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"Gröne Kreßdag, witte Poschen" (grüne Weihnacht, weiße Ostern) - so lautet die Haaner Variante einer alten Bauernregel, die in vergangenen Jahrhunderten der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung eine gewisse Planungssicherheit vermitteln sollte. So ungefähr trifft diese Regel wohl auch für Weihnachten 2012 und Ostern 2013 zu.
Zur Weihnachtszeit sollte hier eigentlich ein thematisch passender Rückblick auf vergangene Jahrhunderte erscheinen: auf die Gebräuche einer mehr oder weniger frommen oder still-besinnlichen Weihnachtszeit in der kleinen ländlichen Gemeinde Haan - weit entfernt von atemlosem Konsummarathon, goldglitzernder Warenhausweihnachtswelt, schadstoffbelastetem Kinderspielzeug, Sinnentleerungsgefühlen bei der Konfrontation mit massenweisen Weihnachtssupersonderangeboten und Psychologentipps zur Weihnachtsstressreduzierung.
Der Versuch einer Rückschau in die Zeit vor 1900 erbrachte jedoch wenig Konkretes. Die schriftliche Konservierung der spärlichen Überlieferungen und Erinnerungen aus der Kinderzeit befragter hoch betagter Haaner ist den Herren Lomberg (1928) und Vollmar (1988) zu verdanken.
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2010 Alter Markt und evangelische Kirche in der Vorweihnachtszeit |
Nicht, dass Haan eine arme Gemeinde gewesen wäre. Dennoch waren die Weihnachtstage für die einfachen, arbeitsamen Bürger aus dem Bauern- und Handwerkerstand stille, schlichte Feiertage, ruhig und besinnlich, die ohne viel Aufhebens im Familienkreis begangen wurden. Man blieb zu Hause, und bei Einbruch der Dämmerung war man "em Dorp" unter sich. Vorweihnachtszeit
In der Vorweihnachtszeit gab es viel Geheimnisvolles zu tun, denn man sorgte eigenhändig dafür, dass nützliche Dinge auf den Gabentisch gelegt werden konnten. Diese stammten nur selten aus einem der wenigen Ladengeschäfte, sondern waren Produkte der eigenen Geschicklichkeit.
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Das Innere der alten, 1869 eingeweihten katholischen Kirche, die 1956/57 abgerissen wurde. Bild-Quelle: Ev. Kirchengemeinde Haan |
Heiligabend
"Auf den leeren Straßen im Dorf war es totenstill. Nur selten kam eine vermummte Gestalt über die 'Straß', wie die Kaiserstraße damals genannt wurde. In der Regel war das der allen Leuten bekannte 'Loite-Fritz' ('Leuchten-Fritz'), der von der Gemeindeverwaltung beauftragt war, die öffentlichen Petroleumlaternen, die nur von Windhövel bis zum Alten Kirchplatz aufgestellt waren, am Brennen zu halten. Fritz war den ganzen Abend damit beschäftigt, diese Lampen 'in Schuß' zu halten; denn immer waren zwei oder drei davon 'am Schwalken', also schwarz angerußt. Da man bereits bei funktionsfähigen Leuchten kaum etwas sehen konnte, mußte dauernd daran mit dem Lampenputzer gearbeitet werden.
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"Zu Weihnachten gab's Böxenpitter und Pillenten, die beide aus Semmelteig hergestellt waren. Die Kinder zogen die Böxenpitter vor, zunächst schon, weil sie zwei Korinthen hatten, währen die Pillenten sich mit einer hatten begnügen müssen; sodann waren die Böxenpitter aber auch noch mit einer tönernen Mutzpiepe ausgestattet, die, im Munde steckend, ihnen ein drolliges Aussehen verschaffte." Gebildbrot |
Viele Haaner Familien, vor allem die evangelischen, hatten schon früh die Sitte übernommen, einen geschmückten Tannenbaum in die gute Stube zu stellen. Der Weihnachtsbaum wurde mit mundgeblasenen Glaskugeln, einer Spitze und mit Haselnüssen geschmückt.
