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Haus Grünewald

Haus Grünewald
Schloss Grünewald
nach einer Zeichnung von F.A. de Leuw
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen

 
Familie de Leuw
Familie Piedboeuf
Über Haus und Gut Grünewald
Namen / Eigentümer



Haus Grünewald liegt im Norden von Solingen-Gräfrath nahe der Stadtgrenze zu Wuppertal-Vohwinkel. Oft wird es in einem Atemzug genannt mit dem in Solingen prominenten Namen de Leuw, sei es der Augenarzt oder sein Sohn, der Landschaftsmaler, oder mit der Industriellen-Familie Piedboeuf. Heute ist das Anwesen noble "Business- und Event-Location" für vielerlei Gelegenheiten.

Über die ältere Historie von Haus Grünewald ist mir kaum etwas Handfestes begegnet. Hier haben keine Ritter und keine Adelsgeschlechter residiert, und in den Geschichtswerken kommt es gar nicht vor.

  Die Spurensuche gestaltete sich zunächst mühsam. Dann fand ich per Zufall im Solinger Stadtarchiv in einer Ausschnitt-Sammlung einen informativen Zeitungsartikel aus den 1970er Jahren, der einige verbliebene Fragen beantwortet. Da jegliche Quellenangabe fehlt, erhalten die hier einfließenden Passagen die Signatur FA 25/3.

Der Hof "Grünewald" gehörte einst zu den Besitzungen des Klosters Gräfrath. In diesem Forst, Jahrhunderte später "Piedboeufsche Waldungen" genannt, lag der sagenumwobene "Heilige Born", in dem die Itter entspringt.

Einen sehr vagen Hinweis aus dem 15. Jh. wagen Benner/Bremer: "Pächter des Bürgerhofs war Johann ter Moelen. [...] Der Bürgerhof ist vielleicht der Grünewalder Hof, der ursprünglich der Bürgerschaft gehörte, dann vom Kloster gekauft wurde. Die Urkunde ist gegeben 1483". [S. 13] Johann ter Moelen war auch Müller der Bandesmühle.

1715 ist auf der Ploennies-Karte kein Hof "Grünewald" eingetragen. Weil er zu der Zeit nicht vorhanden oder weil er Klosterbesitz war? (Auch die Klostermühlen fehlen.) Eingetragen ist aber groß und breit das Waldstück "Kloster-Eichen". Haus Grünewald liegt am nordöstlichen Zipfel des Waldes.


Gräfrath
 
1715
Kloster Eichen
Detail aus der
Ploennies-Karte

Nach der Säkularisierung 1803 ging der Wald mit dem übrigen Klosterbesitz an die Domänenverwaltung über. 1822 sollten mehrere Domänengüter verkauft werden, wie aus der folgenden amtlichen Veröffentlichung hervorgeht, darunter der Grünewalder Hof. Pächter des Hofes war damals Wilhelm Eicher; sein Pachtvertrag lief bis 1825. Der Verkauf sollte "in der Wohnung des Gastwirths, Herrn Fohwinkel" stattfinden. Es handelte sich um Herrn Vohwinkel, den Eigentümer des "Jägerhof" am Gräfrather Markt, des späteren "Hotel zur Post".


Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf. Düsseldorf, den 26. August 1822

Es sollen folgende im Kreise Solingen belegene
Domänen-Güter, zu Gräfrath
in der Wohnung des Gastwirths, Herrn Fohwinkel am Donnerstage, dem neunzehnten September 1822
öffentlich verkauft werden.
1) [...] 2) Der Grünewalder Hof; - mit Wohn- und Wirthschaftsgebäuden enthält derselbe, mit Ausschluss a) von 2 Morgen 133,0 Ruthen preuss. Masses Wiese und b) von 1 " 113,7 " " " Ackerland so mit dem Klosterhof vereinigt verkauft werden, an Haus und Hofraum - Morgen 13,7 Ruthen an Garten 2 " 59,2 " an Ackerland 26 " 52,7 " an Wiesewachs - " 59,5 " an ödem Grund 6 " 67,7 " ___________________________________________ 35 Morgen 72,8 Ruthen preuß. Masses, wozu vom Klosterbusch 47 Morgen 14,4 Ruthen _____________________ gelegt werden, wodurch also des Hofes Bestand = 82 Morgen 87,2 Ruthen wird. Der bisherige Hof ist bis 1. März resp. 1. Mai 1825 an Wilhelm Eicher für 67 Rthl. 15 Sgr. - Pf. verpachtet und trägt an 17 Rthlr . 6 Sgr. 4 Pfen. Steuer. 3) [...]

