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Notizen aus der NS-Zeit in Haan
Zwei Stolpersteine

Wer sich über die Zeit des Nationalsozialismus in Haan - und die Vor-Geschichte - informieren möchte, findet in den Dokumentationen von Reinhard Koll eine Fülle von Fakten, Daten, Namen und Quellen. Einblicke in die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Haan vermitteln auf andere Art das Kriegstagebuch des Haaner Schriftstellers Emil Barth (1900-1958) - kommentierte Auszüge sind bei Vollmar abgedruckt - sowie die "Wegbeschreibungen" und das Buch "Auf Schritt und Tritt" des 1933 geborenen Haaner Künstlers Wolfgang Niederhagen.

Hier einige Fakten und Notizen aus der Zeit 1930-1945 in Haan:

Im September 1930 wurde die Ortsgruppe der NSDAP in Haan mit zunächst 19 Mitgliedern gegründet.
Ab Januar 1933 befand sich das Geschäftszimmer der Partei im Rathaus.

Nachdem die bisherigen Räumlichkeiten im Rathaus zu klein geworden waren, wurde im Februar 1937 das Parteihaus an der Kaiserstraße eingeweiht. Die Stadt als Eigentümerin hatte es der NSDAP vermietet.

Im März 1934 verlegte die Kreisleitung ihren Sitz von Düsseldorf nach Mettmann. Per Verfügung vom 18. März 1938 wurden die Kreise Solingen (sechs Ortsgruppen) und Mettmann (14 Ortsgruppen) zum Kreis Niederberg vereinigt.

Bis Kriegsbeginn 1939 war die Zahl der Parteimitglieder in Haan auf über 500 gestiegen. Damals hatte Haan 11 655 Einwohner. [Koll 1996]

Nicht alle Haaner waren einverstanden mit der neuen Politik. Bei einigen wuchsen Skepsis, Erkenntnis und Ablehnung mit der Zeit. Kritik laut zu äußern konnte jedoch schwerwiegende Folgen haben. Unmutsäußerungen gegen Partei und/oder "Führer" kamen dennoch vor und wurden aktenkundig. Missliebig und Repressionen ausgesetzt waren in Haan aber vor allem die politisch aktiven Kommunisten.

Ab März 1933 waren als Folge der Reichstagsbrandverordnung vom 28.02.1933 über 50 Haaner Kommunisten und Sozialdemokraten in Konzentrationslager gebracht worden, hauptsächlich nach Börgermoor im Emsland, etliche nach Verhören in der Mettmanner Koburg. Infolge eines Amnestiegesetzes vom August 1934 kehrten schließlich die letzten inhaftierten Haaner aus dem KZ zurück.

"Betriebszellen der verbotenen KPD bestanden sogar bis Sommer 1934 in der Firma Mannesmann in Ohligs, wo auch viele Haaner arbeiteten." Zumindest bis 1935 fanden noch geheime Zusammenkünfte Haaner Kommunisten statt. 1935 ließ die Gestapo in Haan fast 2 200 Personen überwachen, die in militärisch relevanten Betrieben beschäftigt waren. [Koll 1996; Köster 1988]

Der Anteil der Juden an der Bevölkerung war in Haan von allen Städten des Kreises traditionell am geringsten. 1933 wurden im Haaner Verwaltungsbericht zwei männliche und drei weibliche Personen als "Israeliten" bezeichnet. Eine von ihnen war Jeanette Höhn, die an der Kaiserstraße 55 ein Manufakturwarengeschäft betrieb. Die vier anderen Personen sind namentlich nicht bekannt und wohnten vermutlich nur vorübergehend in Haan.

Als 1. April 1933 das NS-Regime für das ganze Reichsgebiet den organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, Banken, Arztpraxen etc. ausrief ("Judenboykott"), blieb das Geschäft von Frau Höhn unbehelligt. Im März war lediglich einmal der Eingang des Lebensmittelgeschäftes Stüßgen am Alten Markt von einer SA-Wache besetzt worden, weil als Geschäftseigentümer irrtümlich Juden (der Tietz-Konzern) vermutet wurden.

