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Ketzberg  -  Das "Gemür"

Über das "Gemür", eine alte Fluchtburg in Oben-Ketzberg, berichtet Max Schmidt im Jahr 1922 in seinen "Geschichtlichen Wanderungen":


"Das älteste Bauwerk - vielleicht sogar das älteste der gesamten Stadtgemeinde Gräfrath - hat aber Oben-Ketzberg aufzuweisen. Dort steht inmitten der Fachwerkhäuser Nr. 18 und 22 der steinerne Turm, in der platten Volkssprache 'das Gemür' (Gemäuer) genannt. Im Hinblick auf das verwandte Baumaterial haben Sachverständige und Geschichtsforscher geurteilt, daß der Turm im 12. Jahrhundert errichtet worden ist.

Sicher ist, daß es sich um ein sehr altes Gebäude handelt. Ein gleicher Turm hat bis vor etwa 20 Jahren in der benachbarten Ortschaft Pashaus gestanden. Auch an diesen waren im Laufe der Zeit Fachwerkhäuser angebaut worden. Leider hat man es damals unterlassen, vor der Niederlegung das alte Bauwerk im Bilde festzuhalten, so daß wir auf mündliche Beschreibungen angewiesen sind. Den Turm zu Ketzberg schildert Otto Schell (in der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins Jahrg. 1919 Seite 49) als eine Art Schutzwehr, die in den Zeiten der Gefahr den Hofesleuten als Zufluchtsstätte diente. Zugänglich ist der Turm heute nur von dem Hause Nr. 18 aus.

Im Bergischen Lande fanden sich derartige Anlagen oft. Mir scheint aber, daß der Turm zu Ketzberg früher noch weitere Umbauten aus demselben Material hatte. Seine Grundmauern deuten auf Anbauten hin. Festzustellen ist, daß verschiedene der umliegenden Häuser bis in Sockelhöhe dasselbe Baumaterial wie der Turm aufweisen, so daß man vermuten kann, es stamme von niedergelegten Teilen der alten Burg. Die Bezeichnung 'Burg' hat sich im Volksmunde erhalten. Möglich ist denn auch, daß hier ein altes burgähnliches Gebäude gestanden hat.

Man neigt noch mehr zu dieser Ansicht, wenn man bedenkt, daß unweit die alten Heer- und Landstraßen vorbeiführten; die jetzige Zeppelin- und die Donaustraße waren die Verbindungsstraßen zwischen dem Bergischen Lande und dem Kohlenrevier. In der Nähe von Ketzberg wurden sie gekreuzt von der Straße, die aus der Gegend von Haan nach Kohlfurt führte. In der Nähe des alten Bauwerkes befand sich also ein Hauptverkehrspunkt. Vielleicht war hier ein 'Ausguck', um von hier den Verkehr und besonders die heranziehenden Kriegsvölker zu beobachten. Diese Annahme wird noch wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, daß auf Elberfeld zu, in der Nähe von Sonnborn, nicht allzuweit von Gräfrath entfernt, das mächtige Geschlecht derer von Hammerstein seinen Sitz hatte.

Die Mauern des Turmes weisen an verschiedenen Stellen eine Stärke von etwa einem Meter auf. Das Innere des Turmes mißt im Viereck 4 1/2 Meter. Der Turm hat zwei Stockwerke. Hervorzuheben ist noch, daß in den beiden Stockwerken sich sogenannte 'Verbörgs' befinden, d.h. Hohlmauern, die geeignet waren, der wertvollsten Habe als Versteck zu dienen.

Erst in letzter Zeit hat man in einem der oberen Stockwerke des Turms einen eigenartigen schweren Stein gefunden. Er mißt im Viereck 67 cm. An den Seiten ist er ziemlich glatt behauen, während die obere Fläche rauher ist. In der Mitte des Steines befindet sich eine durchgehende große, runde Oeffnung. Hieraus sollte man schließen, daß der Stein früher einen Pfosten (Kaiserstiel) gehalten hätte, von dem das Dach des Turmes getragen wurde. Wie dem auch sei, der Turm und seine Umgebung sprechen zu uns wie ein Stück alter Heimatgeschichte. Der älteste Zeuge jener Orte, der Turm, müßte als Baudenkmal geschont und der Nachwelt so lange wie möglich erhalten bleiben."

[Max Schmidt]


Gemür
Das Gemür mit den Häusern Nr. 18 und 20.
Abb. MBGV 7-8/1919
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen
 
Gemür
2006   Nur der große Baum ist verschwunden
 

Der massive Bruchsteinbau ist heute noch vorhanden und nach dem alten Foto einwandfrei zu erkennen - vorausgesetzt, man findet ihn.

