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Die Kotten   /   Das Schleifen und Reiden

Die Kotten
    -  Begriff
    -  Gebäude und Technik
    -  Wassergetriebene Schleifereien - vermutete Anfänge
    -  Wassererkenntnis
    -  Wupperkotten und Bachkotten
    -  Doppelkotten
    -  Eigentumsverhältnisse

Das Schleifen und Reiden



Die Kotten

Begriff

Der Begriff "Kotten" bezeichnet ursprünglich die Hütte (Kate) eines kleinen Bauern, eines Viertelhofbesitzers, Eigenlehners, Eigenkätners oder Kötters. Im Bergischen wurde die Bedeutung des Begriffs dahingehend eingeschränkt, dass nur solche Behausungen als Kotten bezeichnet wurden, zu zugleich als Werkstatt dienten. Schließlich verstand man unter Kotten nur noch solche Werkstätten, die zu Schleifzwecken verwendet wurden, die sog. "Slipkoten". "Heute bezeichnet in und um Solingen 'Kotten' ohne jeden Zusatz ohne weiteres eine Schleiferei, wobei die Tatsache ohne Belang ist, ob das Gebäude außerdem noch zu Wohnzwecken benutzt wird." [Hendrichs 1922 S. 12]

Auch als mit fortschreitender Industrialisierung die Schleifereien nicht mehr an die Wasserkraft gebunden waren und die Schleifbetriebe vielfach von den Bachläufen auf die Höhen abwanderten und mit Dampfkraft oder später mit Strom betrieben wurden, blieb der Begriff "Kotten" in Solingen bestehen.




Gebäude und Technik

Lt. Hendrichs muss man sich die ersten Schleifkotten klein und sehr einfach vorstellen. Seine Beschreibung: "Das in einen vom Flußlauf abgezweigten und angestauten Kanal [=Obergraben] gestellte Wasserrad trieb durch Zahnräder eine quer zur Wasserradachse gelagerte Welle an, die durch Kammräder 1, 2 u. 3 die Schleifsteine S in Drehung versetzte. Die Achsen waren aus Holz - 8- oder 16kantig - hergestellt und mit eingesetzten eisernen Zapfen, den 'Nocken', in einem ausgehöhlten Stein oder Hartholzstück gelagert." [Hendrichs 1933 S. 35]


Kotten

Schematische Darstellung eines Schleifkottens
nach Dr.-Ing. Fritz Sommer,
Abb. bei Hendrichs 1933 S. 35
 


"Zum Stillsetzen des Steines hob man die Achse aus der Lagerhöhlung heraus und brachte die Kammräder außer Eingriff. Hatte der Stein infolge Abnutzung einen zu geringen Durchmesser, so wurde das Rad durch ein größeres ersetzt und der Stein verschoben, bis die Räder wieder richtig in Eingriff standen.

Die Schleifkotten wurden von den Schleifern selbst errichtet und wiesen ein niedriges Strohdach auf. Der Wandteil zwischen den Fensterbänken und dem Boden war auf einer Kottenseite bequem entfernbar eingerichtet, um die zum Schleifen benötigten Steine mit einem Durchmesser von 5 bis 7 Fuß durch die so gebildete Öffnung liegend hereinschieben zu können. Die Schleifsteine wurden durch Kölner Handelsleute bezogen, die sie in den Sandsteingruben der Eifel brechen ließen." [Hendrichs 1933 S. 35]

  Über die Schleifsteine
  Schleifermeister Mutz baute schwarz. Wie anno 1649 ein Kotten entstand




Wassergetriebene Schleifereien - vermutete Anfänge

Vor dem Einsatz der Wasserkraft (oder wo Wasserkraft nicht zur Verfügung stand) sind die Schleifsteine per Kurbel oder Tretrad in Bewegung gesetzt worden, wie alte Abbildungen zeigen. Die wassergetriebene Schleiferei ist von der Konstruktion her aus der Getreidemühle hervorgegangen. Vielfach wird auch der Begriff Schleifmühle verwendet, während in Solingen, Haan und Ratingen überwiegend von Schleifkotten die Rede ist.


