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Die Weber in Haan und Hilden



"In der Entwicklung Haans zum blühenden Gemeinwesen hat wohl kein Berufsstand eine so bedeutsame Rolle gespielt, wie die handarbeitenden Seidenweber. ... es hat eine Zeit gegeben, da klapperten die Webstühle in jedem Hause, da widmete sich alles, was nicht in der Landwirtschaft tätig war, der Handweberei, da hing Haan tatsächlich am Seidenfaden." [Lomberg 1928 S. 178]

  "Am Seidenfaden" hingen auch einige meiner bergischen Vorfahren. Zwar waren fast alle "meine" frühen Mutz Schleifer, aber im 18./19. Jh. übten zwei Generationen auch den Beruf des Webers aus. In Haan lebten und arbeiteten sie auf dem Nachbarsberg. In Haan webten u.a. auch mein Urgroßvater Heinrich Winkels (1846-1918) und dessen Großvater Johann Wilhelm Faßbach (1785-1840). "Leineweber" und "Wollenweber" waren die Pieper in Mettmann und Wülfrath im 18. Jh. Viele Paten waren ebenfalls Weber.



Leinen- und Wollenweberei

Vorläufer der Seidenweberei war die Leinen- und Wollweberei. Ursprünglich nur für den Eigenbedarf betrieben, entwickelte sich die Weberei mit der Zeit zur Lohnarbeit. Lomberg vermutet, dass in Haan gewebt wurde, solange der Ort besteht, und das ist eine lange Zeit: Die ersten geschichtlichen Nachrichten über Haan stammen aus dem 7. Jh.

"Damals herrschten am Niederrhein und im Bergischen die Franken. Sie waren zu jener Zeit noch ein reines Bauernvolk, das alles, was es zum Leben nötig hatte, der eigenen Wirtschaft verdankte. Nicht nur bauten sie sich selbst die Häuser und fertigten das Hausgestühl, sondern stellten mit eigener Hand auch die Kleiderstoffe und Kleider her. Aus dem selbstgebauten Flachs und der Schafwolle gewannen sie die Gespinststoffe, welche von den Frauen und Mägden dann zu Kleiderstoffen verwebt wurden. Damals fehlten Spinnrad und Webstuhl in keinem Hause, selbst in dem Königsschlosse nicht. Der mächtige Kaiser Karl der Große ist es gewesen, der die Spinn- und Webarbeit noch besonders adelte und als allgemeinen Landesbrauch befestigte. Wie sein Biograph Einhard ausdrücklich erwähnt, pflegte er selbst nur Kleider zu tragen, die seine eigenen Töchter gesponnen und gewebt hatten.

Als sich später die Bevölkerung mehrte und zahlreiche Leute vom Lande in die Städte abwanderten, da fing man an, Leinen und Wolle auch über den Eigenbedarf anzufertigen und den Überschuß in den Handel zu bringen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit die Lohnarbeit. In den Städten taten sich Handelshäuser auf, die in Leinen und Wolle ein schwunghaftes Geschäft betrieben. Ein nicht geringer Teil dieser Lohnarbeiter blieb nach wie vor auf dem Lande wohnen.

So war es auch in Haan der Fall, das auf diese Weise 'ländlich Gewerbe mit Bürgererwerb paarte'. Unter der Firma Deus entwickelte sich hier auch ein Handelsgeschäft, das eine große Zahl von Handwebern in Nahrung setzte. Leider kam es unter den Kriegswirren der Napoleonischen Herrschaft zum völligen Erliegen. Die altherkömmliche Leinen- und Wollenweberei selbst aber hat sich hier bis tief in das 19. Jh. erhalten. Der alte Preuß im Zwengenberg ist wohl der letzte gewesen, der bis kurz vor seinem im Jahre 1886 erfolgten Tode breite Wolltücher webte.

[Lomberg 1928 S.178 f]

"Ebenso wie die Schleifer haben auch die Handweber die Haaner Wirtschaft von Anfang an bestimmt" schreibt Heinson und verweist auf die Steuerliste von 1724, in der drei Leineweber, sechs Wollspinner und zwei Wollweber aufgeführt sind:

  • Oberste-Honschaft: Jan ahn der Gathen als Bawmann [Bauer] und Leineweber.
  • Mittel-Honschaft: Christoff Krieckhausen und Peter Breit, Newbachten-Kirchen, als "Wullenweber",
  • Peter ahn der Linden, Jan Flascamp, Jan Buchmans Heussgen und Thilman Anger uffer Strasse als Wollspinner.
  • Unterste-Honschaft: Gerard in den Buck und Lutgen Haussgen als Leineweber und Maria Wittib Wülffings im Kaysersbusch als Wollspinnerin.
[Heinson S. 152 f]