Auf den zahlreichen Veranstaltungen der NSDAP, die von 1930 bis 1933 im Hotel Windhövel stattfanden, spielte das Thema Antisemitismus so gut wie keine Rolle. Dies änderte sich, nachdem am 04.02.1936 ein Jude in Davos Wilhelm Gustloff erschossen hatte, den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz. Für ihn fand am 12. Februar - wie überall im Reich - im Hotel Windhövel eine gut besuchte Trauerfeier statt. Es folgten weitere Veranstaltungen mit antisemitischer Ausrichtung. Welchen Eindruck sie bei den Zuhörern hinterließen, ist nicht dokumentiert.

Anlässlich der sog. Reichskristallnacht (9./10.11.1938) kam es in Haan zu keinerlei Ausschreitungen. Nach Aussagen von Zeitzeugen soll die hiesige SA das Anwesen der einzigen Jüdin im Ort sogar geschützt haben. Dennoch wurde Frau Höhn vier Jahre später nach Theresienstadt deportiert. Einer ihrer Söhne zählte nach dem Krieg zu den Gründern der örtlichen CDU und bekleidete Anfang 1946 für kurze Zeit das Amt des Bürgermeisters. [Koll 1996 S. 30 f]


Gräber
 
2009
Waldfriedhof Haan:
Kriegsgräber für Todesopfer
des Zweiten Weltkriegs



Zwei Stolpersteine in Haan

Zwei im Jahr 2007 in Haan verlegte "Stolpersteine" sollen an den Kommunisten Max Kramer und seine Familie sowie an Jeanette Höhn als Opfer des NS-Regimes erinnern. Daten und Fakten aus dem Leben dieser Personen hat das Haaner Stadtarchiv dokumentiert.

  Stolpersteine - ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig


Ein STOLPERSTEIN für Max Kramer

 
Stolperstein
Foto: © 2016 Stadtarchiv Haan
HIER WOHNTE
MAX KRAMER
JG. 1898
IM WIDERSTAND / KPD
"SCHUTZHAFT" 1933
GEFÄNGNIS WUPPERTAL
VON SA
ÜBERFALLEN / ERMORDET
26.7.1933

Der Stolperstein für Max Kramer ehrt einen Kommunisten, der für sein überzeugtes Eintreten gegen den Nationalsozialismus mit seinem Leben bezahlte. Gleichzeitig aber soll seiner Familie gedacht werden, vor allem seiner Frau Helene Kramer, die - obgleich sie ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebte - unendliches Leid erduldet hat.

Max Kramer wurde am 24. September 1898 in Döbritschen in Thüringen geboren. Schon früh bei der KPD und in der Gewerkschaftsarbeit engagiert, heiratete er 1923 auf dem Standesamt Gruiten die damals 19 Jahre alte Helene Schuch, die ebenfalls seit 1920 Mitglied der KPD war und aus einer politisch sehr aktiven Gruitener Familie stammte.

Ihr Vater Adolf Schuch war Leiter der KPD-Ortsgruppe Gruiten, saß mindestens seit 1924 als Vertreter der Gemeinde Gruiten für die KPD in der Bürgermeistereiversammlung (die ab 1928 nach Umbenennung der "Bürgermeisterei Gruiten" in "Amt Gruiten" Amtsvertretung hieß), und wurde 1925 Kreistagsabgeordneter der KPD (die Kommunisten stellten damals mit 7 Sitzen die stärkste Fraktion des Kreistags).

