienst war jetzt bei Höhe 340 u.a., der Weg führte durch den bekannten Haumont-Wald, das zerschossene Dorf, durch die Samognieuxschlucht. Hier gab es Stellungsbau und dergl., und ich kam hier zum ersten Male zum Schuss; 15-cm-sch.F.H. [schwere Feldhaubitze]

16

Die Gegengrüße von drüben ließen uns auch schonmal die Ablösung gerne herbeiwünschen, denn die Einschläge waren gut berechnet. Ein Granatloch griff ins andere, alles zerwühlt. Links von uns, in der Mörser- oder Todesschlucht (genannt nach dem, was diese Worte sagen), war eine Batterie 21er, die schon in den zwei Jahren 66 neue Rohre benötigt hatten. Die Munitions-Kolonnen konnten den zerschossenen Berg fast nicht mehr nehmen; nun wurde ein Feldbähnchen schräg heran gelegt. Zum Teil lag es schon, dann hatten die Pferde auf den Schienen leichteres Ziehen. Leider war es oft unbrauchbar, dann musste getragen werden. In jedem möglichen Versteck standen Geschütze, neben uns die 4. Magdeburger.

Artilleriedienst - Arbeitsdienst; wir sind, wenn möglich, stets die Schrittmacher der armen Infanterie. Der Einmarsch bezw. die Ablösung erfolgt stets nachts oder wenistens im Dunkeln. Im Haumont-Wald standen auch dazumal ein oder einige Langrohrgeschütze, die die Zufuhrstraßen der Franzosen nach Verdun beschießen konnten. Der Weg in die Stellung war gekennzeichnet mit vielen verwesenden toten Pferden, eine verpestete Luft, den Vögeln und anderen Tieren ein Fraß. Das Gelände lag fast immer unter Feuer. Wer kennt nicht das Niemandsland von Verdun, der dahin musste. Die Schulung geht weiter. -

Mein Freund und Kamerad Wilhelm Conrad aus Denklingen Rhld., der bei einem anderen Artillerieregiment neben uns im Waldlager lag, ging am Pfefferrücken in Stellung; er hat als geistesverbunden uns mehrfach besucht.

Als wir einmal aus Stellung kamen, gab's an dem im Februar zerschossenen Dörfchen [Haumont] einen kurzen Halt. Einige Kameraden benutzten diese Gelegenheit, um mit der Taschenlampe einmal die Keller zu besehen. Da kam der Max aus Thüringen und hatte ein Paar Gamaschen, die er einem seit Februar toten französischen Offizier abgetan hatte. Es gibt doch allerhand Menschen! Hyänen!!!

Am 21. September fuhren Ernst Klein und ich in Urlaub. Wir beide hatten seit Diedenhofen stets zusammengehalten und unsere gegenseitigen Interessen geteilt. Nun hatten wir unseren Urlaub selbst noch um einen Tag verlängert, wie das viele taten. Aber die sonst übliche Bestrafung mit diesem oder jenem wurde mit "Solinger Andenken" bei den maßgebenden Stellen derart ausgeglichen, dass ich noch einen besseren Unterstand bei den Furierkameraden erhielt, bei denen "Mangel" ja bekanntlich ein Fremdwort war und klein geschrieben wurde. Hier gab es Brot und allerlei Sonstiges, was nicht auf der Kompagnie-Speisekarte stand, genug. Schöne Zeit! Natürlich ging's wieder in Stellung: Pfefferrücken!

17

Mitte Oktober 1916 wurde für einen Teil der Dienst geändert, es gab Schanzarbeiten bei Louvemont auf Fort Vaux zu. Von einem zum anderen sollte ein Lauf- und Kabelgraben von 1,50 Mtr. Tiefe und oben breit gemacht werden. Alle umliegenden Regimenter und Formationen mussten hierfür Kommandos stellen. Vor uns arbeiteten Jäger.

In kleinen Erdlöchern an der Straße bei Beaumont im Walde sollten wir für die Zeit Unterkunft finden, doch kam es dank unserem Komgagnieführer anders. Wir wurden abends oder nachts mit zwei großen Autos in den Wald Ville - Beaumont in die Nähe des bekannten Sanitätsunterstandes gefahren (kein Vergnügen) und von dort aus in aufgelöster Marschordnung zur Arbeitsstätte. Je zwei und zwei arbeiteten zusammen, hacken und auswerfen.