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Seidenindustrie im 18. Jahrhundert

Allmählich wurde die Leinen- und Wollweberei durch die aufstrebende Seidenindustrie verdrängt. Der Großindustrielle Christoph Andreae aus Mülheim am Rhein brachte sie in das Bergische Land. 1762 übernahm er das väterliche Geschäft und begann bald erfolgreich mit der Herstellung von Samt- und Seidenstoffen. [Lomberg S. 179]

In der Folgezeit entwickelte sich Elberfeld zu einem Zentrum der Textilindustrie. 1773/74 bestanden dort bereits drei Seidenfabrikationen: Simons, Weber und Funke. [Industriebericht von Hofkammerrat Fritz Jacobi zu Düsseldorf 1773/74]   1799 kam die Firma H.E. Schniewind dazu. Dass in den Textilfabriken des Wuppertals zahlreiche Kinder beschäftigt wurden, sei hier nur am Rande erwähnt.

  Zur Kinderarbeit im 18./19. Jahrhundert insbes. im Bergischen Land und im Rheinland



Arbeitgeber in Elberfeld, Langenberg u.a.

Die Haaner Handweber wandten sich zunehmend der Seidenfabrikation zu und begannen für die Elberfelder Firmen zu arbeiten. Lomberg nennt hier die Häuser Hofbauer, Glanz, Schmidt, Simons, Meckel, H.E. Schniewind, Reimann & Meyer, Fudickar & Simmer.

Sie arbeiteten aber auch für Unternehmen in Langenberg (heute zu Velbert), wo Heinrich Lukas Hoddick schon um 1770 die Seidenindustrie eingeführt hatte. Langenberger Auftraggeber waren die Firmen Gebr. Colsmann, Conze & Colsmann, Hoddick & Colsmann, Hoddick & Fudickar, Köttgen & Müller. Hinzu kamen die Firmen Neviandt in Mettmann, Kampf & Spindler in Hilden, Stein in Osterrath sowie Deus & Öttker in Krefeld. Die letztgenannte Firma beschäftigte zeitweise allein 400 Weber in Haan. [Lomberg 1928 S. 179]

So mussten die Weber oft weite Wege zurücklegen, um ihre Waren in den Seidenfabriken abzuliefern. Zu dieser Gelegenheit trugen sie ihre Berufskleidung: einen blauen Kittel und eine hohe seidene Mütze. Unter dem Arm trugen sie den Putzbaum mit den abzuliefernden fertigen Stücken, und auf dem Rücken einen Sack mit den leeren Bobinen [Spinnradspulen], die sie mit dem beim Fabrikanten aufgewickelten Garn wieder zurück zu ihrem Webstuhl nahmen.

Später konnte die fertige Ware am Bahnhof auf der Quallerheide (Gruiten) abgegeben werden. Erst um 1890 gab es an der Walder Straße eine Art Fuhrgeschäft für die Handwerker, und einzelne auswärtige Fabrikanten unterhielten auch Ablieferungsstellen in Haan. So bestand auf der Bahnhofstraße eine 'Faktur' der Krefelder Firma Deus & Öttker, wo die Hausweber ihre für diese Firma bearbeiteten Webwaren abgaben und neue Arbeit erhielten.

In der beginnenden Textilindustrie sollen Angehörige der wohlhabenden Familie Deus eine führende Rolle gespielt und als Geschäftshäuser das Becherhaus (Kaiserstraße 47), das Haus Zum Dom (Walder Straße 1) und In der Krone (Walder Straße 4) errichtet haben. [Heinson S. 154 f]



2007   Weberdenkmal in Langenberg
 
An der Hauptstraße von Velbert-Langenberg steht das Denkmal des Seidenwebers mit seinem Lieferbaum. Der Sockel trägt neben der Angabe der Stifter folgende Aufschrift:

"DER HEIMSEIDENWEBER MIT DEM LEVERBOUM.
ZUR ERINNERUNG AN DIE ENTFALTUNG UND BEDEUTUNG DER SEIDENWEBEREIEN IN LANGENBERG."

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Die Handweber in Haan, 19. Jahrhundert

Mit der französischen Herrschaft im Bergischen Land (1806-1813) setzten auch für die Weber schwere Zeiten ein. Die Kontinentalsperre (Handelsblockade) gegen England wirkte sich verheerend aus. Ein neuer Aufschwung setzte ein, als nach Beendigung der Napoleonischen Kriege das Bergische Land 1813 unter preußisches General-Gouvernement kam. Beinahe jeder in Haan erlernte damals das Seidenweben.