Max und Helene Kramer wohnten in Gruiten. 1924 und 1929 kamen die beiden Töchter Thea und Sonja zur Welt, 1930 bezog die Familie zusammen mit den Schwiegereltern Adolf und Selma Schuch eine Wohnung in der Feldstraße 3, ab 1933 Horst-Wessel-Straße, heute Fliederstraße. Helene Kramer arbeitete im KPD-Parteibüro in Düsseldorf und saß ab 1930 zusammen mit ihrem Vater für die KPD in der Amtsvertretung Gruiten. (Bei dieser Wahl wurden zum ersten Mal auch zwei Nationalsozialisten in die Amtsvertretung gewählt.) Außerdem war sie Kreistagsmitglied.

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. In den folgenden Wochen gingen die Nationalsozialisten daran, ihre politischen Gegner "auszuschalten". So erging sofort nach Bekanntwerden des Reichstagsbrands am 28. Februar 1933 folgender Funkspruch des Landratsamtes Düsseldorf an alle Bürgermeister im Regierungsbezirk: "Dringend. Düsseldorf Nr. 36. Geheim. Sämtliche führenden Persönlichkeiten der KPD ohne Rücksicht auf Abgeordneteneigenschaften auf Grund des § 22 der V.O. [Verordnung] des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4.2.33 sofort in polizeiliche Haft zu nehmen." Daraufhin wurden auch im Bereich des Amtes Gruiten zahlreiche Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet und in die nach der "Verordnung ... zum Schutz von Volk und Staat" benannten "Schutzhaft" verbracht.

Max Kramer, KPD-Mitglied, ein grundsätzlicher Gegner des Nationalsozialismus und der Gruitener SA als Funktionär der ansässigen Arbeiterschaft verhasst, wie es später in seiner Wiedergutmachungsakte hieß, wurde Ende Februar/Anfang März in Wuppertal-Bendahl inhaftiert.

Helene Kramer wurde noch am 28. Februar nachts zwischen 23 und 24 Uhr auf dem Gruitener Bahnhof von dem Polizeiposten Ostrowsky in Begleitung von SA-Leuten festgenommen und zunächst ins Gerichtsgefängnis nach Elberfeld, wenige Tage später ins Polizeigefängnis Düsseldorf gebracht.

Adolf Schuch wurde am 4. März in seiner Wohnung verhaftet und am 5. August aus der Haftanstalt Elberfeld in das einen Monat zuvor eingerichtete und für seine brutale Führung berüchtigte KZ Kemna in Wuppertal-Beyenburg überführt.

Auch der Schwager Otto Ewert, Ehemann der Schwester Helene Kramers und ebenfalls Mitglied der KPD, wurde in Schutzhaft genommen.

Selma Schuch, die Großmutter, blieb mit den beiden kleinen Mädchen allein zurück. Die Lebensumstände waren für sie extrem schwierig. Auf finanzielle Unterstützung konnte sie, Angehörige mehrerer politischer Gefangener, nicht rechnen. Schikanen waren wohl ebenfalls an der Tagesordnung.

Max Kramer kehrte im Juni aus dem Gefängnis nach Gruiten zurück und arbeitete als Steinbrecher. Mehrfach erhielt er in den Wochen nach seiner Entlassung Drohungen, dass man ihn liquidieren würde, wenn er sich weiterhin im kommunistischen Sinne betätige. Die Wuppertaler SA war besonders berüchtigt für ihren Terror gegen Regimegegner. In den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft ermordete sie dreißig Personen zum Teil auf offener Straße. In ganz Deutschland schätzt man - zum Vergleich - die Zahl auf fünf- bis sechshundert.

Am Abend des 25. Juli 1933 trafen sich etliche führende SA- und NSDAP-Leute in ihrer Stamm- Gastwirtschaft "Neanderhöhle" im Neandertal in der Nähe der berüchtigten Coburg, in der die SA-Standarte 258/Mettmann ihren Sitz hatte. Nach einer ausgiebigen Zecherei machten sich die SA-Leute gegen Mitternacht auf den Weg nach Gruiten.