22 Jahre später, im Kriegsjahr 1944, veröffentlichte Julius Günther in seinem Aufsatz über "Bergische Bauernburgen in alter Zeit" weitere Details über das wehrhafte Ketzberger Gemäuer:


Rheinische Landeszeitung vom 20. Februar 1944

[...] Es ist ein viereckiger Bau von 9 bis 10 Meter Höhe, der drei Stockwerke aufweist. Der einzige vorhandene Eingang erfolgt durch das Wohnhaus Nr. 18, Besitzer Oberbauscheid. Die einzelnen Stockwerke sind durch schwere Holzdecken getrennt und durch Holztreppen miteinander verbunden. Die eichenen Tragbalken sind im Laufe der Jahrhunderte so hart geworden, daß ein Nagel nicht mehr eingeschlagen werden kann. Die inneren Räume messen ca. 4 bis 5 Meter im Geviert. Das untere Mauerwerk hat eine Dicke von 1 1/2 Meter, das des mittleren Stockwerkes ein solches von einem Meter, während es sich im oberen Stockwerk auf 3/4 Meter verjüngt.

In den einzelnen Geschossen befinden sich nach innen erweiterte Steinschlitze bzw. Sehlöcher. In den starken Wänden sind an verschiedenen Stellen vierkantige Innenlöcher angebracht, die wahrscheinlich zur Aufstellung von Gegenständen Verwendung fanden. Das Dach des burgartigen Gebäudes muß zu einer nicht zu bestimmenden Zeit erneuert worden sein. Ursprünglich scheint es ein Spitzdach gewesen zu sein.

An drei Seiten dieses massiven Baues schließen sich einfache Fachwerkhäuser an, deren Alter sich nicht genau feststellen läßt. Sie werden wohl nicht die ursprünglich zu diesem "Steengaden" gehörenden Bauernhäuser gewesen sein. Einwohner erklären, daß sich in den umliegenden Gärten eine Menge Bruchsteine fanden, die von Fundamenten herrühren könnten.

Hervorzuheben ist noch, daß sich möglicherweise im Erdgeschoß ein Brunnen befindet. Der Besitzer hatte vor einer Anzahl von Jahren einen Teil der Erde aus dem Untergeschoß ausgeräumt, um es mit dem anschließenden Flur des Fachwerkhauses gleich zu gestalten. Es wurde um etwa 60 Zentimeter vertieft. Dann versuchte der Besitzer mit einer Eisenstange zu ergründen, ob etwa ein Keller vorhanden wäre. Nur an einer Stelle kam er tiefer. Als er dann noch einmal mit der Stange zustieß, entglitt sie ihm und verschwand in der Tiefe. Mit einer Bohnenstange wiederholte sich das gleiche Ergebnis. Dann wurde von weiteren Nachforschungen Abstand genommen.

Im oberen Geschoß befindet sich eine Steinplatte von 60 Zentimeter im Geviert und ca. 30 Zentimeter Dicke. In der Mitte hat sie ein durchgehendes Loch von 20 Zentimeter Durchmesser. Der Besitzer sagt, dieser schwere Stein habe früher auf dem Gebälk gelegen, welche das Dach trägt. Man habe diesen Stein schon einmal als "Fahnenstein" bezeichnet. Was es damit für eine Bewandtnis haben kann, ist nicht ohne weiteres ersichtbar. Die Vermutung liegt wohl nahe, daß, als noch ein Spitzdach bestand, ein in das Loch gesteckter Balken das Holz des Dachstuhles getragen hat.

Nun zur Erklärung des Wortes "Steengaden". Gaden, älter gadem, gadum, bedeutet ganz allgemein einen umschlossenen Raum, dann Haus, Gemach, Verschlag, Stockwerk. [...]

[Julius Günther]


Auch in der Solinger Hofschaft Bech bezeichnete der Volksmund ein teilweise massives altes Gebäude als "Burg"; möglicherweise auch hier wegen seiner einstigen Schutzfunktion. Einen Fluchtturm besitzt heute noch das restaurierte und unter Denkmalschutz gestellte Haus am Quall in Haan-Gruiten. Auch das Gütchen in Haan hatte eine solche Schutzanlage.

Das oben erwähnte ehemalige Schulgebäude Unten-Ketzberg Nr. 49/51, ein kleiner, malerischer Fachwerkbau, steht ebenfalls noch.



Quellen:
  • Günther, Julius: Bergische Bauernburgen in alter Zeit. Rheinische Landeszeitung vom 20.02.1944
  • Schmidt, Max (1922) S. 48-54

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