  Über die alten Flächenmaße   (1 preuß. Morgen = 180 Quadratruten)

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Familie de Leuw

Haus Grünewald erscheint in der Solinger Stadtgeschichtsschreibung erst, als es der prominente Gräfrather Augenarzt und Hofrat Dr. Friedrich Hermann de Leuw (1792-1861) zusammen mit nahezu 1000 Morgen ehemaliger Klosterländereien als Kapitalanlage von der Domänenverwaltung erwirbt. [Rosenthal 2 S. 308]

Der Zeitpunkt des Kaufs ist nicht überliefert, aber es wird wohl (s.o.) um 1822 gewesen sein. Nach Rosenthals Formulierung wäre de Leuw Erwerber, nicht Erbauer des Hauses gewesen.

  Unklar ist, welches Gebäude gemeint ist. Das Herrenhaus wird noch nicht bzw. nicht in der heutigen Form existiert haben.

Am 08.06.2005 berichtete das Solinger Tageblatt kurz über 'Schloss Grünewald'. Danach "wohnte im 19. Jahrhundert der bekannte Augenarzt Hermann de Leuw mit seiner Familie" in Haus Grünewald.

  Nach anderen Quellen wohnte der Augenarzt im eigenen Haus "In den Blanken Gärten" = Wuppertaler Straße 249, dann von 1843 bis zu seinem Tod im Haus in der Freiheit 25, das er 1842 erworben hatte.

De Leuw nutzte Grünewald als landwirtschaftlichen Betrieb. "Er baute das Haus nach dem Erwerb für seinen Geschmack um, insbesondere legte er im mittleren Teil des heutigen Gebäudes Stallungen für seine Pferde und eine Wohnung für den Pferdepfleger an." Die Räumlichkeiten dienten späteren Hausherren in den 1970er Jahren als Garagen und Küche. [FA 25/3]

Ältester Sohn des Arztes Friedrich Hermann de Leuw war der Maler Friedrich August de Leuw (1817-1888). Er studierte 1838-1843 in Düsseldorf und wohnte nach Abschluss des Kunstakademiestudiums abwechselnd in Düsseldorf und Haus Grünewald.

"Friedrich August de Leuw [...] ließ den alten Gräfrather Klosterhof Grünewald zu einem Künstlersitz mit Ateliertrakt und eigener Hauskapelle erweitern." [Schneider Berrenberg] Er soll Bauher des "großen Hauses" gewesen sein [ST v. 10.02.1955], womit sich dessen Bauzeit auf die 1840er Jahre eingrenzen ließe.

Der unbekannte Verfasser des Zeitungsartikels aus den 1970ern (der den Gräfrather Landschaftsmaler schlicht "Fritz" nennt) schreibt dazu:


"Eine heute noch erhaltene Wetterfahne auf dem alten Gebäudeteil trägt die Jahreszahl 1687. Der östliche Teil des heutigen Gebäudes wurde offenbar später gebaut. Er diente dem Sohn Fritz de Leuw, der sich mit Malerei beschäftigte, als Atelier.

Da der Hofrat Dr. de Leuw bereits 1861 verstorben ist, hat vermutlich auf Veranlassung seines Sohnes Fritz in den Jahren 1863 bis 1866 ein Umbau stattgefunden, denn als vor nicht allzu langer Zeit ein Stück Paneel in einem Raum entfernt wurde, fand man auf dessen Rückseite die Signatur »5.8.1866, Carl Tücking, Schreiner und Zimmermeister«

Ob Fritz de Leuw das Haus bewohnt hat, ist zweifelhaft. Er heiratete eine Engländerin und zog nach Düsseldorf. Noch heute künden in den Decken und bleiverglasten Fenstern die Wappen der Familie Friedrich August de Leuw aus Kleve von dem ehemaligen Besitz.