Zwischen Mitternacht und 1 Uhr drangen sie mit Waffengewalt in das Haus Feldstraße 3 ein, in dem sich - wie sie wussten - Max Kramer aufhielt. Kramer gelang es zunächst, sich in den Keller zu flüchten. Nachdem sie die Wohnung der Familie im Beisein von Selma Schuch und den beiden kleinen Töchtern Max Kramers durchsucht hatten, fanden die SA-Leute ihn dort und nahmen ihn unter Gewaltanwendung mit. Zunächst bog der Wagen, mit dem die Gruppe gekommen war, zum Bahnhof Gruiten ab, wendete dann aber und fuhr Richtung Wuppertal. Dort wurde Max Kramer in einem Waldstück an der Straße "In der Beek" von fünf Pistolenschüssen getroffen und verblutete an seinen Verletzungen. Die Täter ließen ihn dort liegen, fuhren zurück zur "Neanderhöhle" und feierten bis zum Morgen weiter.

Ein Anlieger, der die insgesamt sieben abgegebenen Schüsse hörte, fand ihn kurz darauf und verständigte das Überfallkommando. Als "unbekannter Toter" wurde die Leiche am 26. Juli um 2 Uhr nachts ins Städtische Krankenhaus Elberfeld-Arrenberg eingeliefert. Mit der Notiz "Wer kennt den Toten?" bat die zuständige Kriminalpolizei kurz darauf im Generalanzeiger um Hinweise zur Identität des Opfers. Drei Tage nach dem Überfall in der Feldstraße 3 las man auf dem Gruitener Polizeirevier die Notiz, erkannte anhand der Beschreibung Max Kramer und identifizierte ihn.

Seine immer noch inhaftierte Frau Helene erhielt zur Beerdigung ihres Mannes "Urlaub". Eine Mitgefangene erinnerte sich später an ihre Rückkehr: "Der tägliche Rundgang der Frauenschutzhäftlinge im Hof des Gefängnisses für Frauen in Düsseldorf. Lene Kramer ist wieder da. Sie brauchte sich nicht einreihen in den Kreis der Frauen, die genau auf den Meter Abstand voneinander zu achten hatten, damit kein Wort gewechselt werden konnte. Und doch wussten wir alle, Lenes Mann war ... ermordet worden. Keine von uns durfte ihr die Hand reichen... Und doch verspürte sie, dass wir alle zutiefst mit ihr empfanden. ... Nichts zu vergessen, was man ihr, was man uns antat."

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal leitete noch 1933 ein Ermittlungsverfahren wegen des Mordes an Max Kramer ein. Es wurde 1934 durch Erlass von Hermann Göring in seiner Funktion als damaliger Preußischer Ministerpräsident niedergeschlagen.

Helene Kramer wurde erst am 29. Dezember 1933 aus dem Konzentrationslager Brauweiler, wohin sie von Düsseldorf aus verlegt worden war, entlassen. Einen Tag vor Heiligabend war ihr Vater Adolf Schuch aus dem KZ Kemna nach Hause zurückgekehrt. An den Folgen der Aufregungen und Schikanen starb ihre Mutter Selma Schuch an Silvester 1933.

Wenige Tage später, im Januar 1934, zog Helene Kramer mit ihren Kindern und ihrem Vater nach Wuppertal. "Aufgrund der Verhältnisse habe ich nach meiner Entlassung aus der Schutzhaft Gruiten verlassen müssen...", schrieb sie später. Helene Kramer hat Gruiten nie wieder betreten. In Wuppertal musste sie sich mit Hilfe ihres Vaters, der mit Solinger Stahlwaren handelte und erst 1935 seinen bei der Inhaftierung eingezogenen Gewerbeschein zurückerhält, irgendwie über Wasser halten. Unterstützung erhielt sie als Regimegegnerin kaum. Auch wurden politisch Verfolgte bis Ende der 30er Jahre überhaupt nicht mehr in Arbeit vermittelt oder sie erhielten nur schlecht bezahlte Arbeitsstellen. Erst im September 1938 teilte man Helene Kramer wieder eine Arbeit zu, sie lebte jedoch mit ihren beiden Töchtern in ärmlichen Verhältnissen. Adolf Schuch war im Juni 1937 gestorben.