Da dies schon Kampfgelände gewesen war, stieß man sehr oft auf menschliche Gebeine, Pferdekadaver, Wagenteile, Blindgänger und dergl., was man nur denken kann. Auch jetzt schickte uns die französische Artillerie und Infanterie Grüße zu unserem Schaffen, die oft so aufdringlich waren, dass wir ihnen die kalte Schulter zeigten, oder besser gesagt, sie uns von hinten besehen konnten, davongingen oder liefen. Wenn unser Offizier-Stellvertreter, der lange Emil, bei uns war, der sich meist hinten in tiefem Graben aufhielt, wurde Durchhalten klein geschrieben. Ich konnte solche E.K.II-Ritter nicht begreifen, woraus ich an Ort und Stelle oft auch kein Hehl gemacht habe. War aber unser Vize bei uns, war das Gegenteil der Fall.

Bei dunstigem, Nebel- oder Regenwetter wurde länger geschafft, weil die feindlichen Flieger und Fesselballone weniger Sicht hatten, und doch war am anderen Tag meist wieder ein guter Teil des Grabens durch französische Granaten eingeebnet.

* * *

Wie weit die Arbeit erledigt oder ob sie zu Ende geführt wurde, weiß ich nicht, denn Ende Oktober, als wir morgens zurück kamen, nachdem wir etwas geschlafen hatten, kam der Befehl: Kanonier Mutz und Kanonier Klein sowie Unteroffizier Bellinger in einer halben Stunde an der Schreibstube feldmarschmäßig zwecks Abkommandierung antreten. Da ich mich noch mit meiner Wäsche beschäftigt hatte, ersuchte ich in Anbetracht dessen einen anderen zu nehmen, jedoch blieb es so, meine nasse Wäsche ging mit.

Munitionslager - Caureswald

Der Marsch nachmittags gegen 3 Uhr ging an den Caureswald, von uns "Chorwald" genannt, zwischen Flabas und Beaumont, Velle - Azannes. Wer kennt ihn nicht, diesen entkronten Wald, der einmal vor Verdun gelegen? Diese weißgelbe klebrige Erde, die stets von den Stiefeln abgewaschen werden musste. Oft waren wir schon durch diesen Wald in die verschiedenen Stellungen gegangen, daher ein für uns nicht unbekanntes Gelände. Schon längst war es uns auch zur Gewissheit geworden, dass gründliche vielseitige Geländekenntnis bei Tag und Nacht zum Kriegerhandwerk gehört. ---

18

Da wir in der letzten Zeit wenig Ruhe gehabt hatten, wurden unsere Sachen gefahren. Im oder am Walde sollte auf Befehl des Artillerie-Oberkommandos von uns ein kleines Not-Munitionslager eingerichtet werden, wo die Munitions-Kolonnen je nach Bedarf zum zweiten Mal holen konnten. Das Wetter war schön, der 2½ stündige Weg, von Zukunftsgedanken erfüllt, interessant. Alte französische Unterstände aus Beton sollten wir beziehen am Waldrand, doch fanden wir diese sämtlich mit Grundwasser bis obenan gefüllt, -- also nicht! Als wir uns umsahen, fanden wir zwei Wellblechbogen, die sonst als Stütze in den Unterständen gebraucht werden. Unter diesen mussten wir vorerst kampieren. Wir richteten dieselben notdürftig etwas her und hatten eine Unterkunft, denn die Hauptsache war das Munitionslager, nicht unsere Wohnung.

Rechts und links, vor und weit hinter uns standen Geschütze, alle Kaliber, viele 15er, schwere Feldhaubitzen (schw.F.H.), auch 21er, 10,5er, 7,5er und andere. Munitionierten die Kolonnen bei uns zum zweiten Mal, ließen sie auch das mitgebrachte Leer- und Fundmaterial bei uns. Natürlich musste jeder Ein- und Abgang genau notiert werden. So kamen denn auch bald tausende Geschosse aller Kaliber an. Am Waldrand und an beiden Seiten der Straße wurden allerlei Stapel aufgebaut, und in den Nächten gab es reges Leben.

Bei Tage, wo es bei uns etwas stiller war, bauten wir unsere "Wohnung" etwas aus, damit der größte Regen uns nicht fortschwemmte. Aufrecht stehen konnten wir in der Mitte kaum, auch war die Bewegungsmöglichkeit auf dem vier Quadratmeter großen Boden beschränkt. Wir schliefen auf einigen Bohlen als Unterlage, den Tornister als Kopfkissen, auf der Erde. Nichts wurde ausgezogen. In die zwei Decken eingewickelt lagen wir da, damit die vielen Ratten, die uns stets besuchten und auf uns ihre Stelldichein und Wettrennen veranstalteten, nicht noch die kleinen Glieder abnagten.

