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Itterwasser

Itter
Sommer 2005   Itter am Stauwehr des Schaafenkottens
 
Karl Theodor und das Itterwasser (1784)
Kaiser Wilhelm und das Itterwasser (1878/1884)
Wasserwerke (ab 1890)
Mottforellen (1914)
Fischvergiftung (1914)
Fischgewässer ohne Fische (1919/1927)
Städtische Abwässer (1925)
Fabrik-Abwässer (1929)
Schaum auf der Itter (2006)



Von Zeit zu Zeit sieht die Itter nicht so aus, wie man es von einem Bach in einem Landschaftsschutzgebiet erwartet. Und manchmal riecht sie auch nicht so. Einen besonders beunruhigenden Anblick bot sie Anliegern und Passanten im März 2006. Die örtliche Presse berichtete mehrfach über den dicken Schaumteppich auf dem Wasser, der dem Mikrokosmos darunter schlecht bekommen ist.

Erhebliche Verschmutzungen der Itter und Klagen der Anlieger kamen natürlich auch in der Vergangenheit vor. Der Bach bot den privaten wie gewerblichen Anrainern Gelegenheit, sich der verschiedensten Hinterlassenschaften aus der Produktion und aus häuslichen Abfällen zu entledigen. Wenn die Itter Hilden erreichte, war ihr Wasser bereits von der Solinger und Haaner Industrie belastet, insbesondere auch durch das "Mottflößen" der an die Itter angrenzenden Teiche der Schleifkotten. Durch die Verunreinigungen bildeten sich Faulschlämme und in deren Folge üble Gerüche, die erheblich gewesen sein müssen.

Karl Theodor und das Itterwasser (1784)
Verordnungen und Reglementierungen im 18. und 19. Jh.

Versuche, Abhilfe zu schaffen, sind überliefert, so z.B. eine Verordnung über die Nutzung des Itterbaches für landwirtschaftliche und industrielle Zwecke vom 8. Juli 1784. Darin legt die Regierung zu Düsseldorf in Gestalt von Herzog und Kurfürst Carl Theodor unter Androhung von Strafen u.a. fest, dass der Itterbach von Gesträuch und Unrat zu reinigen sei. [HStA Düsseldorf. Regierung Düsseldorf Nr. 36 129 Bl. 135b-137a. Abgedruckt NB 39 S. 104-108.]

Eine solche Vorschrift konnte auf die Dauer natürlich nicht viel ausrichten. Die Probleme wuchsen durch die zunehmende Industrialisierung, und die Regierung zu Düsseldorf erließ zum 1. Oktober 1844 ein "Polizei-Reglement für den Itterbach im Bereiche der Bürgermeistereien Hilden und Benrath". Darin war festgelegt, "dass niemand Kot, Unrat oder andere gröbere Gegenstände von der Haus- und Landwirtschaft oder von einem Gewerbebetriebe in das Bachbett werfen oder so nahe an das Ufer bringen durfte, dass die Gegenstände durch das Wasser weggespült werden konnten. Des weiteren gab es eine Strafbestimmung von bis zu fünf Talern oder entsprechende Gefängnisstrafe sowie die Ersatzvornahme von notwendigen Reinigungsarbeiten durch Gemeindearbeiter gegen Auferlegung der Kosten." [Caspers S. 153-157]

Gegenüber der Industrie ließ man behördlicherseits allerdings Nachsicht walten.

Einige Fälle aus der Zeit, als der "technische Fortschritt" sich ambivalent bemerkbar machte, beschrieb Herbert Weber 1973/74 anhand alter Verwaltungsprotokolle und Prozessakten.

Die Heimat Jg. 40, Nr. 3 Mai / Juni 1974
Kaiser Wilhelm und das Itterwasser
Die Behörden entwickelten fieberhafte Aktivität

"Das Wasser der Itter wurde schon [...] 1878 über den Lochbach durch gewerbliche Abwässer verschmutzt. Damals wurde es einer Ohligser Färberei erlaubt, über einen zu erbauenden Kanal Färbereiabwässer in den Lochbach einzuleiten. Allerdings sollte das Abwasser vorher ein Klärbecken, mit Sand oder Asche als Filtermaterial gefüllt, durchlaufen. In der Folge beschwerte sich ein Hildener Anlieger, kurioserweise ebenfalls eine Färberei, über eine Beeinträchtigung der Fabrikation durch das manchmal pechschwarze Itterwasser. Bei der Herstellung einer bestimmten Farbe war man auf sauberes, klares Itterwasser angewiesen, und das stand nun nicht mehr zur Verfügung.

