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Der Haaner Lehrer und Chronist August Lomberg hat auch dieses Thema im Haaner Heimatbuch abgehandelt, und auch in diesem Fall dienten seine Aufzeichnungen späteren Lokalhistorikern als Quelle. Sie sollen hier ausführlicher zitiert werden, um eine Vorstellung von der damaligen Stimmung wiederzugeben, wie der Autor sie empfunden hat, und von den Lebensverhältnissen der Haaner Bevölkerung in jenen Jahren - die nicht grundsätzlich anders waren als anderswo.
Im Banne des Weltkrieges.
Anfang August 1914 meldet sich mein Großonkel Fritz (Friedrich) Mutz, damals 21 Jahre alt, als "Kriegsfreiwilliger" zur Infanterie.
"Die Bewegung hielt auch in den nächsten Tagen an. Da man daheim keine Ruhe hatte, so eilte man an den Bahndamm, um die ausziehenden Krieger zu begrüßen. Zug an Zug rollte dahin, alle gefüllt mit Soldaten, Pferden, Kanonen und Schießbedarf. Wohl schnürte es die Brust, wenn man des vielen Blutes dachte, das in den Kämpfen fließen würde. Aber das freudig bewegte Bild, das sich den Blicken darbot, ließ keine Rührung aufkommen. Da war kein Wagen, der nicht mit grünem Reisig geschmückt war. Selbst die Kanonen trugen Fähnchenschmuck. [...]
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August 1914 Mobilmachung am Ohligser Bahnhof (Solingen) Bild-Quelle: Stadtarchiv Solingen "Auf in den Kampf mir jukt die Säbelspitze" "Eilgut nach Lüttich" Launige Sprüche, aber nicht nur fröhliche Gesichter |
"Noch war der Aufmarsch der Armeen nicht beendet, als schon die ersten Siegesnachrichten eintrafen. Lüttich wurde genommen. Der Donner der Kanonen, unter denen auch die 'dicke Berta' zum erstenmal ihre dröhnende Stimme erhob, war in Haan deutlich zu hören. Dem glücklicken Ausgang entsprach der Fortgang. Namur, Brüssel und Antwerpen fielen in unsere Hände. Gleichzeitig entbrannten heiße Kämpfe zwischen Metz und den Vogesen. Kaum ein Tag verging, da nicht die Siegesglocken läuteten. Man war so an die sich überstürzenden Siege gewöhnt, daß die in den Straßen grüßenden Fahnen kaum noch eingezogen wurden." |
Nicht in allen Familien ist die Begeisterung so groß, denn es gibt bereits Tote.
Am 02.11.1914 fällt der Halbbruder meiner Großmutter, Ernst Winkels, bei Zandovoordet (Zandvoorde, Belgien). Über den ebenfalls kurzen Kriegseinsatz und Tod seines mit 22 Jahren in Frankreich gefallenen jüngsten Bruders (Im Verzeichnis Kriegsgräberfürsorge nicht gefunden) schreibt Carl Mutz später in die Familienbibel: |
"Der Bruder des Hausvaters, Fritz Mutz, ging Anfang August 1914 als Kriegsfreiwilliger zum Königl. Infanterie-Regiment 145. Nach der Ausbildung in Paderborn kam er zum Inf. Reg. 173, 2. Kompanie, wo er im Novemb. im Argonnewald in Frankreich durch einen Kopfschuß auf Vorposten schwer verwundet wurde. Im Kriegslazarett in Dun a.d. Maas starb er den 4. Dez. 1914. Der Lazarett-Pfarrer Harbeck in Jüchen hat ihn seelsorgerisch betreut und schrieb der Mutter [...]. Er wurde in seiner Zeltbahn beerdigt. [...] Im Sommer 1916 hat der Hausvater u. Schreiber dieses sein Grab wie Lazar. in Dun aufgesucht, er lag dazumal mit vor Verdun." |
Gedenktafel für die gefallenen CVJM-Mitglieder |