* * *

Unteroffizier B., ein früherer einjährig-freiwilliger Fußartillerist, war stolz auf diesen Posten, dachte gewiss dabei an eine schnellere Beförderung nach oben, deshalb oft ein sonderbarer Mensch; am liebsten sah er uns Tag und Nacht im Dienst. Konnte einer es auch alleine schaffen, mussten wir doch stets beide heran, wodurch wir oft Auseinandersetzungen mit ihm hatten.

Die Munitionszu- und -abfuhr wie auch die anderen Sachen mussten jeden Morgen per Telefon der Artillerie-Munitions-Verwaltung durchgegeben werden, und jede Kolonne bezw. Batterie erhielt von uns eine kurze Bescheinigung. Zuerst telefonierten wir aus einem nahegelegenen Pionierpark, später bekamen wir eigenen Anschluss. Oft waren leider die Leitungen unterbrochen, weil zerschossen. Die Anrufe waren Morsezeichen.

19

Ein schon vorerwähntes Feldbähnchen mündete bei uns, welches auch uns Munition und Artillerie-Sachen brachte und Leermaterial mit zurücknahm. Dasselbe brachte auch schon mal Gepäck für in Stellung gehende Infanterie, die dies dann hier bei der Ausmündung wieder in Empfang nahm. Alle in Stellung gehenden Truppen, die diese Straße als Anmarschstraße benutzten, wurden bei uns am Walde von einem der Ablösenden (meistens einem Vize) abgeholt und in die betreffende Stellung geführt.

Wenn ich mir nun dieses, wie auch das zwischen den Batterien-Liegen, vergegenwärtige, so war es selbstverständlich, dass dies auch den Franzosen nicht unbekannt war und wir daher so oft nicht nur Störungs-, sondern wirkliches Trommelfeuer über uns ergehen lassen mussten. Mein Tagebuch sagt: "in förmlichem Hexenkessel gelegen, lieber tätig mitfeuern bei der Batterie, als sich als Zielscheibe bearbeiten zu lassen."

Bei besonders intimen Grüßen von drüben war unser Unteroffizier ein Prachtkerl, nahm dann auch gerne Gelegenheit freundschaftlich nachbarliche Besuche in guten Unterständen zu machen (der unsrige an der Straße war nicht tief) oder auch für ein oder zwei Tage zur Kompagnie zu gehen, wo er als freigiebiger Spender gerne gesehen wurde. Er sagte uns dann in väterlich-fürsorgender Weise oft: Sollten die Franzosen durchbrechen, Gasmaske nicht vergessen und in Richtung Norden abhauen.

In der Zeit seiner Abwesenheit führte ich dann die Geschäfte, und war uns beiden, stets auf dem Posten bleibenden, die Zeit seiner Abwesenheit am liebsten. - Gott der Herr hat uns bewahrt, sein Wort und unser Gebet gaben uns Stärke in dieser Wirrnis jeden Tag, auch die christlichen Zeitschriften, die mir von Ohligs zugesandt wurden.

* * *

Ende November 1916! Die Witterung lässt zu wünschen übrig. Wir arbeiten an einer geräumigeren Unterkunft, teils in, teils auf der Erde, am Ausgangspunkt des Bähnchens, am Damm angelehnt. Der freiere Platz zwischen den Wäldern, früher Felder, wird von uns "Müllerplatz" genannt. Von den vormals stehenden Gebäuden einer Ferme (Bauerngut) steht nichts mehr; nur ein Brunnen, der uns das Wasser gibt, ist eine Erinnerung an Gewesenes. Gegenüber an der Straße liegt der uns für die Not zugedachte Unterstand, nicht besonders tief und weit, meist von Ratten bewohnt. Wir haben ihn wenig benutzt. Ein anderer, besserer, gehörte zur Pionier-Abteilung, war stets bewohnt, hatte aber auch nur einen Ausgang.

Unser Essen mussten wir in einem 1 ¼ Stunden zurückliegenden Munitionslager am Moireywald holen, welches von einem Kommando unserer Kompagnie verwaltet wurde. Meist ging ich, da ich besser zu Fuß war, brachte dann auch Post und dergl. mit. Der Weg über die Felder und Wälder war je nach Witterung fast unpassierbar, auch oft sehr gefährlich.