Aber noch viele andere Zeugen der Vergangenheit sind zu finden. Die Fenster in den oberen Geschossen werden nach außen geöffnet. Außen wie innen sind die Türen teils im gotischen Stil gehalten. Die Türen im Innern haben schwere, eiserne Beschläge und Überwürfe sowie handgeschmiedete Schlösser. In halber Höhe sind die Wände holzvertäfelt. Über dem Kamin befindet sich die Inschrift: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn, und hoffe auf ihn, er wird's wohlmachen«, und eine Plastik an einer Wand des ehemaligen Ateliers stellt eine Frauengestalt mit dem Wappen der Familie de Leuw dar. Die Inschrift hierauf lautet: »Cassis tutissima virtus« (Die Tugend ist der sicherste Helm).

U.a. steht in den Räumen eine Uhr, die von der Firma J.C. Kroese in Amsterdam hergestellt ist und neben der normalen Uhrzeit Tag, Monat und das Bild der Gestirne anzeigt. Von ihr weiß man allerdings nicht, wer sie ins Haus gebracht hat. Gleiches gilt von einem in Kupfer getriebenen Doppelportrait, von dem man auch nicht bestimmt weiß, wen es darstellt. Vermutlich handelt es sich um Vorfahren der Familie de Leuw." [FA 25/3]


1861 übersiedelte Friedrich August nach England, heiratete dort Maria Francis Charington und kehrte 1868 mit Frau und vier Kindern nach Deutschland zurück, aber anscheinend nicht nach Grünewald. Er ließ sich in Manderscheid nieder und verbrachte dort seine letzten 20 Lebensjahre.


F.H. de Leuw
 
Der Augenarzt
Friedrich Hermann de Leuw
(1792-1861)
 
F.A. de Leuw
 
Der Künstler
Friedrich August
de Leuw
(1817-1888), Selbstportrait



1866 soll Schloss Grünewald auf dem Gräfrather Marktplatz öffentlich versteigert worden sein. [ST v. 08.06.2005] Nach anderer Quelle hat Fritz de Leuw Grünewald 1866 an einen namentlich nicht genannten Holzhändler verkauft. Dieser "hat viele Waldungen abgeholzt und das Besitztum im Jahr 1880 an Jean Louis Piedboeuf aus Lüttich verkauft." [FA 25/3]

Gefunden habe ich eine Verkaufsanzeige für einen Versteigerungstermin im Jahr 1878. Insolventer Vorbesitzer war Christian Brockhoff. Der Holzhändler?! Dies war nicht der erste Verkaufs-Versuch:


Solinger Zeitung vom 12. Januar 1878
Oeffentlicher Verkauf
des Gutes Haus Grünewald zwischen Solingen und Elberfeld
mit Zuschlag zu jedem Preise

Das zur Fallumasse von Christian Brockhoff gehörige in den Gemeinden Gräfrath und Sonnborn, zwischen Solingen und Elberfeld gelegene Gut "Haus Grünewald" soll durch den unterzeichneten Notar

am Montag den 14. Januar 1878, Nachmittags 5 Uhr,
beim Gastwirthen Ewald Ernen in Gräfrath,

nochmals in Parzellen und im Ganzen öffentlich zum Verkaufe ausgestellt und nunmehr für das Meist- und Letztgebot definitiv zugeschlagen werden. Zu dem Gute gehören außer einem herrschaftlichen Wohnhause und außer geräumigen Oeconomie-Gebäuden noch 4 fernere Wohnhäuser, sodann: 3 Hectare 63 Are 14 Meter Hofraum, Garten und Baumhof, 4 Hectare 53 Are 76 Meter Wiese, 51 Hectare 60 Are 71 Meter Ackerland und 105 Hectare 96 Are 28 Meter Waldung mit schönem Holzbestande, zusammen taxirt zu 162,020 M.