Die Produktpalette: Bis in die 1840er Jahre wurde vorwiegend Seide in den buntesten Farben gewebt, um daraus Halstücher, Westen, Hemden mit Kragen und Taffettücher herzustellen. "Das bunte Taffettuch, das um die Schultern geschlagen wurde, war der Stolz der damaligen Frauen, und eine Familie galt als reich, die sich solchen Aufwand leisten konnte." Mit zunehmendem Wohlstand kam die schwere schwarze Seide auf. "Von den Frauen wurde nun das schwerseidene Staatskleid getragen, das ihnen große Würde verlieh, aber auch [...] das ganze Leben hindurch seine Dienste leisten mußte."

Als weitere Erzeugnisse kamen der Turquoise- oder Rippstoff hinzu, die Faible (= Stoff für Schleier und Schärpen), der Köperstoff und der Satin oder Atlas, noch später der Ottoman (Stoff für Kleider und Mäntel) und der Royalstoff in uni (Stoff für Krawatten). [Lomberg  S. 180]



 
Um 1845
Aus dem Familienalbum:
Dame im Schwarzseidenen

1873 sollen in Haan um 2400 Webstühle gestanden haben; in manchen Häusern klapperten drei, vier oder mehr. Allein am Nachbarsberg mit seinen damals 13 Häusern wurde an über 40 Webstühlen gearbeitet.

Häufig arbeiteten Familienangehörige und auch die eigenen Kinder mit; manchen wurde schon vom siebten Lebensjahr an das Spulen übertragen. Mit Kinderarbeit nach unserem heutigen Verständnis hatte das nichts zu tun: Die Kinder wurden innerhalb der Familie spielerisch in die Arbeitsvorgänge einbezogen, wenn man Quellen und Überlieferung glauben darf. - Andere Webermeister stellten Lehrlinge und Gesellen ein. Weibliche Gesellen hießen Schottgesellen (Schott = der untere Teil des Kleides).

Die Lehrzeit des Webers dauerte in der Regel drei Jahre. "Wenn die Lehrlinge beim Meister wohnten, [...] bekamen sie außer Verpflegung von jedem verdienten Taler im ersten Jahre 30, im zweiten 40, im dritten 50-60 Pfennig, bei guter Leistung auch wohl etwas mehr. Wohnten sie außer dem Hause, so erhielten sie die Hälfte des Verdienstes, mußten aber auch die Hälfte der Unkosten (Lieferung, Bäumen der Ketten, Spulen, Licht) tragen. Ein Geselle, der beim Meister wohnte, erhielt ein Drittel, außerhalb des Hauses zwei Drittel vom Verdienst, abzüglich seines Anteils an den Unkosten." [Lomberg S. 180]

Die Handweberei war - im Gegensatz zur Arbeit in den mechanischen Betrieben - ein freies, anspruchsvolles Handwerk, manchmal eigentlich ein Kunsthandwerk. Im Unterschied zum Fabrikarbeiter konnte sich der Heimarbeiter seine Arbeitszeit selbst einteilen und im eigenen Haus arbeiten.

Meist gehörte ein Garten zum Haus, der mit seinen Blumen, Gemüsepflanzen und Obstbäumen im Wechsel von den Familienangehörigen versorgt wurde. Den "alten Seidenwebern" verdankt Haan sein Erscheinungsbild als Gartenstadt. Bezeichnenderweise sind die meisten Gründer und die Mehrzahl der Mitglieder des 1882 gegründeten Niederbergischen Obst- und Gartenbauvereins Hausweber gewesen.

Und schließlich hatte der zu Hause arbeitende Handweber einen Vorteil, den sich heute mancher berufstätige Elternteil wünscht: Er konnte das Heranwachsen seiner Kinder miterleben. Allerdings: "Auch ihre Arbeit rief schwere gesundheitliche Schäden hervor (Skelettveränderungen und Magenleiden)." [Koll S. 21]




Weberfamilie Gottlieb Mutz

Bei meinem Urgroßvater, dem Seidenweber Gottlieb Mutz (1839-1912), waren es sechs Töchter und drei Söhne, mit denen er und seine Frau Martha geb. Pieper sich das Weberhaus auf dem Nachbarsberg 35 und später im Wiedenhof 2 teilten. Wie die Weberfamilie Mutz dort lebte, hat Wolfgang Niederhagen, der das Haus Wiedenhof 2 heute (2002) bewohnt, in seinem Buch "Auf Schritt und Tritt" nach Erinnerungen der jüngsten Tochter meines Urgroßvaters skizziert:

Wolfgang Niederhagen: Weber

"Seidenweber waren keine wohlhabenden Leute, denn es gab viel Konkurrenz und die Fabrikanten in den nahem Städten (die meisten Weber lieferten ins fromme Tal an der Wupper), welche die Seide weiterverarbeiteten, drückten die Preise erbarmungslos. Trotzdem hatte es unser Weber geschafft, dieses kleine Haus zu errichten, in dem das größte und hellste Zimmer dem mühsamen Gewerbe diente. [...]