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Diese Gedenktafel war zur Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder des CVJM im Haaner CVJM-Vereinshaus angebracht. Im Zuge der Umbauarbeiten Ende der 1990er Jahre wurde sie aus dem Gebäude entfernt und existiert mittlerweile nicht mehr. Die Tafel trug folgende Aufschrift:
"1914-1918 starben für das Vaterland aus dem ev. M.-u.Jüngl.-Verein: Ernst Kirberg Aug. Laibach Ernst Korten Willi Korten Willi Klarenbach Willi Plümacher Gottwald Maus Paul Steins Friedr. Mutz Walter vom Endt Erich Rentmeister Ernst Hausmann Psalm 119 V. 9". |
"Es kam die Zeit der Spionenfurcht. Die abenteuerlichsten Gerüchte durchschwirrten die Luft. Bald hieß es, die Aufmarschpläne würden verraten, bald, die Tunnels und Brücken sollten gesprengt werden. Es galt also, von den Spähern auf der Hut zu sein. Bei Schwarten lag ein Wachtkommando, das strenge Kontrolle übte. Verdächtige Autos stauten sich in den Seitenstraßen, die nicht eher freigelassen wurden, als bis ihre völlige Harmlosigkeit erwiesen war. Auch lebenswichtige Betriebe, wie das Gas- und Wasserwerk, wurden Tag und Nacht bewacht. Zuweilen gelang es, einen Verdächtigen aufzugreifen; aber in der Regel tastete man daneben, und es entwickelten sich nicht selten die ergötzlichsten Auftritte.
"Als der Krieg ausbrach, stand die Ernte noch im Felde. Da es an Arbeitskräften fehlte, so wurde die schulpflichtige Jugend, die gerade Ferien hatte, mit herangezogen, die Ernte zu bergen. [...] Nachdem die Ernte eingebracht war, galt es, mit den Vorräten so sparsam umzugehen, als nur eben möglich war. Denn da unsere Feinde, allen voran die Engländer, den Verkehr zur See sperrten, so war uns die Zufuhr aus dem Ausland abgeschnitten. [...]
"Auch die übrigen Lebensmittel wurden mit der Zeit immer knapper und stiegen bedenklich im Preise. Darum wurden auch sie auf die Bevölkerung umgelegt. Da die Verkaufsstellen oft ziemlich abgelegen waren, so gehörte der Handwagen zu dem notwendigen Hausinventar. Auch das Kettenstehen war eine alltägliche Erscheinung. Willig ging unsere Bevölkerung auf alle diese Not- und Zwangsverordnungen ein und legte sich die Beschränkungen auf, die zur Erhaltung des Ganzen nötig waren.
Im Dezember 1915 wird Carl Mutz einberufen und muss vom 9. Dezember 1915 bis Ende Februar 1918 an der Westfront Kaiser und Vaterland verteidigen. Später notiert er in der Familienbibel (über sich selbst in der 3. Person): |
"Als Frontsoldat bei verschiedenen Fußartillerie Regimenten viel erlebt u. Gottes Bewahrung erfahren. Weil seine 1. Frau den 24. Dez. 1917 gestorb., wurde er ab Ende Febr. 1918 seiner Kinder halber beurlaubt. Er war lange (2 x) mit vor Verdun, bei der Aisne Offensive Frühjahr 1917 am Hartmannsweiler Kopf u.a." |
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1917 Leporello mit 12 Ansichtskarten: Souvenir vom Hartmannswillerkopf, einem von Franzosen und Deutschen hart umkämpften Berg in Elsass-Lothringen Collection l'Alsace. Verlag Braun & Cie, Imp.-Edit., Mulhouse-Dornach |
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"Fehlte es nun auch nicht an lohnender Arbeit, so gestalteten sich die Ernährungsverhältnisse doch immer schwieriger. Die feindliche Blockade tat bald ihre volle Wirkung. Es fehlte an allem und jedem."