Hinzu kam bis zum Ende des Nationalsozialismus die für alle bekannten Regimegegner übliche ständige politisch-polizeiliche Nachüberwachung durch die Gestapo und die NSDAP mit Hilfe der Parteiorganisationen, der Blockwarte und auch der Nachbarn.

Nicht zu vergessen ist auch, dass für die Familie Kramer nach dem Krieg die Schwierigkeiten nicht aufhörten. Sie gehörten als Kommunisten zu einer von mehreren Opfergruppen, die noch lange Jahre nach Ende des Nationalsozialismus Diffamierungen und Diskriminierungen ausgesetzt waren, obgleich sie für ihre politischen Überzeugungen und ihr entschiedenes Eintreten gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft einen hohen Preis bezahlt hatten.

Helene Kramer wurde am 22.5.1946 wegen ihrer Mitgliedschaft in der KPD und ihrer Tätigkeit gegen das Nazi-Regime als politisch Verfolgte anerkannt. Sie starb 1993 in Wuppertal.

1950 wurden die noch lebenden Hauptverantwortlichen dann vor dem Schwurgericht beim Landgericht Wuppertal wegen Mordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Zudem wurden ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt.

Max Kramer wurde am 17.9.1953 vom Kreis-Anerkennungsausschuss in Wuppertal als Verfolgter der NS-Gewaltherrschaft anerkannt. Die Begründung lautete: "Max Kramer gehörte zu den grundsätzlichen Gegnern des Nationalsozialismus. Er fand ... durch nationalsozialistische Maßnahmen nach Verhaftung den Tod. Es besteht kein Zweifel daran, dass er am 26.7.1933 aus politischen Gründen und vorsätzlich ermordet wurde."

Mai 2016
Birgit Markley
Stadtarchiv Haan

 
Stolperstein
Foto: © 2007 Stadtarchiv Haan

Der 2007 verlegte Stolperstein für Max Kramer in Gruiten (Foto) war im Herbst 2015 entwendet worden. Am 31.05.2016 wurde der neue Stein eingesetzt (Foto oben).



Ein STOLPERSTEIN für Jeanette Höhn

 
Stolperstein
Foto: © 2007 Stadtarchiv Haan
Hier lebte
JEANETTE HÖHN
geb. Berg
Jg. 1868
deportiert 1942
Theresienstadt
ermordet 24.4.1943

Der Stolperstein für Jeanette Höhn ehrt eine Haaner Bürgerin, die wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

Jeanette Höhn wurde am 8. Juli 1868 in Köln geboren. Über ihre Herkunft, die jüdische Familie Berg, ist nichts bekannt. Sie heiratete den sechs Jahre älteren Herwart Höhn aus Ammelstädt in Thüringen. Zwischen 1894 und 1906 bekam das Ehepaar vier Söhne, Alfred, Hugo, Otto und Herwart. Während die beiden älteren Söhne noch in Sachsen geboren wurden, kamen die beiden jüngeren bereits in Elberfeld zur Welt. 1917, nach der Rückkehr Herwart Höhns aus dem 1. Weltkrieg, erwarb die Familie das Haus Nordstraße 44 in Haan, wo sie ab April 1917 wohnte.

Vater Herwart verdiente sein Geld als Schirrmeister in einer Wuppertaler Pferdefuhrwerksspedition, und Sohn Alfred arbeitete als Kaufmann. Einige Jahre später war auch Sohn Otto als Handelsvertreter tätig. Bereits 1931 hatte Otto sein Geschäft zur Poliermittelfabrik ausgebaut, die bekannte Firma Höhn & Höhn mit Sitz an der Nordstraße 44, wo auch nach wie vor die Eltern Jeanette und Herwart wohnten.