Es folgten weitere Beschwerden, Anfragen, Eingaben, Klageandrohungen, Unschuldsbeteuerungen, Wasseranalysen und andere Untersuchungen, aber es gab keine Resultate.

Da mußte erst Kaiser Wilhelm nach Schloß Benrath kommen!

Über den langen Dienstweg trudelte bei dem Merscheider Bürgermeister Kelders am 28. Mai 1884 ein Schreiben des Königlichen Hof-Marschall-Amtes in Berlin vom 21. April ein. Darin hieß es: »... Aus früherer Zeit ist mir nämlich bekannt, daß der Itterbach und die damit in Verbindung stehenden Teiche pp. innerhalb des Schloßparkes durch Abwässer von Fabrik- und anderen gewerblichen Anlagen ... in sehr schlimmer Weise verunreinigt werden... Die Übelstände, namentlich die gefährlichen Ausdünstungen, wiederholen sich immerfort, so daß die Besorgnis naheliegt, das Schloß und der Park werden dadurch auch während der Hofhaltung im September ds. Js. in sehr bedenklicher Weise beeinträchtigt werden, wenn nicht bis dahin energische Maßregeln zur gänzlichen Beseitigung der Ursachen jener Mißstände ergriffen werden...

Die Kgl. Reg. wird ... von der Rücksicht geleitet sein, den Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften während des Aufenthaltes in Benrath auch den Besuch des Parkes zu ermöglichen und zu verhindern, daß schlechter Ausdünstungen der Gewässer davon zurückhalten...«

Nun entwickelten die Behörden eine fieberhafte Aktivität. Den Fabriken wurden Termine gesetzt zur Erfüllung der Auflagen.

Am 12. August fand eine Besichtigung der Itter und der Fabriken statt durch einen Düsseldorfer Regierungsassessor, Gewerberat Dr. Wolff, und Bürgermeister Kelders.

Mißstände wurden entdeckt bei einer Ohligser Firma. Die Düsseldorfer Regierung handelte schnell. Der Landrat erhielt am 16. August eine Verordnung, in der es hieß:

»Falls die Firma ... nicht binnen 8 Tagen den Nachweis erbringt, daß die Ausführung derjenigen Anlagen, welche zur Klärung und Reinigung der Fabrikwasser nach Maßgabe ... erforderlich sind, bis zum 1. September außer Zweifel steht, untersagen wir hierdurch den Inhabern oder den verantwortlichen Vertretern der betreffenden Firma, nach Ablauf dieser 8 Tage ihre nicht gereinigten und nicht geklärten Fabrikwasser in den Itterbach abzuleiten unter Androhung einer Strafe von 300 Mark für jede amtlich festgestellte Zuwiderhandlung...«

Der Landrat wurde angewiesen, sich zweimal wöchentlich bei dem Bürgermeister nach dem Stand der Angelegenheit zu erkundigen. Der Bürgermeister gar hatte zweimal täglich eine Revision der Anlagen vorzunehmen. In größter Eile wurden nun sozusagen unter der Daueraufsicht des Bürgermeisters Klärbassins errichtet. Der Abfluß in den Lochbach wurde gestoppt und das Abwasser schon während des Ausbaues in Teichen gestaut.

So konnte Bürgermeister Kelders pünktlich am 1. September dem Landrat melden:

»Ew. W. berichte ich auf die hiermit bezogene geehrte Verfügung gehorsamst, daß die Firma ... die Farbwasser, wovon ich mich persönlich überzeugt habe, in die neben dem Etablissement gelegenen beiden Teiche ableitet und der Abfluß in den Lochbach nicht mehr stattfindet. Die Arbeiten an den neuen Klärbassins werden mit verstärkter Kraft fortgesetzt und von mir, wie vorgeschrieben, überwacht und wird auf möglichste Beschleunigung der Fertigstellung hingewirkt.«

H.W." [Herbert Weber]


Wilhelm I.
 
Kaiser Wilhelm I.
(1797-1888)
sollte bei seinem Besuch von Schloß Benrath nicht von den Ausdünstungen des Itterwassers belästigt werden.
 
