www.ZeitSpurenSuche.de |
"In der Entwicklung Haans zum blühenden Gemeinwesen hat wohl kein Berufsstand eine so bedeutsame Rolle gespielt, wie die handarbeitenden Seidenweber. ... es hat eine Zeit gegeben, da klapperten die Webstühle in jedem Hause, da widmete sich alles, was nicht in der Landwirtschaft tätig war, der Handweberei, da hing Haan tatsächlich am Seidenfaden." [Lomberg 1928 S. 178]
|
Leinen- und WollenwebereiVorläufer der Seidenweberei war die Leinen- und Wollweberei. Ursprünglich nur für den Eigenbedarf betrieben, entwickelte sich die Weberei mit der Zeit zur Lohnarbeit. Lomberg vermutet, dass in Haan gewebt wurde, solange der Ort besteht, und das ist eine lange Zeit: Die ersten geschichtlichen Nachrichten über Haan stammen aus dem 7. Jh.
"Damals herrschten am Niederrhein und im Bergischen die Franken. Sie waren zu jener Zeit noch ein reines Bauernvolk, das alles, was es zum Leben nötig hatte, der eigenen Wirtschaft verdankte. Nicht nur bauten sie sich selbst die Häuser und fertigten das Hausgestühl, sondern stellten mit eigener Hand auch die Kleiderstoffe und Kleider her. Aus dem selbstgebauten Flachs und der Schafwolle gewannen sie die Gespinststoffe, welche von den Frauen und Mägden dann zu Kleiderstoffen verwebt wurden. Damals fehlten Spinnrad und Webstuhl in keinem Hause, selbst in dem Königsschlosse nicht. Der mächtige Kaiser Karl der Große ist es gewesen, der die Spinn- und Webarbeit noch besonders adelte und als allgemeinen Landesbrauch befestigte. Wie sein Biograph Einhard ausdrücklich erwähnt, pflegte er selbst nur Kleider zu tragen, die seine eigenen Töchter gesponnen und gewebt hatten.
"Ebenso wie die Schleifer haben auch die Handweber die Haaner Wirtschaft von Anfang an bestimmt" schreibt Heinson und verweist auf die Steuerliste von 1724, in der drei Leineweber, sechs Wollspinner und zwei Wollweber aufgeführt sind:
|
Seidenindustrie im 18. Jahrhundert
Allmählich wurde die Leinen- und Wollweberei durch die aufstrebende Seidenindustrie verdrängt. Der Großindustrielle Christoph Andreae aus Mülheim am Rhein brachte sie in das Bergische Land. 1762 übernahm er das väterliche Geschäft und begann bald erfolgreich mit der Herstellung von Samt- und Seidenstoffen. [Lomberg S. 179]
|
Arbeitgeber in Elberfeld, Langenberg u.a.
Die Haaner Handweber wandten sich zunehmend der Seidenfabrikation zu und begannen für die Elberfelder Firmen zu arbeiten.
Lomberg nennt hier die Häuser Hofbauer, Glanz, Schmidt, Simons, Meckel, H.E. Schniewind, Reimann & Meyer, Fudickar & Simmer.
Später konnte die fertige Ware am Bahnhof auf der Quallerheide (Gruiten) abgegeben werden. Erst um 1890 gab es an der Walder Straße eine Art Fuhrgeschäft für die Handwerker, und einzelne auswärtige Fabrikanten unterhielten auch Ablieferungsstellen in Haan. So bestand auf der Bahnhofstraße eine 'Faktur' der Krefelder Firma Deus & Öttker, wo die Hausweber ihre für diese Firma bearbeiteten Webwaren abgaben und neue Arbeit erhielten.
|
2007 Weberdenkmal in Langenberg |
|
An der Hauptstraße von Velbert-Langenberg steht das Denkmal des Seidenwebers mit seinem Lieferbaum. Der Sockel trägt neben der Angabe der Stifter folgende Aufschrift:
"DER HEIMSEIDENWEBER MIT DEM LEVERBOUM. ZUR ERINNERUNG AN DIE ENTFALTUNG UND BEDEUTUNG DER SEIDENWEBEREIEN IN LANGENBERG." |
Die Handweber in Haan, 19. Jahrhundert
Mit der französischen Herrschaft im Bergischen Land (1806-1813) setzten auch für die Weber schwere Zeiten ein. Die Kontinentalsperre (Handelsblockade) gegen England wirkte sich verheerend aus.