Charte und Verkaufsbedingungen sind beim Unterzeichneten einzusehen.

Solingen, den 14. Dezember 1877.
Wilms, Notar.


Kurz nach der Verkaufsanzeige ist in der Zeitung die folgende kleine Notiz erschienen. Anscheinend hatte Vorbesitzer Brockhoff bei der Sparkasse von Haltern (Lippe), die hier als Eigentümerin des Anwesens auftritt, erhebliche Schulden gemacht:


 

Grünewald

 

"Unter Aufhebung der bestehenden Vollmacht ertheilen wir hierdurch als jetziger Eigenthümer des Gutes Grünewald bei Gräfrath dem Pächter
Wilhelm Keull
die alleinige Vollmacht zur Beaufsichtigung des ganzen Gutes "Grünewald,"

Haltern, 15 Januar 1878.
Die Sparkassen-Verwaltung."
 

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Familie Piedboeuf

Käufer von Haus und Gut Grünewald war 1880 also Jean Louis Piedboeuf.

"Piedboeuf war Konsul und hatte einen Wohnsitz in Düsseldorf. Er, der am 31. Juli 1838 geboren wurde, entstammte einer bedeutenden Industriellenfamilie. Jean Louis Piedboeuf heiratete 1863 und benutzte nunmehr Haus Grünewald als Sommersitz, denn seine Familie vergrößerte sich bis zu seinem Tode am 20. August 1891 auf Grünewald um acht Kinder. Aber erst fünf Jahre später machte die Familie Haus Grünewald zu ihrem eigentlichen Wohnsitz. Heute lebt bereits die fünfte Generation Piedboeuf hier." [FA 25/3]

"Heute" = 1970er Jahre

Anscheinend war bis dahin der Öffentlichkeit das Betreten der Grünewalder Wälder erlaubt gewesen. Der Eigentümer wird seine Gründe gehabt haben - Holzdiebstahl?


SKIB vom 30. Juni 1885

Das Betreten der zum Hause Grünewald bei Gräfrath gehörenden Waldungen ist von jetzt ab nur gegen Erlaubnißschein gestattet. Schmitz, Verwalter.


1955 veröffentlichte das Solinger Tageblatt einen nostalgisch anmutenden Artikel über diese Familie, über ihren Bezug zu Gräfrath und - daher die Überschrift - über ihr soziales Engagement:


Solinger Tageblatt vom 10. Februar 1955

Als die Krankenkasse noch Kinderverwahrschule war

Erinnerungen an alt-Gräfrath - Haus Grünewald und die Familie Piedboeuf - Tante Li erzählt

"[...] Tante Li kann wunderbar von früher erzählen. Da war zum Beispiel die Zeit, als das Haus der Ortskrankenkasse in der Schulstraße in Gräfrath noch Kinderverwahrschule oder wie es im Volksmund hieß: 'Kinderbewahranstalt' war. Diese Kinderbewahranstalt dankte man der Familie Piedboeuf, die damals in Klein-Gräfrath - noch nicht eingemeindet! - so etwas wie eine herrschaftliche Gutsfamilie war, ganz im alten, guten, patriarchalischen Sinne.

Die Familie ist auch heute [= 1955] noch mit Gräfrath verbunden. Man findet nicht nur im Telefonbuch eine Piedboeufsche Gutsverwaltung, sondern das alte schöne Haus im Grünewald, das noch aus Dr. de Leuws Besitz stammt, wird auch heute noch bewohnt. Die Familie ist weit verstreut. Der im Krieg ausgebombte Düsseldorfer Zweig lebt in Gräfrath. Aber auch die belgischen Familienangehörigen sind oft zu Gast im Gräfrather Sommersitz. Die Piedboeufs stammen aus der Gegend von Lüttich, von wo man zunächst nach Aachen, dann nach Düsseldorf kam. Dort war und ist die Kesselfabrik, heute Vereinigte Kesselfabriken AG, die die Vermögensgrundlage der Familie bildet.