Kelders
 
Theodor Kelders
(1832-1910)
Bürgermeister in Ohligs
(1863-1889)

Warum hinterlassen diese fieberhaften behördenseitigen Aktionen einen faden Nachgeschmack? Vielleicht, weil die gefährlichen Ausdünstungen erst dann gefährlich genug zum Eingreifen waren, als die Gefahr einer Belästigung der Allerhöchsten und Höchsten Nasen bestand? Und weil nach der kaiserlichen Visite diese Gefahr abnahm, nahm das Itterwasser - trotz oder wegen des technischen Fortschritts - bald wieder an Farbvarianten und ungesunden Duftnoten zu.


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Wasserwerke (ab 1890)

1890/91 wurde während der Amtszeit des Bürgermeisters Heinrich das Wasserwerk ("ein eigenes Wasserbecken") in Unten-Itter in Wald gebaut. Nachdem aber im Oktober/November 1897 eine Typhusepedemie in Wald zu 157 Erkrankungen und 12 Todesfällen geführt hatte, wuchs die Skepsis gegen die Wasserversorgung aus der Itter erheblich, da die Verseuchung des Itterwassers als ursächlich für die Erkrankungen angesehen wurde.

"Wenn sich der Verdacht auch als unbegründet erwies, so löste dieser Anlaß doch Überlegungen aus, sich angesichts der wachsenden Bevölkerung und der Industrieanlagen nach einer neuen Wasserquelle umzusehen. So entstand das Projekt, bei Elb (Hilden) ein neues Wasserwerk zu errichten. Es wurde 1899 in Betrieb genommen. Zeitweise gab man daraus Wasser an Solingen und Elberfeld ab. Der an der Foche errichtete Wasserturm wurde 1914 erweitert und zu dem massiven Bauwerk umgebaut, das heute noch steht." [Rosenthal 3 S. 41, 116 f, 431]


Unten-Itter
Unten-Itter, Pumpwerk.
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen
 
Wasserturm
Um 1928   Wald, Wasserturm, Ecke Schlagbaumer / Germanenstraße. 2008 wird er gastronomisch genutzt.
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen.

  Wasserturm, Turm mit einem Wasserbehälter, von dem aus ein angeschloss. Wasserleitungsnetz gespeist wird, zur Erzeugung des nötigen Wasserdrucks, wobei d. Behälter höher liegen muß als der höchste Wasserhahn des Netzes. [Beckmann]

Ohligs hatte schon im August 1897 das Wasserwerk Karnap (Hilden) in Betrieb genommen.Über das vorzügliche Hildener Wasser, das nicht aus der Itter stammt, schrieb der Hildener Chronist Anton Schneider im Jahr 1900:

"Die an der Oberfläche liegende Wassermenge hat zur Unterlage eine dünne, den Abbau nicht lohnende Eisenschicht, die sich unter dem ganzen Hildener Gebiet hinzieht und stellenweise zutage tritt, während sie anderwärts 3 bis 6 m tief liegt. An den erstgenannten Stellen ist der Boden sumpfig, das Wasser sehr eisenhaltig. Letztere liefern durchweg ein gutes Trinkwasser.

Geradezu überraschend ist aber der Wasserreichtum Hildens unter der erwähnten Eisenschicht. Dabei ist das Wasser von so vorzüglicher Beschaffenheit, daß die Städte Ohligs und Wald, wie Hilden selbst sich entschlossen, dem hiesigen Gebiet ihr Leitungswasser zu entnehmen. Die Gemeinde Vohwinkel steht im Begriff, ein Gleiches zu thun. Ohligs ging 1896 mit der Errichtung seiner Pumpstation voran, Hilden und Wald folgten 1899 nach."

Der größte Teil Gräfraths hingegen erhielt bis 1935 sein Wasser aus Elberfeld (Wuppertal). Das Elberfelder Wasserwerk lieferte einwandfreies Wasser (Stand 1928) auch an Haan, Benrath, Hilden und Mettmann. [Lomberg S. 198]


Ehemaliger Wasserturm
2006   Brauhaus im Wasserturm an der Schlagbaumer Straße
 
Ehemaliger Wasserturm
2006   Ehemaliger Wasserturm in Gräfrath (gegenüber der Fauna), ab 1993 zum Lichtturm umgestaltet von Lichtdesigner Johannes Dinnebier

Aber zurück zum Itterwasser, das weiterhin alles andere als einwandfrei war.