Neun Kinder hatte der Meister zu ernähren, das ging nur, wenn man viel Selbstversorgung betrieb und alle mithalfen in Haus, Stall und Garten, aber auch in der Webstube. Im Keller war der Ziegenstall, man hielt in Käfigen Kaninchen und im Baumhof scharrten die Hühner. Die Gartenbestellung und Tierversorgung oblag der Mutter und den Kindern, denn der bis in die Nacht arbeitende Vater mußte grobe Arbeit meiden, seine Hände glatt und geschmeidig halten, um so die empfindliche schwarze Schirmseide auf seinem Stuhl nicht zu beschädigen.

Kohl war das Hauptnahrungsmittel, mittags warm und abends kalt aufs derbe Brot. Fleisch gab es nur am Sonntag, aber auch nicht immer. Es waren Festessen, zu denen sich der Vater auch mal ein Bier gönnte. Im Sommer gingen die Kinder barfuß zur Schule, im Winter trug man Blotschen. Die Familie hockte meist in der kleinen Küche zusammen, die direkt neben der Webstube lag. Im Flur, aus dem eine steile Treppe nach oben führte, stand eine Pumpe mit mächtigem Schwengel, sie förderte das Wasser aus dem nahegelegenen Brunnen. [...] Alle schliefen in den drei kleinen Zimmern unter dem mit Heu gefüllten Speicher, immer mehrere in einem Bett, dichtgedrängt wie Mäuse im engen Nest."

[Niederhagen 1999 S. 102 ff]

Von den 'Mutz' meiner Linie sind nur zwei Generationen Weber gewesen: Gottlieb und sein Vater Ludwig, der 1811 "auf dem Feld" in Wald geboren wurde. Alle anderen waren Schleifer.



 
Das von Gottlieb Mutz um 1877 
für sich und seine Familie
erbaute Weberhaus Wiedenhof 2



Der Liefertag

Wie ein Liefertag der Haaner Handweber idealerweise vonstatten ging, schildert August Lomberg im Haaner Heimatbuch. Ob die Handwerker diese weiten Fußwege mit ihrer empfindlichen Ware bei Wind und Wetter so poetisch erlebt haben, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht waren sie doch ganz froh, als es später andere Transportmöglichkeiten gab. Von Lieferfrauen ist bei den Webern - anders als bei den Solinger Schleifern - meines Wissens nichts überliefert.


"Der Seidenweber lieferte ursprünglich seine Fertigware selber ab. Der Liefertag galt allgemein als Feiertag, an dem der Webstuhl still stand. Der Bedeutung des Tages entsprechend, warf sich der Weber in seinen langschößigen schwarzen Tuchrock. Darüber zog er den blauen Kittel der auf der Brust und an den Achseln mit feiner Stickerei verziert war. War das Wetter unfreundlich, so versah er sich mit einem Halstuch, dessen Zipfel munter im Winde flatterten. Die hohe Seidenkappe, oft auf dem linken Ohr getragen, vervollständigte die Ausstattung. Wohlgefällig musterte die Frau den ausstaffierten Ehegatten.

Jetzt holte der Mann das Putzbäumchen herbei, worauf die fertige Seide saß, hing den Liefersack mit den leeren Bobinen und den Einschlagresten daran und schwang beides über die Schulter. Dann nahm er den derben Knotenstock zur Hand, der ihm als Stütze und wenn nötig auch als Verteidigungswaffe diente. Der Weg nach Elberfeld war weit, wurde aber hin und her zu Fuß zurückgelegt. Ein ganzer Tag ging dazu. Aber Langeweile kam nicht auf; denn selten pilgerte einer allein. Man wusste es immer so einzurichten, dass die richtige Gesellschaft beisammen war.