Hugo, erst 25 Jahre alt, war 1921 bereits als Besitzer einer Textilwarenhandlung unter der Adresse Nordstraße 44 im Adressbuch der Stadt Haan eingetragen. Die Gewerbeanmeldung für den Handel mit Manufakturwaren wurde im November 1919 auf den Namen von Jeanette Höhn vorgenommen und im Oktober 1920 auf ihren Sohn übertragen. 1928 gab es bereits das Geschäft in der Kaiserstraße 55, in dem man Weißware, Wollwaren und Kurzwaren erwerben konnte.

Jeanette Höhn war wohl diejenige, die im Geschäft und dadurch in direktem Kontakt mit den Haaner Kundinnen und Kunden stand, während Hugo Höhn seine Handelsbeziehungen nach und nach erweiterte, so dass im Dezember 1938 das Gewerbe auf den Großhandel mit Textilwaren, vor allem Tuchen und Vertretungen ausgedehnt wurde. 1950 stellte Hugo den Textilgroßhandel ein und gründete die Firma Hugo Höhn KG, Chemische Fabrik. Das Textil-Einzelhandelsgeschäft in der Kaiserstraße wurde aber erst im Juni 1972 geschlossen.

Jeanette Höhn war - auch durch ihre Tätigkeit im Geschäft an der Kaiserstraße - vielen Haanern bekannt. Nicht bekannt war wohl, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte. Sie selbst praktizierte den jüdischen Glauben nicht, sondern war Mitglied der evangelischen Gemeinde. Auch auf der Meldekarte der Familie Höhn lautete der Eintrag der Religionszugehörigkeit: lutherisch.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten trat ihre jüdische Herkunft jedoch immer mehr in den Vordergrund, obwohl sie - soweit bekannt ist - keinen Judenstern tragen musste.

Die Eintragungen auf der Meldekarte wurden durch den rot unterstrichenen Zusatz 'Volljüdin' ergänzt.

1938 erhielt sie auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 zwangsweise den zusätzlichen Vornamen "Sara". (Männlichen Juden wies das Gesetz den Vornamen "Israel" zu.)

Die Reichspogromnacht im November 1938 überstand sie unbeschadet; Ausschreitungen gegen die Wohnung und das Manufakturwarengeschäft blieben aus. Die Haaner SS wandte sich nach Hilden, wo in dieser Nacht sieben Juden umgebracht wurden.

Herwart Höhn sah die drohende Gefahr für seine jüdische Frau deutlich und drängte sie, zu ihrer Schwester nach Brüssel zu gehen. Doch Jeanette Höhn wollte in Haan bleiben. Am 25. August 1941 starb er im Alter von 79 Jahren. Dies besiegelte auch das weitere Schicksal seiner Ehefrau, die zu diesem Zeitpunkt die einzige Jüdin in Haan war - und damit für die Nationalsozialisten das einzige Hindernis, eine weitere judenfreie Stadt zu bekommen.

Jeanette Höhn war 73 Jahre alt und, wie ein Brief aus dieser Zeit zeigt, in Haan gut bekannt. "Frau Höhn", heißt es, "wohnt mit ihrer Familie wohl schon dreißig Jahre in Haan ... und erfreut sich als große Wohltäterin seit jeher des allerbesten Rufes. Ihr Mann ... war Arier. Ihre vier Söhne, alle hervorragend tüchtige Menschen, ... haben sich stets vorbildlich social gezeigt, und zwar auch schon weit vor der Machtübernahme. Die Frau selbst lebte ganz bescheiden auf der Nordstraße in einem kleinen Fachwerkhaus. Versorgte allein ihre saubere Wohnung, ihren Garten, hielt Hühner und Gänse, um keinem zur Last zu fallen, vielmehr zu helfen, wo sich nur irgend die Gelegenheit dazu bot."