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Mottforellen (1914)

Ein optisches und geschmackliches Problem wurde anno 1914 aktenkundig:

»Seit 14 Tagen hat das Wasser des Itterbaches eine hellgelbe Färbung angenommen, ist schlammig und ganz trübe; namentlich in den letzten Tagen ist dieser Übelstand sehr stark aufgetreten. Tag und Nacht wälzt sich die trübe Wassermasse talabwärts bis nach Hilden und Benrath hin.« Diese Klage brachten Hermann Hammerstein, damals Besitzer der Brucher Mühle, und Max Meurer, Besitzer der Heidberger Mühle, am 10. März 1914 bei Bürgermeister Heinrich in Wald vor. [Weber 3/1974]


Heidberger Mühle
 
Um 1915  
Das Ausflugslokal Heidberger Mühle
Ansichtskarte
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen

Die Beschwerdeführer vermuteten, dem Bach seien fremde Stoffe zugeführt worden. Beide waren auch Fischzüchter und fürcheten um ihre Goldorfen und Karpfen. "Weiter wurde behauptet, das trübe Wasser rühre von Tiefbauarbeiten zwischen Mittelitter und Obenitter her, denn oberhalb dieser Stelle sei das das Wasser klar." An besagter Stelle baute der Fabrikant C. Friedrich Ern gerade das Ittertaler Strandbad. So bot es sich für die Stadt Wald an, ihm kurzerhand die Schuld zuzuschieben.

Die wollte C.F. Ern nicht auf sich sitzen lassen, machte sich an die Ursachenforschung und gab eine sehr ausführliche Stellungnahme ab. Nach seiner Überzeugungen trugen viel weniger seine Tiefbauarbeiten zur Trübung des Wassers bei als die Erdbewegung beim Bau des neuen Weges von Haan bis Mittelitter, also der Ittertalstraße, "[...] im Verein mit der Mottflößerei, die im Anfang Juli jeden Jahres am Oberlauf der Itter ansetzt und sich durch den ganzen Sommer hinzieht«. [Weber 3/1974]

  Durch das Mottflößen befreiten die Kottenbesitzer ihre Stauteiche und Gräben nach den gesetzlichen Vorschriften der Vorfluth- und Bachschauordnung von angeschwemmtem Schlamm und Unrat.

  Aus der detaillierten Stellungnahme des prozesserprobten C.F. Ern ist nebenher zu erfahren, dass der Ernenkotten, der Bastianskotten und der Mutzkotten (Ernenkotten II) zu dieser Zeit Sammelteiche besaßen, die in anderen Quellen nicht erwähnt sind:

-   Ern ließ die Itter absperren "und alles Wasser durch seinen Sammelteich am Ernenkotten II ablaufen.
-   »Ich habe feststellen lassen, daß der unterhalb liegende Sammelteich des Bastians Kotten nur eine dünne Oberschicht von gelblichem Schlamm hatte, ...«"
-   Ern schrieb, er habe seinen Sammelteich am Ernenkotten I fast frei von Schlamm gefunden.

Bezeichnend für die Wasserbeschaffenheit ist auch die Aussage, "Der Schlamm des Schaafenkottens habe die bekannte dunkle Mottfarbe gehabt, die von städtischem Unrat herrühre."

In diesem Zusammenhang beklagt Ern seinerseits, dass die Itterforellen zum Verzehr nicht geeignet seien: »Die Forellen gedeihen immer noch im Itterbach, aber zu genießen sind sie absolut nicht... wegen des Mottgeschmacks. Die Leute ziehen deshalb auch keine Forellen mehr, sondern ordinäre Karpfen, Orben etc., die sie als wertvoll bezeichnen, die mehr ein Zierrat für die Gondelteiche sind und andere Gewässer, die nun einmal zu einem Vergnügungslokal im Ittertal gehören.« [Weber 3/1974]

Schließlich haben wohl die Selbstreinigungskräfte der Natur zur Glättung der gelben Wogen bzw. Streitigkeiten beigetragen. Im Sommer desselben Jahres begann der Erste Weltkrieg. Die Wasserversorgung des Ittertaler Strandbades musste übrigens bald auf das Wasser des Holzer Bachs umgestellt werden, da das Itterwasser zu belastet war.