20

Unser Unteroffizier bekam von seiner Frau (Kinder hatte er keine) sehr viel geschickt, und er sagte mir einmal: du brauchst mir nicht mehr so viel Essen mitzubringen, ich komme so aus. Bei der Küche nahm ich aber die Portion für ihn doch in Empfang und bekam so für uns alle mehr. Unterwegs aß ich aus dem Kochgeschirr des Unteroffiziers so viel heraus, wie ich für gut hielt, und so waren wir alle zufrieden.

Natürlich war unser Dasein stündlich in Gefahr. Deshalb drängte unser Unteroffizier immer auf den Bau eines weiteren tiefen Unterstandes, worauf wir uns aber nicht einließen. Wenn wir auch durch all die Verhältnisse wussten und fühlten, dass wir und unsere Gegend den Franzosen nicht unbekannt geblieben und eine stets aufgezogene Zielscheibe waren, so war dies Ansinnen bei unserem vielen Dienst etwas zu stark, was wir ihm auch stets sagten.

* * *

Wenn man zu den kurzen Tagebuch-Einzeichnungen noch ein wenig in dem dadurch aufgezogenen Andenken blättert, ergibt sich so vieles, was sich in Bezug auf Bewahrung in dem Vers zusammenfassen lässt:
        "In allen Stürmen, in aller Not
        Hat er Dich beschirmet, der treue Gott."

Ernst und ich standen morgens an den Munitions-Stapeln; ein Auto mit höheren Offizieren kam auf der Straße, wo wir standen, und fuhr bei etwas nebligem Wetter auf die Stellungen zu, als uns gegenüber Granaten am Straßengraben einsetzten. Die aufgewühlte Erde, mit der wir bedacht wurden, drängte zur Sicherung, aber im gleichen Augenblick setzte sich das Auto quer über die Straße und war erledigt. Natürlich wollten wir sofort Beistand leisten und liefen hinzu, doch waren die Insassen weniger verletzt und kamen nochmals mit dem Leben davon. Ein Glück, dass das weitere Streufeuer unsere Munition nicht erfasste. Wo wären wir dann geblieben?!

Ein anderes Mal! Eine Granate setzte sich direkt an dem Eingang in unsere Behausung in die Erde und grub sich durch den Rost ein. Blindgänger! Hätte sie die in sie gesetzte Wirkung eingelöst, wie es der Wunsch unserer Gegenüber war, würden heute wahrscheinlich unsere Namen auch irgendwo auf einer Gedenktafel zu finden sein. Wir haben den Blindgänger ausgegraben und beseitigt.

Die Straße war an vielen Stellen mit Kriegergräbern eingefasst, und wie viele unkenntliche waren da? - Die Granattrichter waren Teiche geworden.

21

Aus der neben uns am Walde gelegenen Pionier-Abteilung ging fast jede Nacht eine Tragtierkolonne mit Minenwerfergeschossen und anderem in Stellung; ich hatte oft dort zu tun; es gehörte mit zu unserer Aufgabe alle durch uns mit bedachten Batterien je nach Bedarf aufzusuchen, was mir meistens zufiel. Daher war ich überall, bei vielen Offizieren und Mannschaften, bekannt. Ich kannte die Umgebung von Verdun mit ihren Wäldern und Schluchten sowie die versteckten Stellungen fast wie meine Heimat. Ich habe mich aber auch von Jugend auf für die Natur interessiert.

Anderer Einmarschweg:
Azannes - Sumazannes - Herbe - Bois Ornesschlucht und Ornesfriedhof,
aufwärts nach Vaux-Kreuz, wo Übersicht über großes Verdunkampfgelände.

Eine Viertelstunde hinter uns, in einem entkronten Wäldchen, durch welches unser Bähnchen fuhr, stand die 2. Batterie des 2. Gardefußartl.Regiments. Die Munition hierfür brachte meist das Bähnchen und wurde da auch abgenommen. Auch das Leermaterial (Körbe, Hülsen etc.) ging dann von dort aus zurück. Dann war es unsere Aufgabe, Zu- und Abgang zu kontrollieren und zu buchen, da dies für und von uns notiertes Material war. Es war eine 15-cm-schwere F.-H.-Batterie. [F.H. = Feldhaubitze]

Nach meinen Aufzeichnungen standen rund um uns viele Batterien aus vielen Regimentern, die auch alle möglichen Kaliber hatten, die wir auch besuchten; nach Tagebuch:
4. u. 6. Batterie Artillerie-Regiment 66 - 10,5-cm-leichte F.H.
2. Batt. Artillerie-Regiment 88 - 15-cm-schw. F.H.
7. u. 4. Batt. R.F. Art.Reg. 25 - 15-cm-schw. F.H.
2. Batt. Art.Reg. 157 15-cm-schw. F.H.
3. Batt. Feldart.Reg. 84 - 7,7 [-cm-Feldkanone]
und später das ganze Regiment, Fußart.Reg. No. 4 - 21-cm-Mörser,
Fußart.Reg. No. 13 - 15-cm-Mörser und viele andere. (Höhe 304, links der Maas, diese besuchten wir nicht.)