Mit jedem Tag tauchten neue Schwierigkeiten auf, denen man auf die eine oder andere Weise Herr zu werden suchte. So sammelte man das Laubheu, um es als Futter für die Militärpferde zu verwenden, die Bucheckern, um daraus Öl zu gewinnen, die Eicheln, die als Kaffeeersatz und zur Schweinemast Verwendung fanden, die Brennesseln und Weidenröschen, aus denen man Gespinststoffe herzustellen suchte. Immer war es die muntere Schuljugend, die sich mit Eifer der Sammeltätigkeit unterzog.
Vor allem aber galt es, den Krieg zu finanzieren. Die Kriegsausgaben wuchsen auf drei Milliarden monatlich. Darum wurde von Zeit zu Zeit eine neue Kriegsanleihe aufgelegt, und es erging an alle, die über Barmittel verfügten, die Aufforderung, sich mit angemessenen Summen einzuzeichnen. Da auch kleinere Beträge nicht verschmäht wurden, so leerten die Kinder ihre Spartöpfe, um auch an ihrem Teile mitzuhelfen an dem großen Werk.
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"[...] Nie hat ein Krieg von unserem Volke so schwere Opfer gefordert. Ströme von Blut sind geflossen, und auf den Schlachtfeldern reiht sich Grab an Grab. Auch Haan hat eine außerordentlich hohe Zahl seiner besten Söhne hergeben müssen. Wie das im Verwaltungsbericht der Stadt Haan veröffentlichte Namensverzeichnis aufweist, sind nicht weniger als 256 seiner Helden auf dem Felde der Ehre gefallen; dazu kommen noch 9 Vermißte. [...] Zum Zeichen dieses Dankes haben die beiden kirchlichen Gemeinden wie weiter auch der Turnverein und die städtische Feuerwehr den Gefallenen Ehrentafeln errichtet. Geplant ist ferner noch ein größeres Kriegerdenkmal, das ebenfalls die Namen der Gefallenen der Nachwelt überliefern soll." Daraus ist nichts geworden. |
Während und infolge des Ersten Weltkrieges verlor Carl Mutz mindestens sechs Familienangehörige:
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Brückenkopf = militärische Stellung auf feindlichem Gebiet, die vom eigenen Territorium durch einen Fluss, einen See oder ein Meer getrennt ist, von wo aus ein sicheres Anlanden des Nachschubs und der Truppen ermöglicht werden soll. |
Unter englischer Besatzung
Da Haan den äußersten Vorsprung des Brückenkopfes Köln bildete, so hatte man den Verhauen hier kriegsmäßige Stärke gegeben. Als ob es eine hartbestürmte Festung zu verteidigen gelte, so bildeten sie ein unentwirrbares Geflecht und zogen sich zehn Meter tief ins Land hinein. Zur größeren Sicherheit wurden die umliegenden Gehöfte jetzt noch mit zahlreichen Bewachungsmannschaften belegt. Auch für die Pferde mußte Platz gemacht werden. Da half kein Sträuben. Als einer der Landwirte sich weigerte, seine Ställe zu räumen, weil er keine Unterkunft für sein Vieh wußte, da hielt man ihm den Zunder unter die Nase, zum Zeichen, daß man fähig sei, ihm sogleich das Anwesen über seinem Kopfe in Brand zu stecken.
Jetzt handelte es sich darum, den vielen ungebetenen Gästen Unterkunft zu verschaffen. Da in den Bürgerhäusern nur eine beschränkte Zahl Aufnahme finden konnte, so ging man zur Einrichtung von Massenquartieren über. In erster Linie wurden dazu die Gasthöfe, die größeren Säle, die Schulen und die Fabrikräume benutzt. Den ersten Gasthof der Stadt, das Hotel Windhövel, nahmen die Offiziere für sich in Anspruch. Der Gasthof zum Dom wurde für die Sergeanten-Messe beschlagnahmt. Am 1. Februar 1919 waren untergebracht bei Schniewind 50 Mann und 50 Pferde, im evangelischen Vereinshause 60 Mann, in der Schule zum Diek 92 Mann, bei Butzmühlen am alten Kirchplatz 60 Mann, bei Michael Wahlen 24 Mann, bei Aldenhoff 24 Mann, bei Krahwinkel 22 Mann, in der Brucher Mühle 28 Mann." |
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Hotel Windhöfel Bild-Quelle: Stadtarchiv Haan |
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2002 Das Haus "Zum Dom", Walder Straße 1 |
"Schlimm stand es in den Grenzbezirken des besetzten Gebietes. Hier wurden die Mannschaften durchweg in Massen bei kleineren Leuten untergebracht, die dadurch in ihrer Wohngelegenheit aufs äußerste beschränkt wurden.