Schleifer 1568
 
Der Schleyffer.
Holzschnitt von Jost Amman
(1568)

Schleifmühlen sollen bereits im Jahr 1300 in der Pfarrei Solingen vorhanden gewesen sein. "Wasserräder zum Antrieb von Schleifsteinen werden zunächst an stärkeren Bächen errichtet worden sein und zwar [...] im 12. Jahrhundert. Erst im 13. Jahrhundert werden dann die technischen Mittel soweit zur Verfügung gestanden haben, daß man daran gehen konnte, die Wupperkraft für Schleifzwecke auszunutzen." [Hendrichs 1933 S. 34 f]

Seine Vermutung, dass in den Solinger Schleifkotten im 14. Jh. mit Wasserkraft gearbeitet wurde, begründet Rosenthal folgendermaßen:

"Übereinstimmend setzt die mittel- und westeuropäische Literatur den Übergang zur Nutzung der Wasserkraft im eisenverarbeitenden Gewerbe in das 14. Jahrhundert, mit Ausnahme der Steiermark, wo 1205 bereits die Blasebälge der Schmiedewerkstätten durch Wasserkraft betätigt werden.

Mit Hilfe der Wasserkraft erreichte man höhere Umdrehungsgeschwindigkeiten der Schleifsteine, als sie mittels Handantrieb oder Tretrad möglich waren. Schwerter sind auch schon früher mittels der hand- und fußgetriebenen Schleifsteine geschliffen worden, wie der Canterbury-Psalter um 1150 bildlich darstellt. Aber mittels der Wasserkraft erreichte man eine Arbeitserleichterung und damit eine Produktionssteigerung.

Diese Produktionssteigerung im Klingenhandwerk nimmt man allenthalben mit Recht für das 14. Jahrhundert an, und das dürfte mit der Bewaffnung der Bürger zusammenhängen. [...] Wenn uns auch erst die Existenz von Schleifmühlen im Bergischen aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist (so eine Kölner Nachricht von 1421, Ratingen 1430, Solingen gar erst 1484), so hindert das nicht, die 1401 im Privileg genannten Kotten als Schleifkotten mit Wasserantrieb anzusehen.

Zu dieser Annahme wird man noch durch eine andere Überlegung bewogen, die sich aus Punkt 12 des Schleiferprivilegs ergibt. Das Privileg vereinigt die Härter, die in "schmitten" arbeiten, mit den Schleifern, deren Arbeitsstätte der "kotten" ist. Für hand- und fußgetriebene Schleifsteine bedurfte der Schleifer keines Gebäudes als Arbeitsraum, das konnte er unter jedem regenschützenden Dachüberhang tun, wie es der Holzschnitt von Jost Amman 1568 zeigt. Durch die Übernahme der Mühlenkonstruktion mußte der Schleifer in ein Gebäude ziehen, und das war der Kotten. Man darf also annehmen, daß in Solingen schon Ende des 14. Jahrhunderts mit Wasserkraft gearbeitet wurde."

[Rosenthal 1. Bd. S. 108 f]


In Ratingen ist der Begriff "Slipkothen" in Verbindung mit der Ausnutzung der Wasserkraft 1430 urkundlich zuerst belegt. Schleifkotten entstanden in Ratingen am Schwarzbach und an der Anger. [Arnold Dresen: Vom Handwerk im alten Ratingen. In: Alt-Ratingen 7 (1925), S. 49-51. Zit. bei Bolenz u.a., S. 13] Auch in Langenberg (Velbert) werden schon früh "Slypper" und Schleifkotten erwähnt.

  Über die Schleifkotten in Ratingen berichtet H. Pohl.




Wassererkenntnis

Die Gewässer wurden früher als Eigentum des Landesherrn angesehen. So musste jeder Mühlen-, Hammer- und Schleifkottenbesitzer eine Steuer entrichten, die sogenannte Wassererkenntnis (Anerkennungsgebühr, Konzessionsabgabe). Erhalten gebliebene Hebebücher geben heute Auskunft über die Steuerpflichtigen, die Existenz einzelner Kotten und über die Eigentumsverhältnisse.




Wupperkotten und Bachkotten

Die Schleifkotten an den kleineren Bachläufen unterschieden sich von den Wupperkotten durch ihre Größe und technische Anlage. Auch die Benennungen der einzelnen Vorrichtungen (wie Flutschütz, Quall, Schault usw.) können - auch regional - voneinander abweichen.

Die Kottenanlagen an den vielen Bächen waren durchweg kleiner als diejenigen an der Wupper. Bei kleinen Bächen verwendeten die Schleifer vielfach oberschlächtige schmale Wasserräder mit großem Durchmesser, um das Gefälle voll auszunutzen.