1942 war die Bedrohung für Jeanette Höhn so konkret geworden, dass ihr Sohn Otto zweimal nach Berlin fuhr, um zu versuchen, seine Mutter vor der Deportation zu bewahren. Es nutzte jedoch alles nichts.

Die Meldekarte des Einwohnermeldeamtes Haan vermerkt nüchtern und verharmlosend: Jeanette Höhn - "Abgemeldet am 24. Juli 42 nach Theresienstadt, Protektorat." Ihr Sohn Hugo hatte sie morgens nach Düsseldorf gefahren, wo sie sich auf dem Viehhof zum Abtransport stellen musste.

Dass die Deportation von Jeanette Höhn und das, was mit den deportierten Juden geschehen würde, in Haan wohlbekannt waren, zeigt ein Brief, den am 25. Juli 1942 der Haaner Fabrikant Eugen Linder an seinen Sohn Gerd schrieb, der damals als Soldat bei der Wehrmacht diente. Er schrieb, "dass hierdurch auch ganz Haan erschüttert worden ist. ... Man begegnet wohl keinem in Haan, der nicht sehr bald das Gespräch auf diesen Fall bringt, mit dem Bemerken: Ich bin krank vor Scham oder Empörung und ähnliches." Linder hatte wenige Stunden, bevor sie abtransportiert wurde, mit Jeanette Höhn gesprochen und fand sie äußerst gefasst. "Ich dachte, wie beschämt mich doch diese Frau, die doch sicher auch weiß, daß sie sehr wahrscheinlich einem gewaltsamen Tod entgegen geht."

Jeanette Höhn war 74 Jahre alt, als sie am 25.7.1942 mit Transport VII/2 von Düsseldorf nach Theresienstadt deportiert wurde.

Zwischen 1942 und 1945 kamen 42 124 deutsche Juden in 329 Transporten nach Theresienstadt. 20 441 starben dort, 15 887 wurden in die Vernichtungslager weitertransportiert und dort ermordet.

Jeanette Höhns Söhne wurden jahrelang im Glauben gelassen, ihre Mutter würde noch leben. Als Otto Höhn beruflich in der Nähe von Theresienstadt war, bestach er einen Wärter, ihr Lebensmittelpakete zu überbringen. Gleich nach Kriegsende fuhr er mit einer Sondergenehmigung der Amerikaner mit einem Rot-Kreuz-Wagen nach Theresienstadt, um seine Mutter nach Hause zu holen. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr er durch den Langenfelder Richard Meyer, ehemaliges Mitglied der jüdischen Selbstverwaltung in Theresienstadt und Überlebender des Holocaust vom Tod der Mutter. Richard Meyer berichtete, dass Jeanette Höhn am 24. April 1943 im Lager an Hungertyphus gestorben war.

Das Haus an der Nordstraße, in dem Jeanette Höhn lebte, existiert nicht mehr. Einer ihrer Lebensmittelpunkte war aber auch das Geschäft im Haus Kaiserstraße 55. Hier - mitten in Haan - lebte Jeanette Höhn. Hier soll an sie erinnert werden.

14. Februar 2007
Birgit Markley
Stadtarchiv Haan

 
Stolperstein
Foto: © 2007 Stadtarchiv Haan



Quellen:
  • Koester, Rainer: Mettmann unterm Hakenkreuz (1988)
  • Koll, Reinhard: Haan vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus (1994)
  • Koll, Reinhard: Haan unter dem Hakenkreuz 1934-1944 (1996)
  • Niederhagen (1994) (1999)
  • Markley, Birgit, Stadtarchiv Haan (2008)
  • Stadtarchiv Haan / BGV Abt. Haan (Hrsg.): Dokumente zu den Kriegszerstörungen in Haan 1945 (2006)
  • Vollmar, Harro: Geschichte der Stadt Haan. Kreis Mettmann (Hrsg.): Neuigkeiten ... (1991)

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