Obgleich die Lieferanten zu früher Stunde aufbrachen, trafen sie auf dem Kontor in der Regel schon einige Zunftgenossen an, die ebenfalls liefern wollten und nun auf dem 'Bönnschen' (Vorraum) paßten, bis sie 'drankamen'. Es hieß also, hübsch die Reihe inne zu halten und sich ein wenig in Geduld zu wappnen. Endlich ging die Klingel, und es öffnete sich die Tür zur Wiegekammer. Jetzt trat ein gefürchteter Moment ein. Das fertige Stück Seide wurde nämlich durch einen Werkmeister, der für etwaige Schussfehler und sonstige Mängel einen scharfen Blick hatte, sorgfältig gemustert. Er warf das Stück hin und her, besah es von hinten und von vorne, hielt es gegen das Licht und bewaffnete nicht selten noch sein Auge mit einer scharfen Lupe. Spattenkieker (Spatte = Webfehler) nannte man diesen gestrengen Kontrolleur.

Da etwaige Beanstandungen durch empfindliche Lohnabzüge gebüßt wurden, so kam es öfters zu heftigen Auseinandersetzungen, wobei den Betroffenen wohl das Blut in den Kopf schoß. Nachdem noch die richtige Schuß- und Ellenzahl festgestellt war, ging endlich die Kontrolle zu Ende. Der Werkmeister 'pröttelte' noch etwas; dann aber erhielt der Weber seinen wohlverdienten Lohn. Ehe er abzog, wurde ihm eine neue Kette eingehändigt, die auf einem Kettstock saß; auch frischen Einschlag erhielt er, womit er den geleerten Liefersack wieder auffüllte.

Das schöne Stück Geld, das in der Tasche klimperte, nicht minder auch die Auslagen in den großen Schaufenstern waren zu verlockend, um in der Stadt nicht auch einige Einkäufe zu machen. Da der Weber in seinem Hause die kleinen Ausbesserungen alle selber machte, so benötigte er nicht selten ein neues Handwerksgerät. War er ein Bücherfreund, so versorgte er sich auch mit dem ihm zusagenden Lesestoff. Auch die Frau daheim mußte bedacht werden, etwa mit einem bunten Kopftuch oder einer neuen Schürze. Nicht zu vergessen die Kinder, für welche die versprochenen Korinthenbrötchen eingekauft wurden.

Nun ist ja nicht aller Tage Liefertag. Also galt es, dem Tag zu Ehren auch Einkehr zu halten in einem Wirtshause. Man wollte sich nach den ausgestandenen Mühen doch auch einmal gütlich tun. Um ein Absteigequartier brauchte man nicht verlegen zu sein; denn als solches galt von jeher der Pillschür (Pillscheuer), das älteste Wirtshaus der Stadt, dicht am Markt gelegen. Hier fanden sich die Handwerksgenossen denn auch in großer Zahl ein. Es wurde ein Imbiß verzehrt, wobei ein guter Tropfen nicht fehlen durfte. Dann wurden die kleinen Tageserlebnisse ausgetauscht. Die vorgerückte Stunde mahnte bald zum Aufbruch. Man hockte den Liefersack auf und nahm wieder den Weg zwischen die Beine. Die daheim warteten schon und guckten neugierig auf die Straße; die kleinen Jungen gingen dem Vater wohl auch ein Stück Weges entgegen. Endlich traf der Ersehnte ein, dem ein herzlicher Empfang zuteil wurde.

Später kam das Botenfuhrwerk auf, welches das Liefergeschäft wesentlich erleichterte. Aber es nahm auch ein gut Stück Poesie aus dem Weberdasein mit hinweg."

[Lomberg 1928 S. 161 f]




Rückgang der Hausweberei in Haan

In der sog. Vooshött an der Kaiserstraße 43, im Hof hinter der früheren Metzgerei und Wirtschaft Vogelskamp gelegen, betrieb Weber Richartz in der ersten Hälfte des 19. Jh. die erste Maschinenweberei Haans.

Während in Haan die Handweberei Hochkonjunktur hatte, siedelte sich hier auch die Textilindustrie an, was nicht ohne Auswirkungen blieb.

"Das Aufkommen mechanischer Webereien in der 2. Hälfte des 19. Jh. ließ die Lage der bergischen Hausweber immer schwieriger werden. Auch andere, neu aufblühende Industrien mit besseren Verdienstmöglichkeiten trugen dazu bei, daß allmählich die meisten Hauswebstühle stillgesetzt wurden." [Münch S. 38]   Nur noch Wenige erlernten die Handweberei - es lohnte sich wegen der drastisch gesunkenen Löhne nicht mehr. Viele Handweber wechselten in den 1880er Jahren in die besser bezahlende Metallindustrie oder in die mechanischen Textilfabriken.