Ittertaler Strandbadbau
 
1913-1916
Ittertaler Strandbad im Bau
Bild-Quelle: Werbeprospekt Strandbad



Fischvergiftung (1914)

Belastetes Wasser stellte auch der Kohlenhändler Albert Schäfer aus Gräfrath fest. Er hatte 1909 die Fischerei im Ketzberger Bach, Unten zum Holzer Bach, Flockertsholzer Bach und in der Itter gepachtet.

Im Herbst 1914 weigerte er sich, die Pacht für den Itterbach zu entrichten, weil durch Abwässer eines Industriebetriebes der Fischbestand vernichtet worden sei. Daraufhin stellte das Bauamt fest, dass tatsächlich von dem Gelände dieses Betriebes Wasser in die Itter geleitet werde. Das Nahrungsmittel-Untersuchungsamt wurde eingeschaltet, entnahm eine Abwasserprobe und analysierte sie. Ergebnis: Das Wasser sei stark getrübt, undurchsichtig. "... Außerdem befindet sich im Wasser Blei in Lösung. Bleisalze besitzen außerordentliche Giftwirkung. Die vorhandene Menge Blei wird, selbst nach Verdünnung durch das Bachwasser, genügen, eine tödliche Wirkung auf Fische auszuüben."

Nun wurde die Firma von der Stadt Gräfrath zum Ersatz des ihr entstandenen materiellen Schadens aufgefordert, also zur Zahlung des Betrages von 12 Mark, die vom Pächter verweigert worden war. Der Industriebetrieb wies aber die Vorwürfe zurück:

"... Unser Abwasser ist lange nicht so schlecht wie dasjenige, was aus dem Ort Gräfrath kommt. Die Beschaffenheit unseres Wassers ist nicht giftig und spielt überhaupt keine Rolle; denn fast nichts kommt davon in den Bach, weil es vorher in die Erde versinkt. Zudem ist unser Betrieb mit Abwasser seit 1873 concessioniert. Dagegen wird keiner anzukämpfen vermögen und muß jede Klage jetzt deshalb als unsinnig bezeichnet werden, weil in mehr als 40 Jahren keine erhoben wurde und in unserem Betrieb nichts geändert worden ist, also alle Beschwerden nutzlos und verjährt sind."

Keine Änderung seit über 40 Jahren. Diese Argumentation würde heute wohl nicht mehr zum Ziel führen.

Zu einem Prozess kam es nicht. Der Fischereipächter Schäfer stimmte einem Vergleich mit der Stadt zu, wonach er für drei Jahre nur die Hälfte der Pacht zu zahlen hatte. Die von der Stadt beauftragten Rechtsanwälte hatten zu diesem Vergleich geraten. In einem Schreiben vom 20. September 1917 an das Bürgermeisteramt betonten sie, daß "dieser Rechtsstreit, da er ohne gerichtliche Ortsbesichtigung und ohne Sachverständigen-Gutachten nicht hätte entschieden werden können, enorme Kosten verursacht habe, die zu dem geringfügigen Objekt in einem vollständigen Mißverhältnis gestanden hätten ..." [Weber 11/1973]

Vorausgesetzt, das "Objekt" wird nur mit ein paar Mark Pachtverlust definiert.

Karpfen



Fischgewässer ohne Fische (1919 / 1927)

Nach dem Ersten Weltkrieg, am 23.01.1919, wurde die Fischerei in den Gräfrather Bächen bis zum 31.01.1931 noch einmal verpachtet, und zwar

in der Itter für 4 Mark,
im Nümmener Bach für 5 Mark,
im Bach von Unten zum Holz zur Wupper für 5 Mark,
im Flockertsholzer Bach für 3 Mark,
im Fleußmühler Bach für 4 Mark und
im Pißbach für 3 Mark.

Die Pachtpreise waren in den letzten Jahren enorm gesunken:

Am 22.07.1903 hatte bei einer öffentlich meistbietenden Verpachtung der Gräfrather Fischereigewässer im Gasthof 'Zur Post' Fritz Hammesfahr von der Foche die Fischerei im Nümmener Bach für 100 Mark gepachtet, Walter Deus aus Solingen die Fischerei im Fleußmühler Bach für 30 Mark jährlich.