In den Wupperkotten wurden in erster Linie Schwertklingen oder größere Messer geschliffen, während in den leistungsschwächeren Bachkottenanlagen kleinere Schneidwaren wie Scheren, kleine Messer, Taschenmesser- und Federmesserklingen sowie Rasiermesser bearbeitet wurden.




Doppelkotten

An der Wupper, nicht jedoch an den Bächen, waren die aus zwei Kottengebäuden bestehenden sog. Doppelkotten-Anlagen üblich.

  • Der Innen- oder Hinterkotten steht auf der durch Obergraben und Flusslauf gebildeten Insel, also innen auf der dem Fluss zugewandten Seite (hinter dem Vorderkotten).

  • Der Außen- oder Vorderkotten steht außerhalb dieser Insel auf der anderen Seite des Obergrabens vorn am Zugangsweg.

  • Die Wasserräder beider Kotten werden aus dem gemeinsamen Obergraben gespeist.

Ein heute noch vorhandenes und zu besichtigendes Beispiel ist der Wipperkotten in Solingen.


Innen- und Außenkotten
 
Wipperkotten 2002   Wipperkotten. Links der an der Wupper gelegene Innenkotten (Wohnhaus und Atelier Rodenkirchen), rechts der Außenkotten, in dem noch heute Wasserkraft den Schleifstein antreibt.  



Eigentumsverhältnisse

Befasst man sich mit der Geschichte einzelner Schleifkotten, so stellt man fest, dass sich ein Kotten selten im Besitz nur einer einzigen Person befand. Ursprünglich hatte es bei den alten Schleifereien wohl einen einzelnen Erbauer und zugleich Eigentümer gegeben. Aber die Kinderschar war zumeist groß, Kottenanteile wurden vererbt und verkauft, von angeheirateten Schleifern oder Familienfremden zur Berufsausübung oder Kapitalanlage erworben und weiter geteilt. Auf diese Weise ist z.B. der Zieleskotten an der Itter im Jahr 1891 nach vielen Generationen "dreiundzwanzigherrig" geworden.

Franz Hendrichs schrieb im Jahr 1933: "War bei den ursprünglich sehr kleinen Schleifkotten der Erbauer Eigentümer und Meister zugleich und seinem Lehnsherrn, z.B. dem Grafen Nesselrode, zu einer jährlichen kleinen Abgabe von einem Goldgulden oder einem Reichstaler und einem Huhn oder dergl. verpflichtet, so erlangte der Kotten nebst Grund und Boden nach dem Eindringen der Geldwirtschaft einen wenn auch langsam, so doch stetig steigenden Verkaufswert.

Die Folge von Erbteilungen war eine Kottenteilwirtschaft bis in die jetzige Zeit, die vielfach einen großen Kreis von Anteilseignern eines Kottens zusammenschließt und zwar gleichviel, ob diese das Schleifergewerbe selbst ausüben oder nicht. Schon im 17. Jahrhundert erfahren wir von Kottenanteilberechtigten, die dem Schleiferhandwerk nicht selbst angehörten, und von Schleifern, die von diesen wiederum die einzelnen Schleifstellen gepachtet hatten. Die erwähnte Erbpachtabgabe hat sich daneben in fast unveränderter Weise bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten, bis Napoleon auch diese Lasten kurzerhand durch eine einmalige Abfindung an die Staatskasse ablösen ließ." [Hendrichs 1933 S. 215]




Häufig ist in der Geschichte der Schleifkotten davon die Rede, dass sie abbrannten und daraufhin neu errichtet wurden - oder auch nicht. Zur Zeit der strohgedeckten Fachwerkbauten waren Brände relativ häufig.

  Mehr zum Problem der Kotten-Brände


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Das Schleifen und Reiden

Der Schleifvorgang befreit die sogenannte Schwarzware [= die ungeschliffene Klinge] von der an ihr haftenden Oxydschicht und schleift, wenn auch grob, die Oberfläche erstmalig. Die weitere Verfeinerung geschieht durch Feinschleifen oder Pließten. Diese Oberflächenbehandlung geschieht allgemein auf hölzernen Scheiben, die mit Schmirgelleder bezogen und mit einem Schleifmittel ("Schiewelimm") beleimt sind. Bis zur endgültigen Fertigstellung durchlaufen die Gegenstände meist mehrere Pließtgänge vom groben bis zum feinsten Schleifkorn. Je nach Art der Entkörnung und der Zahl der Schliffe unterscheidet man z. B. ¼, ½ oder 1/1 blaue Klingen.