1885 befaßte sich ein 'Allgemeiner Webertag sämtlicher Weber des Bergischen Landes' in Wuppertal mit der Notlage der Weber. Es wurde darüber geklagt, daß der Verdienst um 40-60 % gegenüber dem Jahr 1850 gefallen, Lebensmittel und Mieten hingegen um das Doppelte gestiegen seien." [Münch S. 38]

Anfang des 20. Jh. bildeten die Weber nach den Schleifern die zweitgrößte Gruppe der Heimarbeiter in Haan. [Koll S. 21] Beim Vergleich mit den Schleifern merkt Koll an, dass sie anscheinend politisch weniger aktiv und radikal gewesen sind.

1920 gab es in Haan noch 150 Handweber, zumeist "Arbeitsveteranen". Am 19. März 1927 wurde zu Ehren derer, die über 60 Jahre lang ihr Handwerk ausübten (!), ein Fest in der Turnhalle veranstaltet. Geehrt wurden die Herren


Julius Breider (84 J.)
Ernst Busch (78 J.)
Friedrich Butz (77 J.)
Wilhelm Butzmühlen (77 J.)
Wilhelm Dörner (77 J.)
Robert Gräfrath (77 J.)
Wilhelm Hochkeppel (78 J.)
Wilhelm Koch (79 J.)
Wilhelm Kretzberg (79 J.)
Robert Küpper (79 J.)
Reinhard Longerich (78 J.)
Julius Tückmantel (81 J.)
Ferdinand Uellendahl (85 J.)

[Lomberg 1928 S. 182]



Die letzten Handweber in Haan

Einer der letzten Handweber in Haan war der 1869 geborene Wilhelm Just. 1909 ist er noch Bierhändler gewesen und wohnte in der Horststraße, muss sich dann aber aufs Weben verlegt haben: 1916 wird er in seinem Soldbuch als Seidenweber bezeichnet. Erst 1949 - im Alter von 80 Jahren! stellte das Handweben ein. Sein Webstuhl stand in einem alten Schieferhaus an der Bahnhofstraße, kurz vor der Einmündung Böttingerstraße. Ein weiterer Weber, Herr Forsthoff, war um diese Zeit ebenfalls noch in seiner Wohnung in der Luisenstraße tätig. Beide arbeiteten für die Firma Colsmann.


Weber
 
Weber

Handweber Wilhelm Just an seinem Webstuhl. Das enge, niedrige Zimmer war, wie früher üblich, zugleich Arbeitsraum und Wohnstube.
Bild-Quelle: © Fam. Ostermann

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Die Weber in Hilden, 19. Jahrhundert

In Hilden wie auch in anderen bergischen Städten ringsum lagen die Verhältnisse ähnlich wie in Haan. Edmund Kurschildgen († 1946) beschreibt in seinen Jugenderinnerungen, wie die Arbeitsteilung in den Weberfamilien funktionierte und auf welche Weise Familie und Beruf miteinander vereinbart wurden:


"In den ländlichen Bezirken von Hilden gab es früher viel Handwebstühle. Insbesondere war das auch auf der Nordseite der Fall. Meist wurden Seidentücher und Baumwollstoffe gewebt. Dabei mußte die ganze Familie mithelfen. Der Mann saß hinter dem Webstuhl, die Frau machte die Webspulen zurecht, wobei ihr die älteren Kinder halfen. Wenn die Frau spulte und mit dem einen Fuß das Rad antrieb, mußte sie mit dem andern vielfach noch eine Kinderwiege in Bewegung halten; denn die Ehen waren damals fast immer kinderreich.

Die Kinder mußten die tägliche Hausarbeit machen: das eine schälte Kartoffeln, das andere wusch ab, das dritte mußte Holz und Kohlen hereinholen usf. Es war genau festgelegt, was jedes Kind zu machen hatte. So lernte ein jeder früh, zu arbeiten und einen Pflichtenkreis zu haben.

Die Hausweber arbeiteten für einen Verleger; diese wohnten zumeist in Elberfeld. An einem bestimmten Wochentag fuhr der Hauderer Peter Giesen mit seinem Huffwagen (d.i. ein mit Zelttuch überdachter Wagen) nach Elberfeld und nahm die fertigen Stücke der Hausweber mit. Wenn er zurückkam, brachte er neue Webketten mit, aber auch das Geld für die abgelieferte Ware. Das war immer ein Festtag für die Weberfamilien.

Peter Giesen hatte auch einen kleinen Kramladen, einen 'Winkel', wie man damals in Hilden sagte. Ein Teil des Verdienstes der Weber blieb gleich in diesem Laden hängen, denn es wurde von den Frauen, wenn sie das Geld holten, gleich das Nötigste eingekauft. An diesem Tag wurden 10-12 Brötchen gekauft, auch Wurst wurde geholt.