1927 nahm die Gräfrather Stadtkasse noch 8 Mark an Pachtgeldern für die Fischerei in Gräfrather Bächen ein. Dann versiegte diese Einnahmequelle ganz, denn es gab keine Fische mehr. In einer Mitteilung des Bürgermeisters vom 14.10.1927 heißt es:

"Nach Angabe der Stadtkasse weigern Sie die Zahlung der fälligen Fischereipacht. Trotzdem Sie nach den Bestimmungen als Rechtsnachfolger des Pächters verpflichtet sind, die Pachtsumme zu zahlen, bin ich mit Rücksicht darauf, daß die verpachteten Bachläufe einen Ertrag aus der Fischerei nicht mehr gewährleisten, bereit, für die kommende Zeit, also bis zum Ablauf des Vertrages, auf dessen Erfüllung zu verzichten." [Weber 11/1973]


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Städtische Abwässer (1925)

Auch in den Folgejahren waren die Selbstreinigungskräfte der Natur - in diesem Fall im unteren Lauf der Itter - überfordert.

1925 wurde die Stadt Ohligs verurteilt, Vorkehrungen zu treffen, dass der Itterbach nicht durch die in den Lochbach geleiteten Abwässer des städtischen Schlachthauses "in einer das Maß des Regelmäßigen und gemeinüblichen überschreitenden Weise verunreinigt und verschlammt wird". - Diese städtische Einrichtung befand sich an der Hildener Straße 43.

1927 kam es zu einem Vergleich zwischen den Kontrahenten: Ohligs zahlte insgesamt 73 625 Mark und erreichte in der Folge durch den Bau von Kläranlagen, dass die Verschmutzung des Lochbachs und damit auch der Itter erheblich verringert wurde. [Weber 4/1974]




Fabrik-Abwässer (1929)

Anscheinend aber doch nicht genug, denn: Um ernstzunehmende Verunreinigungen ging es in einem Prozess, den 1929 Ohligser und Hildener Firmen, Schleifereibesitzer, Landwirte und der Besitzer der Brucher Mühle gegen einen Ohligser Industriebetrieb anstrengten.

Vorgeworfen wurde der Firma, sie verunreinige den Bach durch die Einleitung von Fabrikwässern in einer das übliche Maß erheblich übersteigenden Weise. "Die Nachteile würden sich hauptsächlich auswirken

auf die Benutzung von Turbinen,
die Teiche, die Wasserkraft, die Dampfkessel,
die Schleifer- und sonstigen Betriebseinrichtungen,
die Gesundheit der Arbeiter,
Benutzung von Wiesen,
Betrieb eines Ausflugslokales,
Benutzung der Anliegerwohnungen,
abgesehen von einer allgemeinen Entwertung des ganzen Besitzes der Kläger.

Es wurde behauptet, die von der Firma gebaute Kläranlage reiche nicht aus und verhüte nicht die übermäßige Verunreinigung."

Die Anlieger der unteren Itter begründeten ihre Klage wörtlich so: »Geschah bis zum Jahre 1919 die Verunreinigung der Itter ... in überwiegendstem Maße durch den Lochbach und war bis dahin [also bis zu Stelle des Zusammenfließens] die Itter klar, so erfolgt seit dieser Zeit ... die Verunreinigung in bedeutendem Maße schon vor dem Zusammenfluß mit dem Lochbach. Diese Verunreinigung ist dauernd gestiegen, und sie steigt fortwährend weiter...« Die Verschmutzung werde in erster Linie durch die Abwässer des beklagten Betriebes verursacht, die »immer stärker und bösartiger« würden. [Weber 4/1974]



 
April 2006
Ein Kerker für den Krausener Bach

Die Firma bestritt die Berechtigung der Klagen. Sie behielt sich aber für den Fall einer Verurteilung etwaige Regressansprüche gegen andere Itteranlieger vor, unter anderem gegen die Stadt Solingen, weil ein großer Teil der Verschmutzung darauf beruhe, dass Abwässer eines Teils von Wald ungeklärt in den Krausener Bach und damit in die Itter geleitet würden.

Die weitere Erklärung der beklagten Firma ist deutlich; Ähnlichkeiten mit aktuellen Rechtfertigungen von Folgen des technischen Fortschritts wären zufällig. In der Erklärung heißt es:

»In einer Industriegegend müssen die Bewohner auch damit rechnen, daß gewisse Unbequemlichkeiten und mit dem Fortschritt der Industrie auch gewisse Änderungen gegen früher eintreten. Die Rechtsprechung der Verwaltungsbehörden weist zum Beispiel Einsprüche, die gegen die Anlage ruhestörender Maschinen wie Fallhämmer und dergleichen gerichtet sind, ständig mit der Begründung zurück, daß derjenige, der in einer Industriegegend wohne, derartige Belästigungen in Kauf nehmen muß.«


Darüber hinaus wurde bestritten, daß den Klägern ein Schaden entstanden sei.