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Illustration von Ludwig Richter (1803-1884) |
Heiligabend war Badetag: Niemand durfte erscheinen, ohne zuvor im Holzbottich ein Bad genommen zu haben. Ein besonderes Feiertagsessen gab es in den Familien der befragten Haaner nicht. Wie an den ganz normalen Werktagen wurden vorzugsweise Bratkartoffeln verzehrt. Man ging früh zu Bett, nachdem die notwendigen Maßnahmen für den erwarteten Besuch des Christkindes getroffen waren: "Es war üblich, daß die Kinder ihren Teller auf die Fensterbank stellten, gefüllt mit Brotkrusten und Hafer als Futter für das weiße Pferd des Christkindes. Standen die Kinder dann am Weihnachtsmorgen auf, durften sie zum Weihnachtsbaum gehen, an dem die Kerzen schon entzündet waren. Der Teller stand immer noch auf der Fensterbank, war nun aber mit den Gaben des Christkindes gefüllt. Die Mutter versicherte, daß sie extra deshalb nachts das Fenster aufgelassen hätte." [Vollmar] |
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"Die Mutter am Christabend". Holzschnitt von Ludwig Richter (1803-1884) |
WeihnachtstagAm ersten Weihnachtsfeiertag wurde morgens gegen 8 Uhr gefrühstückt: Schwarzbrot und Platz (Stuten), dazu Butter und Bohnenkaffee. Dann folgte die Bescherung mit vorwiegend praktischen Geschenken wie Unterwäsche, Hemden, Strümpfen und Hosenträgern, die auf dem Teller des Christkindes keinen Platz gefunden hätten. Für die Kinder war sicher auch das eine oder andere Spielzeug dabei. "Besonders begehrt waren im 19. Jahrhundert Musikwerke, die mit Uhrwerkantrieb, Messingwalzen oder Stahlblechplatten und einem stimmgabelähnlichen Stahlkamm ganze Liedsätze ertönen lassen konnten. Hatte man noch Geld übrig, dann konnte man soger eine Spieluhr kaufen, die mit einem Glockenregister kombiniert war. [...] Bezeichnenderweise besteht das Musikangebot fast immer nur aus Weihnachtsliedern, was darauf schließen läßt, daß eine solche Spieluhr als Weihnachtsgeschenk gekauft wurde. Tatsächlich haben dise Werke, durchweg noch nicht so sehr industriell, sondern eher handwerklich angefertigt, einen unvergleichlich lieblichen Klang." [Vollmar]
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Kolorierte Lithographie von H. Grünewald, 2. Hälfte 19. Jh. |
"Zum Mittag gab es das übliche Sonntagsessen: Suppe, Fleisch mit Gemüse und Nachtisch. Die Kinder mußten in der Regel die Küche aufräumen. Hatten sie keine Lust dazu, dann wurden sie nicht nur gescholten, sondern draußen zur Strafe in das 'Häuschen' eingesperrt, welches in der Tür ein Herz hatte (Wasserklosetts im Hause gab es damals noch nicht) und meist mitten im kalten Garten stand. [Vollmar] Später buk die Hausfrau für die Familie und eventuelle Besucher (Verwandte und Freunde) Apfelkuchen und kochte im gusseisernen Topf auf dem Kohlenherd Reis, der als süßer Milchreis serviert wurde. Zum Abendessen ließ man sich Brot und Kartoffelsalat und als Getränk Fleischbrühe schmecken. Dann sangen alle gemeinsam bei brennenden Weihnachtsbaumkerzen stimmungsvolle Weihnachtslieder. Dies wurde zumindest von den Erwachsenen sicherlich nicht als lästige Pflichtübung verstanden, denn... "Ein weiterer Charakterzug des Haaners ist seine Sangeslust. Nicht nur liebt er es, den Rhythmus der beruflichen Arbeit durch ein Lied zu beleben, sondern findet sich nach des Tages Arbeit mit Gleichgesinnten auch gern in Singvereinen zusammen, um durch gemeinsam gesungene Lieder Herz und Sinn über die Alltäglichkeit zu erheben." [Lomberg] |
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"Am Weihnachtsabend". Zeichnung von August von Kreling (1819-1876), um 1850 |
Gegen 22 Uhr war der Tag zu Ende, und man ging schlafen.
Ob und wie Weihnachten bei den Haaner Pietisten des 19. Jh. gefeiert wurde - dazu ist von meinen eigenen Vorfahren gar nichts bekannt. Lt. anderer, mündlicher Quelle wurde Weihnachten bei ihnen nicht gefeiert, und die bedauernswerten Kinder erhielten auch keine Geschenke. |
WintervergnügenWar die Weihnachtszeit winterlich-weiß, wie es sich gehört, dann hatten die Kinder draußen ihren Spaß. August Lomberg schildert, wie er es als Kind in der 2. Hälfte des 19. Jh. erlebt hat:
"Das bißchen Kälte schlugen wir weiter nicht an. Fiel der erste Schnee, so wurde er mit lautem Jubel begrüßt, und neue Lebenskraft zuckte durch die Glieder. alsbald holten wir unsere Handschlitten vom Speicher und säuberten sie von Staub und Rost. Die abschüssigen Straßen und steilen Berghänge boten Gelegenheit zu lustiger Fahrt. In sausender Geschwindigkeit den Berg hinabzugleiten und dann noch hundert Schritte auf der Talsohle weiter zu fliegen, war Götterlust.
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1958 Schneemann auf der Wiese an der Adlerstraße. 10 Jahre später entstand an dieser Stelle das Gymnasium. |
Quellen:
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