Die Bauern im Raum Haan - Gruiten im späten Mittelalter bis 1800
Von Friedhelm Stöcker
Der Bauer galt im Mittelalter als der "niedere Stand". Er lebte in sehr einfachen Verhältnissen, wurde in Abhängigkeit gehalten und musste Frondienste leisten, war mehr oder weniger "Leibeigener", in Ostdeutschland noch bis ins 19. Jh. hinein.
In der Region Haan - Gruiten scheint der bäuerliche Stand bereits im späten Mittelalter in den Genuss relativ großer Freiheiten und einer gefestigten Rechtsstellung gekommen zu sein. Aus alten Kauf- und Pachtverträgen, Pfandschaftskontrakten, Obligationsprotokollen, Heiratsverträgen, Testamenten, Steuer- und Contributionslisten geht hervor, dass die Bauern der hiesigen Honschaften im 16.-18. Jh. meist "bedingt" Eigentümer des Hofes waren, den sie bewirtschafteten, manchmal auch Pächter.
Sie "... waren arbeitsam und bescheiden, fleißig und sparsam, dabei meist fromm und demütig; sie bewahrten sich ihren Stolz und die freiheitlich-rechtliche Gesinnung", und sie waren von jeher konservativ. Mit der Zeit bildeten sich Rechtsnormen heraus, die Bestandteil der sozialen Ordnung in der Gemeinschaft wurden, so z.B. das Nachbarschaftsrecht und die Honschaftspflichten.
Honnschaft / Honschaft = Verwaltungseinheit, Vorstufe einer Landgemeinde, Steuer- und Polizeibezirk als Untergliederung eines Kirchspiels. Im 18. Jh. = Landgemeinde.
Abgabepflicht
Auf der Grundlage gegenseitiger Schutzbündnisse waren die Bauern von jeher abgabepflichtig an die Landesherren oder deren örtliche Statthalter, Lehensherren, Erbschenken und Vögte auf den Herrensitzen. Solche Herrensitze waren z.B. Caspersbroich im Ittertal, Haus Horst in Hilden, Haus Unterbach, Haus Brück in Erkrath, Haus Schlickum, Haus Hellenbruch und Haus Schöller.
Daneben waren die Bauern meist zehnt- und abgabepflichtig an Kirchen und Klöster, denen diese Einnahmequellen durch reichs- oder landesherrliche Verfügung übertragen worden waren. Manchmal kamen die Klöster auch durch "Einkauf ins Seelenheil" zu Besitz: So schenkten z.B. 1427 die Eheleute Wilhelm von Ulenbroich und Grete von Lüttelau zur Feier der Memorie für die Angehörigen beider Geschlechter dem Kloster Gräfrath den Zehnten und die Zehnthühner verschiedener Höfe im Kirchspiel Haan. [aus: Quellen zur Geschichte von Hilden, Haan und Richrath III. Niederbergische Beiträge Bd. 7].
- Die Honschaften Ellscheid, Gruiten und Obgruiten gehörten zum Herrschaftsbereich der Grafen von Berg.
- Die obere, mittlere und untere Haaner Honschaft waren Besitz des Erzbistums Köln und bildeten mit Hilden zusammen einen erzbischöflichen Tafelhof mit eigener Gerichtsbarkeit.
Die Haaner Honschaften
1176 verpfändete das Erzbistum diesen zum Lehen an den Herzog von Berg. Dies führte zu Jahrhunderte langen Streitigkeiten um die Aufteilung der Rechte an den verschiedenen Leistungen und Abgaben der Bevölkerung an den Grundherrn (den Erzbischof) oder an den Lehnsherrn (den Herzog von Berg).
Kurmudsgüter / Zinszahlung
Die Höfe in Haan waren sogenannte Kurmudsgüter, Erblehensgüter, die jährlich zu Lichtmess (2. Februar) oder zu Andreas (30. November) einen Jahreszins zu entrichten hatten. Starb der Bauer, musste dem Lehensherrn oder dessen Vogt das beste Stück Vieh abgeliefert werden. Meist war es die beste Kuh, oder - bei größeren Höfen - ein Pferd.
- 1503 zahlten in der mittleren und unteren Honschaft Haan 36 Kurmudsgüter den jährlichen Zins an den Lehensverwalter auf Haus Horst in Hilden [Niederbergische Beiträge Bd. 15 S. 115 f].
- 29 Höfe mussten zu dieser Zeit 1 Sümber = ¼ Malter sog. Vogthafer abliefern, eine Abgabe für geleistete Aufsicht und Schutz.
- 56 Höfe und Häuser mussten den Hühnerzins entrichten, die sog. Grafenhühner, auch Andreashühner genannt, weil sie zu Andreas (30. November) abzuliefern waren: in der Regel ein Huhn, einzelne größere Höfe zwei.
Die Höfe von Ellscheid, Gruiten und Obgruiten sowie der obersten Honschaft Haan waren in der Regel an das Kloster Gräfrath oder die katholische Kirche in Erkrath zinspflichtig. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Einwohner fast ausschließlich evangelisch waren. Wolfertz-Elp, der oberste Hof in der Elp, musste jeweils die Hälfte nach Erkrath und Gräfrath zahlen.
Der Hof der Familie Stöcker leistete
- den Feldzehnten (Getreide oder den entsprechenden Geldbetrag) an das Kloster Gräfrath und
- den Wachszehnten (1 Pfund Wachs und 6 Becher Gerste) an die katholische Kirche Erkrath.