Gräfrath wurde von dem damals noch in der Blüte seiner Jahre stehenden Großvater bzw. Urgroßvater der jetzt lebenden Piedboeufs als Ferienhaus und Erholungsaufenthalt von anstrengenden Geschäften auserwählt. Es waren die Gründerjahre. [...] Er kaufte das Haus von einem Holzhändler, der es nach den de Leuws kurze Zeit besessen hatte.

Erster Bauherr war, wie schon gesagt, der berühmte Augenarzt Dr. de Leuw gewesen. Aus seiner Aera stammt der jetzige Küchenteil. Dessen Sohn, der Maler de Leuw, hat dann das große Haus gebaut, es aber wohl auch im Winter nicht bewohnt. Die neuen Besitzer haben es dann nur umgestaltet und durch einen kleinen Anbau erweitert. »Es ist auch heute noch im Winter eigentlich sehr unbequem,« sagt die jetzige Herrin. [...]

[..] Wegen des französischen Namens, wegen des feinen, französischen Aeußeren und nicht zuletzt eben, weil es so gut zu der Herrschaft paßte, hieß die Herrin vom Schloß in Gräfrath 'Madame'. Darin spürt man heute noch ebensoviel Abstand wie Achtung und heimliche Bewunderung."

  Der französische Name Piedboeuf klingt allerdings in der Übersetzung etwas derber.

"Man hat im Schloß eine Kutsche mit zwei schwarzbraunen Pferden. Die Pferde mußten im ersten Weltkrieg abgegeben werden. Als er vorüber war, benutzte die alte Dame, die 1927 starb, auch ihre Kutsche wieder. Obwohl man damals in der jüngeren Generation schon ein klein wenig darüber lächelte.

[...] Und wieder läßt man sich erzählen, wie das damals war, wenn das Fräulein Octavie (Betonung auf der ersten Silbe) in der Kutsche ankam und schließlich auf dem Markt in Gräfrath halten ließ, um zu malen. »Sie hatte auch das feingeschnittene französische Gesicht, die dunklen Augen, und dann hatte sie einen Sonnenschirm.« Die Kinder drückten sich in stummer Bewunderung um die Kutsche und tuschelten: »Das Fräulein Octavie malt!« Das Fräulein Octavie ist sehr jung an einer Lungenentzündung gestorben [...].

Auch das Fräulein Nelly, die älteste Tochter, wurde nicht alt. Sie war diejenige, die in Gräfrath die Kinderverwahrschule einrichtete. Die Piedboeufs erbauten nach den Plänen eines Düsseldorfer Architekten 1897/98 das Haus in der Schulstraße. Die unteren Räume [...] waren Kindergarten. [...]

Wie viele alte Leute in Gräfrath erinnern sich an diese Zeit! An die Weihnachtsfeiern, als die Familie Piedboeuf ganz aus sich und sozusagen als alleinige 'Wohlfahrtsbehörde' die Kinder und viele Bedürftige bescherte. »Gleich nach Weihnachten, im Januar, begann man im Schloß wieder zu nähen und zu stricken für das nächste Weihnachtsfest, damit nur ja keiner zu kurz kam. Alles hat Madame mit ihren Töchtern selbst gemacht!«

Dann noch der Kirchgang: In Tante Lis Erinnerung war Madame damals schon eine alte Dame geworden. Man fuhr zweispännig vor. Die Schloßherrin hatte in der Kirche ihren eigenen Betstuhl, den sie in den Gang zu rücken pflegte. Die jüngeren Herrschaften, die noch gut zu Fuß waren, hatten vier Stühle auf dem Chor. Später wurde diese Sitte abgeschafft: »Sie paßte ja auch nicht mehr in unsere Zeit,« sagt die Enkelin Madames.

Heute ist man Erbengemeinschaft, der feudale Glanz ist vorüber, die Jugend hat Berufe und übt sie aus. Immerhin darf man in diesem Jahr auf 75jährige Zusammengehörigkeit der Piedboeufs mit dem Schloß und mit Gräfrath zurückblicken und mit der heutigen Jugend und den Eltern und Schwiegereltern des ersten Besitzers, die ebenfalls Bewohner des Schlosses waren, auf fünf Generationen der gleichen Familie, die dort lebten und leben."