Wir hatten also eine rührige Nachbarschaft, und die Gegenüber übergingen uns bei den Gegengrüßen auch nicht. Die Munitions-Kolonnen, die diese bedienten, bedachten auch uns zum Teil durch Zu- und Abgang, daher auch stets frische Ware an Lager, nichts veraltete bei uns.

Einmal, als Ernst und ich wieder allein waren, kam, wie oft, ein Offizier, und da er gerade unsere geschäftliche Tätigkeit am Telefon usw. beobachtete, wollte er uns beide überreden, uns zu seiner Batterie zu melden. Hierbei erfuhr er auch gewisse Namen von Geschossen, und da ich ihm auf Wunsch dieselben noch weiter ergänzte, da er sich sichtlich dafür interessierte, versprach er uns bei unserem Eintritt in seine Batterie Beförderung.

22

Ich kannte dies alles vom damaligen Oberfeuerwerker und anderen. Wir beide wollten das Angebot zur Versetzung nun gerne annehmen, doch es ging nicht.

Mitte Dezember 1916 ungefähr hieß es, das Lager solle verlegt werden, und wir kämen fort. Unsere Straße, wir hatten an beiden Seiten Munition liegen, lag als Zufuhr- und Anmarschweg sehr viel unter Feuer. Diese Straße von Damvillers über Moirey, Flabas, die rechts von Beaumont, am damaligen Sanitätsunterstand vorbei durch die Samogneuxschlucht an die Maas führt, ist ja jedem Verdunkämpfer rechts der Maas bekannt.

Besichtigungen kamen; das Gelände war für vieles Befahren zu weich, eine Straße war unentbehrlich. Man munkelte dies und das, doch es blieb dabei. Nur ein Gutes kam dabei heraus: Wenn nachts alles erledigt war, musste noch immer einer Wache stehen. Diese Einrichtung wurde, als vom Unteroffizier unnötigerweise eingeführt, aufgehoben. Wir hatten schon oft dagegen protestiert.

* * *

Der Winter hatte eingesetzt. Wer kennt ihn nicht, den strengen Gesellen 1916/17. Auch unsere Wohnung konnte noch eine Dachauflage gebrauchen. Eine Abteilung unserer Kompagnie hatte bei Azannes in einer Baracke gelegen, war aber ausgeräuchert worden, sie war zerschossen. Nun meinte unser Unteroffizier, dort wäre jedenfalls noch etwas Dachpappe zu erben, wir möchten einmal nachsehen. So gingen wir denn eines Nachmittags los. Wir suchten zuerst weniger an Pappe als an Kantinen, und da wir so selten einmal frei bekamen, so nutzten wir den Urlaub bis abends spät 9 Uhr aus.

Inzwischen war aber allerhand [Munition] gekommen, und weil wir nicht da waren, musste er es alleine schaffen, was wir ihm auch von Herzen gönnten. Ernst stand sowieso immer mit ihm auf Kriegsfuß, auch nicht zu Unrecht. So war denn auch unser Erscheinen überschattet mit Schimpfen, Fluchen und dergl. mehr. Wir blieben aber nichts schuldig, hatten wir doch den halben Tag überall gesucht, nur keine Pappe gefunden. Wir haben ihm gesagt, er könne in Zukunft alleine losgehen und suchen, wir nicht mehr. - Abwechselung muss einmal sein! - Wir haben dann vergessen, eine große Zeltbahn, die stets über die Munitionswagen des Bähnchens gedeckt war, zurückzugeben und diese [als Dachauflage] gebraucht, es war ja alles "kaiserlich", genau wie wir.

Weihnachten kam. Ich war nun schon über ein Jahr Soldat.

23

Weil es sehr kalt war, bekamen wir schon reichlich Alkohol. Ich wurde ohne ihn fertig und vertauschte ihn bei anderen gegen Brot. Ein Paket vom Roten Kreuz in Köln war mein Weihnachtsgeschenk. Gute, nützliche Sachen konnte ich auspacken, nur das beiliegende Kartenspiel wanderte in den Ofen. Zahnschmerzen führten mich in die Zahnklinik nach Damvillers, wo ich diese Quälgeister los wurde.