Ein neuer Aufschwung setzte ein, als nach Beendigung der Napoleonischen Kriege das Bergische Land 1813 unter preußisches General-Gouvernement kam. Beinahe jeder in Haan erlernte damals das Seidenweben.
|
|
|
Um 1845 Aus dem Familienalbum: Dame im Schwarzseidenen |
1873 sollen in Haan um 2400 Webstühle gestanden haben; in manchen Häusern klapperten drei, vier oder mehr. Allein am Nachbarsberg mit seinen damals 13 Häusern wurde an über 40 Webstühlen gearbeitet.
|
Weberfamilie Gottlieb MutzBei meinem Urgroßvater, dem Seidenweber Gottlieb Mutz (1839-1912), waren es sechs Töchter und drei Söhne, mit denen er und seine Frau Martha geb. Pieper sich das Weberhaus auf dem Nachbarsberg 35 und später im Wiedenhof 2 teilten. Wie die Weberfamilie Mutz dort lebte, hat Wolfgang Niederhagen, der das Haus Wiedenhof 2 heute (2002) bewohnt, in seinem Buch "Auf Schritt und Tritt" nach Erinnerungen der jüngsten Tochter meines Urgroßvaters skizziert:
Von den 'Mutz' meiner Linie sind nur zwei Generationen Weber gewesen: Gottlieb und sein Vater Ludwig, der 1811 "auf dem Feld" in Wald geboren wurde. Alle anderen waren Schleifer. |
|
|
Das von Gottlieb Mutz um 1877 für sich und seine Familie erbaute Weberhaus Wiedenhof 2 |
Der LiefertagWie ein Liefertag der Haaner Handweber idealerweise vonstatten ging, schildert August Lomberg im Haaner Heimatbuch. Ob die Handwerker diese weiten Fußwege mit ihrer empfindlichen Ware bei Wind und Wetter so poetisch erlebt haben, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht waren sie doch ganz froh, als es später andere Transportmöglichkeiten gab. Von Lieferfrauen ist bei den Webern - anders als bei den Solinger Schleifern - meines Wissens nichts überliefert. |
"Der Seidenweber lieferte ursprünglich seine Fertigware selber ab. Der Liefertag galt allgemein als Feiertag, an dem der Webstuhl still stand. Der Bedeutung des Tages entsprechend, warf sich der Weber in seinen langschößigen schwarzen Tuchrock. Darüber zog er den blauen Kittel der auf der Brust und an den Achseln mit feiner Stickerei verziert war. War das Wetter unfreundlich, so versah er sich mit einem Halstuch, dessen Zipfel munter im Winde flatterten. Die hohe Seidenkappe, oft auf dem linken Ohr getragen, vervollständigte die Ausstattung. Wohlgefällig musterte die Frau den ausstaffierten Ehegatten.
Das schöne Stück Geld, das in der Tasche klimperte, nicht minder auch die Auslagen in den großen Schaufenstern waren zu verlockend, um in der Stadt nicht auch einige Einkäufe zu machen. Da der Weber in seinem Hause die kleinen Ausbesserungen alle selber machte, so benötigte er nicht selten ein neues Handwerksgerät. War er ein Bücherfreund, so versorgte er sich auch mit dem ihm zusagenden Lesestoff. Auch die Frau daheim mußte bedacht werden, etwa mit einem bunten Kopftuch oder einer neuen Schürze. Nicht zu vergessen die Kinder, für welche die versprochenen Korinthenbrötchen eingekauft wurden.
|
Rückgang der Hausweberei in Haan
In der sog. Vooshött an der Kaiserstraße 43, im Hof hinter der früheren Metzgerei und Wirtschaft Vogelskamp gelegen, betrieb Weber Richartz in der ersten Hälfte des 19. Jh. die erste Maschinenweberei Haans.
Anfang des 20. Jh. bildeten die Weber nach den Schleifern die zweitgrößte Gruppe der Heimarbeiter in Haan. [Koll S. 21] Beim Vergleich mit den Schleifern merkt Koll an, dass sie anscheinend politisch weniger aktiv und radikal gewesen sind.