"Der Rechtsvertreter der beklagten Firma hatte vorher eine Besichtigung der Itter und der Nebenbäche vorgenommen und dabei festgestellt, daß der Krausener Bach als solcher nicht mehr bestehe, daß vielmehr die Abwässer von Wald aus der Kanalisation der Gegend Stadion, Turnhalle, Baustraße unterhalb Krausen ungeklärt in den Krausener Bach flössen. »Wir fanden, daß die schlimmste schmutzige Brühe am Ittertaler Tannenpark durch den Krausener Bach der Itter zugeführt wird.«" [Weber 4/1974]

Im "Führer durch Ohligs und Umgebung", ca. 1928 von Stadtverwaltung und Verkehrs-Verein Ohligs herausgegeben, ist davon natürlich nichts zu lesen:

"Wo das Tal breiter wird, erreichen wir die Ortschaft Unten-Itter und den Ausflugsort 'Ittertaler Tannenpark'. Von hier können wir weiter wandern nach Haan, oder über das auf Walder Gebiet gelegene sehr schöne Ittertaler Strandbad nach Wald und Gräfrath. Auch können wir vom Strandbad oder schon vom Ittertaler Tannenpark aus auf der anderen Talseite zurück nach Ohligs gelangen." [S. 67]



 
Die Gaststätte Ittertaler Tannenpark
in Unten-Itter gibt es nicht mehr. Um 1928 war Heinrich van Holt der Inhaber. Das Haus steht noch.
Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen
 

Herbert Weber beschreibt in seinem Aufsatz das weitere Vorgehen und das befremdliche Argumentieren der Prozessbeteiligten. Erschreckend sind m.E. nicht nur die festgestellten Zustände, sondern auch das völlige Fehlen einer (gemeinsamen) Suche nach Problemlösungen.

"Die Itter wurde bis oberhalb Bausmühle besichtigt. Im Nümmener Bach entdeckte man neben ungeklärten Hausabwässern säurehaltige Abwässer einiger Gräfrather Firmen, von denen eine auch vorher schon zum Schadensersatz gegen einen Wasserradbesitzer an der Bausmühle verurteilt worden war. Vom Landgericht wurde am 22. Mai 1930 die Erstellung eines Gutachtens über den verschmutzten Zustand der Itter angeordnet.

Bei einer Ortsbesichtigung auf dem Gelände der Beklagten wurde festgestellt, daß nicht alle Abwässer die Kläranlage durchflossen, sondern zum Teil in einen Nebenbach der Itter, der auch stark verschmutzt war, eingeleitet wurden. Die starke Verschmutzung des Krausener Baches wurde bei der Besichtigung ebenfalls bestätigt. Dazu heißt es in einer städtischen Stellungnahme:

»Es wird sich nicht umgehen lassen, daß die Stadt Solingen zur Reinigung dieser Hausabwässer in Solingen-Wald irgend etwas unternimmt, denn der Krausener Bach kann bei solch geringem natürlichem Wassergehalt irgendwie als Vorfluter gar nicht in Frage kommen.«

  Vorflut, Möglichkeit eines Wassers, mit natürl. Gefälle oder durch künstl. Hebung abzufließen, um eine ausreichende Entwässerung zu schaffen. Vorfluter sind natürl. oder künstl. Gewässer, die ober- oder unterirdisch zufließendes Wasser aufnehmen und abführen. [Brockhaus 1996]

Der bestellte Gutachter, der allerdings von der beklagten Firma wegen Befangenheit abgelehnt wurde, ermittelte, daß die mineralische Verunreinigung der Itter aus Eisenbeizereien des Ohligser Gebietes kam."

  Eisenbeize, in der Färberei benutztes salpetersaures und essigsaures Eisen. [Beckmann]

"Sie setzte sich als Kalk- und Eisenschlamm ab. Von anderer Seite kommende Fäkal- und Hausabwässer bewirkten zusammen mit den Beizereiabwässern Umsetzungen, welche Verfärbungen und Geruchsbelästigungen herbeiführten. »Der Schlamm nimmt hierbei durch Bildung von Schwefeleisen eine tiefschwarze Farbe an.« Bei einem weiteren Gutachten von anderer Seite wurde im wesentlichen das gleiche festgestellt.