Schlafdecken gab es bei den Fundsammelstellen genug, und so hatten wir jeder, anstatt zwei, fünf Decken. Eine Granatverletzung am kleinen Finger der linken Hand gab mir Veranlassung die Verbandstelle in Flabas aufzusuchen. Die Sehne am ersten Glied war durch, das Glied sollte abgenommen werden, ist aber auch so geheilt. -

Der Franzmann nahm sehr wenig Rücksicht auf das Weihnachtsfest und auf den Jahreswechsel. Bei letzterem war wieder rechtes Trommelfeuer hüben wie drüben. Von einem gefahrvollen Gang zu den Batterien, der sein musste (dafür waren wir ja Frontsoldaten und hatten oft mit dem Leben abgeschlossen), zurückgekehrt, unser Unteroffizier feierte Neujahr bei der Kompagnie, sagte ich zu Ernst, wir wollen uns einen Eimer Wasser heiß machen und uns einmal gründlich waschen, damit wir rein und sauber in das neue Jahr gehen, auch wenn wir noch durch unser Blut und Sterben den Wall erhöhen müssen, über den unsere Feinde nicht in unsere Heimat kommen können.

So wurde bei uns Deutschen wie auch bei unseren Feinden durch Sterben übergeleitet in das dunkle Jahr 1917.






    1917    

Anfang Januar. Besondere Verhältnisse gaben Veranlassung zu erweitertem Nachtdienst. Einer von uns musste die weitere Nacht, zu allem bereit, draußen sein. Kalt und etwas scharf war der Wind. Der Mond warf sein Licht auf Wälder, Schluchten und Berge zwischen Feind und Freund. Die Anmarschstraße bei uns war schon seit Dämmerung sehr belebt, auch unsere Filiale ausnahmsweise. Die Fronten waren ziemlich ruhig, nur hin und wieder ein Aufblitzen in unserer Nachbarschaft, und der Franzmann sandte einiges über uns hinweg ins Niemandsland.

Ich ging mit umgehängtem Karabiner über die Straße, am Wald oder an den Stapeln vorbei, so warm wie möglich angezogen, damit ich nicht anfror. Die Zeit wurde trotz der strengen Kälte nicht lang. Motorisierte und andere Batterien kamen den Berg herauf, frugen nach ........, Bescheid konnte ich ihnen geben. Regimenter Infanterie folgten, wurden am Waldrand abgeholt und in Stellung geführt. Ein Totenkopf-Infanterie-Regiment, aus Russland kommend, kam, frug nach der Abholstelle, und da noch keiner da war: Halt! Die armen meist jungen Leute warfen sich übermüdet auf die kalte glitzernde Schneedecke an der Straße.

24

Ein Feldwebel erzählte und frug manches, glaubte auch, dass sie mal den fraglichen Abschnitt "Verdun" jetzt erledigen würden. Da die Abholer zu lange auf sich warten ließen, zogen sie so ab. Später hörte man, dass dies Regiment sich die Hölle hier leichter vorgestellt hätte und manchen Irrtum habe schwer büßen müssen. Der Anmarsch zur unbekannten Stellung sei schon wegen Irrwegen reich an Opfern gewesen. Eine benachbarte Pionierabteilung ging auf der Straße zur Ablösung, kurz darauf kamen sie schon mit einigen Toten und Schwerverletzten zurück; unweit war eine Granate in die Kolonne auf der Straße eingeschlagen.

Es war früh. Mein Dienst war beendet. Morgennebel wehten blass über der Gegend und verschleierten noch die gefassten Vorbereitungen der nächtlichen Bewegungen. Das Bähnchen sollte uns in kommender Nacht Material bringen. Schnee kam. Viel Schnee war bis zum Abend gefallen. Ohren und Nase befroren, die Finger kaum zu bewegen. Zwei Kopfschützer trugen wir nachts fast immer. Die Kolonne war wie stets sehr eilig. Die armen Tiere!

Das Bähnchen war unfahrbar. Da, eines Morgens, als wir heraustraten, schaufelte ein großes Infanterie-Regiment-Kommando den Schnee von dem Bähnchen, und ich sah unter ihnen auch meinen Nachbarn Karl Kolfhaus von der Prinzenstraße in Solingen-Ohligs. Dies Regiment war von Russland gekommen und lag jetzt im bekannten Haumont-Walde. Als ich meinen Nachbarn später da einmal besuchen wollte, war das Regiment in den Moirey-Wald verlegt, wo ich ihn dann fand. Alte Bekanntschaft freute stets, er hat mich auch einige Male besucht. Zum ersten Mal an der Westfront, war ihm die Gefechtstätigkeit hier doch erschreckend.