Beim Hohlschleifen werden je nach der Hohlung, die ein Rasiermesser haben soll, Schleifsteine unterschiedlicher Ausmaße verwendet. Man benutzt etwa zehn verschiedene Grade. Der Hohlschliff beginnt am Rücken der Rasiermesserklinge und erreicht seine dünnste Stelle vor dem sogenannten Wall. Erst nach dem nochmals dicker werdenden Wall verjüngt sich die Klinge zur eigentlichen Schneide.

Der Reider setzt die Einzelteile des handwerklichen Erzeugnisses, z.B. eines Messers, zusammen (reiden = bereiten, fertig machen). Als Messerhefte verwendete man früher neben Horn oder Knochen entweder ausländisches Eiben-, Königs- und Olivenholz oder inländisches Holz insbesondere von der Weißbuche oder von Obstbäumen. Später bestanden die Griffe aus Edelhölzern, Kunstharzen, Pressstoffen, Perlmutter, Elfenbein, Hirschhorn und Metall. [Heinson S. 151]

Dass die Solinger Schleifer nicht immer allein an ihrem Schleifstein gestanden oder gesessen haben, geht aus einem Begehungsprotokoll vom 24. Januar 1569 hervor. Dieses Protokoll war das Ergebnis eines "Umgangs in den Kotten" auf dem Weinberger-, Breidbacher-, Itter-, Broßhauser- und dem Bertramsmühlerbach. Danach haben bis zu vier Schleifer gleichzeitig an einem Schleifstein gearbeitet: Vor dem Stein wurden die Schwerter geschliffen, hinter dem Stein und an den Seiten die kleinen Messer [Heuser].

Die Schwerter wurden vorn am Schleifstein geschliffen, weil dort am effektivsten gearbeitet werden konnte. Das Schleifen der kleinen Messer geschah an zweitrangigen Stellen hinten und an den Seiten. Die Schnittgeschwindigkeit ist auf der Außenfläche am größten, und dort kann der größte Druck ausgeübt werden. Seitlicher Druck birgt die Gefahr, dass der Schleifstein zerbricht. Der Platz vor dem Stein wurde gegenüber demjenigen hinter dem Stein vorgezogen, weil das Schleifen dort besser zu bewerkstelligen war. Als "vorne" gilt beim Schleifstein diejenige Seite, die sich nach unten dreht. Bei Niedrigwasser, wenn man nicht alle Seiten zugleich belasten konnte, wurde nur vorn geschliffen. [Kreft S. 49 f]

Ob die Solinger Schleifer auch liegend gearbeitet haben, ist fraglich. Zumindest beim Schleifen der Schwerter werden sie mehr Kraft benötigt haben, als sie in liegender Position aufbringen konnten. Die liegende Arbeitsweise über dem Stein soll aber z.B. im elsässischen Klingenthal und in der Schweiz praktiziert worden sein. Um 1900 wurde im südlichen Frankreich in Thiers an der Durolle über dem Stein liegend geschliffen (Abb. weiter unten).


Schleiferei mit Pferdegöpel
 
Mittelalterliche Schleiferei mit Pferdegöpel, durch den mittels einer unter dem Fußboden liegenden Transmissionswelle neben einem Mühlstein das Schleifrad getrieben wurde. Der Schleifer liegt auf einem schrägen Brett vor der Schleifscheibe (im Bild vorn rechts).

Nach einem Kupferstich von V. Zonca

Knieschleifer
 
Knieschleifer: Die Schleifstücke wurden mit den durch Holzschienen geschützten Knien an den Stein gedrückt und gleichzeitig mit der Hand quer über den Stein geführt.

1928   Nach einer Abb. bei Lomberg

Schleifer am großen Stein
 
Zwei Schleifer arbeiten gleichzeitig
am großen Stein.

Nach einer Abb. bei Kelleter, Tafel XXXI


Quellen:
  • Beermann (1993)
  • Bolenz u.a. (2000)
  • Hardenberg (1940)
  • Heinson (1959)
  • Hendrichs (1922)
  • Hendrichs (1933)
  • Heuser, Die Heimat Jg. 16
  • Kelleter (1924)
  • Krause / Putsch (1994)
  • Kreft (1998)
  • Lomberg (1928)
  • Lunkenheimer (1990)
  • Pohl, H., Solinger Tageblatt vom 08.10.1938
  • Rosenthal Bd. 1 (1973)

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