 
Um 1928/29
Das Gebäude Schulstraße 11, in dem die von Nelly Piedboef eingerichtete Kinderverwahrschule untergebracht war, wurde später die Gräfrather Adresse der AOK.

Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen / M. Karallus


 
1928/29
"Allgemeine Ortskrankenkasse / Zahnärztliches Institut"

Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen / M. Karallus


 
2011   Schulstraße 11
Das Gebäude wurde von den heutigen
Eigentümern, Familie Karallus,
komplett saniert.

Die AOK hatte seinerzeit das Haus ihren Bedürfnissen angepasst, u.a. die alten Fenster entfernen lassen, Decken abgehängt und die großzügigen Räume in kleinere aufgeteilt. Die neuen Eigentümer haben versucht, den ursprünglichen Charakter des Hauses wieder herzustellen.


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Über Haus und Gut Grünewald

  Darf denn dieses mit Türmchen versehene, verschieferte Haus Grünewald wirklich 'Schloss' genannt werden, obwohl es nie Adelssitz gewesen ist? Ja, es darf - lt. einem der in Definitionsdingen maßgeblichen Druckwerk: "Schloß, repräsentativer Wohnsitz e. weltl. od. geistl. Landesfürsten, auch d. Adels u. Großbürgertums; oft mit Park." [Knaur 1991]

1898 war Grünewald immerhin bedeutend genug, um auf der Hofacker-Karte eingetragen zu sein.

Aus den 1970ern stammt folgende Beschreibung des Anwesens:

"Wenn der Spaziergänger an der Nordgrenze Solingens sich an den schönen Waldungen rechts und links seines Weges erfreut, ahnt er nicht, daß er in diesen Augenblicken das Eigentum eines der größten Waldbesitzerfamilien Solingens, der Familie Piedboeuf, durchschreitet. Sie hat ihren Wohnsitz im Haus Grünewald, einem verschwiegenen Schlößchen an der nördlichen Peripherie Solingens. [...]

Zum Gutshaus Grünewald gehören ein Bauernhof, der verpachtet ist, eine Gärtnerei und für die ausgedehnten Waldungen eine Försterei. Die Waldungen, die bis nach Buchenhofen herunterreichen, sind etwa 150 Hektar groß.

Mitten in den zum Haus Grünewald gehörenden Waldungen liegt auch eine der Itterquellen, der Heilige Born. Die Familie Piedboef hat es sich angelegen sein lassen, diese Quelle nach dem Zweiten Weltkrieg, als Kriegsgefangene und Fremdarbeiter dort Schutz- und Splittergräben ausgehoben hatten, wieder in eine Form zu bringen, die den Abfluß reinen Quellwassers garantiert, sehr zur Freude der sich in den anschließenden Teichen tummelnden Forellen.

Vor dem Haus in einem gepflegten Ziergarten fallen zwei Wellingtonias, die nach dem Grunderwerb im Jahr 1880 als Topfpflanzen von Lüttich nach Gräfrath gebracht wurden, auf. Sie haben heute eine Höhe von schätzungsweise 20 Metern. Das ganze Besitztum, soweit es nicht verpachtet ist, wird unter Einsatz von Angestellten und Arbeitern bewirtschaftet." [FA 25/3]



 

  "Wellingtonia gigantea Lindl. (Washingtonia californica Winsl., Sequoia gigantea Torr., Mammutbaum, -Fichte, Riesentanne), eine Konifere, welche über 100 m Höhe und an 12 m Stammdurchmesser erreicht, mit anfangs pyramidaler, später unregelmäßiger und erst hoch am Stamm beginnender Krone." [Meyers Konversationslexikon]

Gibt es diese Mammut-Bäume noch? Ich meine - ja, wenn auch ihre Form eine andere ist als auf der Abbildung.

