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Lebensmittel und Kohlen sind auf legalem Wege kaum zu bekommen; es gibt nichts zu kaufen. Also helfen sich viele mit dem Plündern von Lagern und von Kohlenzügen, um nicht zu erfrieren. In Solingen geschehen dabei mehrere, auch tödliche Unfälle.
"Bei uns unten am Caspersbroich wurden die Züge angehalten. Wir sind selbst mit unten gewesen und haben Briketts aufgesammelt, die rausgeworfen wurden. [...] Die Züge fuhren ganz langsam, und wir konnten diese Briketts aufsammeln." In dieser Not-Situation zeigt der Kölner Kardinal Erzbischof Joseph Frings Verständnis für das Stehlen des Überlebensnotwendigen und thematisiert es in seiner Silvesterpredigt - woraufhin das "Fringsen" zum geflügelten Wort wird. Allerdings wird das "Aber", der zweite Teil des Zitats, gerne unterschlagen:
"Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann. Aber ich glaube, dass in vielen Fällen weit darüber hinausgegangen worden ist. Und da gibt es nur einen Weg: unverzüglich unrechtes Gut zurückgeben, sonst gibt es keine Verzeihung bei Gott." |
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2009 Denkmal für Kardinal Frings in Köln, Laurenzplatz |
"In der Zeit nach dem Krieg wurde die Schulspeisung ausgegeben. Wir hätten vielleicht als Kinder sonst nicht überlebt. [...] Es gab eine Erbsmehlsuppe, die nicht so beliebt war, weil sie nicht gut durchgerührt war. Süß und schön war die Brezelsuppe, die aus Zwiebäcken zusammengestellt war. [...] Von der süßen Suppe blieb nie was übrig, aber von der Erbsmehlsuppe. Wer wollte, konnte sich was mit nach Hause nehmen. [...] Es war manchmal auch so, daß mancher Lehrer froh war, wenn er etwas davon abgekriegt hat. Die Lehrer bekamen ja nichts. Dann habe ich was mit nach Hause genommen, weil ich wußte, der Vater hat so einen Hunger. [...] Er hat sich so geniert. Wir Kinder sollten das doch essen."
Wer etwas zum Tauschen hat, z.B. Schneidwaren oder Rasierklingen, Kleidung oder Kurzwaren, gehört zu den Glücklicheren. Andere erbetteln sich Lebensmittel von den Bauern. Manche profitierten von ihrer Kreativität und Geschicklichkeit.
"Und viele machten sich auf den Weg, zu hamstern. Man sah immer nur die Frauen mit ihren Turbanen, dicken Schuhen und Socken. Die Lodenmäntel, die gingen fast bis auf die Erde. In Rücksäcken wurde geschleppt und geschleppt. Wer Glück hatte, der konnte es bis nach Hause mitbringen; aber oft hat die Militärpolizei an den Bahnhöfen alles abgenommen. Das war wahrscheinlich das Bitterste. [...] In Solingen hatten viele, die noch Kontakte hatten oder Heimwarbeiter gewesen waren, die hatten noch Bestecke, um so was einzutauschen, was bei den Bauern sehr beliebt war. Aber wer nichts hatte, der konnte auch nicht viel kriegen, der konnte nur betteln." Gehungert wird auch nach der lange entbehrten Kultur. Theater- und Musikveranstaltungen sind gut besucht, Kunstausstellungen locken Publikum an:
Tatsächlich getragen wird aber überwiegend eine andere "Mode":
"Es wurde aus allem Möglichen was genäht. Frauen haben ganze Anzüge für die Kinder aus Militärdecken mit der Hand geschneidert, weil es keine Nähmaschinen gab. [...] Aus jedem bißchen wurde irgendwas gemacht. Aus drei Kleidern wurde eins zusammengenäht. Man war dann noch froh, daß es schick war. Meine Mutter hatte ein gutes Kleid, das war schon 20 Jahre alt, das habe ich zur Schulentlassung bekommen. Das hat meine Tante mir umgeändert. Meine Mutter hat seit der Zeit nur Kittelschürzen getragen, die hat nichts mehr gehabt."
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"1948 kam die Währungsreform. Das weiß ich noch sehr gut, als wir alle 40 DM bekamen. Das sickerte natürlich durch vorher. Es war ja nichts da, man konnte nichts sehen. Nach der Währungsreform war plötzlich doch alles da oder jedenfalls vieles. Es war wie ein Wunder."
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1948 Am Entenpfuhl Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen |
"Als oben auf dem Mühlenplatz, Mummstraße, die ersten Pavillons, das Geschäftsviertel errichtet wurde, war das für die ganze Region das Einkaufszentrum. Von überall her kamen die Leute. Das sollte nur ein Provisorium sein, aber das war war ganz Tolles zum Angucken." |
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Juni 1949 Mühlenhof (mit Hauptstraße, Kölner Straße, Mummstraße) Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen |
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2008 Das 1950 für die Opfer des Nationalsozialismus errichtete Haus in Solingen-Ohligs |
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Oktober 2008 Der Rundbunker an der Keldersstraße in Solingen-Ohligs wurde 1950 "entfestigt" und zum Bürohaus umgebaut. Er präsentiert sich heute in dezentem Grau. |
Wie könnte die Solinger "Altstadt" heute aussehen, wenn sie nicht im Krieg in Schutt und Asche gelegt worden wäre? Darüber lässt sich spekulieren. Sicher wäre sie keine Fachwerkidylle, wie sie in Gräfrath erhalten geblieben ist. Schon um die Jahrhundertwende sind zahlreiche Neubauten insbesondere entlang der Hauptstraße entstanden, die zur Einkaufsstraße geworden ist. Alte Gebäude mussten dem Verkehr weichen. Vielleicht hätte aber die Stadt ein individuelles Erscheinungsbild bewahrt. Vielleicht wäre auch - wie es schon Jahre vor dem Krieg in Wuppertal der Fall war - mit Rücksicht auf die veränderten Verkehrserfordernisse ganz neu geplant worden. Wer weiß.
"Um 1900 gibt es eine Stadtplanung, die eine 'Neustadt' vorgesehen hat. Sie läge heute in der südlichen Innenstadt. Hier sollte sich ein neues (Einkaufs-)Zentrum entwickeln. Alles war vorbereitet. Aber der Erste Weltkrieg machte einen Strich durch die Rechnung: Der Rüstungsbetrieb Kieserling & Albrecht weitete sich aus. [...]
Dadurch, dass sich Solingen jahrhundertelang nicht ausdehnen konnte, ist es eine enge Stadt geworden.
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In den letzten Jahren sind den vorhandenen, mehr oder weniger sichtbaren Spuren weitere hinzugefügt worden, die zugleich erinnern und mahnen sollen:
Stolpersteine - ein Kunstprojekt |
Quellen:
Weitere Literatur: Solinger Chronik 1945, 1946, 1947, 1948 |