Nicht genug damit, daß die Besatzung immer die besten Wohnzimmer für sich in Anspruch nahm und die Bewohner selbst auf die hintren Räume zusammendrängte, griff sie mit ihren schroffen und harten Forderungen auch tief in das private und öffentliche Leben ein. Verlangt wurde, daß jeder Einwohner im Alter von zwölf und mehr Jahren im Besitz eines Personalausweises sein müsse, der seine Adresse, sein Bild und seine Unterschrift samt der Unterschrift und den Stempel der zuständigen Zivilbehörde tragen solle. Nach Ablauf von drei Monaten war dieser Ausweis zu erneuern. Wer ihn nicht vorzeigen konnte, wurde mit 30 bis 50 M oder entsprechender Haft bestraft. Gefordert wurde ferner, daß auf der Innenseite der Haustür eine Liste der im Hause wohnenden Personen anzuschlagen sei.
Recht drückend wirkte auch das Verbot der Ein- und Ausfuhr von Waren. Gleich in den ersten Tagen geriet dadurch Oberhaan, das durch die Drahtverhaue von der übrigen Gemeinde abgesperrt, aber im Bezug von Lebensmitteln ganz auf die städtische Verwaltung angewiesen war, in die ärgste Bedrängnis. Es bedurfte der eindringlichsten Vorstellungen, um hierin Wandel zu schaffen. Die Sperrkette wurde dann auch weiter hinausgeschoben, zunächst bis zur Polnischen Mütze, dann bis Kriekhaus, dicht an die Gemeindegrenzen.
Außerordentlich störend wirkte die Besatzung auch auf den Schulbetrieb. Von den neun Schulen blieben dauernd sechs besetzt, so daß von einem geregelten Unterricht nicht mehr die Rede sein konnte. In manchen Klassen mußte der Unterricht überhaupt ausfallen. In andern konnte er nur dadurch aufrecht erhalten bleiben, daß die Schulzeit auf den ganzen Tag, bis 6 Uhr abends, ausgedehnt wurde. Die Haaner Jugend, die schon während des Krieges auf beschränkten Unterricht gesetzt war, litt also auch jetzt wieder unter den abnormen Verhältnissen.
Wie überall, wo die Soldateska das Regiment führt, so kamen auch bei der englischen Besatzung vereinzelt Übergriffe vor. Es wurde darüber geklagt, daß durch unbefugtes Rauchen Wald- und Heidebrände verursacht, daß bei Schießübungen mit Gewehrgranaten das Leben der Anwohner bedroht, daß durch Rohlinge Weibspersonen belästigt, daß Holzstöße mutwillig in Brand gesetzt und die Obstgärten bestohlen worden seien.
Nachdem am 19. Juni 1919 der Friedensvertrag unterzeichnet worden war, wurde die Stärke der englischen Besatzung sofort erheblich herabgemindert, bis sie gegen Ende des Jahres fast ganz zurückgezogen wurde. Gleichwohl galt Haan noch immer als besetztes Gebiet, und um dies nach außen zu markieren, blieb ein englischer Polizei-Sergeant in Haan zurück.
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2010 Kriegsgräber auf dem ev. Friedhof an der Alleestraße |
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2010 Kriegsgräber auf dem kath. Friedhof an der Thienhauser Straße |
Einige auf unterschiedliche Weise eindrucksvolle bis überaus beklemmende Bücher aus dem Besitz von Carl Mutz, die den Ersten Weltkrieg zum Thema haben, sind noch vorhanden, darunter:
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Quellen:
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