Sonst war das Leben der Hausweberfamilien recht dürftig, denn es wurde für die Arbeit zu wenig bezahlt. Von dem geringen Lohn konnten die Weber, zumal wenn sie mehrere Kinder hatten, kaum etwas sparen. Mitunter, wenn ein Auftrag drängte und das Stück noch mit der nächsten Fuhre nach Elberfeld sollte oder man dringend Geld brauchte, kam es vor, daß der Hausweber eine ganze Nacht durcharbeiten mußte.

Als die Maschine sich immer mehr durchsetzte, wurde die Hausweberei allmählich verdrängt. Ein Handwebstuhl nach dem andern wurde stillgelegt, und die Weber mußten, manche noch in ihren alten Tagen, zur Fabrik gehen.

Als die Hummelster-Fabrik [Gesellschaft für Baumwollindustrie] in ihrer größten Blüte stand, fiel auch für die Frauen ein Stück Heimarbeit ab. Das Säumen der Taschentücher, die mit einfachen Mustern bedruckt waren, wurde nämlich als Heimarbeit ausgegeben. Diese Arbeit bekamen meistens die Frauen der Männer, die auf der Hummelster-Fabrik arbeiteten. Die Nähmaschinen mußten die Heimarbeiter sich selbst anschaffen. Sie bekamen sie ohne Anzahlung von Singers Nähmaschinenfabrik dahingestellt. In gewissen Zeitabständen kam dann der Vertreter dieser Fabrik und zog die Abzahlungsraten ein, bis die Maschine ganz bezahlt war."

[Kurschildgen S. 375-377]



2002   Weberdenkmal in Hilden
 
Weberdenkmal in Hilden,
Berliner Straße / Ecke Hochdahler Straße:
Karl Hasbach, letzter Handweber
der Paul-Spindler-Werke KG,
als er 1913 sein letztes Stück ablieferte.

Die Bronzeplastik (von R. Zieseniss, Duesseldorf) war zunächst 1929 im Vorgarten des Verwaltungsgebäudes der Firma Kampf &
Spindler an der Klotzstraße aufgestellt worden.

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Mechanische Webereien in Haan

Textilfabrik Jung & Simons

1867 errichtete die Firma Jung & Simons aus Elberfeld in Haan auf dem Gelände Schallbruch / Holthausen (Elberfelder Straße 59-65) die erste mechanische Weberei. Hergestellt wurden hauptsächlich baumwollene und halbwollene Futterstoffe. 1885 waren dort 322 Webstühle in Betrieb. Harro Vollmar berichtet:

"Auf dem ehemaligen Gelände des Holthausener Landwirtes Thienhaus wurde im Jahre 1867 eine Textilfabrik, eine mechanische Weberei mit 155 Webstühlen errichtet. [...]

Diese Industrie-Ansiedlung war nicht etwa Zufall. Nun endlich bekamen die Haaner ihr Know-how aus den letzten Jahrhunderten bezahlt, denn nur in einer Gemeinde wie Haan, in der hunderte ja zuletzt tausende von Handwebstühlen betrieben wurden, fanden sich ausreichend handwerklich geschulte Facharbeiter, einen solchen Industriebetrieb in Gang zu bringen. Viele Haaner Bürger verließen die Webstühle auf ihren einsamen Höfen oder in den Haaner Zentren wie 'Alter Kirchplatz', 'Zur Straßen' (= Kaiserstraße) und 'Jülicherland' [...], um ihre inzwischen mangelhaft bezahlte Selbständigkeit aufzugeben und in der Industrie einen leidlich sicheren Arbeitsplatz zu besetzen.

Noch im Gründungsjahr wurde im Betrieb Jung & Simons die erste Haaner Gasometereinrichtung zur Lichtversorgung erbaut. Die Webstühle wurden von einer Dampfmaschinenzentrale mit Kesselhaus angetrieben. Anläßlich einer Regulierung des Hühnerbaches, dessen Wasser im Betrieb industriell genutzt werden mußte, errichtete man 200 Meter unterhalb des Werksgeländes eine heute nicht mehr vorhandene Badeanstalt im Bereich des Gutes 'Höfgen'.

1890 führte man die elektrische Beleuchtung ein mittels eigener Akkumulatorenanlage. 1899 wurde ein Arbeiterinnen-Wohnheim erbaut (das Gebäude steht heute noch mit Jahreszahl am Giebel) für 80 Weberinnen.

Am 1. Januar 1945 wurden die Fabrikationsanlagen nahezu völlig zerstört. Noch im gleichen Jahr begann trotz der widrigen Umstände der Wiederaufbau und die Beseitigung der Bombenschäden. Erst im Jahre 1948 hatte der Betrieb fast wieder seine volle Leistung. 1958 wurden bei Jung & Simons etwa 750 Belegschaftsmitglieder beschäftigt.