"Hier sei ganz nebenbei der Legende entgegengetreten, daß der einzelne Baum am Abteiweg auf dem Grabe des Pferdes von Hofrath Dr. de Leuw stehe. Das Grab liegt ganz woanders und ist längst überackert. [...]"

  Dr. de Leuw hat nach der Überlieferung bei Hausbesuchen und zum Vergnügen eine arabische Schimmelstute geritten, die von seinem Sohn portraitiert wurde. Das kleine Ölbild hängt im Solinger Stadtarchiv.


Schimmel
 
Der Schimmel
des Dr. de Leuw,
gemalt von
Friedrich August de Leuw

"Das ehemalige große Bauerngut Buchenhofen mit seiner Branntweinbrennerei gehörte dem zweiten Sohn de Leuws, Eduard, der als Bürgermeister von Cronenberg hierüber verfügt hat. Der prächtige Stadtwald in Gräfrath, früher Klosterbusch genannt, wurde von Luise de Leuw, die als Frau Firnenburg starb, in eine 'De-Leuw-Stiftung' umgewandelt und steht heute in der Betreuung der Stadt Solingen. Vor rund 10 Jahren wurde auf diesem Areal das Eugen-Maurer-Heim errichtet und der Stadtwald zu einem Park umgestaltet." [FA 25/3]

  Das Eugen-Maurer-Heim ist ein städtisches Altersheim, benannt nach dem früheren Oberbürgermeister Maurer.

Unbeantwortet sind die Fragen, wann die Familie Piedboeuf sich von dem Anwesen trennte, wer danach Eigentümer wurde und wann der Verfall einsetzte. Oder war es ein nahtloser Übergang?




1997 übernahm Birger Zimmermann, wie das Solinger Tageblatt am 08.06.2005 meldete, "das damals marode Anwesen", bestehend aus einem "historischen Herrenhaus", diversen Nebengebäuden und einem 40 Hektar großen englischen Landschaftspark. Er richtete es wieder her und führte es neuen, "zeitgemäßen Zwecken" zu. Seit 1998 steht die Gebäudeanlage mit Landschaftsgarten unter Denkmalschutz, einschließlich Forsthaus, Wirtschaftsgebäuden und Taubenhaus.


Haus Grünewald
 
Sommer 2006
Haus Grünewald


  Schloss Grünewald
 

Im Dezember 2004 trat das beinahe vergessene Haus Grünewald wieder ins Bewusstsein der Solinger Öffentlichkeit, als sich nach den jahrelangen Sanierungsarbeiten die Schlosstore öffneten und Besucherscharen einließen. Vor romantischer Kulisse wurde der erste Grünewalder Weihnachtsmarkt mit mittelalterlichem Flair zelebriert, der bei Eiseskälte und Fackelschein sehr viel Publikum anzog. Auch in den Folgejahren fanden und finden regelmäßig Veranstaltungen statt.




Namen / Eigentümer

Bürgerhof
Kloster Gräfrath
Domänenverwaltung
1483   Johann ter Moelen (Pächter)
1822   Wilhelm Eicher (Pächter)
ab 1822?   Dr. Friedrich Hermann de Leuw
ab 1861?   Friedrich August de Leuw
ab 1866   Christian Brockhoff (Holzhändler?)
1878   Wilhelm Keull (Pächter)
1878   Sparkasse Haltern
ab 1880   Familie Louis Piedboeuf
ab 1997   Birger Zimmermann


Quellen:
  • Benner / Bremes (1920)
  • Knaur (1991)
  • Meyers Konversationslexikon Bd. 16
  • Peters, Lutz: Gräfrath. Spaziergänge in die Geschichte. O.J., S. 34
  • Rosenthal (1964)
  • Schneider Berrenberg (1977)
  • Solinger Tageblatt vom 10.02.1955 [ST]
  • Solinger Tageblatt vom 08.06.2005 [ST]
  • Solinger Zeitung vom 12.01.1878
  • Tewes (1985)
  • Zeitungsausschnittsammlung Hilker (ca. 1972-1977) Bd. 3 Gräfrath - FA 25/3

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