* * *

Mitte Januar 1917! Der erhoffte Friede blieb aus, der Winter war noch sehr streng. Sollte der Krieg noch ernster und schärfer werden? Es schien fast so. Die Anforderungen steigerten sich nach jeder Art und Weise. Hinter und neben uns fuhren noch Batterien auf, die Tiere fielen in dem aufgewühlten Boden und konnten nicht mehr hoch. Sie blieben liegen, und es ging mit anderen über sie hinweg.

Nachts war immer ein Hasten und Jagen. Die Geschütze bollerten und auch die Langrohre in der Haumontschlucht sandten ihre Grüße auf die französischen Zufuhrstraßen. Die Franzosen gingen zum Teil über uns bis in die Etappe, damit die dort Unabkömmlichen auch einmal einen Unterstand aufsuchen und ein Anrecht auf das E.K. [Eiserne Kreuz] vorbringen konnten.


25-27

Namen von Artilleriegeschossen

Da ich vorstehend einmal etwas von Geschossen und dergl. angedeutet, so will ich nach Tagebuch etwas davon auch hier anführen, wenn auch heute [1934] dies nicht mehr in Frage kommt.

Albert Feldkanone 7,7 cm.
Alma oder Anna (?) Feldkanone 7,5 cm.
Bernhard leichte Feldhaubitze 15 cm.
Camillo schwere Feldhaubitze 15 cm.
Granate 14 mit 6 Teilladungen, geschossen in den Netzbeutelkartuschen und Reibzündschrauben (alte Haubitze)
Cicero für schwere Feldhaubitze 02,13 u. 14 15 cm. mit Hülsenkartuschen geschossen
T-Granate, Grünkreuz x etc. = Gasmunition.
Granate 14 - kurz waren 2 Hölzer unten im Korb =
      A.Z. - Aufschlagzünder
      B.Z. - Brennzünder
Granate 12 - lang unten ein Holz im Korb = Verzögerung
Ludwig für 15 cm. Ringkanone (Schiffsgeschütz)
Nathan 15 cm. schwere Kanone, für feste Ziele zu beschießen, Hülsenkartuschen. Schiffsgeschosse
Daniel 10 cm. schwere Kanone, als Granate oder Schrappnell
David für 10 cm. Kanone
Eberhard für 21 cm. (Mörser) kurz oder lang Sprenggranate aus Stahlmörser geschossen, Granate 14/kurz   96/lang
Emanuel für 21 cm. Mörser aus Bronzemörser geschossen,
Granate 14/kurz   96/lang
Ferdinand für 13 cm.
Gottlieb (deutsch) für 15 cm. lange Kanone
Granate 14 / roter Kopf,   Schrappnell 15 / blauer Kopf
Gottlieb (franz.) 15,5 cm lange Kanone, blaue Farbe, nur Granaten mit Kartuschen geschossen
Iwan für 9 cm. Kanone
Karl für 12 cm. Kanone
Gamma für 42 cm. Kanone (Dicke Berta)
Xerxes für 3,7 cm. Revolverkanone
Anna (?) für 7,7 cm. m/getrennter Ladung, d.h. Geschoss und Kartusche
Beta für 28 cm. Mörser (Küstenmörser)
Samuel für 17 cm.
Ypsilon für 5 cm. für Grabenkampfgeschütze, Kartätschen oder Granaten
Neckar für 6,5 oder 7 cm. für Tankgeschütze.
Der Kopf einer Granate ist rund, der Kopf eines Schrappnells abgesetzt.

Wie erwähnt, wurde auch mit Gas geschossen und hatten wir auch diese Munition je nach Bedarf an Lager bezw. abzugeben (s. Seiten 57, 87, 91 dieses Tagebuchs).

Weißes Kreuz    =    Tränengas, wird auch schon mal von der Polizei gebraucht.
Blau-Kreuz    =    reizt Nase und Hals sehr.
Grün-Kreuz    =    schlimm, besonders für Herz und Lunge.
Gelb-Kreuz    =    schlimm, auch für die Haut, wie den ganzen Körper.

Was wird womöglich im nächsten Krieg gebraucht und was wird er uns und der Welt bringen? Grün-Kreuz kam bei uns viel mehr in Frage als anderes, und beim Gegenüber war es nicht besser. Wer drin gewesen, weiß darum. - Krieg!!!!