In einer umfangreichen Erklärung der Kläger heißt es zu dem Widerspruch der Beklagten, die Itter sei ein Industriefluß, nach dem Wassergesetz gebe es kein allgemeines Recht, zum Nachteil anderer das Wasser zu verunreinigen.

Den anderen Einwand betreffend, die Verunreinigung rühre von anderen Oberliegern her, meinte man dann, damit nehme die Beklagte sozusagen für sich das Recht in Anspruch, daß der Itterbach ihr ungetrübt zufließe. »In Wirklichkeit fließt er ihr aber als natürlicher Vorfluter für eine ganze Reihe von Oberliegern zu, die im Rahmen ihrer Rechte, vielleicht auch darüber hinaus, Abwässer eingeleitet haben.

Übersteigen die Einleitungen der Oberlieger der Beklagten nicht das zulässige Maß, dann ist es füi die Beklagte zwar unangenehm, aber nicht zu ändern, wenn eine (auch noch so geringe) Einleitung ihrerseits das Faß zum Überlaufen bringt, das heißt eine Gesamtverunreinigung der Itter herbeiführt, die diese nicht mehr verdauen kann...«

Zu dem Ergebnis des Gutachtens über das Itterwasser erklärte die Firma, es würde geradezu eine Lahmlegung der meisten Industriebetriebe der hiesigen Gegend bedeuten, wenn ihre Abwässer nicht mehr durch die Flußläufe entfernt würden. Diese Bachläufe seien die Vorfluter der hiesigen Gegend. Dort, wo Industrie leben wolle, seien andere Anforderungen zu stellen als in einem Luftkurort."

[Weber 4/1974]


So sah also der Fortschritt aus. In den 1890er Jahren war das Ittertal in einer Werbeschrift mit den Worten präsentiert worden: "Das anerkannt milde Klima bietet Erholungsbedürftigen gesunden und heilkräftigen Aufenthalt." [Weber 3/1974]  Und da war es doch auch schon jahrhundertelang "Industriegebiet".

  Jedenfalls verwundert die Argumentation der beklagten Firma, denn in § 5 der Vorfluth- und Bachschauordnung vom 19.12.1896 heißt es: "Ferner ist verboten, den Wasserläufen das Wasser aus gewerblichen Anlagen, soweit dasselbe nicht den polizeilichen Anordnungen gemäß abgeklärt ist, sowie die Ausflüsse aus Dünger- und Abtrittsgruben, Kloaken und dergleichen zuzuleiten." Zwar dürften die geringen Strafen bei Zuwiderhandlung kaum abschreckend gewirkt haben, aber die Bestimmungen selbst sind eindeutig.

Wie der Prozess ausgegangen ist, ließ sich - so Weber - nicht ermitteln.

Jahrzehnte später entstand die Kläranlage Lochbachtal, 1962/64 baute der Itterverband die Kläranlage Ohligs. An der oberen Itter bemüht sich das Klärwerk Gräfrath des Bergisch-Rheinischen Wasserverbandes um sauberes Wasser. Womit wir im Jahr 2005 angekommen sind.



Quellen:
  • Caspers, Bruno: Itterverschmutzung in alten Zeiten. Hildener Jahrbuch (2005)
  • Lomberg (1928)
  • Niederbergische Beiträge Bd. 39 (NB)
  • Rosenthal 3. Bd. (1975)
  • Schneider (1900)
  • Stadtverwaltung und Verkehrsverein Ohligs (ca. 1928)
  • Strandbad Ittertal Wald - Rhld. (Prospekt o. J., zwischen 1919 und 1921?)
  • Weber, Herbert: Als im Nümmener Bach noch Fische schwammen. Die Heimat 11/1973
  • Weber, Herbert: Itterforellen mit Mottgeschmack. Prozesse wegen der Verunreinigung des Itterbaches. Die Heimat 03/1974 S. 9 f und 04/1974 S. 15
  • Weber, Herbert: Belästigung von Kaisers Riechorgan? Immer schon gab es Klagen über eine Verunreinigung der Itter. Kaiserbesuch machte Verantwortliche wach. Solinger Tageblatt vom 10.04.2006

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