Beide Zehnten konnte die Familie 1839-41 mit dem 25fachen Jahresbetrag ablösen.
Verzichtbuch und andere Quellen
Dass die Haaner Bauern "bedingt Eigentümer" waren, geht aus den Eintragungen im sog. Verzichtbuch für Hilden und Haan 1562-1623 hervor. Als "Verzicht" oder "Ausgang" wurde im älteren deutschen Recht jener Vorgang bei der Eigentumsübertragung an Grundstücken bezeichnet, den wir heute unter dem Begriff "Auflassung" kennen:
Auflassung ist die zur Übertragung des Eigentums an Grundstücken nach § 873 BGB erforderliche Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber. Sie muss nach § 925 BGB bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor einer zuständigen Stelle (regelmäßig vor dem Notar) erklärt werden (§ 925 BGB).
Die schriftliche Erfassung bei Gericht im Verzichtbuch für Haan und Hilden war der Vorläufer des heutigen Grundbuches.
"Die Bedeutung des Verzichtbuches als örtliche Geschichtsquelle für Haan und Hilden ist immens. Die 464 Eintragungen enthalten eine Fülle von Ortsangaben, Liegenschaftsbezeichnungen, Berufsbezeichnungen, Eigennamen, verwandtschaftlichen Beziehungen und anderen Merkmalen, z.B. Ölmühle, Schleipkotten u.a. Besonders wertvoll sind diese Angaben, weil sie zum größten Teil aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg stammen, als es in Haan, Gruiten und Hilden noch keine Kirchenbücher gab (Hilden ab 1649, Haan ab 1670)."
Zwei Beispiele aus dem Verzichtbuch belegen die Eigentums- und Erbrechte der Haaner Bauern:
2. März 1573:
Die Scheffen Wilhelm Theenhauß und Jürgen Boll tragen im Gericht vor, dass die Kinder Alofs uf der Koulen (Bellekuhl), nämlich Herman, Casper, Geirtgen und Wilhelm, sowie des letzteren Ehefrau Dorothea, das Erbgut uf der Koulen in Haan mit Ausnahme eines Banden (Wiese) am Itterbach an die Eheleute Casper und Mergen ufm Knediser verkauft, sich guter Bezahlung bedankt, den Käufern ordnungsgemäß Verzicht und Ausgang getan und ihnen darüber Brief und Siegel mitzuteilen gebeten haben. Der Verkauf ist, wie vorgeschrieben, in der Kirche bekannt gegeben worden. Der Verzicht wird vom Gericht anerkannt.
- Seit dieser Zeit gehören die Ländereien der Bellekuhl zum Hof Knedeisen.
21. April 1572:
Vor dem Gericht erscheinen die nachgelassenen Kinder des verstorbenen Rütger Murer, ..., und verkaufen den Eheleuten Rutger und Mergen ahn der Loelen ihren Erbanteil an dem Gut uf dem Windhoevell zu Haan, welches Gut "an der Strassen bei zom Dorn gelegen" ist, und leisten dem Käufer darüber Verzicht und Ausgang.
Ein Beispiel aus den "Agrargeschichtlichen Quellen von Hilden und Umgebung":
1620 hatten sich die Eheleute Johann und Leißgen Herck von dem Wilhelm Valder, Schöffe zu Hilden und Haan, 100 Taler geliehen. Dafür verpfändeten sie ihren Hof, das Reingesgut, genannt in der Schmitten. - Verpfänden kann man aber nur Eigentum.
Weitere Informationsquellen sind:
- die Höfeliste des Amtes Mettmann von Ende des 17. Jh., archiviert im Staatsarchiv Düsseldorf. Die Eigentümer werden zumeist namentlich genannt; auch die Eigentümer kleiner Landhöfchen, der "Kothen".
- die Steuerlisten für das Kirchspiel Haan aus dem 17. Jh. (1611-14, 1624, 1642, 1654 und 1695).
- die Obligationsprotokolle des Gerichts der Kirchspiele von Hilden und Haan von 1738-1809 mit vielen Informationen über Haaner Verhältnisse und Familien.
Erbfolge
Im betrachteten Zeitraum gab es im Gebiet Haan - Gruiten offenbar keine klare bäuerliche Hof- oder Erbfolge, wie sie später im Erbhofgesetz sowie alten und neuen Höfeordnungen festgeschrieben wurde.
Auch ein Ältesten- oder Jüngstenrecht gab es offenbar nicht. Vielmehr wurde so entschieden, wie es gerade zweckmäßig erschien. Auch eine Tochter konnte den Hof übernehmen, während die Söhne ausheirateten. Durch Seuchengänge und / oder hohe Kindersterblichkeit gab es aber auch andere Regelungen in den Testamenten, z.B. den Erbrückfall bei Tod des Begünstigten.
Aus Verzichtbüchern, Hofverkaufsurkunden, Erbverträgen, Heiratsurkunden usw. ist ersichtlich, dass die Kinder etwa gleichwertige Geld- und Sachwerte erhielten. Dies stellte die wirtschaftliche Existenz des Hofes oft in Frage und konnte letztlich zum Hofverkauf führen. Andererseits kamen durch Heiraten Vermögenswerte hinzu. Dennoch war es bei größerer Kinderzahl oft nicht möglich, den Hof in der Familie zu erhalten.
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