[Für Grünkreuzgranaten wurden Phosgen, Diphosgen und Chlorpikrin als Kampfstoffe verwendet. Später wurden ganz allgemein Lungenkampfstoffe mit Grünkreuz bezeichnet. (Wikipedia)]

Unter Kanone versteht man ausnahmslos ein Flachbahngeschütz, unter Mörser ein Steilfeuergeschütz, unter Haubitze ein Flachbahn- und Steilfeuergeschütz zugleich. Ein Flachbahngeschütz schießt auch auf kürzere Entfernungen mit voller Ladung, wogegen bei Steilfeuer je nach Entfernung die Ladung vermindert bezw. erhöht wird.





27

Durch den andauernden Schneefall wurden wir bezüglich Verpflegung der nahe liegenden Pionierabteilung, dann einer Abteilung der Parkkompagnie des 20. Fußartillerie-Regiments, die in der Flabasschlucht lag, zugeteilt. Letztere Küche war die beste, - Steckrüben.

Jetzt kam die Nachricht, unser Munitionslager sei unentbehrlich und solle noch erweitert werden. Die Kompagnie hatte schon wieder 30 bis 40 Mann jüngere Leute als Ersatz erhalten und sandte uns einen Unteroffizier (derer waren genug da) und sechs bis acht Mann Verstärkung. Diesen gefiel aber der angestrengte gefahrvolle Dienst nicht. Hier war auch nicht mehr Garnison oder Etappe, sondern Wirklichkeitskrieg.

Unsere Behausung wurde schnell erweitert. Der neue Unteroffizier war ein vernünftiger guter Mensch, sonst hätte es mit unseren "Alten" und den Letztgekommenen noch dummes Zeug gegeben. Hier sahen unsere Neulinge eines Morgens auch mal gefangene Franzosen durchkommen, für uns nichts Neues.

Einer der jungen Leute wurde krank. Habe ihn zuerst durch Brustumschläge behandelt, hatte auch stets einige homöopathische Mittel, doch durch unsere kalte primitive Unterkunft wurde es schlimmer, und so nahm ihn ein Fuhrwerk mit ins Lazarett. Er hat dann längere Zeit an Lungenentzündung schwer krank gelegen. Sein Vater, Benedikt Groben in Laupenrath, Post Waxweiler, Kreis Prüm i.d. Eifel, schrieb mir dann einige Male und bedankte sich für die seinem Sohn erwiesene Liebe und erste Hilfe. Dies ist doch Christenpflicht. -

Nachts wurden immer mehr neue Stellungen besetzt. Durch die sogenannte Küchen- und Ornesschlucht u.a. fuhren Feldgeschütze zur Ablösung in Stellung.

28

Auch die schon erwähnte Tragtierkolonne, neben uns aus dem kleinen Pionierpark, mit ihren kleinen russischen ausdauernden Panjepferdchen, trug Munition, Stollenbretter und anderes in diese und andere Schluchten und Stellungen. Mancher hat dabei sein Leben hingeben müssen. - Hölle von Verdun!!! -

Ein Feldwebel dieser Kolonne war ein bei unserer Firma beschäftigt gewesener Karl Kolfertz, oft verwundet gewesen, Ritter vom E.K.I. Ernst und ich besorgten nebenbei den erweiterten Außendienst. Es war durch das fast ständige Funken kein angenehmer Dienst, aus einer Stellung zur anderen, denn das Streufeuer unserer Gegenüber galt auch uns, kannten daher auch die Unterstände unserer Kundschaft.

* * *

Seit Ende Januar 1917 hatten wir eigene Verpflegung. Die entkronten Bäume wurden gefällt, aber die Stämme waren alle so voller Granatsplitter, dass man sie fast nicht zerkleinern konnte. Alle zwei Tage gegen Abend kam einer zu Pferde von der Kompagnie und brachte die Verpflegung und Post.

Der Winter hält noch an. Ab und zu haben wir mal etwas Regen oder Tauwetter, dann sind die zerfahrenen Wege zu den Stellungen durch die Granatlöcher für die Kolonnen fast unpassierbar, auch an unseren Stapeln. Unser Geschäft hebt sich von Tag zu Tag, neue Kunden melden sich stets an. Neue Gulaschkanonen sehen wir gegen Abend am Waldrand auf ihre Essenholer warten. Einige fahren bei etwas Ruhe noch weiter vor. Ob es eine neue Offensive gibt, oder ist es nur Schein?



1  2  3  4 

           

www.zeitspurensuche.de   Copyright © 2020 Marina Alice Mutz