In den Jahren 1975/76 kam die Produktion infolge Wettbewerbsverschärfung durch überwiegend ausländische Konkurrenz in Niedriglohngebieten zum Erliegen. 1976 mußte Konkurs angemeldet werden. Seit 1978 begann der teilweise Abbruch der Werkanlagen bzw. der Umbau zur Gründung einer neuen Industriestruktur. [...] Sehr zu Recht erinnert der 'Carl-August-Jung-Platz' in Haan an das Wirken des kreativen Mitbegründers der Firma Jung & Simons."

[Vollmar]


Carl August Jung
 
Geh. Kommerzienrat
Carl August Jung
(1842-1911)
 



Seidenweberei H. E. Schniewind

Die 1799 in Elberfeld gegründete Firma Schniewind konnte sich insbesondere nach dem Krieg 1870/71 erfolgreich durch den Einsatz von Handwebstühlen entwickeln, auf denen glatte und gemusterte Gewebe hergestellt wurden. Damals beschäftigte sie 1700 Handweber, davon allein 800-900 in Haan.

In Haan entstand 1884 dann auch die mechanische Seidenweberei H.E. Schniewind an der Dieker Straße 26. 1928 war sie Haans größtes Industrieunternehmen. August Lomberg schreibt:

"Nachdem die Baumwoll-, Leinen- und Wollindustrie sich bereits seit Jahren mit unverkennbarem Erfolge des mechanischen Webstuhls bedient hatte, fand dieser Ende der siebziger [1870er] Jahre auch in der Seidenweberei Eingang. Die Firma gründete in Haan ihre erste mechanische Seidenweberei und setzte sie im Jahre 1884 in Betrieb. Die Fabrik entwickelte sich außerordentlich schnell; sie beschäftigte, nachdem das Werk innerhalb weniger Jahre verdoppelt und verdreifacht worden, über 600 Arbeiter und Angestellte. Diese Entwicklung wurde durch die weitsichtige Einführung der Verdol-Jaquard-Maschine für gemusterte Gewebe herbeigeführt.

Nachdem die Firma weitere mechanische Webereien in Birgden, Viersen und Beek gegründet hatte, nahm sie 1902 auch die Fabrikation seidener Bänder auf, die nun ebenfalls in Haan heimisch wurde. Neben vielen Hunderten von heute alle elektrisch angetriebenen Webstühlen liefen dort bis vor kurzem auch eine größere Anzahl Bandstühle.

Leider warfen die Ungunst der Mode und vor allen Dingen der Bubikopf die Bandwirkerei so zurück, daß diese im Jahre 1927 in Haan wieder aufgegeben werden mußte. An ihrer Stelle wurde eine größere Lehrwerkstätte zur Ausbildung von Facharbeitern eingerichtet, die bereits im ersten Lehrjahr 33 Weberlehrlinge aufnahm. Die Haaner Fabrik, deren Grundfläche etwa 10 000 qm umfaßt, stellt fast alle Artikel her, die der Markt verlangt, so besonders Kleider- und Blusenstoffe, Konfektions- und Futterstoffe, Krawattenstoffe, sowie viele Exportartikel, die in allen Erdteilen abgesetzt werden. Eine große Anzahl von Angestellten und Arbeitern sind bei der Firma 25 Jahre und länger beschäftigt, darunter 14 über 40 Jahre."

[Lomberg 1928 S. 183]

Das Haaner Werk wurde 1932 Hauptsitz der Firma Schniewind mit einer Werksgrundfläche von 13.000 qm.

1974 schloss der Betrieb, 1975 wurden die Werksanlagen abgerissen. Der Unterbau des ehemals 33 Meter hohen Schornsteins erinnert mit einer Informationstafel an das Unternehmen. Das ehemalige Werksgelände wurde 1984 von einer Wohnungsbaugesellschaft erworben und mit 253 Wohnungen neu bebaut.


Heinrich Ernst Schniewind
Heinrich Ernst Schniewind (1813-95)
 
Dieker Straße
Das frühere Werksgelände der Firma Schniewind an der Dieker Straße vor der Neubebauung. Hinten das erste Haaner "Hochhaus" an der Diekermühlenstraße.


Quellen:
  • Heinson (1959)
  • Kurschildgen, Edmung: Jugenderinnerungen eines alten Hildeners. Hildener Jahrbuch 1953-55, S. 374-388
  • Lomberg (1928)
  • Münch (1988)
  • Niederhagen (1999)
  • Ostermann, Elke (AK, 2007)
  • Thun (1879)
  • Vollmar: Häuser und Höfe

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