|
Julius Breider (84 J.) Ernst Busch (78 J.) Friedrich Butz (77 J.) Wilhelm Butzmühlen (77 J.) Wilhelm Dörner (77 J.) Robert Gräfrath (77 J.) Wilhelm Hochkeppel (78 J.) |
Wilhelm Koch (79 J.) Wilhelm Kretzberg (79 J.) Robert Küpper (79 J.) Reinhard Longerich (78 J.) Julius Tückmantel (81 J.) Ferdinand Uellendahl (85 J.) [Lomberg 1928 S. 182] |
Die letzten Handweber in HaanEiner der letzten Handweber in Haan war der 1869 geborene Wilhelm Just. 1909 ist er noch Bierhändler gewesen und wohnte in der Horststraße, muss sich dann aber aufs Weben verlegt haben: 1916 wird er in seinem Soldbuch als Seidenweber bezeichnet. Erst 1949 - im Alter von 80 Jahren! stellte das Handweben ein. Sein Webstuhl stand in einem alten Schieferhaus an der Bahnhofstraße, kurz vor der Einmündung Böttingerstraße. Ein weiterer Weber, Herr Forsthoff, war um diese Zeit ebenfalls noch in seiner Wohnung in der Luisenstraße tätig. Beide arbeiteten für die Firma Colsmann. |
|
|
Handweber Wilhelm Just an seinem Webstuhl. Das enge, niedrige Zimmer war, wie früher üblich, zugleich Arbeitsraum und Wohnstube. Bild-Quelle: © Fam. Ostermann |
Die Weber in Hilden, 19. JahrhundertIn Hilden wie auch in anderen bergischen Städten ringsum lagen die Verhältnisse ähnlich wie in Haan. Edmund Kurschildgen († 1946) beschreibt in seinen Jugenderinnerungen, wie die Arbeitsteilung in den Weberfamilien funktionierte und auf welche Weise Familie und Beruf miteinander vereinbart wurden: |
"In den ländlichen Bezirken von Hilden gab es früher viel Handwebstühle. Insbesondere war das auch auf der Nordseite der Fall. Meist wurden Seidentücher und Baumwollstoffe gewebt. Dabei mußte die ganze Familie mithelfen. Der Mann saß hinter dem Webstuhl, die Frau machte die Webspulen zurecht, wobei ihr die älteren Kinder halfen. Wenn die Frau spulte und mit dem einen Fuß das Rad antrieb, mußte sie mit dem andern vielfach noch eine Kinderwiege in Bewegung halten; denn die Ehen waren damals fast immer kinderreich.
Als die Maschine sich immer mehr durchsetzte, wurde die Hausweberei allmählich verdrängt. Ein Handwebstuhl nach dem andern wurde stillgelegt, und die Weber mußten, manche noch in ihren alten Tagen, zur Fabrik gehen.
|
2002 Weberdenkmal in Hilden |
|
Weberdenkmal in Hilden, Berliner Straße / Ecke Hochdahler Straße: Karl Hasbach, letzter Handweber der Paul-Spindler-Werke KG, als er 1913 sein letztes Stück ablieferte. Die Bronzeplastik (von R. Zieseniss, Duesseldorf) war zunächst 1929 im Vorgarten des Verwaltungsgebäudes der Firma Kampf & Spindler an der Klotzstraße aufgestellt worden. |
Mechanische Webereien in HaanTextilfabrik Jung & Simons1867 errichtete die Firma Jung & Simons aus Elberfeld in Haan auf dem Gelände Schallbruch / Holthausen (Elberfelder Straße 59-65) die erste mechanische Weberei. Hergestellt wurden hauptsächlich baumwollene und halbwollene Futterstoffe. 1885 waren dort 322 Webstühle in Betrieb. Harro Vollmar berichtet:
"Auf dem ehemaligen Gelände des Holthausener Landwirtes Thienhaus wurde im Jahre 1867 eine Textilfabrik, eine mechanische Weberei mit 155 Webstühlen errichtet. [...]
|
|
|
Geh. Kommerzienrat Carl August Jung (1842-1911) |
|
Seidenweberei H. E. Schniewind
Die 1799 in Elberfeld gegründete Firma Schniewind konnte sich insbesondere nach dem Krieg 1870/71 erfolgreich durch den Einsatz von Handwebstühlen entwickeln, auf denen glatte und gemusterte Gewebe hergestellt wurden. Damals beschäftigte sie 1700 Handweber, davon allein 800-900 in Haan.
"Nachdem die Baumwoll-, Leinen- und Wollindustrie sich bereits seit Jahren mit unverkennbarem Erfolge des mechanischen Webstuhls bedient hatte, fand dieser Ende der siebziger [1870er] Jahre auch in der Seidenweberei Eingang. Die Firma gründete in Haan ihre erste mechanische Seidenweberei und setzte sie im Jahre 1884 in Betrieb. Die Fabrik entwickelte sich außerordentlich schnell; sie beschäftigte, nachdem das Werk innerhalb weniger Jahre verdoppelt und verdreifacht worden, über 600 Arbeiter und Angestellte. Diese Entwicklung wurde durch die weitsichtige Einführung der Verdol-Jaquard-Maschine für gemusterte Gewebe herbeigeführt.
Das Haaner Werk wurde 1932 Hauptsitz der Firma Schniewind mit einer Werksgrundfläche von 13.000 qm.
|
Heinrich Ernst Schniewind (1813-95) |
|
Das frühere Werksgelände der Firma Schniewind an der Dieker Straße vor der Neubebauung. Hinten das erste Haaner "Hochhaus" an der Diekermühlenstraße. |
Quellen:
|